IntransparenzVon der Leyens Chats zu Impfstoff-Deal bleiben geheim

Hat Pfizer die EU beim Milliardendeal für Covid-Impfstoffe über den Tisch gezogen? Die Antwort könnten Chats von Kommissionspräsidentin Von der Leyen liefern. Aber die EU will sie nicht herausgeben. Kritiker:innen sehen das Recht auf Zugang zu Informationen in Gefahr.

Covid-19-Impfstoff
Die EU kaufte 1,8 Milliarden Dosen Pfizer-Impfstoff – nach direkten Verhandlungen zwischen Von der Leyen und Pfizer-Chef Bourla (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Daniel Schludi

Die EU-Kommission will die Chats von Ursula von der Leyen mit Pfizer-Konzernchef Albert Bourla weiter geheim halten. Von der Leyen fädelte im Frühjahr 2021 in Nachrichten und Anrufen mit Bourla einen Milliardendeal über Covid-Impfstoffe ein – doch die Nachrichten fielen nicht unter das Informationsfreiheitsgesetz der EU, argumentiert die Kommission.

An dem Deal der EU mit Pfizer gibt es erhebliche Kritik. Bis heute hat die Kommission nur geschwärzte Versionen der Kaufverträge vorgelegt. Der Preis der Impfstoffe und wichtige Vertragsbedingungen bleiben geheim. Allerdings weckt ein Bericht der Financial Times Zweifel daran, ob die EU bei dem Kauf nicht über den Tisch gezogen wurde. Laut der Zeitung, die Teile der Verträge einsehen konnte, zahlte die EU anfangs pro Dosis 15,50 Euro, nach dem Deal stiegen die Kosten jedoch auf 19,50 Euro pro Dosis.

Für 3 Euro hergestellt, für 19,50 Euro verkauft

Die People’s Vaccine Alliance, ein Bündnis humanitärer Organisationen, rechnet unter Verweis auf eine Untersuchung des Imperial College London vor, dass eine einzelne Dosis des Impfstoffs für weniger als drei Euro hergestellt werden könne. Dieser Rechnung zufolge könnte Von der Leyens Deal dem Pharmakonzern Pfizer einen Überschuss von rund 31 Milliarden Euro verschafft haben. Die NGO Public Citizen, die ungeschwärzte Impfstoffverträge von Pfizer in mehreren Ländern einsehen konnte, erklärte gegenüber der Washington Post, dass das Unternehmen seine Verhandlungsmacht als einer der wenigen Hersteller eines wirksamen Covid-Impfstoffs ausnutze, um „Risiken zu verlagern und Gewinne zu maximieren“. In den eingesehenen Verträgen werden „die Interessen von Pfizer konsequent über die Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit gestellt“.

Nachdem die New York Times über den direkten Draht zwischen Von der Leyen und Bourla berichtete, stellte netzpolitik.org einen Antrag auf Herausgabe der Chats. Doch die Kommission weigerte sich, den Antrag überhaupt zu prüfen. Denn Nachrichten über SMS, WhatsApp und andere Messenger seien „kurzlebig“ und daher keine Dokumente im Sinne der EU-Verordnung über den Dokumentenzugang.

Abgeordneter wittert „fadenscheinigen Begründungen“

Die Pauschalablehnung unserer Anfrage nach den Nachrichten zwischen Von der Leyen und Bourla sei ein klares Fehlverhalten der EU-Kommission, urteilte die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly auf unsere Beschwerde hin. Auch Abgeordnete und NGOs äußerten sich empört über die Intransparenz der Kommission. „Das, was auf dem Telefon von Frau von der Leyen passiert, ist Politik“, sagte auch der grüne EU-Politiker Daniel Freund. „Es kann nicht sein, dass Journalistinnen und Journalisten fadenscheinige Begründungen bekommen und abgewimmelt werden. […] Und es kann nicht sein, dass der Zugang zu zentralen Dokumenten schon wieder dadurch verhindert wird, dass Ursula von der Leyen SMS löscht.“

Doch der Kritik zum Trotz will die Kommission die Nachrichten weiter geheim halten. In einer am heutigen Mittwoch veröffentlichten Antwort an Ombudsfrau O’Reilly schreibt die EU-Behörde, dass sie „kurzlebige“ Dokumente wie SMS und Messenger-Nachrichten gar nicht erst aufbewahre und daher auch keinen Zugang dazu erteilen könne. Sie reagiert nicht auf die Aufforderung der Ombudsfrau, den Antrag von netzpolitik.org neuerlich zu prüfen und tatsächlich inhaltlich zu bewerten, ob sie die Chats herausgeben kann oder nicht.

Recht auf Zugang zu Informationen „ernsthaft untergraben“

Hingegen kündigt die EU-Kommission an, gemeinsam mit anderen EU-Institutionen neue Richtlinien für den internen Umgang mit SMS und Messengernachrichten auszuarbeiten. Die Kommission verweist auf eine Empfehlung des Rates der EU an seine Mitarbeiter:innen, solche Nachrichten nur für „kurzlebige Chats über öffentliche oder nicht-sensible Inhalte“ zu nutzen. Dies könne Ausgangspunkt für eine gemeinsame Direktive aller EU-Institution sein. Damit will die Kommission wohl eine Argumentationsgrundlage schaffen, um auch künftig keine Chats archivieren zu müssen.

Expert:innen aus der Zivilgesellschaft fürchten, dass die Kommission durch ihre Haltung eine riesige Gesetzeslücke beim Zugang zu Dokumenten schaffe. „Wenn wir nicht einmal nach Textnachrichten fragen dürfen, wie sollen wir dann wissen, ob es sich wirklich um flüchtige Angelegenheiten oder um wichtige Entscheidungen handelt?“, fragt Helen Darbishire, Leiterin der Informationsfreiheitsorganisation Access Info.

Die Realität sei, dass ein großer Teil der Regierungsgeschäfte in Europa und weltweit über verschiedene Kommunikationsmittel abgewickelt werde, darunter SMS, WhatsApp und andere Messaging-Plattformen. „Das Recht auf Zugang zu Informationen wird ernsthaft untergraben, wenn wir nicht auf diese zugreifen können“.

4 Ergänzungen

  1. Die Fähigkeit zum Handeln ohne Rechenschaftspflichten zeichnet den Souverän aus, das entspricht vdLs Selbstverständnis durch ihre gesamte Laufbahn. Der Erfolg gibt ihr Recht.

  2. Von der Leyen hat schon als Verteidigungsministerin die schlechtestens Deals ausgehandelt,
    Beim Kauf von 5 Kriegsschiffen wurde ein Vertrag ausgehandelt zu dem Kontrolleure später meinten „dessen Preis erheblich überhöht ist und dessen Risiken zum großen Teil den Bund belasten“.

  3. Die Frage ist, ob der Ausdruck „über den Tisch gezogen“ hier richtig gewählt ist.
    Man könnte auf die Idee kommen, dass Frau v.d.Leyen sich hier womöglich persönliche Vorteile verschaffen haben könnte. Warum sollte sie sonst gegen die Transparenz-Pflichten, die sich die gewählten Abgeordneten mit deren Wahl unterwerfen, verstoßen?

  4. „Die Realität sei, dass ein großer Teil der Regierungsgeschäfte in Europa und weltweit über verschiedene Kommunikationsmittel abgewickelt werde, darunter SMS, WhatsApp und andere Messaging-Plattformen.“

    Ein anderer Kommentator hat in einem der letzten Artikel zum Thema die Haltung der EU-Kommission zwar schon als „heuchlerisch“ apostrophiert, aber man kann es nur oft genug wiederholen und ein „Digitalisierungs-Paradoxon“ definieren:

    Alles soll der schönen, neuen digitalisierten Welt unterworfen werden, alles machen Rechner und Roboter. Papier war gestern! Der Bürger wird voll und ganz datenschutzlos, kontrolliert, überwacht. Wenn nötig, sogar unter Zwang. Das soll dann die „Realität“ sein.

    Das gilt aber offensichtlich keineswegs für diejenigen, die sich, sobald sie einen gewissen politischen oder einen anderen Macht-Status erlangt haben, jeglicher öffentlicher Kontrolle entziehen – plötzlich sind SMS und Chat inhaltlich angeblich nichts wert. Transparenz? Chat-Kontrolle? Wie kann man nur!

    Wo doch schon zu Merkels Zeiten das „Offenbarungs-Paradigma“ etabliert wurde: Jeder darf von jedem alles wissen, nichts ist mehr privat! Daran hat sie sich zwar selbst nicht gehalten, aber: Jetzt könnten Sie, Frau von der Leyen, es besser machen! Mal vorbildhaft dieses Paradigma mit Leben erfüllen – doch diesmal zu echtem, zu unser aller Nutzen! Sie haben doch „nichts zu verbergen“!

    Wohlgemerkt, es geht hier nicht private Kommunikation, sondern um politische Prozesse, Verträge, die unser aller Geld betreffen und mit Folgen für Millionen Menschen. Und: Genau diese Intransparenz politischer Entscheidungen fördert massiv die berühmten Verschwörungstheorien!

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