Neues aus dem Fernsehrat (108)„Reformstaatsvertrag“ mit Retro-Konzept der „Presseähnlichkeit“

Im Vorschlag der Länder für einen Staatsvertrag zur Reform öffentlich-rechtlicher Medienangebote finden sich viele gute Punkte wie mehr Publikumsinteraktion oder eine gemeinsame Plattforminfrastruktur auf Basis offener Standards. Allerdings bleibt die Finanzierungsfrage ungelöst und das Zombie-Konzept „Presseähnlichkeit“ wird nicht entsorgt, sondern sogar noch gestärkt.

Abbildung der Rundfunkkommission der Länder über Körbe für Spartenprogramme
Die Länder wollen Spartenprogramme streichen und haben sie dafür in „Körbe“ gruppiert. – Alle Rechte vorbehalten Rundfunkkommission der Länder

Die Serie „Neues aus dem Fernsehrat“ beleuchtet seit dem Jahr 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen Beiträgen der Reihe.

Über den rechtlichen Rahmen für öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland entscheidet nicht der Bundestag, sondern es entscheiden die Ministerpräsident:innen in der Rundfunkkommission der Länder. Änderungen an Auftrag, Struktur und Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk erfordern Einstimmigkeit aller 16 Länder in Form von innerdeutschen Rundfunk- und Medienstaatsverträgen – zumindest, solange nicht AfD-geführte Länder die Staatsverträge und damit den medienpolitischen Grundkonsens in Deutschland aufkündigen.

Die Länder und nicht den Bund als Rundfunkgesetzgeber vorzusehen sowie die damit verbundene erforderliche Einstimmigkeit über 16 Länder hinweg, ist eine doppelte Lektion aus der deutschen Geschichte. Einerseits zwingt so eine Struktur zu Kompromissen über weltanschauliche und parteipolitische Lager hinweg, soll so gesellschaftlicher Polarisierung und Spaltung entgegenwirken. Andererseits ist dadurch die Gefahr eines propagandistischen Missbrauchs öffentlich finanzierter Medien durch die Bundesregierung gering. Der Rundfunkföderalismus dient auch der Staatsferne öffentlich-rechtlicher Medien.

Wenn die Rundfunkkommission der Länder jetzt den Entwurf für einen „Reformstaatsvertrag“ vorlegt und bis 11. Oktober um Stellungnahmen bittet, dann handelt es sich eigentlich um Änderungen an vier Staatsverträgen: dem Medien-, dem ARD-, dem ZDF- und dem Deutschlandradio-Staatsvertrag.

Positive Punkte im Entwurf für den Reformstaatsvertrag

Wie bei vergangenen Staatsvertragsänderungen auch finden sich eine Reihe von begrüßenswerten Anpassungen und Modernisierungen im Entwurf für den Reformstaatsvertrag. Dazu zählen unter anderem folgende Punkte:

  • Die im Auftrag vorgeschriebene „zielgruppengerechte interaktive Kommunikation mit den Nutzern […] sowie verstetigte Möglichkeiten der Partizipation“ wird zur längst überfälligen Öffnung von Mediatheken für Publikumsinteraktion wie Kommentare oder ähnlichem führen.
  • Die von ARD und ZDF bereits angekündigte Zusammenlegung der Mediathek-Entwicklung auf Basis von Open-Source-Software („Streaming OS“) wird als „gemeinsames technisches Plattformsystem“ staatsvertraglich vorgeschrieben, das ganz explizit „möglichst offene technische Standards“ nutzen und von einer gemeinsamen Tochtergesellschaft entwickelt werden soll. Hinzu kommt die gesetzliche Aufforderung, Vernetzung und Kooperation mit anderen öffentlich-rechtlichen Medien in Europa in diesem Bereich zu forcieren.
  • In den Staatsverträgen wird stärker zwischen Portalen (Mediatheken, Webseiten, Apps) und Plattforminfrastruktur (beispielsweise Software) unterschieden. Warum das wichtig ist, war in Folge 97 dieser Reihe Thema.
  • In diesem Zusammenhang wird eine „einheitliche Auffindbarkeit“ über verschiedene Portale hinweg vorgeschrieben. Das soll „eine weitere Vernetzung der Portale […] ermöglichen, ohne ein zentrales Portal vorzuschreiben“ und entspricht damit einem dezentral-vernetzten Ökosystem-Ansatz.
  • Galt bis 2019 noch ein weitreichendes Verlinkungsverbot für öffentlich-rechtliche Angebote, wird mit dem vorliegenden Entwurf endgültig und richtigerweise Verlinkung eingefordert – und zwar nicht nur zwischen ARD, ZDF und DLF auf der „erste[n] Auswahlebene der eigenen Portale“. Die Angebote sollen künftig „auch auf Inhalte verlinken, die Einrichtungen der Wissenschaft, Kultur sowie der Bildung anbieten und die aus journalistisch-redaktionellen Gründen für die Telemedienangebote geeignet sind“. Kuratierung externer Inhalte für eigene Portale wird damit erstmals Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags.
  • Der Entwurf sieht eine allgemeine Aufforderung zur Zusammenarbeit von ARD, ZDF und DLR bei administrativen und technologischen Aufgaben vor, solange es nicht der Auftragserfüllung, dem publizistischen Wettbewerb oder der Wirtschaftlichkeit entgegensteht.
  • Die an mehreren Stellen eingeforderte, stärkere Kooperation zwischen den Anstalten wird auch verstärkten (Nutzungs-)Datenaustausch notwendig machen, für den ebenfalls gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden. In diesem Zusammenhang wird ein unabhängiger „Gemeinsamer Rundfunkbeauftragter für den Datenschutz“ mit einer Amtszeit von acht Jahren eingeführt.
  • Für den KI-Einsatz sollen in einem gemeinsamen Kodex Grundsätze für die Entwicklung und den Einsatz entsprechender Systeme festgelegt werden.
  • Online-Spiele bleiben prinzipiell verboten, aber es gibt eine Ausnahme für solche, die in konkret adressierten Zielgruppen die Auftragserfüllung unterstützen und einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen.

Hinzu kommen einige Änderungen der Gremienstrukturen (vor allem in der ARD), die Betonung der „kollegialen Leitung“ von Anstalten durch ein „Direktorium“ aus Intendant, Programmdirektion, Chefredaktion, Verwaltungsdirektion und Justiziariat sowie die Einrichtung eines neuen, weisungsfreien „Medienrates“.

Der Medienrat soll regelmäßig die Auftragserfüllung der öffentlich-rechtlichen Medien „in ihrer Gesamtheit“ evaluieren. Dessen sechs Mitglieder („Sachverständige“)  werden von der Gremienvertreterkonferenz der ARD (2), dem Fernsehrat des ZDF, dem Hörfunkrat des Deutschlandradios sowie durch die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder berufen (2).

Während manche durch so einen Medienrat eine Beschneidung von Kompetenzen bestehender Rundfunk- und Fernsehräte befürchten, kann ich der Idee durchaus etwas abgewinnen, zumindest ein Aufsichtsorgan einzurichten, das über alle Anstaltsgrenzen hinweg das Gesamtsystem im Blick hat.

Drei Probleme im Entwurf für den Reformstaatsvertrag

Jenseits dieser durchaus beachtlichen Liste an positiven Punkten gibt es drei Probleme des vorliegenden Entwurfs: Das größte Problem ist sicher eine fehlende Lösung für die nachhaltige und staatsferne Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medienangebote in Deutschland. Das nach dem 2. Weltkrieg etablierte Verfahren von regelmäßigen Anpassungen des Beitrags auf Basis von Empfehlungen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ist quasi tot.

Die in diesem Verfahren notwendige Zustimmung sämtlicher Landesparlamente ist auch ohne AfD-Regierungsbeteiligung oder -Mehrheit inzwischen völlig unrealistisch. Schon die letzte, von der KEF empfohlene Beitragserhöhung wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erzwungen. Man muss es so klar sagen: Die größte Bedrohung der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Medienangebots in Deutschland ist die parteipolitisch motivierte Verhinderung einer angemessenen, dem Auftrag entsprechenden Finanzierung.

Ideen für eine Reform des KEF-Verfahrens, bei dem im Rahmen eines Korridors der Beitrag auch ohne Zustimmung der Landesparlamente angepasst werden kann, gibt es zwar. Eine 16-Länder-Einigung auf ein solches Indexierungsmodell war aber offensichtlich nicht möglich.

Kürzung bei Spartenprogrammen

Das zweite Problem ist die Herangehensweise bei der Neuregelung sogenannter „Spartenprogramme“. Klar ist, dass eine Beauftragung einzelner Spartenprogramme direkt per Staatsvertrag unzeitgemäß ist. Sinnvoll wäre es, hier ARD und ZDF mehr Flexibilität bei der Einstellung oder Überführung in digitale Angebote zu geben. Offenbar ist es aber politisch gewollt, durch die Einstellung von Spartenkanälen ein klar sichtbares Kürzungssymbol zu setzen.

Deshalb wurden die Spartenprogramme wie ARD Alpha oder ZDF Neo drei „Körben“ zugeordnet und in jedem dieser Körbe soll es zur Reduzierung von Kanälen kommen. Diese Vorgehensweise berücksichtigt jedoch nicht, dass die Spartenkanäle für ARD und ZDF von unterschiedlich großer Bedeutung sind: während die ARD alleine durch die zahlreichen dritten Programme über eine große Zahl an linearen Angeboten verfügt, sind ZDF Neo und ZDF Info für das Angebot des ZDF von ungleich größerer Relevanz.

Zombie-Konzept „Presseähnlichkeit“

Das dritte und für mich überraschendere Problem ist, dass man völlig aus der Zeit gefallene Konzepte wie „Presseähnlichkeit“ und „Sendungsbezug“ nicht nur nicht entsorgt hat, sondern sogar noch einmal gestärkt hat. So heißt es in den Erläuterungen, dass die „Bedeutung des Sendungsbezuges im Rahmen des Verbots der Presseähnlichkeit“ betont wird.

Ganz abgesehen davon, dass es viele gute Gründe für öffentlich-rechtliche Texte im Internet gibt, ist es absurd, Texte auf öffentlich-rechtlichen Angeboten derart einzuschränken, während private Online-Angebote längst crossmedial und voll mit Video- und Audioinhalten sind. Es gilt heute völlig unverändert, was ich vor sieben Jahren anlässlich meiner Nominierung von Presseähnlichkeit als „Unwort des Jahres“ geschrieben habe:

Presse im Internet ist ein multimedialer Mix aus Text, Bild, Video- und Audiomaterialien. Presseähnlichkeit als Kriterium hat sich damit überlebt. Vielmehr geht es um die Grundsatzfrage, ob es beitragsfinanzierten Journalismus online geben soll oder nicht. […] Denn den Textanteil online zu reduzieren […] bedeutet letztlich vor allem eines: einen qualitativ schlechteren, öffentlich-rechtlichen Rundfunk im digitalen Zeitalter. […] Dieser Weg ist kurzfristig falsch und unterminiert langfristig die Legitimität öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz.

Das Konzept der „Presseähnlichkeit“ ist derart retro, es hat in einem „Reformstaatsvertrag“ nichts verloren. Ganz im Gegenteil, ein Reformstaatsvertrag wäre die perfekte Gelegenheit, es endgültig zu beerdigen.

3 Ergänzungen

  1. Einfach nur lächerlich.
    Die privaten produzieren fast nur Müll und jetzt soll des öffentlich finazierte Programm so gekürzt werden.
    Sorry aber dann werden noch weniger Menschen einschalten.

  2. Erfährt man, wer die Protagonisten eines Verbots der Presseähnlichkeit und der Einforderung eines Sendungsbezugs im Entwurf des Reformstaatsvertrags sind?

    „Sendung“ und „Presse“ klingen schon sehr aus der Zeit gefallen.

    Die einzig noch sinnvolle Unterscheidung scheint mir zwischen gemeinnützigen und kommerziellen Medien zu bestehen. Eine Unterscheidung nach ihrer medialen Erscheinungsform macht in der Digitalität so gar keinen Sinn mehr.

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