Die EU-Grenzagentur Frontex hat eine Testreihe für die Speicherung und Verarbeitung biometrischer Daten an Landgrenzen beendet. An drei Kontrollstellen in Bulgarien und Spanien wurden neben dem Namen der Reisenden und ihren Dokumenten vier Fingerabdrücke und das Gesichtsbild sowie das Datum und den Ort der Ein- oder Ausreise abgenommen und gespeichert. Die Grenzkontrollen erfolgten mit freiwilligen Teilnehmer:innen, Frontex gab dafür 1,5 Millionen Euro aus.
Hintergrund des Pilotprojekts ist die nahende Einführung eines Einreise-/Ausreisesystems (EES). Alle Reisenden aus Nicht-EU-Ländern müssen sich bei jedem Überschreiten einer EU-Außengrenze biometrisch registrieren. Das betrifft insbesondere Inhaber:innen von Kurzzeitvisa und visumfreie Reisende aus rund 60 Ländern.
Mehraufwand für Personal und Reisende
Der Aufwand für das neue Grenzkontrollsystem ist enorm. Laut dem Frontex-Direktor Fabrice Leggeri müssen 1.892 offizielle Übergänge an Land-, Luft- und Seegrenzen mit der Technik ausgestattet werden. Rund ein Drittel dieser Kontrollstellen werden täglich von mehr als 10.000 Reisenden durchquert, dort müssen gleich mehrere Anlagen installiert werden. Neben baulichen Veränderungen ergeben sich auch neue Aufgaben für das Personal, das entsprechend ausgebildet werden muss.
Mit dem EES werden die Grenzkontrollen auch für Reisende deutlich aufwändiger. Um Warteschlangen zu vermeiden, sollen sie sich selbst um die Abgabe ihrer Daten kümmern, während Grenzbeamt:innen nur noch zusehen.
Laut Frontex können mit den getesteten Systemen bis zu vier Reisende gleichzeitig unter der Aufsicht von nur einer Polizist:in abgefertigt werden.
Biometrie-App, Selbstbedienungskiosk und automatische Schleuse
Verschiedene Hersteller biometrischer Systeme bieten Lösungen für derartige „eGates“ an, darunter die deutsche Firma secunet oder die Thales-Gruppe aus Frankreich. Der französische Biometrie-Konzern Idemia hat die Rundum-Plattform „Augmented Borders“ entwickelt, die auch für Kreuzfahrten genutzt werden kann. Die Firma wurde von der EU-Kommission im Projekt „Interoperabilität“ außerdem mit dem Aufbau eines „Biometriespeichers“ beauftragt, der Gesichtsbilder und Fingerabdrücke aller EU-Datenbanken zusammenfasst.
Die Hard- und Software der neuen Grenzkontrollsysteme muss nicht nur mit dem EES, sondern auch nationalen Anlagen kompatibel sein. Das Pilotprojekt von Frontex erfolgte in einer solchen simulierten Umgebung. Getestet wurde ein als „Totem“ bezeichneter Selbstbedienungskiosk, der das Gesichtsbild und die Fingerabdrücke abnimmt und Reisedokumente ausliest. Wird diese Prozedur erfolgreich durchlaufen, öffnet sich automatisch eine Schleuse.
Bei den Tests kamen auch Apps auf mobilen Geräten zum Einsatz, über die eine bevorstehende Reise angekündigt werden kann. Die dort hinterlegten Angaben werden anschließend beim Grenzübertritt genutzt.
Kontrolle ohne Aussteigen
Die Tests in Bulgarien fanden an der türkischen und der serbischen Landgrenze statt. An einem Grenzübergang zu Rumänien hatten die Behörden im Projekt SMILE zuvor ein weiteres EU-System für die Integration im EES erprobt. Neben Idemia war daran auch die Fraunhofer-Gesellschaft beteiligt.
Über eine SMILE-App konnten die Reisenden Reisepassdaten, Fingerabdrücke und ein Gesichtsfoto importieren. Das SMILE-System glich die Daten dann mit nationalen und EU-Datenbanken zur Grenzkontrolle ab. Erfolgte der Übertritt mit dem Auto, konnte die Fahrerin sitzenbleiben und ihre Reisedokumente in ein Lesegerät einführen. Eine Kamera erfasste das Nummernschild des Fahrzeugs, eine weitere Kamera erledigte die Gesichtserkennung. Stimmen die Angaben mit den vorregistrierten Daten überein, öffnete sich die Grenze.
Das System soll auch bei Busfahrten funktionieren. Vor einer Reise kann mit der SMILE-App eine Reisegruppe erstellt werden, der alle Teilnehmer:innen auf Einladung beitreten und anschließend ihre biometrischen Daten eingeben. Diese werden später von einer Grenzbeamt:in im Bus überprüft. Das dabei eingesetzte SMILE-Mobilgerät liest die Dokumente aus der App aus und macht einen Gesichtsbildvergleich. Auch beim Bus wird das Nummernschild automatisch gescannt.
Deutliche Verspätung weiterer Systeme
Ursprünglich sollte das EES bereits im Mai 2022 betriebsbereit sein, der Zeitpunkt verzögert sich vermutlich auf Ende des kommenden Jahres. So steht es in einem Schreiben der europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Sicherheitsbereich, eu-Lisa. Für die Verzögerungen seien vor allem die Auftragnehmer, zwei Konsortien aus mehreren europäischen Unternehmen, verantwortlich. Die Firmen führen dies unter anderem auf Lieferschwierigkeiten für Speicherchips und andere Hardware zurück.
Manche EU-Mitgliedstaaten haben auch noch nicht mit der technischen Ausrüstung ihrer Grenzübergänge begonnen. Dies wird unter anderem damit begründet, dass eu-Lisa zu spät über benötigte Schnittstellen zum zentralen EES informiert habe. Dadurch verspäten sich auch die eigentlich für das Frühjahr geplanten Tests des gesamten EES-Systems mit den beteiligten Ländern. Schließlich hinken Länder wie Deutschland auch mit der nötigen Gesetzgebung für die neuen biometrischen Grenzkontrollen hinterher.
Die Verspätung des EES hat wiederum Einfluss auf andere ambitionierte EU-Projekte. Ebenfalls im kommenden Jahr sollte das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) in Betrieb gehen, über das jede Einreise in die EU angemeldet werden muss. Auch dies wurde nun verschoben. Dies hat wiederum Einfluss auf das Projekt „Interoperabilität“, das weitere EU-Datenbanken mit EES und ETIAS verknüpft.
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