Indien: Umstrittener Gesetzentwurf zu Geodaten und Online-Karten vorgelegt

Wegen einer Online-Karte für sieben Jahre ins Gefängnis? Die indische Regierung hat einen absurden Gesetzentwurf zur Regulierung der Verwendung geo-referenzierter Daten und Internet-Anwendungen vorgelegt.

Google Maps wird in Indien ohne Grenzstreitigkeiten angezeigt (rechts). Karte: Google Maps

Dies ist ein Gastbeitrag von Axel Harneit-Sievers, dem Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Neu-Delhi. Er erschien zuerst auf boell.de und steht unter einer CC-BY-SA Lizenz.

Um die Verwendung geo-referenzierter Informationen zu Indien zu regulieren, hat die indische Regierung am 4. Mai 2016 den Entwurf einer Geospatial Information Regulation Bill zur öffentlichen Diskussion vorgelegt. Er hat es in sich.

Geo-referenzierte Informationen sind raumbezogene Daten, Abbildungen und Karten eines Territoriums; das Spektrum reicht vom Satellitenfoto bis hin zur kartenbasierten Taxi-App. Zukünftig könnte, wer ohne Genehmigung einer (noch einzurichtenden) Sicherheitsprüfungsagentur geo-referenzierte Informationen über Indien sammelt, verwendet oder veröffentlicht, mit bis zu sieben Jahren Gefängnis und/oder einer Geldbuße von einer Million bis zu einer Milliarde Rupien bestraft werden; letzteres wären umgerechnet ca. 13,5 Mio. Euro.

Strafen in derselben Höhe werden auch für die „inkorrekte“ Darstellung der Grenzen Indiens angedroht. All dies gilt auch für Personen oder Firmen außerhalb Indiens, womöglich – hier ist der Entwurftstext nicht klar formuliert – sogar auch für Staatsangehörige anderer Länder.

Erst im Februar hatte die indische Telekom-Regulierungsbehörde viel Lob aus der Internet-Aktivismus-Szene geerntet, als sie das von Facebook gesponsorte „Free Basics“-Modell eines kostenfreien, aber stark eingeschränkten Internet-Zugangs untersagt hatte. Dies war in Indien und weltweit als Sieg für das Prinzip der Netzneutralität gefeiert worden.

Der jetzt vorgelegte, vom Innenministerium verantwortete Gesetzentwurf dagegen hat das Zeug, Indiens Internet-Governance-Politik als Paradefall bürokratischer Paranoia und Inkompetenz erscheinen zu lassen. Immerhin hat die Regierung die Öffentlichkeit dazu eingeladen, bis Anfang Juni den Entwurf zu kommentieren. Kritik aus Zivilgesellschaft und dem IT-Sektor beginnt sich bereits zu formieren.

Im Namen der Sicherheit

Der Gesetzentwurf sieht die Einrichtung einer Agentur zur Sicherheitsüberprüfung geo-referenzierter Informationen vor, soweit sie sich auf das Territorium Indiens beziehen. Eine Genehmigung ist vor Erhebung geo-referenzierter Informationen notwendig; bereits bestehende Datensätze müssen nachträglich lizensiert werden. Die Formulierungen im Entwurfstext sind so weit gefasst, dass womöglich sogar mit GPS-Tags versehene, auf Facebook gepostete Fotos in den Geltungsbereich des geplanten Gesetzes fallen könnten.

Natürlich ist nicht die Regulierung indischer Selfies das Ziel der Gesetzesinitiative (obwohl dies angesichts der in Indien besonders hohen Zahl tödlicher Selfie-Unfälle vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre.) Das Beispiel zeigt vielmehr, mit welch breitem Federstrich das Innenministerium hier gearbeitet hat.

Zur Begründung des Gesetzentwurfs nennt die Regierung – kaum überraschend – an erster Stelle das Argument der nationalen Sicherheit. Tatsächlich werden durch die technische Entwicklung traditionelle Monopole bei der Erstellung von Karten und anderen Arten geographischer Information immer stärker obsolet. Bestehende Verbote, militärische oder andere Infrastruktur abzubilden, werden dank allgegenwärtiger Smartphones und digitaler Kartenanwendungen auch in Indien täglich massenhaft unterlaufen.

Zugleich versucht die Regierung, Einschränkungen bei der Veröffentlichung sicherheitssensitiver Informationen in Indien durchzusetzen. Als Google im Frühjahr 2013 mit einem Wettbewerb („Mapathon“) Userinnen und User in Indien zur Ergänzung seiner Maps-Anwendung einlud, rief dies zuerst den Survey of India (die offiziell mit der Erstellung von Kartenaterial beauftragte Behörde) auf den Plan, und später die Kriminalpolizei. Der erste Preis des „Mapathon“ ging damals an den Autoren einer besonders gelungenen Kartierung der im Punjab in der Nähe der pakistanischen Grenze gelegenen Stadt Pathankot, wo es eine große Luftwaffenbasis gibt, deren Umrisse Google Maps verzeichnet. Pikanterweise wurde diese Anlage Anfang 2016 zum Ziel eines Terroranschlags. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die indische Regierung den Gesetzentwurf jetzt vorgelegt hat.

Zum Schaden kleiner Firmen und Commons-basierter Projekte

Schon die drakonischen Strafandrohungen zeigen, dass der Gesetzentwurf offenkundig primär auf Google und andere globale Größen der globalen IT-Industrie abzielt, die durch ihre Angebote immer mehr das infrage stellen, was der indische Staat als sein souveränes Recht am eigenen (Karten)bild in Anspruch nimmt.

Doch ist das angedachte Regulierungsmodell, das mehrmonatige Prüfungsverfahren vorsieht, bevor eine Person oder Firma überhaupt geo-referenzierte Daten erheben und später dann verwenden darf, offenkundig sachfremd und wird der dynamischen Entwicklung der Technik wie auch der geographischen Gegebenheiten selbst nicht gerecht. Statt zum Beispiel eine begrenzte und spezifische Liste sicherheitsrelevanter „no-go areas“ zu definieren, fasst der Gesetzentwurf den Geltungsbereich und die Entscheidungsspielräume der Prüfungsagentur so weit, dass bürokratischer Willkür und Rechtsunsicherheit Tür und Tor geöffnet sind.

All dies träfe nicht etwa nur große internationale Firmen; tatsächlich sind diese vielleicht am ehesten in der Lage, mit dem geplanten Prüfungsverfahren umzugehen. Die Regulierungswut des Gesetzentwurfs träfe auch und gerade die Startups in Indiens dynamischem IT-Sektor, die der Stolz des indischen Entwicklungsmodells sind und um deren Förderung sich der indische Staat doch besonders bemüht. Und noch mehr beträfe sie nicht-kommerzielle Commons-basierte Projekte wie OpenStreetMap und Wikimapia. In deren Wesen liegt die dezentrale Erhebung geo-referenzierter Daten durch Freiwillige, die sich unter dem geplanten Gesetz strafbar machen würden, wenn sie sich nicht im Vorfeld bereits eine Lizenz der Prüfungsagentur beschafft haben. So etwas ist offenbar einfach nicht vorgesehen.

„Korrekte“ und reale Grenzen

Während „Sicherheit“ überall in der Welt drakonische Gesetzgebung begründet, kommt in der laufenden Diskussion noch ein spezifisch indisches Element ins Spiel: die Frage der „korrekten“ Darstellung der Grenzen des Landes. Hier soll offenkundig eine Dosis Patriotismus einer sachfremden Gesetzgebung Legitimation verleihen.

Der indische Staat beharrt seit langem darauf, dass in allen in Indien erhältlichen Publikationen die Grenzen des Landes nicht ihrem realen Verlauf entsprechend verzeichnet werden, sondern entsprechend der Gebietsansprüche, die Indien gegenüber seinen Nachbarstaaten Pakistan und China erhebt. Medien, die versehentlich eine „falsche“ Karte Indiens zeigen, werden immer wieder einmal aus dem Verkehr gezogen – dies ist in den vergangenen Jahren etwa der Zeitschrift „Economist“ sowie al-Jazeera passiert.

Neben Arunachal im Nordosten, das von Indien kontrolliert wird und auf das China Ansprüche erhebt, ist vor allem Kaschmir strittig. „Korrekte“ indische Karten zeigen das gesamte Gebiet Kaschmirs als Teil Indiens, obwohl die Region nach einem Krieg 1947-48 zwischen Pakistan und Indien entlang einer Demarkationslinie geteilt wurde und ein weiteres Teilgebiet (Aksai Chin, der östlichste Teil von Ladakh, auf der tibetischen Hochebene gelegen) nach dem chinesisch-indischen Krieg 1962 verloren ging.

Abweichungen von der offiziell eingeforderten Kartographie werden in dem umstrittenen Gesetzentwurf mit den gleichen extremen Strafen geahndet wie Verstöße gegen das Verbot des unlizensierten Sammelns geographischer Daten. Ob dies patriotische Kritiker des Gesetzentwurfs mit diesem versöhnt?

Heftige Debatten

Internationale Größen im Geschäft mit geo-referenzierten Daten scheinen jedenfalls eher weniger Probleme mit solchen Regelungen zu haben. Google Maps etwa zeigt schon seit Jahren die Grenzen im Raum Kaschmir abhängig vom User-Standort: Besucherinnen und Besucher aus Indien sehen die indische Maximalforderung als durchgezogene Linien, alle anderen werden die umstrittenen Staatsgrenzen sowie die reale Demarkationslinie als gestrichelte Linien präsentiert. Die digitale Welt bietet eben für jeden etwas.

Der Gesetzentwurf zur Regulierung geo-referenzierter Informationen in Indien liegt seit einer Woche vor, und die indische Zivilgesellschaft ist auf breiter Front dabei, eine angemessene Antwort zu formulieren. Proteste werden von NGOs, vor allem aber auch von den IT-Firmen kommen. Eine Webseite savethemap.in ist bereits online. In den nächsten Wochen und Monaten sind heftige Debatten zu erwarten, und man kann eigentlich nur darauf hoffen, dass dieser schon im Ansatz verfehlte, von bürokratischen Sicherheits- und Allmachtsphantasien geprägte Gesetzentwurf ersatzlos in den Papierkorb wandert.

4 Ergänzungen

  1. Mal die indischen Besonderheit wegen Grenzverlauf etc. außen vor: In Deutschland gilt seit 2007 das Satellitendatensicherheitsgesetz mit in etwa demselben Anwendungsbereich. Maximal mögliche Haftstrafe: 5 Jahre.

  2. Hans, danke für den Hinweis.

    Allerdings geht der indische Gesetzentwurf vom Grundsatz aus, dass _jegliche_ Sammlung und Verwendung geo-referenzierter Daten verboten ist, solange sie nicht von der Sicherheitsprüfstelle explizit genehmigt wird.

    Das ist doch wohl in Deutschland anders, nicht wahr?

    1. Das Gesetz ist sehr kurz und schnell gelesen: „Der Betrieb eines hochwertigen Erdfernerkundungssystems bedarf der Genehmigung“, „Ein Datenanbieter, der Daten verbreiten will, bedarf der Zulassung.“ „Hochwertig“ sind aktuell Daten, die „eine geometrische Auflösung von 2,5 Metern oder weniger“ haben. Beim Überfliegen des indischen Gesetzes hatte ich den Eindruck, dass es um genau dasselbe geht, eben „Geospatial Informations“.

      1. Ok, die schließen alles aus, naja, Entwurf halt. Der würde derzeit auch ein zufällig während eines Sturzes geschossenes Foto verbieten.

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