Die EU soll ihre Regeln für große Online-Plattformen durchsetzen. Das hat diese Woche ein ganzer Chor aus Zivilgesellschaft, Forscher:innen und Unternehmen gefordert. Die EU-Kommission soll alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um gegen Verstöße von Big-Tech-Unternehmen wie Meta oder Apple vorzugehen. Ansonsten sei die europäische Souveränität in Gefahr, heißt es in gleich zwei offenen Briefen.
Hintergrund sind Berichte, laut denen die EU-Kommission momentan zögert, ihre Digitalgesetze völlig durchzusetzen. Der Grund: Der Schulterschluss zwischen Big-Tech-Oligarchen wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg und dem wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump. Hier könnten die europäischen Digitalgesetze zur Verhandlungsmasse zwischen EU und Trump-Regierung werden, um etwa Zölle auf europäische Autos zu verhindern, so die Befürchtung.
Lobbyarbeit der Tech-Riesen
Der Druck der Unternehmen richtet sich besonders gegen den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA). Beide Gesetze sind zentraler Bestandteil der europäischen Digitalpolitik. Beide zielen auf große Unternehmen wie Alphabet, Apple oder Meta. Der DSA soll Online-Plattformen sicher und transparenter gestalten, der DMA gerechtere Rahmenbedingungen im digitalen Markt schaffen. Das Problem für die Tech-Oligarchen: Die Gesetze greifen ihre lukrativen Geschäftsmodelle an und bei Verstößen drohen saftige Strafen.
Apple und Meta wehrten sich zunächst juristisch gegen den DMA. Nun mobilisieren sie die Trump-Regierung und proben den Widerstand. Anscheinend mit Erfolg: Trump sagte dem Apple-CEO Tim Cook im Oktober Unterstützung zu, falls die EU in Steuerfragen gegen ihn vorgehen sollte. Auch Zuckerberg möchte mit Trumps Hilfe gegen Strafen für Meta in der EU vorgehen und kritisierte die „Zensur“ seiner Plattformen in der EU. Im Wahlkampf kündigte der US Vizepräsident J.D. Vance sogar an, sich aus der NATO zurückzuziehen, sollte die EU weiterhin gegen X ermitteln.
Die EU-Kommission bekräftigt momentan immer wieder ihren Willen, die Regeln durchzusetzen. Andreas Schwab (EVP) ist überzeugt, dass sie ihre Arbeit auch tatsächlich macht. Der Europaabgeordnete überwacht die Arbeit der Kommission für das Europäische Parlament. Er ist überzeugt, dass sie ihre Arbeit macht: „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass das Gesetz über digitale Märkte genauso wie das Gesetz über digitale Dienste vollständig und ohne Einschränkungen durchgesetzt werden“, sagte er zu netzpolitik.org
Streit um den DMA
Trotzdem sind NGOs alarmiert und fordern die Kommission dazu auf, entschieden durchzugreifen. Jan Penfrat von European Digital Rights (EDRi) stellt gegenüber netzpolitik.org klar, dass das nicht nur als Kritik an der Kommission zu verstehen ist: „Das Zentrale ist, sicherzustellen, dass die Enforcement Units in der Kommission die politische Unterstützung bekommen, um ihre Arbeit auch wirklich machen zu können.“
Ein weiterer Brief von Unternehmen, Verbänden und NGOs fokussiert sich auf die Durchsetzung des DMA. Designierte Gatekeeper würden das Gesetz immer noch nicht ausreichend umsetzen und so die Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum von anderen Unternehmen einschränken. Es sei nun Zeit, die eröffneten Verfahren abzuschließen und Rechtsverstöße mit allen möglichen rechtlichen Mitteln zu ahnden. Rechtsbruch dürfe nicht länger ein Geschäftsmodell sein.
Auch Albrecht von Sonntag, Co-Gründer der Preisvergleichsplattform Idealo, ruft die Kommission zu entschlossenem Handeln auf: „Die europäische Wirtschaft ist in Gefahr.“ Er forderte Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera (S&D) auf, die laufenden DMA-Verfahren abzuschließen. „Wenn es der Kommission mit den Zielen des Draghi-Berichts ernst ist, muss sie die europäische Wirtschaft schützen. Europa muss seinen Einsatz für einen florierenden digitalen Markt bekräftigen.“
Die Kommission solle die Wettbewerbspolitik wieder in den Vordergrund stellen und sich dem Druck großer Unternehmen nicht beugen. Die europäische Souveränität sei in Gefahr, erklärt Jan Penfrat: „Die Kommission als politische Institution würde erheblichen Schaden nehmen, wenn wir uns einschüchtern lassen durch diesen Druck, durch das Bullying der Tech-Konzerne und der Trump-Regierung.“
Europäische Tech-Souveränität
Die Drohungen jenseits des Atlantiks verdeutlichen ein großes Problem: die technologische Abhängigkeit der EU gegenüber den USA. Das laute Überlegen von Vance zeigt: Die Interessen der Tech-Unternehmen werden zum Ball in einem größeren geopolitischen Spiel. Sichere Online-Plattformen garantieren oder US-Sicherheitsgarantien für Europa verlieren? Wiederkehr zu einem fairen digitalen Markt oder amerikanische Waffen für die Ukraine? Die Kommission muss kurzfristig klare Kante zeigen, aber langfristig braucht es Alternativen, um sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu lösen und Europas digitale Souveränität zu stärken.
NGOs fordern jetzt Investitionen in „eine vielfältige und dezentralisierte digitale Sphäre, die Teil eines souveränen digitalen Gemeinguts ist“. Was bedeutet das? Laut Jan Penfrat solle die Kommission viel größer denken und Investitionen in digitale Infrastruktur tätigen, die „zentrale Bausteine des digitalen Lebens jedes Einzelnen sind“, wie beispielsweise soziale Medien oder ein europäischer Suchindex. Die Technologie existiert schon heute: Mit Protokollen wie ActivityPub, das Plattformen wie Mastodon oder Pixelfeld bereits nutzen, ist die technische Grundlage für ein dezentrales und selbstverwaltetes Internet längst gelegt.
Tatsächlich fördert die EU schon länger Open-Source-Projekte mit dem Next Generation Internet- Programm. Dem drohte aber im vergangenen Jahr das Aus. Dafür könnte ein Dokument, dass die Kommission diese Woche vorgestellt hat, neue entscheidende Impulse geben. Es geht um den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“, der beschreibt, wie die EU-Kommission Europas Digitalwirtschaft wieder ankurbeln will.
Anstatt sogenannte Frontiertechnologien wie KI-Fabriken, Blockchain oder Web4 zu fördern, könnte ein Fokus auf digitaler Infrastruktur die Abhängigkeiten mindern, findet Jan Penfrat. „Die Unabhängigkeit Europas brauchen wir eben nicht nur bei der Chip-Produktion oder der Bewaffnung, sondern eben auch in diesen Bereichen, und ich glaube, für den Schutz unserer Demokratie wäre das von zentraler Bedeutung“, sagte er netzpolitik.org.
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