Zwar ist vor der Wahl im Herbst keine große Urheberrechtsreform mehr geplant, ein sinnloses Leistungsschutzrecht und ein paar kleinere Änderungen in den Bereichen wissenschaftliches Zweitveröffentlichungsrecht und Umsetzung der EU-Richtlinie zu verwaisten Werken sollen aber doch noch beschlossen werden.
Während zum Leistungsschutzrecht inzwischen fast alles von fast jedem gesagt und der Beschluss trotzdem nicht verhindert wurde, meldet sich zu den übrigen anstehenden Änderungen jetzt das Münchner Max-Planck-Institut (MPI) für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht mit einer ausführlichen Stellungnahme zu Wort. Diese fällt über weite Strecken wenig schmeichelhaft aus. Vor allem im Bereich des wissenschaftlichen Zweitveröffentlichungsrechts, von dem die MPI-Autoren ja auch selbst betroffen sind, gibt es neben einer Reihe von Detailverbesserungsvorschlägen auch fundamentalere Kritikpunkte.
Rainer Kuhlen vom Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ hat sich dankenswerter Weise bereits die Arbeit gemacht, diese in einem Beitrag für iuwis zusammenzufassen. Er sieht in der MPI-Stellungnahme drei „Großprobleme“ durchschimmern:
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„Das MPI bezweifelt, ob der durch das Zweitveröffentlichungsrecht scheinbar begünstigte grüne Ansatz für Open Access zum einen zum Tragen kommt und zum andern, und das ist der gravierendere Punkt, ob dieser grüne Ansatz, gemeint als Form der Zweitpublikation in öffentlichen Repositorien, überhaupt volkswirtschaftlich letztlich wünschenswert ist. […] Schon auf der letzten Jahrestagung des Aktionsbündnisses wurde von mir (als Sprecher des Aktionsbündnisses) bezweifelt, ob es gesamtwirtschaftlich zweckmäßig sei, neben der kommerziell vorhandenen Infrastruktur für die Erstpublikation nun eine zweite, jetzt öffentlich finanzierte Infrastruktur für Open-Access-Repositorien aufzubauen.“
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„Dieses Argument gegen die Wirtschaftlichkeit der Zweitveröffentlichung wird nun vom MPI verbunden mit einer kritischen Reflexion auf die Zweckmäßigkeit oder gar Rechtfertigung, das Zweitveröffentlichungsrecht, wie im RefE vorgesehen, auf Werke zu beschränken, die zumindest zu 50% mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Das Aktionsbündnis hatte dies ebenfalls in seiner Stellungnahme kritisiert: ‚Das Zweitverwertungsrecht sollte allen AutorInnen zugebilligt werden, unabhängig von der Art ihrer Beschäftigung und unabhängig von der Form der Finanzierung ihrer Arbeit.‘
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„Die Frage der Mandatierung führt dann zu dem letzten Großproblem. Man könnte ja fragen, wozu mandatiert werden soll: zu der Zweitveröffentlichungsverpflichtung im grünen Ansatz oder zur Erstveröffentlichungsverpflichtung im goldenen Ansatz? […] Kritisiert wird im Sinne der Argumentation von (1) oben, dass nun die Wissenschaftsorganisationen doppelt bezahlen sollen, einmal die Verlage, zum andern für die Repositorien.“
Aber auch der Vorschlag zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Nutzung verwaisten Werken ist den MPI-Autoren zu Folge unzureichend:
„Auf den ersten Blick setzt der RefE die RL 2012/28/EU vom 25. Oktober 2012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke konsequent um. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten ungenutzt bleiben, teilweise sogar kontraproduktive Regelungen vorgeschlagen werden. Damit droht das Ziel, die „Bewahrung und Verbreitung des europäischen Kulturerbes“ zu erreichen, verfehlt zu werden“
Vor allem kritisiert die Stellungnahme, dass keine „Beschränkung von Ansprüchen, die seitens nachträglich bekannt gewordener Rechteinhaber erhoben werden“, vorgesehen sind. Solche von der Richtlinie erlaubten Beschränkungen sind aber die Voraussetzung dafür, dass öffentliche Institutionen das Risiko einer Digitalisierung verwaister Werke überhaupt in Angriff nehmen können.
Mit anderen Worten: Das Problem der vorgeschlagenen Richtlinien-Umsetzung ist, dass auch die vorgeschriebene, sorgfältige Suche in keinster Weise vor Ansprüchen von Rechteinhabern schützt, sollten diese plötzlich doch wieder auftauchen. Damit würde aber das Ziel der Richtlinie, nämlich Rechtssicherheit für Digitalisierung und Zugänglichmachung verwaister Werke zu schaffen, quasi ad absurdum geführt. Das dementsprechend harte Fazit der MPI-Autoren:
„Damit erscheint mehr als fraglich, ob das mit der RL verfolgte Ziel, das kulturelle Erbe Europas für alle seine Bürger zu heben, zu sichern und zugänglich zu machen, überhaupt erreicht werden kann; denn eine Regelung zur gegenseitigen Anerkennung des Status als vergriffenes Werk ist auf EU-Ebene nicht in Sicht. Die vorgeschlagene Wahlmöglichkeit läuft damit namentlich der Schaffung eines gemeinsamen europaweiten „Kulturgedächtnisses“ (im Sinne der EUROPEANA) zuwider, d.h. im Ergebnis droht die RL in Deutschland regelrecht ins Leere zu laufen.“
Neben dieser grundsätzlichen Kritik listet die Stellungnahme noch eine Reihe weiterer Schwächen des Referentenentwurfs auf (z.B. die Definition verwaister Werke betreffend). Wären alle diese Kritikpunkte nur handwerkliche Fehler, es spräche nichts dagegen, diese zu korrigieren und den geänderten Entwurf noch vor der Wahl zu beschließen. Meine Befürchtung ist jedoch: sie wissen was sie tun. Sowohl die Vorschläge zum Zweitveröffentlichungsrecht als auch jene zu verwaisten Werken sind so gestaltet, dass sie Verlagsinteressen soweit wie möglich entgegenkommen. Zufall oder Ergebnis von erfolgreichem Lobbyismus?
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