Open-Source-FörderungNoch mehr Kritik an Finanzierungsstopp der EU-Kommission

Wichtige Organisationen aus der Open-Source-Szene fordern, dass die Förderung für das „Next Generation Internet“-Programm fortgesetzt wird. Ein von der EU-Kommission selbst beauftragter Bericht bewertete das Programm erst vergangenen Monat positiv. Noch besser wäre eine langfristige Lösung.

Eine junge Mutter hält ein aby auf dem Arm, während sie einen Laptop benutzt.
Auch die nächste Generation Internet braucht Unterstützung. – Public Domain Pexels / Sarah Chai

Die Europäische Kommission unterstützt Open-Source-Projekte mit dem „Next Generation Internet“-Programm (NGI). Es finanziert Entwickler:innen – mit kleinen Summen und unbürokratisch. Das funktioniert seit Jahren gut, aber nun droht das Ende. Laut einem internen Dokument soll es 2025 kein Geld mehr für das Programm geben.

Dagegen gehen Entwickler:innen und Organisationen aus der Open-Source-Szene auf die Barrikaden. Die französische Organisation petites singularités hat einen offenen Brief aufgesetzt, in dem sie fordert, dass die EU-Kommission das Überleben des Programms sicherstellt. Einige namhafte Organisationen haben unterzeichnet, unter anderem Matrix.org, die Entwickler:innen des Matrix-Protokolls, die Open Knowledge Foundation aus dem Vereinigten Königreich oder Homo Digitalis aus Griechenland.

Auch Patrick Breyer, bis Dienstag Europaabgeordneter für die Piraten, äußerte sich gegenüber netzpolitik.org kritisch. „Freie Software dient der IT-Sicherheit, Resilienz, technologischen Souveränität und Autonomie der EU. Sie fördert Interoperabilität, Wettbewerb und Wahlfreiheit der Nutzer“, sagte er. Wenn jetzt viel weniger Fördermittel verteilt und auf wenige Großprojekte konzentriert werden sollten, gefährde das europäische Interessen. Die Kommission hätte bislang schon vergleichsweise wenig in das Programm investiert, ein weiterer Abbau sei „nicht hinnehmbar“.

Schlecht für das ganze Internet

Die Free Software Foundation Europe hat heute einen eigenen Aufruf zur Weiterfinanzierung von NGI veröffentlicht. „Der Mangel an öffentlicher Finanzierung für so zentrale Technologien hat nicht nur negative Auswirkungen auf freie Software, sondern auf die gesamte Zukunft des Internets“, heißt es dort.

„Die Finanzierung einstellen heißt unsere eigene Autonomie einschränken“, schreibt die FSFE. „Diese Debatte zeigt mal wieder ein fundamentales Problem: Wir brauchen eine nachhaltige, sichere und dezidierte Finanzierung für NGI und freie Softwarelösungen, die Europa dabei helfen, seine Technologie zu kontrollieren.“ Der Grund für die Mittelkürzung scheint laut der FSFE zu sein, dass die Gelder stattdessen bei Projekten mit „Künstlicher Intelligenz“ landen sollten.

Eigener Bericht fiel positiv aus

Erst im vergangenen Monat hat ein Bericht der EU-Kommission dem Programm ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. „Das NGI-Programm hat einen wichtigen Einfluss darauf gehabt, eine Tech-Landschaft in der EU zu formen, die nachhaltig, souverän und mit EU-Programmen und Werten im Einklang ist“, heißt es dort.

Für den Bericht wurden auch Empfänger:innen der NGI-Gelder zu ihren Erfahrungen mit dem Programm befragt. Die sind sehr positiv, heißt es: „Das unterstreicht die positive Aufnahme des aktuellen Finanzierungsmodels, und betont die Notwendigkeit von fortgesetzter finanzieller Unterstützung, um Nachhaltigkeit und Wachstum von Open-Source-Initiativen zu gewährleisten.“

Laut dem Bericht finden die Empfänger:innen besonders gut, dass NGI seine Gelder ohne große Bürokratie auszahlt. Das Programm habe eins der „schlanksten, leichtesten Antragverfahren, die wir bisher gesehen haben“, wird eine Person zitiert. Die NGI-Finanzierung hätte sich positiv auf viele Projekte ausgewirkt und ihnen erlaubt, innovativen Ideen nachzugehen.

Muss langfristiger aufgestellt werden

Ein grundlegendes Problem mit dem Programm ist die Struktur der Finanzierung. Die EU-Kommission vergibt das Geld als Teil des Forschungsförderprogramms „Horizont Europa“, einem gewaltigen, mehrere Jahre dauernden Schwergewicht mit fast 100 Milliarden Euro Gesamtsumme. Die Finanzierung von Next Generation Internet, 27 Millionen Euro, ist im Verhältnis winzig und fällt kaum ins Gewicht.

Unter dem Dach von Horizont Europa wird die Finanzierung für NGI aber in unregelmäßigen, kurzen Abständen neu ausgeschrieben. Damit ist das Programm ständigen Modewünschen aus der Kommission unterworfen: Im einen Jahr soll es sich auf Blockchain konzentrieren, im nächsten auf Künstliche Intelligenz. Eine stetige, unabhängigere Finanzierung würde eine langfristigere Planung erlauben. Als Beispiel könnte dafür der deutsche Sovereign Tech Fund dienen.

Die Niederlande, Estland, Frankreich und Deutschland arbeiten gerade an einer ähnlichen Idee, mit einem etwas komplizierten Namen: ein Europäisches Digitalinfrastruktur-Konsortium für die digitale Allmende. Dieses Konsortium soll Open-Source-Entwickler:innen einen einfachen Zugang zu Finanzierung und Ressourcen bieten. Die Staaten müssen ihre Idee aber erst einmal formell umsetzen. Die Ausgestaltung und Finanzierung steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt. Das NGI-Programm direkt ersetzen kann das Konsortium also nicht.

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1 Ergänzungen

  1. Jetzt mal schnell den Bleistift herausholen und den Schaden addieren, den die Abhängigkeit von Microsoft heute, dem denkwürdigen Tag 19.07.2024 gekostet hat.

    Gefördert werden sollte, was Desaster unmöglich macht: FOSS!

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