Seit Monaten verlassen immer mehr Organisationen den Kurznachrichtendienst X von Elon Musk. Zuletzt hatte das Bundesverteidigungsministerium erklärt, dass es seinen Account ruhen lasse. Dem hatte sich die Deutsche Bundesbank am vergangenen Freitag angeschlossen. In der Bundesregierung wird ein Ausstieg zumindest diskutiert.
Keine Zweifel hat hingegen der Niedersächsische Landtag. Der sieht keine Zukunft mehr bei Musk und begründet dies damit, dass Musk seine Plattform dafür nutze, weltweit seine politische Agenda voranzutreiben. X diene zunehmend als Forum für die Verbreitung von extremistischen Positionen, Verschwörungserzählungen, Hassrede sowie Demokratie- und Wissenschaftsfeindlichkeit, so Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD). Für eine neutrale Institution wie den Landtag sei es deswegen nicht länger hinnehmbar, auf X vertreten zu sein.
Am Wochenende kündigte der Hessische Rundfunk seinen Rückzug an. X sei „kein Ort mehr für einen offenen und fairen Austausch.“ Seit US-Milliardär Elon Musk die Plattform übernommen hat, dominierten dort zunehmend Hetze und Demokratiefeindlichkeit, so der Sender.
In der vergangenen Woche hatten die Sportvereine Hertha BSC und SV Darmstadt 98 das soziale Netzwerk verlassen. Der Berliner Verein erklärte, die Plattform stünde in „krassen Widerspruch zu unseren eigenen Werten“, die Darmstädter nahmen konkret Bezug auf das Wahlkampfgespräch von Musk mit AfD-Chefin Alice Weidel: „Wir möchten nicht mehr auf einer Plattform auftreten, welche in ihrer Gesamtheit immer mehr in die rechtspopulistische Ecke abdriftet und mittlerweile sogar versucht, aktiv den Wahlkampf der nahenden Bundestagswahl zu beeinflussen.“
Rückzug aus der „Kommunikationshölle“
Nach dem Gespräch von Musk mit Weidel hatten mehr als 60 Universitäten und Forschungseinrichtungen der Plattform den Rücken gekehrt. Auch das Robert-Koch-Institut schloss sich dem an.
Auch Verbände verlassen X derzeit in Scharen, unter anderem verkündete der Naturschutzverband NABU am Freitag den Auszug bei Musk. Der Verband erklärte: „Wir appellieren auch an Politik, Medien und Zivilgesellschaft, das eigene Engagement auf X kritisch zu hinterfragen.“
Genau das tun offenbar sehr viele gerade: die Städte Gütersloh, Heilbronn, Bochum und Augsburg erklärten in der vergangenen Woche ihren Rückzug, ebenso wie Reporter ohne Grenzen. In Frankfurt und Offenbach kündigte die Evangelische Kirche ihren Rückzug aus der „Kommunikationshölle“ an.
Internationales Phänomen
Der Exodus von X ist ein internationales Phänomen. In Frankreich hatte die Kampagne helloquitx.com zu einem konzertierten Verlassen des umstrittenen Dienstes anlässlich der Inauguration von Donald Trump aufgerufen. Dem Aufruf sind zahlreiche Accounts gefolgt, unter Ihnen Medien wie Mediapart, aber auch französische Landkreise, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Zuvor hatten schon die Stadt Paris und seine Bürgermeisterin Anne Hidalgo X mit dem Hinweis auf die Kampagne in Richtung Bluesky verlassen. Auch das Institute Pasteur hat X den Rücken gekehrt.
In Belgien wollen sich heute 60 NGOs von X abmelden. Und auch in der Schweiz verabschieden sich immer mehr Institutionen von der Plattform. So verlassen die Basler Kantonspolizei und der Kanton Baselland X, auch die Schweizer Publikation Watson hat jüngst ihren Rückzug verkündet.
Die Abwanderungsbewegung erfasst nicht nur Verwaltungen, sondern auch die Kultur. So hat sich anlässlich von Trumps Amtseinführung zum Beispiel Robert Smith von The Cure von X in Richtung Bluesky verabschiedet.
Bluesky profitiert besonders
Vom Exodus aus Twitter profitierte in einer ersten Phase vor allem Mastodon, verblieb aber dann aus verschiedenen Gründen in der Nerd-Szene verwurzelt und damit wohl auf absehbare Zeit eher ein Nischennetzwerk.
In den letzten Monaten und vor allem nach Trumps Wahlsieg konnte sich Bluesky über ein großes Wachstum erfreuen. Mittlerweile hat der Dienst eine Größe erlangt, die es etwa möglich macht, internationale Ereignisse und Entwicklungen in Echtzeit zu verfolgen. Lange Zeit war dies das letzte Alleinstellungsmerkmal von Twitter/X.
Dass sich Bluesky so kometenhaft entwickelt hat, dürfte ausschlaggebend für das Projekt „Free Our Feeds“ gewesen sein, nun auf die Weiterentwicklung eines Ökosystems rund um das Bluesky-Protokoll zu setzen.
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