Mehr Informationen wagenWie eine europäische Medienplattform die Demokratie schützen könnte

Wir können Propaganda auf sozialen Medien nicht mit Gesetzen begegnen. Was es braucht, ist eine Plattform für europäische Nachrichten – in allen europäischen Sprachen. Technisch ist das möglich. Es braucht nur den politischen Willen, fordert Matthias Pfeffer in seinem Gastbeitrag.

Fernsehmikrofone vor Flaggen von EU-Mitgliedstaaten.
Jedes EU-Land hat seine eigenen Fernsehnachrichten. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Depositphotos

Matthias Pfeffer ist Direktor des Council for European Public Space.

Trotz großer regulatorischer Anstrengungen ist es der EU-Kommission bisher nicht gelungen, die ausländische Einmischung, Propaganda und Manipulation der öffentlichen Meinung in Europa zu unterbinden. Derzeit sehen die Bürger Nachrichten, die keine sind, Fälschungen, deren Ursprung nicht klar ist, zunehmend täuschend echt durch KI erzeugt und von Bots und Trollen verbreitet, die von Autokraten finanziert werden.

Was also tun, Europa? Es reicht nicht, Fake News mit Fact Checking zu bekämpfen. Wir müssen genauso sehr das Fakt Telling stärken. Also den professionellen Journalismus, der durch den derzeitigen digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit ums Überlegen kämpft und den wir als vierte Gewalt dringend brauchen. Es geht darum, professionellen Journalismus zu stärken, damit die Bürger an verlässliche Informationen kommen. Und es kommt auf Geschwindigkeit an.

Dezentrale Infrastruktur schaffen

Wir können durch smarten Einsatz von Technologien handeln, die nicht erst erfunden werden müssen, sondern die heute verfügbar sind. Damit lassen sich Nachrichten und politische Informationen der Medien Europas auf einer öffentlich eingerichteten und verantworteten Plattform allen Europäern in ihrer jeweiligen Landessprache zugänglich machen. Nur auf Basis verlässlicher Informationen können die Bürger freie und selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Und nur durch eine eigene digitale Infrastruktur hat die freie Presse in Europa eine Chance, zu überleben. Die Demokratie muss in Zeiten der hybriden Kriegsführung endlich auch im Informationssektor wehrhaft werden.

Deshalb hat das Council for European Public Space das Konzept einer dezentralen Plattform für vertrauenswürdige Nachrichten entwickelt. Es fußt auf den Erfahrungen zahlreicher Pilotprojekte in den vergangenen Jahren und zweier Studien, die die Forschungsabteilung des Europäischen Parlaments, die STOA, in Auftrag gegeben hat.

Die Erfahrungen zeigen: Es ist technisch und rechtlich möglich, alle TV-Nachrichten Europas allen Europäern in ihrer eigenen Sprache zugänglich zu machen. Damit würde endlich ein wichtiges Grundrecht eingelöst: Nach Artikel 11 der Europäischen Grundrechtecharta haben schon heute alle Bürger das Recht auf ungehinderten freien Zugang zu grenzüberschreitenden Nachrichten. Mithilfe dieses neuen digitalen Angebotes können sie sich selbst die Nachrichten aus dem reichen Angebot europäischer Medien zusammenstellen, können Perspektiven wechseln und Quellen vergleichen.

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Braucht nicht viel Geld

Die Euro-Plattform schafft dabei keine zentrale Brüsseler Perspektive auf die Welt. Sie verbindet lediglich das, was bereits überall in Europa vorhanden ist, und erhöht dadurch, dass es allen Bürgern in allen Sprachen zugänglich gemacht wird, mit einem Schlag das Angebot professioneller Nachrichten und damit die Meinungsvielfalt in jedem Mitgliedsland.  Sie ist in technischem und in inhaltlichen Sinn plural, dezentral und subsidiär und entspricht damit dem Geist Europas.

In einem ersten Schritt sollten die TV-Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender zugänglich gemacht werden. Europas Gebührenzahler finanzieren Public Service Media mit über 27 Milliarden Euro pro Jahr, davon bringen die Deutschen über ein Drittel auf. Warum sollen die Nachrichten, die bereits bezahlt sind, nicht allen Bürgern in ganz Europa offenstehen? Um dieses reiche Angebot für alle sichtbar zu machen, braucht es lediglich ein Investment in Höhe von geschätzten 40 Millionen Euro pro Jahr.

Die Summe muss Europa zur Verfügung stellen, weil diese Infrastruktur ein Stück praktischer Daseinsvorsorge für die Demokratie darstellt, das allen Bürgern tagtäglich ermöglicht, sich verlässlich zu informieren und zu orientieren. In weiteren Schritten muss die Plattform offen für private TV-Anbieter und Medienhäuser sein, sowie für gemeinnützige unabhängige Medien und kulturelle Institutionen. Die Sichtbarkeit des neuen Angebots sollte durch die Einführung einer Auffindbarkeitsverpflichtung verlässlicher Nachrichten auf TikTok, X, Instagram und Co hergestellt werden.

Öffentlichkeiten öffnen

In der durch Technik erstmals möglichen simultanen Überwindung der Sprachgrenzen liegt eine gewaltige Chance für das bessere wechselseitige Verständnis und das Zusammenwachsen Europas. Schon Umberto Eco nannte die Übersetzung die Sprache Europas. Heute muss Übersetzungstechnologie die Zukunftstechnologie des Kontinents sein. Mit ihr könnten sich auch erstmals in der Geschichte die nationalen Öffentlichkeiten wechselseitig füreinander öffnen.

Die Stärke Europas würde sichtbar, die in seiner Einheit bei gleichzeitiger Bewahrung der Vielfalt liegt. Ein gemeinsamer demokratischer Resonanzraum in Europa würde entstehen. Voraussetzung für politisches Handeln, das nur durch öffentliche Deliberationsprozesse demokratisch legitimiert werden kann. Stärken wir die europäische Öffentlichkeit jetzt durch konkrete Maßnahmen, bevor es zu spät ist!

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