Trotz Appell der DatenschutzbeauftragtenParteien wollen weiter zielgerichtete Social-Media-Werbung schalten

Ist Werbe-Targeting auf Social-Media-Plattformen eigentlich legal? Die Berliner Datenschutzbeauftragte ist skeptisch und ermahnt die Parteien, im EU-Wahlkampf darauf zu verzichten. Daran halten wird sich wohl niemand, auch wenn mehrere Parteien nicht darüber sprechen wollen.

Ein Aquarell in kalligen Farben, darauf zu sehen ein Schreibtisch mit altmodischem Telefon und Computer, auf dem eine EU-Flagge zu sehen ist
Die deutschen Parteien wollen im EU-Wahlkampf nicht auf Targeted Advertising in Sozialen Medien verzichten – Public Domain Midjourney / a digital election campaign, pop art style, add flag of european union

Mehr als 700.000 Euro haben deutsche Parteien seit Beginn des Jahres für gezielte Werbung auf Instagram und Facebook ausgegeben. Geht es nach der Berliner Datenschutzbeauftragten, sind das mehr als 700.000 Euro zu viel. In einem Brief fordert Meike Kamp Anfang der Woche die großen deutschen Parteien auf, im anstehenden EU-Wahlkampf auf das umstrittene Microtargeting auf Social-Media-Plattformen zu verzichten.

Um ihren Werbekunden die Auswahl kleinteiliger Zielgruppen zu ermöglichen, sammeln die Plattformkonzerne Unmengen an Daten aus zahlreichen Quellen, nicht nur auf der eigenen Plattform, und führen sie in Profilen zusammen. Die Datenschützerin betont: Insbesondere die Verwendung besonders geschützter Datenarten, zum Beispiel über die politische Einstellung oder Religion, darf nach Datenschutzgrundverordnung nur mit expliziter Einwilligung der Betroffenen erfolgen. Doch nicht nur das Targeting mit sensiblen Daten sei problematisch, so Kamp weiter. Jegliche Form der Selektion von Personen auf der Grundlage von umfangreichen Nutzungsprofilen berge Risiken für Datenschutz und Demokratie.

Das inzwischen von der Datenschutzbehörde veröffentlichte Schreiben ging an alle Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind und ihren Hauptsitz in Berlin haben, also an AfD, BSW, CDU, FDP, Grüne, Linke und SPD. Wir haben nachgefragt, ob sie dem Appell der Datenschutzbeauftragten folgen wollen. Die Reaktionen sind auffallend schmallippig. Klar ist jedoch, dass keine der genannten Parteien auf Social-Media-Targeting verzichten wird.

Nur Targeting, kein Micro

Die SPD beispielsweise antwortet, dass Microtargeting – die Betonung liegt auf der ersten Silbe – die Praxis beschreibe, „extrem zugespitzte Zielgruppen zu erstellen, die nur wenige User*innen erreichen sollen“. Mit solchen Methoden arbeite die SPD nicht. Heißt auch: Mit weniger eng gefasstem Targeting will die Partei fortfahren. Bei welcher Größte sie die Grenze zieht, erfahren wir nicht.

Dafür offenbart die SPD noch die folgende Rechtsauffassung: „Targeting fällt dann unter die DSGVO, wenn aus den Daten die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen.“ Das klingt, als würde nach Meinung der SPD die Nutzung anderer personenbezogener Daten für Targeting nicht der DSGVO unterliegen.

Auch Linkspartei und Grüne betonen, dass sie beim Targeting in Sozialen Medien nur mit gröberen Kategorien arbeiten. Ein solcher Ansatz ermögliche es, „Nutzer*innen in Deutschland, die das Wahlmindestalter erreicht haben, über Kernmerkmale wie Alter oder Region mit unserer Werbung zu erreichen“ und sei eine „gängige Methode der Zielgruppenansprache“, schreiben uns die Grünen. Microtargeting auf Basis von Interessengebieten, mit dem man „kleinste Profilgruppen“ erreichen könne, setze man nicht ein. Von der Linkspartei heißt es noch ergänzend, dass sie Meta und anderen Plattformen keine eigenen Daten zur Verfügung stelle.

Gar keine Antwort erhielten wir vom Bündnis Sarah Wagenknecht, von der CDU und der AfD. Die beiden letztgenannten fallen schon seit Jahren durch besondere Intransparenz beim Thema auf und ignorieren Presseanfragen von netzpolitik.org zu ihrer Online-Werbung regelmäßig. Auch die Pressestelle der FDP liefert keine Antworten zum Thema. Allerdings hat die Partei allein in dieser Woche mehr als zehn neue Werbeanzeigen auf Facebook geschaltet.

Datenschutzbehörde führt Verfahren gegen Parteien

Das Thema des politischen Targetings sorgt seit Jahren für Zündstoff, denn seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica im Jahr 2018 kam es immer wieder zu Regelverstößen bei politischer Online-Werbung, auch in Deutschland. So hatte netzpolitik.org aufgedeckt, dass beispielsweise der damalige CDU-Politiker Max Otte Twitters Verbot politischer Werbung verletzte, als er sich selbst als Kandidat der AfD für das Amt des Bundespräsidenten promotete. SPD und AfD wiederum setzen sich erst jüngst über das Verbot politischer Werbung auf TikTok hinweg.

Mutmaßlich sogar gegen die Grundsätze der Verfassung verstießen das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) und das rheinland-pfälzische Klimaministerium von Anne Spiegel (Grüne). Beide Ministerien wählten bei Facebook-Werbung zu Wahlkampfzeiten gezielt Anhänger:innen der Parteien der beiden Minister:innen als Zielgruppe aus – ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Aufgedeckt hatten dies das ZDF Magazin Royale und die NGO Who Targets Me. Im Zuge der gleichen Recherche konnten sie zeigen, dass die FDP im Bundestagswahlkampf unterschiedliche Gruppen mit widersprüchlichen Botschaften zum Klimaschutz ansprach.

Im Nachgang dieser Recherche reichte die Datenschutzorganisation NOYB gemeinsam mit Betroffenen Beschwerden gegen alle damals im Bundestag vertretenen Parteien ein. Auch in diesem Fall ist die Berliner Datenschutzbeauftragte zuständig, das Verfahren läuft noch.

Zudem steht immer noch in Frage, ob man offizielle Profile auf Social-Media-Plattformen überhaupt datenschutzkonform betreiben kann. Gegen Meta, den größten Social-Media-Konzern der Welt, laufen zahlreiche Gerichtsverfahren, auch die europäischen Datenschutzbehörden ringen seit Jahren mit dem Unternehmen.

Einem Gerichtsurteil zufolge sind die Seitenbetreiber und Facebook zudem datenschutzrechtlich gemeinsam verantwortlich für die Datensammlung des Konzerns. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, alle offiziellen Kanäle auf der Plattform einzustellen, aktuell streiten sie vor Gericht.

Grundsätzliche Sorge um Demokratie und Diskurs

In ihrer Kritik am politisch genutzten Social-Media-Targeting wird Meike Kamp grundsätzlich: „Für die betroffenen Personen sind die genauen Vorgänge der Datenverarbeitung häufig nicht transparent und das Informationsgefälle zwischen Plattform/Werbendem und Adressat:in kann dazu führen, dass es für die Adressat:innen schwer einschätzbar wird, was die Werbenden veranlasst hat, speziell sie mit dem spezifisch zugeschnittenen Inhalt anzusprechen.“

Darüber hinaus sei zu befürchten, dass politisches Targeting den Diskurs fragmentiert und polarisiert, so der Brief weiter. „Letztlich kann die starke Fokussierung auf die Interessensprofile der Nutzer:innen dazu führen, dass die Adressat:innen nur noch mit dem konfrontiert werden, was sie vermeintlich hören möchten, und dass die Bandbreite von Positionen eines Werbenden zu verschiedenen Themen sie nicht mehr erreicht.“ Wahlwerbung, die zu stark individualisiert und manipulierend ist, widerspreche der zentralen Aufgabe der Parteien, „den öffentlichen Diskurs anzuregen, die vielfältigen Meinungen zu bündeln und zu Kompromissen zu führen“, so Kamp.

Auch die Europäische Union sieht Gefahren im politischen Targeting und hat deshalb 2023 eine neue Verordnung verabschiedet, die erstmals Regeln für digitale Wahlkämpfe und maßgeschneiderte Werbekampagnen bringt. Auch sie enthält kein grundsätzliches Verbot des Targetings, schränkt die politische Nutzung aber deutlich ein. Allerdings hatten die Debatten um das umstrittene Thema die Verabschiedung so lange aufgehalten, dass die Verordnung erst nach der EU-Wahl am 9. Juni wirksam wird.

5 Ergänzungen

  1. Und genau so machen sich diese Parteien zu Gehilfen eines toxischen Systems, denn das Targeting (welches ja eine gerichtete Intention ist) verhilft zu weiteren Erkenntnissen (auf den jeweiligen Plattformen) über die User. Die Gehilfen nehmen jenen Schaden für den eigenen Komfortgewinn in Kauf, was, wenn mir diese Bemerkung erlaubt wird, eine Schande ist.

    Die freie Meinungsäußerung könnte man ja als Idealist für eine schicke Angelegenheit halten – die Social-Media-Plattformen, die diese zu ermöglichen versprechen, gemahnen allerdings die Realisten unter uns, asoziales, denn kapitalistisches Gebaren zu erkennen.
    Und des Weiteren: man möge sich das Targeting in Erinnerung rufen, welches dereinst im Umfeld des Brexits und der vor vergangenen US-Wahlen eine gewisse Rolle spielte…

    > „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“

    siehe: https://www.tagesanzeiger.ch/ich-habe-nur-gezeigt-dass-es-die-bombe-gibt-652492646668

    1. Vielen Dank für die Verlinkung des Artikels, der sich damit beschäftigt, mit welchen Methoden die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern von Cambridge Analytica dazu benutzt wurden, Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen. Ein selbstkritischer Artikel eines Experten für Psychometrik, einem datengetriebenen Nebenzweig der Psychologie.

    1. In der Tat: Es könnte so einfach, alle persönliche Werbung verbieten. Dann wäre ein großer Anreiz weg um Daten zu stehlen. Bei der Komplexität, was die da mit den Daten machen, kann es ja keine informierte Einwilligung geben. Und solange das nicht explizit verboten ist, werden die auch immer versuchen, sich eine „Einwilligung“ zu erschleichen.

      Und solange es persönliche Werbung, werden auch die Parteien sie missbrauchen. Die wären ja schön blöd, wenn nicht, da sie ja davon ausgehen müssen, dass die anderen das auch tun. Das verzerrt das Wahlergebnis zu Gunsten der großen Parteien. Und selbst wenn man das nur für Wahlen verbieten will, wie will man das bestrafen.

      Also verbieten, dumm nur: Unsere Politiker machen ihren Job nicht, Schaden vom deutschen Volke abzuhalten.

  2. „Leitkultur bedeutet doch auch zu antworten, wenn man was gefragt wird, oder?“, rief van der Horst (ZDF) bei seiner vergeblichen Anfrage Merz auf dem CDU-Parteitag noch hinterher.

    Doch damit nicht genug. Denn dann schaltete sich überraschend die Ehefrau des CDU-Politikers, Charlotte Merz, ein. Sie ging auf van der Horst zu und griff nach seinem Arm, mit dem er das ZDF-Mikrofon hielt. „Leitkultur bedeutet als allererstes zu fragen, ob man eine Antwort geben möchte“, sagte sie ihm, während die Kamera das Geschehen weiter einfing. Währenddessen drückte sie das Mikrofon herunter.

    Schöner kann man Herrschaftsdünkel nicht dokumentieren. Danke an das gelegentlich aufmüpfige ZDF.

    https://www.rnd.de/politik/heute-show-frau-von-friedrich-merz-massregelt-lutz-van-der-horst-auf-cdu-parteitag-Y7KERCK6UFEWZBS5BNCTDHS2NE.html

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