Konzertierte AktionMehr als 60 Hochschulen und Forschungsinstitute verlassen X-Twitter

In einer konzertierten Aktion verabschieden sich über 60 Hochschulen und Forschungsinstitute aus Deutschland und Österreich von ihrer Präsenz auf X, ehemals Twitter. Unklar bleibt jedoch, wohin die Reise geht.

Illustration zum X-Twitter-Ausstieg diverser Wissenschaftsorganisationen
Über 50 Wissenschaftsorganisationen verlassen X/Twitter CC-BY 4.0 HHU/Paul Schwaderer

Über 60 Wissenschaftsorganisationen aus dem deutschsprachigen Raum steigen bei der Plattform X (früher Twitter) aus. In einer kurzen Erklärung begründen sie das mit der „fehlenden Vereinbarkeit der aktuellen Ausrichtung der Plattform mit den Grundwerten … Weltoffenheit, wissenschaftliche Integrität, Transparenz und demokratischer Diskurs.“ Konkret heißt es in der Erklärung weiter:

Die Veränderungen der Plattform X – von der algorithmischen Verstärkung rechtspopulistischer Inhalte bis zur Einschränkung organischer Reichweite – machen eine weitere Nutzung für die beteiligten Organisationen unvertretbar. Der Austritt der Institutionen unterstreicht ihren Einsatz für eine faktenbasierte Kommunikation und gegen antidemokratische Kräfte. Die Werte, die Vielfalt, Freiheit und Wissenschaft fördern, sind auf der Plattform nicht mehr gegeben.

Zu den Unterzeichnern der federführend von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf koordinierten Erklärung zählen Universitäten wie die FU Berlin, die Fernuniversität Hagen oder RWTH Aachen genauso wie Leibniz-Institute. Sie folgen damit Appellen wie jenem des Aktionsbündnisses neue Soziale Medien, das sich bereits vor einiger Zeit mit einem offenen Brief an die Hochschulrektorenkonferenz gewandt und den Ausstieg aus X/Twitter gefordert hatte.

Die Erklärung enthält keine Empfehlung, welche anderen Online-Plattformen Hochschulen in Zukunft für Verlautbarungen und Kommunikation neuer Forschungsergebnisse verwenden sollten. Vor allem Bluesky und Mastodon werden als Alternativen ins Auge gefasst. Nur wenige Unterzeichner:innen haben sich diesbezüglich so klar positioniert wie die Universität Innsbruck, die als bislang einzige deutschsprachige Hochschule eine eigene Mastodon-Instanz betreibt.

Wohin soll es gehen?

In einer Stellungnahme mit dem Titel „Blu­es­ky? Für Uni Inns­bruck ist Mas­to­don weg­wei­send“ heißt es dort:

Doch was ist die Alternative zu diesem beliebten Kommunikationskanal? Aktuell zieht es viele nach Bluesky. Doch der Dienst stöhnt bereits unter einer Flut neuer Anmeldungen. Und noch ist völlig unklar, wie sich Bluesky langfristig finanzieren will. Eine ähnliche Entwicklung wie bei Twitter ist also keineswegs ausgeschlossen.

Letztlich gilt für Bluesky (und erst Recht für Metas Twitter-Klon Threads) dasselbe, was sich bei X gezeigt hat: Sie können jederzeit von ihren reichen Eigentümer:innen nach Belieben umgestaltet werden, die Investitionen in den Community-Aufbau sind dann verloren.

Der Vorteil des dezentralen Fediverse-Ansatzes von Mastodon, Peertube und Co. ist demgegenüber, dass sie nicht so einfach übernommen werden können und keine zentrale Algorithmensteuerung für politische Zwecke missbraucht werden kann. Dazu kommt noch eine ganze Reihe weiterer Vorteile gerade für Hochschulen, die nicht nur Accounts, sondern eigene Instanzen im Fediverse betreiben. So kann beispielsweise die lokale Timeline einer Fediverse-Instanz als Plattform für Studierende und Alumni dienen.

Hinzu kommt, dass es für Wissenschaftsorganisationen ganz allgemein sinnvoll ist, zentrale Kommunikationsinfrastruktur nicht an profitorientierte Unternehmen auszulagern. Für wissenschaftlich-soziale Netzwerke lässt sich das an (Negativ-)Beispielen wie ResearchGate oder Academia.edu beobachten, die vor allem durch Intransparenz und Spam auffallen. Praktischerweise gibt es die Möglichkeit über Tools wie Bridgy.fed, Mastodon-Accounts auch auf Bluesky abonnierbar zu machen. Insofern sollte die Entscheidung für die X/Twitter-Alternative am Ende nicht sehr schwerfallen.

Ergänzung, 10.01.2025, 12:52: Verweis auf die koordinierende Rolle der HHU Düsseldorf

16 Ergänzungen

    1. Danke für den Hinweis und ich finde auch solche Angebote sehr gut. Aber die Vorteile einer eigenen Mastodon-Instanz an der jeweiligen Hochschule, wie z.B. Single-Sign-on mit Uni-Account und Nutzung der lokalen Timeline als Organisations-Social-Network lassen sich damit nicht realisieren.

  1. > weil es die Dezentralität stärkt und eben zusätzliche Nutzungspotentiale eröffnet.

    Welche zusätzliche Nutzungspotentiale?
    Und welche Auswirkungen haben „organistionale Instanzen“ auf die Dezentralität?

      1. Beantwortet das die Frage nach „zusätzlichen Nutzungspotentialen“?
        Welche „Auswirkungen“ Sie meinen, kann ich nicht erraten.

        Könnten Sie sich vielleicht ein wenig mehr Mühe geben?

        1. Ja, in diesem Aufruf wird ausgeführt, welchem Nutzungspotenziale mit einer eigenen Instanz einhergehen, wie Stärkung der Sozialität an der Hochschule, die lokale Timeline als lokale Studierenden-Community sowie die lokale Timeline als Alumni-Netzwerk.

          Und was die Mühe betrifft: ich beantworte das hier im Hörsaal in der Pause einer Blockvorlesung. Ich finde, da ist es nicht zuviel verlangt, wenn Sie auf den Link klicken und den Beitrag lesen.

  2. Bei der Gelegenheit können die Hochschulen gleich dasselbe mit Facebook und Instagram tun, nachdem nun auch Mark Zuckerberg vor seinem neuen Führer niedergekniet ist.

    Als Leipziger bin ich zutiefst enttäuscht darüber, dass auf dieser Liste weder die hiesige Universität, noch die HTWK zu finden ist. Einige dieser Hochschulen, wie die TU Dresden, sind auch in Sachen Fediverse schon erheblich weiter, indem sie z. B. ihre eigene Matrix-Instanz betreiben und ihre interne Kommunikation darüber abwickeln.

  3. warum verlassen Hochschulen eine Plattform auf der demokratisch jeder das sagen möchte was er will?
    Es ist doch so: Was nützt einen Wissen wenn man einen Maulkorb bekommt.
    Verbesserung findet nur durch Willensäusserung des Stärkeren statt.
    Nehmen wir an jemand erfindet in der EU etwas, bis er ein vermarktungsfähigs Produkt hat ist schon längst ein Asiatischer oder Amerikanischer Konzern am Markt da hierzulande alles zu reglementiert ist. Aufgeben? nein, Rückbau der EU

    1. Weil es heutzutage eine nicht geringe Anzahl an Menschen gibt, denen es weh tut, wenn sie andere Meinungen hören oder auch nur die Möglichkeit besteht, dass sie sich in Teilen irren könnten. Solche Personen findet man vermehrt an deutschen Hochschulen, in denen die richtige Ideologie mehr bringt als Sachkompetenz.

      Richtige Wissenschaft lebt von Kritik, Hinterfragen und Nachmachen. Das, was wir heute als Wissenschaft bezeichnen, hat uns die Replikationskrise beschert und die Erkenntnis, dass etwas die Hälfte anonym befragter Wissenschaftler zugaben, Ergebnisse im Sinne ihres Auftraggebers frisiert zu haben. Wes Brot ich ess…
      Freie Wissenschaft ist doch nicht mehr erwünscht. Professoren wurden zu Drittmittelsammlern degradiert und was heute an Hochschulen rumrennt, ist teilweise studierunfähig, wohlstandsverwahrlost, nicht resilient und verantwortungslos.

      1. Die Replikationskrise ist ein Fortschritt, weil (endlich) systematisch versucht wird, Ergebnisse zu replizieren.

        Ansonsten bin ich beeindruckt über die Allgemeinheit der hier formulierten, weitreichenden Thesen, die evidenzfrei einfach so Mal hier in die Kommentare gekippt werden.

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