Liebe Leser:innen,
manchmal vermute ich, dass in meinem Gehirn ein Jingle-Board steht und jemand in meinem Kopf passend zur Situation ein Knöpfchen drückt. Dann spielt ein Audioschnipsel ab. Das kann ein Lied sein, dass ich mit einer Situation assoziiere. Ein Satz, den jemand mal gesagt hat. Oder ein Geräusch. Eigentlich findet der Großteil meines Tages mit meiner ganz eigenen, inneren Audiountermalung statt. So wie viele Ohrwürmchen in ganz klein. Jetzt, am Jahresende, drückt dieser Tastendirigent ganz oft eine ganz bestimmte Taste: „Whoosh“.
„I love deadlines. I love the whooshing noise they make as they go by“, schrieb Douglas Adams, am bekanntesten für „Per Anhalter durch die Galaxis“. Woosh, das ist das Geräusch von vorbeiziehenden Deadlines und davon gibt es am Jahresende jede Menge. Und egal, wie gut ich sie mir zurecht lege, immer kommt irgendwas dazwischen. Oder eher: dazu.
Viele reden immer von dieser besinnlichen Zeit rund um die Feiertage. Aber wie sah die letzte Woche aus? Da lässt das Kabinett noch eine Bundespolizeireform aus dem Sack, die es in sich hat. Ein Digitale-Dienste-Gesetz erscheint auf der Bildfläche, das Bundesverfassungsgericht verhandelt nochmal schnell zum BKA-Gesetz und mit dem hessischen Koalitionsvertrag bekommen Hardliner ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.
Und dabei müssten die Kolleg:innen und ich doch wahlweise eigentlich mal die Vorträge für den Chaos Communication Congress fertig machen. Oder noch ein paar Artikel vorbereiten, damit ihr unterm Baum, zwischen Knödel und Rotkohl oder gemütlich allein im Bett was zu Lesen bekommt und die Seite nicht leer bleibt. Gleichzeitig beschäftigt uns natürlich, ob wir genug Spenden zusammenbekommen, um unsere Arbeit auch im neuen Jahr mit gleicher Kraft fortsetzen zu können. Habt ihr schon?
Das ist kein Jammern über die ach-so-stressige Jahresendzeit, versteht mich nicht falsch. Es ist eher eine selbstironische Betrachtung, wie ich jedes Jahr die gleiche Fehlannahme treffen kann, besser vorbereitet zu sein als im letzten Jahr.
Aber eigentlich kann ich auf die verordnete Besinnlichkeit am Jahresende ja auch ganz gut verzichten. Von mir aus besinne ich mich eben ein paar Wochen später. Dann wird der Klang der Deadlines – Whoosh! – ganz schnell zum Rauschen einer Welle am Meer. Und so lange der Tastendirigent die „Last Christmas“-Taste nicht findet, kann ich ganz zufrieden sein.
Schon fast besinnlich grüßt
anna
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