Seit über drei Jahren streiten die EU-Institutionen über eine verpflichtende Chatkontrolle. Die Kommission will Internet-Dienste verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das Parlament bezeichnet das als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.
Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Ob Spanien, Belgien oder Ungarn: Bisher ist jede Ratspräsidentschaft daran gescheitert, eine Einigung im Rat zu organisieren. Jetzt gibt auch Polen auf.
Wir veröffentlichen Dokumente
Polen hatte einen Kompromiss vorgeschlagen: Die Chatkontrolle soll für Internet-Dienste nicht verpflichtend werden, aber freiwillig möglich sein. Das lehnen die Befürworter ab. Die Mehrheit der Staaten beharrt auf einer gesetzlichen Pflicht. Eine Sperrminorität der Staaten blockiert das aber.
In mehreren Verhandlungsrunden traten die EU-Staaten mehr oder weniger auf der Stelle. Vor zwei Wochen hat Polen einen neuen Kompromisstext verschickt. Dieses Dokument haben wir veröffentlicht. Letzte Woche hat die Arbeitsgruppe den Text verhandelt. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Sitzung.
Nur minimale Änderungen
In der Sitzung erläuterte Polen, dass es einige „Anregungen der Mitgliedstaaten nicht übernommen“ hat. Mehrere Staaten kritisieren, dass die Ratspräsidentschaft „die zahlreichen Kommentare der Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt“. Unter Polen befassen sich die Staaten „lediglich mit minimalen Änderungen“.
Einige Staaten kritisieren, dass der Kompromissvorschlag den Inhalt des Gesetzes „im Wesentlichen beraubt“. Rumänien „sah sogar einen Rückschritt gegenüber der Vorgängerversion des Textes“. Frankreich findet es „nicht sinnvoll, mit diesem Text überhaupt weiterzuarbeiten“. Stattdessen soll die EU-Kommission „sich eventuell Gedanken machen, einen neuen Text vorzulegen“.
Zentraler Streitpunkt ist weiterhin die Frage, ob Internet-Dienste zur Chatkontrolle verpflichtet werden sollen. Mehrere Staaten wie Litauen forderten „eine verpflichtende Aufdeckung“. Andere Staaten wie die Niederlande haben „weiterhin Bedenken hinsichtlich einer Aufdeckungsverpflichtung“.
Keine weiteren Diskussionen
Auch Polen gehört zu den Kritikern. Die polnische Ratspräsidentschaft endet in einem Monat. Jetzt kündigte Polen an, dass es bis dahin „keine weiteren Diskussionen“ der Arbeitsgruppe zum Chatkontrolle-Gesetz geben werde. Eine verpflichtende Chatkontrolle gibt es also auch unter Polen nicht.
Am Dienstag haben die JI-Referent:innen über Kinderpornografie geredet. Dort gab es aber „ausschließlich eine Präsentationen Externer“. Das waren die Vereine Interpol und INHOPE. Mitte Juni tagen die Justiz- und Innenminister der EU-Staaten. Dafür wird Polen zwar „ein Dokument vorbereiten“. Eine Einigung ist aber so gut wie ausgeschlossen.
Am 1. Juli geht die Ratspräsidentschaft von Polen an Dänemark. Dänemark ist ein vehementer Befürworter der Chatkontrolle. Während Polen eine verpflichtende Chatkontrolle verzögerte, dürfte Dänemark die verpflichtende Chatkontrolle vorantreiben.
- Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
- Datum: 26. Mai 2025
- Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
- An: Auswärtiges Amt
- Kopie: BMI, BMJ, BMF, BKAmt, BMWK, BMDV, BMFSFJ
- Betreff: Sitzung der RAG Strafverfolgung am 23. Mai 2025
- Zweck: Zur Unterrichtung
- Geschäftszeichen: 350.80
Sitzung der RAG Strafverfolgung am 23. Mai 2025
I. Zusammenfassung und Wertung
Schwerpunkt der Sitzung war die Diskussionen unter TOP 3 zu Dok. 6127/3/25 REV 3 (RSF Waffen/Pyro). In der Sitzung konnte keine Einigung erzielt werden, so dass Vorsitz die Möglichkeit weiterer Kommentare bis 26.5. DS einräumte.
Zur CSA–VO kündigte Vorsitz an, dass es keine weiteren Diskussionen hierzu unter POL Präsidentschaft geben werde. Vorsitz werde ein Dokument für den kommenden JI-Rat vorbereiten.
II. Im Einzelnen
[…]
4. Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down rules to prevent and combat child sexual abuse (8621/25 + COR 1) – Examination of Presidency compromise texts
Vorsitz erläuterte eingangs die Änderungen im Dok. 8621/25 + COR1; insbesondere, welche Anregungen der MS nicht übernommen wurden.
ITA äußerte Kritik an der chaotischen Sitzungsorganisation der letzten Woche (auch DEU, ESP, HRV, HUN, LTU, LVA). Man befasse sich lediglich mit minimalen Änderungen (auch LVA, PRT, ROU, ESP) und es sei überhaupt nicht zu erkennen, dass sich der Text entwickle. ESP ergänzte erneut, dass die zahlreichen Kommentare der MS nicht berücksichtigt worden seien (auch ROU). FRA kritisierte, dass der Text weiterhin seines Inhaltes im Wesentlichen beraubt worden sei. Ein Mehrwert sei, wenn überhaupt, dann nur bei der Verstetigung der freiwilligen Aufdeckung zu erkennen. Es sei nicht sinnvoll, mit diesem Text überhaupt weiterzuarbeiten. KOM solle sich evtl. Gedanken machen, einen neuen Text vorzulegen. Im Übrigen sehe FRA die in Artikel 2y gewählte Definition für Audio als nicht ausreichend und praktikabel (auch PRT, KOM). Wir unterstrichen erneut, dass nach dem Auslaufen der Interims-VO keine Regelungslücke entstehen dürfe und erneuerten unseren PV.
HRV, MRT und SVK legten ebenfalls PV ein, wobei HRV die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes bei der Gesetzgebung unterstrich. Es seien auch noch zahlreiche technische Fragen offen.
HUN erklärte, den Text nicht mittragen zu können, da er keinen Mehrwert biete (auch IRL). LTU schloss sich dem an und ergänzte, dass es im Text die Möglichkeit einer verpflichtenden Aufdeckung geben müsse (auch PRT, SVK, BGR).
IRL lehnte den aktuellen Text ebenfalls ab und plädierte allgemein für mehr Verpflichtungen der Anbieter, auch im Hinblick auf Fragen der Verschlüsselung (auch PRT; SVK) und Prävention. ROU sah sogar einen Rückschritt gegenüber der Vorgängerversion des Textes.
Die von LVA eingebrachte Anregung, bereits jetzt über eine Verlängerung der Interims-VO zu diskutieren bzw. einen Textvorschlag vorzulegen, wurde von IRL, NLD, MLT, SVK und BGR unterstützt. IRL hob hervor, dass auch bei zeitnaher allgemeiner Ausrichtung es unwahrscheinlich sein, die notwendigen Verhandlungen und weiteren Arbeiten rechtzeitig abzuschließen (auch KOM).
IRL und PRT brachten erneut Kritik an Art. 27 vor und bedauerten, dass auch diese Anmerkungen nicht vom Vorsitz berücksichtigt wurden. Dieser Artikel habe strukturelle Schwächen und sei im Hinblick auf die Handhabung von Risiken nicht schlüssig. NLD äußerte weiterhin Bedenken hinsichtlich einer Aufdeckungsverpflichtung, legte aber im Übrigen PV ein.
Vorsitz wies abschließend auf die Sitzung der JI-Referent*innen zur CSA–VO am 27. Mai hin. Hier werde es ausschließlich Präsentationen Externer und ggf. eine Diskussion zu diesen geben. Eine weitere Befassung der RAGS mit dem Dossier sei nicht vorgesehen. Auf Nachfrage einiger MS zu weiteren Verfahren antwortete Vorsitz mit „es wird etwas für den Rat geben“.
[…]
Ich bin nur mal gespannt, ob Deutschland wirklich auf der Seite der Gegner bleibt. Wenn man bedenkt, dass Dobrindt bzw die ganze CDU /CSU mit Staatstrojaner, VDS usw auch voll auf dem Überwachungstrip ist.
Ebenso verdächtig finde ich, dass plötzlich Deutschland die chaotische Sitzungsorganisation der letzten Woche bemängelt, wenn man bedenkt, dass alle anderen, die das auch bemängelt haben (Spanien, Kroatien, Ungarn, Lettland, Litauen) alle schon immer Hardliner für die Chatkontrolle waren.
Die Sperrminorität war ja schon immer nur knapp…
Ich hoffe, ich liege falsch mit meiner Befürchtung.