Nach den Hausdurchsuchungen bei Janika Pondorf und Ingo Blechschmidt will die Augsburger Klimabewegung einen Gang höher schalten. Seit fast vier Jahren besetzen die Aktivist:innen nun schon den Rathausplatz. Doch die Situation eskaliert immer mehr. Es hagelt Anzeigen.
Und dann kommt die nächste Hausdurchsuchung – diesmal bei Alexander Mai, wegen eines Facebook-Kommentars. Ähnlich wie Monate zuvor in Hamburg spielt der Ausdruck „Pimmel“ dabei eine Rolle, weshalb der Fall als „Pimmelgate Süd“ bekannt wird. Und es wird nicht die letzte Razzia in Augsburg sein, denn Ermittlungsbehörden nehmen nun auch die Letzte Generation ins Visier.
Trotz der Repression halten die Augsburger Aktivist:innen an ihrem Engagement fest, jetzt erst recht. Und verlieren dabei nie ihren Humor.
Die fünfte und sechste Folge unseres Podcasts bauen aufeinander auf. Falls ihr Episode #05 noch nicht gehört habt, fangt am besten dort an.
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Hier findest Du alle Folgen von „Systemeinstellungen“.
Die nächste Episode „Hausdurchsuchung: Was tun?!“ erscheint am 21. Juni.
Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.
Links und Infos
- Informationen der Augsburger Klimabewegung zu Pimmelgate Süd
- Website des Klimacamps Augsburg
- Bericht von netzpolitik.org zur Razzia bei Alexander Mai
- Bericht von netzpolitik.org zum Ausgang des Pimmelgate-Süd-Verfahrens
- Kommentar zu den Razzien bei Mitgliedern der Letzten Generation
- Wie man aus Möbiusbändern Herzen macht
- Deine Spende für digitale Freiheitsrechte
Was tun bei einer Hausdurchsuchung?
- Leitfaden: Hausdurchsuchung. Was tun? (PDF)
- Verhaltens-Tipps von Digitalcourage e.V.
- Verhalten bei Hausdurchsuchungen: Talk von Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk auf dem Chaos Communication Congress
- Sie haben das Recht zu Schweigen: Talk von Rechtsanwalt Udo Vetter auf dem Chaos Communication Congress
Manuskript zum Nachlesen
Prolog: Möbius-Band
Serafin Dinges: Systemeinstellungen. Das hier ist die zweite einer Doppelfolge über Klimaaktivist:innen in Augsburg. Wenn ihr die vorherige noch nicht gehört habt, dann fangt am besten da an und jetzt geht’s los.
Serafin Dinges: Wir sitzen in einem indischen Restaurant in Augsburg am Tisch vor einem Mathestudent:innen. Neben mir sitzt ein Mann, Mitte 20 mit schwarzen Haaren, der gerade einen langen Streifen Papier an den Enden zusammenklebt. Das Ergebnis ist ein Bändchen aus Papier, mit dem irgendwas nicht stimmt.
Alexander Mai: Da gibt es spannende Sachen. Zum Beispiel, dass das nur eine Kante und eine Oberfläche hat, jetzt denkst du vielleicht da sind zwei Kanten, Aber wenn du hier dich auf den Weg machst, dich bewegst, bewegst, bewegst, bewegst, kommst du wieder hier raus und es stellt sich raus ist die gleiche Kante, nur an einer anderen Stelle.
Serafin Dinges: Er hält diesen Kreis aus Papier in der Hand. Das Papier. Das sieht so aus wie eine Schleife oder ein Ring mit einer speziellen Verdrehung. Und die Verdrehung bewirkt, dass die Innen und Außenseite kontinuierlich ineinander übergehen. Okay, das ist jetzt nicht das beste Intro für ein Medium, wo man nicht sieht, aber ich kann nicht versprechen, es ist spannend und irgendwie unintuitiv.
Ingo Blechschmidt: Alles hat ja zwei Seiten. So ist meine Hand hat eine Oberseite Unterseite. Dieser Teller hat eine Oberseite und Unterseite. Dieser Tisch hat eine Oberseite und alles hat zwei Seiten bis auf das Möbius Band.
Serafin Dinges: Möbius Band: So heißt das geometrische Wunder, das da gerade meiner Kollegin Anna Biselli und mir präsentiert wird.
Alexander Mai: Jetzt habe ich schon wieder. Ich hab die Schere nicht nur zum Basteln, sondern auch zum Zerschneiden.
Serafin Dinges: Der Mann nimmt die Schere und zerschneidet jetzt diesen Ring in der Mitte. Aber statt danach zwei Ringe zu haben.
Ingo Blechschmidt: Anstatt einfach nur der Mitte nach.
Alexander Mai: Und jetzt sind da einfach Platz eins.
Ingo Blechschmidt: Sind nicht zwei Gegenstände.
Serafin Dinges: Statt zwei Ringen hat er jetzt nur einen langen Ring.
Ingo Blechschmidt: Ich dachte jeden Gegenstand, wenn man den zerschneidet, hat man danach zwei Teile.
Serafin Dinges: Der Mann mit der Schere heißt Alexander Mai, der zweite, der da so begeistert miteifert, das ist Ingo Blechschmidt. Wir haben beide in der letzten Folge schon kennengelernt. Ingo und Alexander sind Freunde und Mathenerds, aber seit ein paar Jahren verbindet die beiden noch eine andere Leidenschaft.
Ingo Blechschmidt: Und das ist ja auch, was wir am allerliebsten machen, anstatt Bäume zu besetzen.
Serafin Dinges: Ingo und Alexander sind Klimaaktivisten in Augsburg. Und wer nicht mehr verurteilte Straftäter im Visier des Staates vorstelle, dann denke ich erst mal nicht an zwei Mathenerds, die begeistert Papierstreifen zusammenkleben und wieder auseinanderschneiden. Aber genau da führt die Reise hin. Nachdem im Mai 2020 die Zuhause von Janika Pondorf und Ingo Blechschmidt durchsucht wurden, reagiert die Augsburger Klimabewegung mit einer Gegeneskalation. Der Rathausplatz wird dauerhaft besetzt. Bis heute. Ingo und Alexander sind vorne mit dabei. Es folgt eine Eskalation auf die nächste Anzeigen gegen das Camp Ordnungswidrigkeiten, Anzeigen wegen Beleidigung. Und dann ein Facebookpost, in dem das Wort Pimmel vorkommt, auf den dann eine Hausdurchsuchung folgt und dann später noch eine Hausdurchsuchung. Heute ist wirklich alles dabei. Ich bin Serafin Dinges und ihr Systemeinstellungen. Ein Podcast von netzpolitik.org heute Folge sechs Pimmelgate Süd.
Das Klimacamp
Serafin Dinges: Seit den Ereignissen der letzten Folge hat sich einiges am Aktivismus der Augsburger geändert. Ingo Blechschmidt zum Beispiel. Der klettert jetzt öfter mal auch auf Bäume oder auf Häuser, um Banner anzubringen.
Ingo Blechschmidt: Das passiert, wenn Druck von außen der Fassade bewusst. Dann ist das kein Haus, den. Das klingt erst mal sehr kriminell. Aber tatsächlich ist es kein Hausfriedensbruch. Es ist aussichtslos. Eine Befriedung in der Bundesrepublik an seine Hecke ein Zaun betreten wäre schön. Was hast du? Aber es hier bei der Fassade nicht.
Serafin Dinges: Wir sind mitten in Augsburg am Rathausplatz. Der sieht aus wie in vielen süddeutschen Städten. Ein großer Platz, Pflastersteine, großer Brunnen und ein Rathaus, in dem jeden Tag lokale Politiker:innen ein und ausgehen. Und direkt daneben steht ein kleines Bauwerk, das auch in einem Berliner Club stehen könnte. Viele Holzpaletten mit politischen Botschaften drauf. Couches, ein leerer Einkaufswagen, Plakate. Irgendwo steht auch eine Gitarre. Das ist das Augsburger Klimacamp. Das Camp war eine Reaktion auf das damalige Klima. Es war der erste Sommer der Pandemie. Demos mit vielen Leuten waren schwierig. Aber die lose Gruppe an Aktivist:innen wollte nicht nur zu Hause rumsitzen. Sie wollten reagieren. Und genau zu der Zeit beschließt die Bundesregierung auch bis 2038 alle Kohlekraftwerke zu schließen. Das heißt, der Staat will sich damit noch 18 Jahre Zeit lassen. Das sogenannte Kohle ausstiegsgesetz ist vielen Klimaaktivist:innen viel zu langsam, viel zu industriefreundlich. Bei einer Protestaktion gegen das geplante Kohle ausstiegsgesetz sind Greenpeace Aktivisten auf das Dach der CDU Parteizentrale geklettert, um das Gebäude zu verhüllen. Aktivisten von Extinction Rebellen und Ende Gelände protestierten vor der SPD Parteizentrale. Also beschließen die Aktivist:innen von Freitag vor Future Augsburg. Sie besetzen jetzt den Rathausplatz, bis die Stadtregierung die Klimakrise ernst nimmt. Zu ihren Forderungen gehören Dinge wie, dass die Stadtwerke von Kohlestrom auf Ökostrom umsteigen sollen. Es soll mehr in Solar und Windenergie investiert werden und die Verkehrswende soll vorangetrieben werden. Mehr Radwege, mehr und kostenfreier öffentlicher Nahverkehr und der geplante Bau einer neuen Autobahn der Osttangente. Der soll eingestellt werden. Als wir uns das Augsburger Klimacamp an einem Freitagnachmittag im Oktober 2023 anschauen, sitzen so 5 bis 6 Leute auf selbstgebauten Couches und unterhalten sich. Jules, eine Aktivist:in, führt uns herum vorbeigefahren.
Jules: Wollen Sie eine Führung haben? Kann es eine kurze Führung geben?
Serafin Dinges: Darf ich fragen, wenn ich aufnehme? Die Bastelästhetik hier, die drückt ab. Ein wenig das Camp. Das ist zwar selbst gebaut, aber notdürftig ist hier nichts. Damit die dauerhafte Versammlung nicht aufgelöst werden kann, müssen immer mindestens zwei Personen anwesend sein. Und deshalb gibt es hier auch gut zehn Schlafplätze.
Jules: Unser Eingangsbereich hier, wir untertags und auch abends und hier machen wir auch meistens Frühstück. Aber so ein bisschen unser Innenhof, das hier ist unser Büro. Da oben ist ein Schlafplatz.
Serafin Dinges: Strom gibt es aus Powerbanks oder Autobatterien. Klos gibt es hier keine. Es werden öffentliche Toiletten in der Gegend genutzt und Sicherheitsinspektionen gehören hier zur Tagesordnung. Die Aktivist:innen kennen die Vorschriften genau, wissen, wie sie die gesetzlichen und bürokratischen Grenzen navigieren, möglichst ohne sich dabei strafbar zu machen. Jules zeigt uns eine der Schlafboxen.
Jules: Ich glaube so eins 30 hoch oder so, ich habe auf jeden Fall mal zwei Monate dauerhaft in so einer Box geschlafen und hier sozusagen die Wohnung und das geht voll gut. Da ist ein Kasten drin, da geht uns die Anlage rein.
Serafin Dinges: Und damit das Thema Camp weiterhin als eine offizielle Versammlung durchgeht, muss auch immer eine offiziell angemeldete Versammlungsleitung anwesend sein. Um das zu überprüfen, kommt die Polizei regelmäßig vorbei. Meistens so zwischen vier und 7:00 morgens.
Jules: Und aufmachen. Und wenn du dann sagen wir nicht mal mehr, dass es Polizei ist von mir erwarten einfach, dass du aufmachst. Und es kommen aber auch regelmäßig Betrunkene hierher. Nachts klopfen dagegen und wenn du da drinnen nix das Zeitgefühl und wenn es dann noch so klopft, dann geht einem schon mal die Pumpe.
Serafin Dinges: Wenn dann mal jemand geht, wird durch gewechselt und der Wechsel, der wird gemeldet. Alles nach Vorschrift.
Jules: Wir müssen dann jedes Mal dort anrufen, bei der Polizei, auf der Dienststelle und da wechseln wir dann alle paar Stunden mal durch, je nachdem wer gerade da ist.
Serafin Dinges: Ein beeindruckendes bürokratisches Ritual also, das dort jeden Tag durchgeführt wird. Seit Jahren schon. Der zehn ist deshalb so detailliert, weil naja, es ist irgendwie witzig und absurd, dass die Protestbewegung hier päpstlicher ist als der Papst. Jede Vorschrift wird penibel eingehalten. Aber wir erzählen das auch, weil es im Kleinen widerspiegelt, was sich hier in Augsburg schon seit Jahren abspielt zwischen Regierung, Staatsanwaltschaft, Polizei auf der einen Seite und den Aktivist:innen auf der anderen Seite. Dass die Aktivist:innen im Klimacamp so Paragraphen treu sind. Das ist eine Reaktion darauf, dass der Staat jedes rechtliche Mittel nutzt, um es der Bewegung vorzuhalten. Hier eine kleine Auswahl. Zu Beginn wurde mit Räumung gedroht. Das heißt, alles muss weg. Alle nach Hause. Das Klimacamp hatte dann dagegen geklagt, denn das Camp sei eine offizielle Versammlung und das Camp hat gewonnen. Erst auf Stadtebene, dann auf Landesebene. Ein anderes Mal wurde festgestellt, dass sich Steine vom Turm neben dem Rathaus lösen. Der Turm müsse dringend saniert werden und das Camp deshalb umziehen. Nur ein paar Wochen sollte das dauern.
Ingo Blechschmidt: Dann können wir wieder zurück und alles ist genau wie vorher. Daraus wurden dann fünf oder sechs Monate, die wir an einem anderen Ort sein mussten. Und als wir zurückkamen, wurde uns weniger als die Hälfte der zu dem Zeitpunkt noch aktuellen Fläche zugestanden.
Serafin Dinges: Geschichten wie diese erklären, warum die Augsburger Klimabewegung der Stadt gegenüber immer misstrauischer geworden ist. Oder wie Alexander es ausdrückt.
Alexander Mai: Aber die Stadt hat uns einfach wieder verarscht. Muss man ganz offen sagen, wie sie es schon oft getan hat. Also an der Stelle auch direkt. Wir vertrauen der Stadt halt einfach überhaupt gar nicht. Mit der Klimakrise klarzukommen. Und deswegen sind wir auch da. Wir gehen nicht, bis die Klimakrise gelöst ist oder bis Augsburg seinen Teil geschafft hat, sondern das, bis die Stadtregierung wirklich gecheckt hat und wir das auch so sehen. Dass die Klimakrise anzugehen ist mit allen Mitteln oder mit genug Mitteln, die städtisch möglich sind. Und stattdessen sagt sie mir dieses Jahr vertraut uns und verarscht uns dann einfach.
Serafin Dinges: Was Alexander hier mit verarschen meint. Das bezieht sich nicht nur auf die Auflagen, die das Klimacamp vor dem Rathaus erfüllen muss. Demnach und Janika war Alexander an der Reihe mit der nächsten Hausdurchsuchung.
Alexander Mai diskutiert gern auf Facebook
Serafin Dinges: Alexander Mai liebt Augsburg. Das merkt man. Er ist hier geboren, hier aufgewachsen und auch hier geblieben, um zu studieren.
Alexander Mai: Wir wollen hier bleiben. Deswegen ist mir wichtig, dass es hier gut ist. Ich möchte auch Kinder großziehen. Deswegen ist es mir auch wichtig, dass es hier noch besser wird.
Serafin Dinges: Wie Inge und Janika wurde auch Alexander von der Friedens Future Bewegung mitgerissen und politisiert.
Alexander Mai: Aufgewachsen im Umfeld von so Arbeiterfamilien Man geht halt arbeiten, hat keine Ahnung von Politik und solchen Sachen. Und deswegen war es für mich eigentlich bis Beginn dieser Demos alles sehr fern.
Serafin Dinges: Alexander ist da gerade Anfang 20 und wendet sein neu gewagtes politisches Interesse da an, wo er sich eh schon auskennt. In Augsburg und im Internet, vor allem auf Facebook. Alexander ist nämlich begeisterter Parkoursportler. In dem Sport geht es darum, auf möglichst effiziente und kreative Weise durch die Stadt zu navigieren, Hindernisse zu überwinden und dabei auch manchmal Routen einzuschlagen, die so vielleicht gar nicht vorgesehen sind. Manche Metaphern schreiben sich einfach selbst. Die Parkourszene in Augsburg jedenfalls, die koordiniert sich in Facebookgruppen. Und damit ist Alexander wohl einer der wenigen Anfang 20-jährigen, die noch wirklich regelmäßig auf Facebook sind. Und wer ist noch viel auf Facebook? Klar, Boomer. Und nicht irgendwelche, sondern Lokalpolitiker:innen von Augsburg.
Alexander Mai: Ich war mit jedem Stadtrat auch befreundet. Ich habe mal allen Stadträten einfach eine Freundschaftsanfrage geschickt und geschaut, wer sie annimmt. Kam eigentlich alle angenommen, die aktiv sind? Sogar die Oberbürgermeisterin ist mit mir befreundet auf Facebook. Also ja, ich war noch mit ganz vielen Leuten im Stadtrat befreundet. Doch dann leichter zu sehen, was die so posten und die Posten teilweise eben auch politisch relevant ist.
Serafin Dinges: Alexander diskutiert auch gerne mal mit Politiker:innen auf Facebook. Für ihn ist das ein direkter Draht zur Lokalpolitik in Augsburg. Zu dem Gefühl, vielleicht doch ein bisschen Einfluss zu haben. Er ist damit also auch eine der vermutlich letzten Personen, die auf Facebook noch gute Gespräche führt.
Alexander Mai: Und da kommen auch oft rege Sachen, rege Diskussion dabei raus und ich sehe es immer als sehr erfolgreichen, sehr niedrigschwelligen, wenig zeitaufwendigen Aktivismus, einfach schnell, was mir einfällt hinzuschreiben. Wenn ich finde das gut, wenn nicht, lass ich’s ganz oft. Aber wenn ich das Gefühl hab, ich kann was sinnvolles beitragen, vor allem lokalpolitisch, was Verkehrswende oder sowas angeht, dann habe ich oft kommentiert. Hat oft zu wunderbaren Diskussionen geführt. Auch mit den Politikern, die das ursprünglich gepusht haben, die ich gewissermaßen angreife, haben sich hinterher auch oft bedankt über die Diskussion, die ich auslöse.
Serafin Dinges: Facebook ist für Alex nur der Anfang. Er lernt schnell, dass die Stadtratssitzungen in Augsburg für alle öffentlich zugänglich sind. Nur geht kaum jemand hin. Also geht er hin. Alexander ist Student, hat öfter tagsüber mal ein paar Stunden Zeit und die nutzte er dann eben hierfür.
Alexander Mai: Bis vor circa 1/2 Jahren habe ich eigentlich keine Ausschusssitzungen, keine Umwelt ausschusssitzungen und keine Stadtratssitzungen verpasst. Teilweise auch mit protokolliert. Für uns alle und auch veröffentlicht auf unserer Webseite mit alle mitlesen können, was da passiert. Weil es das wird fast gar nichts davon protokolliert. Was den Inhalt angeht eigentlich nur die Ergebnisse und das auch sehr undurchsichtig.
Serafin Dinges: Alexander diskutiert also auf Facebook und er protokolliert Stadtratssitzungen. Das klingt jetzt beides nicht besonders radikal, aber beides wird ihm später noch zum Verhängnis werden.
Kaiser Augustus spricht
Serafin Dinges: Es ist ein ganz bestimmter Streit auf Facebook, der später dazu führen wird, dass die Polizei in die Wohnung von Alexander platzt. Und diesen Streit. Schauen wir uns jetzt genau an Es gibt in Augsburg auf dem großen Platz neben dem Rathaus, da, wo auch das Klimacamp ist, seinen großen Brunnen aus dem 16. Jahrhundert. Obendrauf ist eine Bronzestatue vom römischen Kaiser Augustus. Der hat die Stadt angeblich mal gegründet. Die Statue selbst, die misst so zweieinhalb Meter und steht nochmal auf einem Podest, das bestimmt 5 Meter hoch ist. Eine große Statue also, die da über dem Rathausplatz thront. Und den einen Arm, den hat Augustus gebieterisch nach vorne gestreckt. Und im Winter? Da ist der Brunnen mit Holzverschlägen verkleidet und nur die Statue schaut heraus. Man kann also über diese Holzverschläge recht leicht zur Statue hinaufklettern, und die Leute im Klimakamp erkennen da eine Gelegenheit und entscheiden sich. Die Statue zu verschönern.
Alexander Mai: Und da haben wir dann ein paar Wochen hintereinander verschiedene Botschaften am Augustus aufgehängt und haben quasi gesagt Ja, Augustus spricht. Auf diesen gut lesbaren großen Stillstands. Jedenfalls für die Freiheit, Für das Leben. Macker von der Straße fegen an diesem Prachtbrunnen, Augustus an seinem Arm dran hängend.
Serafin Dinges: Eine Botschaft gegen Macker, also gegen sexistische Männer, wie Alexander das beschreibt.
Alexander Mai: Falls ein Macker zuhört und sich angegriffen fühlt. Fühl dich gern angegriffen, wenn du wirklich ein Macker bist. Unser Macker machen wir jetzt natürlich nicht alle Männer. Wenn man die, die sich sexistisch sonstwie chauvinistisch verhalten, irgendwie Frauen runtermachen wollen, hinterherpfeifen, sonstwie belästigen. Na gut, jedenfalls gegen diese Macker ging der Spruch natürlich und sollte Aufmerksamkeit erregen.
Serafin Dinges: Ein AfD Stadtrat der Stadt Augsburg, Andreas Jurca. Der sieht diese Aktion. Man nimmt sie zum Anlass für einen Post auf Facebook. Darin ein Foto von Augustus mit dem Schild Gegen Macker von vorhin. Und daneben schreibt der Stadtrat Kampfansage gegen die Frauenfeindlichkeit gehört vor Moscheen, nicht vor den Augustusbrunnen.
Alexander Mai: Und da hab ich auch gesehen, dass der AfD Account, dem ich natürlich gefolgt bin wie jedem Fraktionsaccounts des Oxford Stadtrates das der das gepostet hat und das war halt aus meiner Sicht ganz klar rassistisch was da teilweise stand. Diskriminierend, feindlich gegen verschiedene Religionsgruppen.
Serafin Dinges: Und es entsteht so ein typischer Facebook Streit, in dem sich Leute provokante Antworten an den Kopf werfen. Zum Beispiel präsentiert Alexander ein frauenfeindliches Bibelzitat, um vorzuführen, wie selektiv das ist, wenn Jurca mit Frauenfeindlichkeit ausgerechnet mit dem Islam gleichsetzt. Und dann bringt Alexander im Wortgefecht einen Move mit einer Vorgeschichte. So eine Art Insider. Und sagt postet Alexander einen Link zu einem Zeitungsartikel und das Vorschaubild von diesem Link. Das zeigt eine Hauswand. Und auf dieser Hauswand, da steht ein Spruch, Da steht Andy, du bist so ein Spinner. Wer das Zitat erkennt, findet das vielleicht jetzt schon lustig. Für alle anderen hier kurz die Vorgeschichte. Im Sommer 2021, Da wurde Hamburgs Innensenator Andy Grote von der SPD auf Twitter beleidigt. Da schrieb ihm ein User an Andy, du bist so ein Spinner Und Andy Grote in Hamburg. Dem ist sofort der Kragen geplatzt. Strafantrag ist raus. Die Polizei klemmt sich dahinter und es folgt eine Hausdurchsuchung beim mutmaßlichen Urheber. Der Zweck Das Gerät finden, mit dem der eins Pimmel Tweet verfasst wurde. Diese Geschichte. Die wurde unter dem Hashtag Pimmelgate zum Skandal. Weil sie gezeigt hat, wie ungleich Privilegien verteilt sind. Jeden Tag erleben Frauen im Netz sexistische Hetze, Übergriffe, Todesdrohungen. Und die Polizei? Die ermittelt in vielen Fällen nur halbherzig oder gar nicht. Aber wenn dagegen ein Mann und noch dazu ein Mächtiger als ein Pimmel bezeichnet wird, dann gibt es schwuppdiwupp eine Razzia. Und der Spruch an der Hauswand, von dem Alexander vorhin ein Foto gepostet hat. Dieser Spruch wiederum, der war eine Reaktion auf Pimmelgate. Menschen in Hamburg haben Andy Grote und seine Dünnhäutigkeit damit aufgezogen, indem sie ihn jetzt erst recht als eins Pimmel bezeichnen. Und jetzt, Monate später, da sitzt Alexander in Augsburg und erinnert sich an die Pimmelgeschichte. Alexander, findet der AfD-Abgeordnete Jurca, das ist auch ein Mann, der seine Privilegien nicht ausreichend reflektiert hat.
Alexander Mai: Wo man halt wieder sieht Politiker fühlt sich angegriffen, hat ein Pimmel zwischen den Beinen. Hausdurchsuchungen sofort. Wenn Frauen aber angegriffen werden, passiert lange Zeit nichts.
Serafin Dinges: Also postet Alexander im Facebook Streit den Link zu diesem Zeitungsartikel. Den mit dem Vorschaubild, in dem steht Andy, du bist so ein Pimmel. Was Alexander dabei nicht bedenkt. Er schreibt das gerade unter einem Post von Andreas Jurca und der ist ja auch ein Andy.
Die Hausdurchsuchung
Serafin Dinges: Wir haben ein halbes Jahr später per Facebook Streit. Der ist schon längst in Vergessenheit geraten.
Alexander Mai: Im April, gerade am Ende meiner Semesterferien. Ich bereitete mich auf mein erstes Mastersemester vor im Studiengang Mathematik mit Nebenfach Informatik. Es hat geschneit, schon seit ein paar Tagen. So ein bisschen mal geschneit, mal Sonne scheint. Ja. Und meine Freundin, mit der ich schon seit vielen Jahren zusammen wohnte und mit der ich hier jetzt zusammen wohne, die ist krank geworden mit Korona. Wir sind zum Ersten Mal krank geworden damit seit Beginn der Pandemie.
Serafin Dinges: Alexander wohnt mit seiner Partnerin in einer Ein Zimmer Wohnung unterm Dach mit einem großen Wohnzimmer und so eine Art Heimetage, die man über eine Treppe erreicht. Da oben steht ihr Bett, aber Alexander, der schläft heute unten auf einer Matratze, auf dem Boden im Wohnzimmer, in der Hoffnung, dass es sich nicht bei seiner Partnerin ansteckt. Alexander ist heute länger wach, lernt noch ein paar japanische Vokabeln und geht dann schlafen.
Alexander Mai: Eingeschlafen. Drei Stunden später, drei, vier Stunden später, war 6:00 morgens und ich bin aufgewacht. Und ich wusste nicht, warum ich aufgewacht bin. Mir ging es richtig scheiße. Richtig Kopfschmerzen über schwindlig, obwohl ich lag.
Serafin Dinges: Hat dann wohl doch nicht geklappt mit dem gesund bleiben.
Alexander Mai: Und gleichzeitig hör ich klopfen und meine Freundin nach mir rufen. So Hey, was los? Also im ersten Moment denkt man Einbrecher vielleicht. Ich habe ein lautes Klopfen gehört und es war vielleicht so so, was habe ich gehört. Ja, also auch von der Lautstärke her. Aber war ich so okay? Habe ich erst mal umgeschaltet, weil total. Ich würd sagen, im Delirium fast schon. Also ich habe einfach erst mal geschaut okay, ich habe hier keinen Baseballschläger, habe ich irgendwas, womit ich mich wehren kann? Vom Stuhl wohl zum Stuhl greifen? Höre ich eine Stimme und hör irgendwas. Polizei. Also ich bin seit fünf Sekunden erst wach. Es spielt sich alles ganz schnell ab. Polizei! Sie müssen aufmachen. Aber ich. So, erst mein Kopf. So, okay? Vielleicht kein Einbrecher.
Serafin Dinges: Er steht auf und spricht durch die Tür. Mit den Leuten.
Alexander Mai: Hab ich gemeint. Irgendwie so was wie Was wollte hier meinen Sie? Ja. Hausdurchsuchung. Sie müssen jetzt aufmachen, sonst müssen wir die Tür aufbrechen. Aber ich. So. Fuck! Da habe ich eigentlich gar keine Lust drauf. Da wollte ich schon so ein bisschen aufmachen und sicherstellen, dass kein Einbrecher auch mich direkt ins Gesicht schlagen kann. Ein bisschen Abstand ja, aber die haben dann so vor die Tür aufgedrückt, haben sich reingestellt, sind halt so voll uniformierte, voll bewaffnete Polizisten, vier Stück reingekommen, direkt in so meinen Super Klein Eingangsbereich. Ich habe versucht, so ein bisschen erst mal den Weg zu stehen und zu sagen Hey Leute, was los! Aber die haben mich halt zurückgedrängt. Ziemlich.
Serafin Dinges: Und was jetzt kommt, das dürfte nach den letzten fünf Folgen keine große Überraschung mehr sein. Alex bekommt einen Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt und da steht irgendwas zur Beleidigung eines AfD Stadtrats.
Alexander Mai: Und dann habe ich, wenn ich schon Kopf Durchgang. Oh Mann, wann habe ich jetzt den AfDler beleidigt? Angeblich.
Serafin Dinges: Aber Alexander weiß, dass er eine ganze Menge auf Facebook schreibt. Vielleicht war da ja wirklich was dabei. Er will versuchen, die Hausdurchsuchung zu verhindern und verhandelt.
Alexander Mai: Ich habe tatsächlich mich selbst belasten wollen, weil ich war. So, Leute. Hausdurchsuchung. Ernsthaft wegen Beleidigung. Kommt. Sagt mir, was das war. Und wenn ich nicht das Gefühl habe, dass sie das erlogen habe, sage ich ja dazu. Dann geht er nach Hause. Da haben wir alle einen schönen Tag.
Serafin Dinges: Aber Alexander sagt, daran hätte kein Interesse bestanden. Er hat das Gefühl, die Polizei will jetzt einfach mal seine Wohnung durchsuchen und Geräte mitnehmen. Er realisiert erst hinterher, als er den Durchsuchungsbeschluss noch mal in Ruhe liest, um welchen Post auf Facebook es da eigentlich geht. Er ahnt es um Andy. Du bist so ein Spam. Wir führen uns das noch mal vor Augen. Nach dem Skandal um Pimmelgate in Hamburg. Hat der Satz Andy, du bist so ein Pimmel! Ein zweites Mal eine Hausdurchsuchung ausgelöst. Zuerst Andy Grote in Hamburg, dann Andy Jurca in Augsburg. Beide Männer wollen nicht ungestraft als eins Pimmel bezeichnet werden. Und der an Kovac erkrankte Alexander. Der will einfach nur alles zugeben, damit die Polizei ihn in Ruhe lässt.
Alexander Mai: Die halbe Stadt der Belegschaft kann beweisen, dass ich das war. Leute, muss das sein? Hätte ich gesagt. Aber ich wusste ja nicht mal, worum es geht. Habe ich aber trotzdem gesagt. Kommt schon, Leute. Beleidigungen. Aber da wird es langsam klar Die wollen einfach mein Zeug haben. Die wollen einfach hier rein.
Alexander darf seine Anwältin nicht anrufen
Serafin Dinges: Aber Alexander ist vorbereitet. Seit den Hausdurchsuchungen bei anderen Aktivist:innen in Augsburg hat Alexander recherchiert, was man in der Situation macht. Neben seiner Tür hängt deshalb schon länger ein gelbes Postet. Zu beschreiben, welche Sprache ist.
Alexander Mai: Das ist jetzt Japanisch. Also jetzt nicht zum Spaß. Okay. Genau. Ich habe auch ein Austauschsemester dort gemacht. Ich lerne schon ein bisschen länger und konnte auch damals fließend reden. In der Alltagssprache aber gab es mehr so ein Hobby.
Serafin Dinges: Und du dachtest, ich schreib das jetzt auf Japanisch, weil dann können die nicht immer sehen, was es ist.
Alexander Mai: Genau, weil so ein bisschen auf dem Zettel stehen halt Fragen, die man am Anfang stellen sollte. Fragen, die man währenddessen auf jeden Fall stellen sollte und Sachen, die man am Ende beachten sollte. Ich nehme die Sprache, die Sie nicht sofort lesen können, weil sonst lesen Sie es direkt und besprechen Sie schon, wie Sie alle meine Fragen kontern, weil Sie denken ja, wahrscheinlich so Hey easy, den nehmen wir hoch, der hat keine Ahnung, der ist. Den haben wir gerade geweckt, der wird keine Ahnung haben.
Serafin Dinges: Nur all die Vorbereitung, die hilft dem nicht viel. Zum Beispiel wollte er so schnell wie möglich seine Anwältin anrufen. Martina Sulzberger. Sie ist mittlerweile die Stammanwältin der Klimabewegung in Augsburg. Aber die Beamt:innen, die erlauben ihm das nicht, wie er uns erzählt.
Alexander Mai: Er hatte gefragt Wen willst du denn anrufen? Frau Sulzberger? Und irgendwie schon krass, wenn mein Haus durchsucht wird wegen. Wenn man zum Ersten Mal polizeilich auffällig wird. Also ich war ich würde noch nie vertreten von irgendeiner juristischen Person. Stand auch nie vor Gericht. Ich hatte noch nie irgendwelche Polizeidelikte oder so was und bin vielleicht bekannt in den Akten als Versammlungs Anmelder, aber sonst nicht Irgendwie auffällig, Vor allem dem Staatsschutz nicht. Wenn dann der Polizist plötzlich sagt Wen willst du anrufen, Frau Sulzberger? Und ist halt die Anwältin, die bekannt dafür ist, Klimaaktivisten zu verteidigen. Und dann war klar okay, im Beschluss steht nirgends Klimaktivist oder irgendwas mit Klima, sondern nur Beleidigungen. Angeblich. Aber die Leute wissen, die nehme ich an den Klimaaktivisten hoch.
Serafin Dinges: Die Hausdurchsuchung passiert also, ohne dass Alexander Hilfe bekommt. Er arbeitet neben dem Studium als Programmierer, hat also eine Menge Geräte zu Hause, die die Beamt:innen jetzt mitnehmen, einen Arbeitslaptop, zwei private Geräte, ein gerade neu gekauftes Handy und.
Alexander Mai: Ich habe noch eine Kiste mit USB Sticks gehabt, was ich einfach leer, weil ich einfach immer gern paar USB Stick bereit habe. Zehn Stück haben sie nicht gefunden und auch direkt die nächste Schublade zieht, zieht er so eine kleine flache Packung raus und da meinte so Ah, hier eine Festplatte und da schaue ich wieder alles an Leute, das kann ja Festplatte. Da schaut er ganz dumm, schaut so drauf, schaut mich wieder fragend an DVD Laufwerk noch nie gehört. Dann hat es zurückgelegt. Wäre es eine Festplatte gewesen, hätte das einfach zurückgelegt. Aber es war wirklich ein DVD Laufwerk, ein externes, weil heutzutage leider kein Laptop mehr ein DVD Laufwerk.
Serafin Dinges: Nach einer knappen Stunde um kurz vor 7:00 morgens sind die Polizist:innen dann wieder weg. Alexanders Freundin ist mit ihrer Co Wirt Infektion im Bett geblieben und hat gehofft, dass der Spuk bald vorbei ist. Er zeigt uns das Durchsuchungsprotokoll des Tages. Dort steht:
Sprecherin: Der Betroffene ist unzufrieden damit, dass er für die Dauer der Maßnahme nicht telefonieren darf.
Alexander Mai: Hier steht schwarz auf weiß, dass ich nicht fünf von ihnen durfte während der Maßnahme, unterschrieben von zwei Polizisten, weil ich habe meine Unterschrift verweigert. Steht auch dran, weil ich wollte zwei Polizisten, die das unterschreiben müssen.
Serafin Dinges: Die Polizei schreibt uns später, dass sie uns zum Schutze der Persönlichkeitsrechte dazu keine Auskünfte geben darf. Es gebe aber durchaus Konstellationen, wodurch Telefonate vorübergehend nicht gestattet werden können. Alexander gegenüber bestreitet die Polizei hinterher, dass er nicht telefonieren durfte. Warum es dann Durchsuchungsprotokoll vermerkt ist, das erklären sie auch nach mehreren Dienstaufsichtsbeschwerden von Alexander nicht. Auch auf unsere Anfrage kann die Polizei diesen Widerspruch nicht auflösen. Was da genau gelaufen ist, das können wir nicht rekonstruieren. Aber was wir sicher wissen Die Razzia passierte ohne Anwältin. Tage später hat sich Alexander zwar von seiner der Infektion erholt, aber nicht von der Razzia danach.
Pressekonferenz und mehr Verfahren
Alexander Mai: Ich bin gefasst darauf. Aber so hinterher. Ich habe noch tagelang. Immer. Immer, wenn es einfach nur Geräusche außerhalb der Wohnung gab, wenn es geklingelt hat, da zuckt man so etwas zusammen. Oh shit. Sind die Spieler auch so? Nach Sachen Durchsuchung denkt man sich. Wäre ich geiler gewesen, wenn ein Einbrecher da gewesen wäre Ich gesagt hier mein Geld gehe und. Die Polizei aber die, die macht alles kaputt. Einfach. Die nimmt alles mit. Die hat eigentlich keinen Bock, irgendwie dafür zu sorgen, dass das irgendwie der Sache dient, sondern die sind einfach nur da, um Randale zu machen. Im Endeffekt, und das hat man auch an ihrem Verhalten ganz klar gesehen.
Serafin Dinges: Alexander will das nicht auf sich sitzen lassen. Er und die anderen Aktivist:innen laden am Rathausplatz zu einer Pressekonferenz ein. Der regionale Fernsehsender ist da. Augsburg TV. Und Alexander tritt vor Publikum und Kamera und beginnt sein Statement.
Sprecherin augsburg tv: Auf einmal kommen die Emotionen hoch. Die Erinnerungen an den 5. April machen dem Klimaaktivisten Alexander Mai noch zu schaffen.
Serafin Dinges: In der Aufnahme sieht man Alexander muss seine Rede unterbrechen, geht vom Mikro weg und setzt sich an den Rand.
Alexander Mai: Tatsächlich hat es mich auch da ein bisschen zerlegt, sag ich mal. Also ich habe eigentlich gerade vorgelesen, was ich geschrieben habe, aber als ich dann im Text darüber reden wollte, dass es halt schon auch psychisch Konsequenzen hat, dann konnte ich nicht mehr reden, muss ich ein bisschen eingehen. Also das klingt wieder ein bisschen plump. Ich gehe auch ein bisschen plump mit meinen Gefühlen um, wenn ich so darüber rede, muss ich sagen. Aber ich hatte so was noch nie, dass ich einfach losweine.
Sprecherin augsburg tv: Alexander Mai glaubt, die Hausdurchsuchung hatte den Zweck, an Daten der Klimaaktivisten zu kommen. Die Polizei widerspricht. Die Durchsuchung stand in keinerlei Zusammenhang mit Herrn Mays Aktivitäten bei der Klimabewegung.
Serafin Dinges: Der ganze Fall schlägt Wellen. Um die beiden Pimmelgates aus Hamburg und Augsburg auseinanderzuhalten, bekommen sie eigene Namen. Pimmelgate Nord und der in Augsburg. Pimmelgate Süd und Pimmelgate Süd schafft es sogar bis in die New York Times. Ein langer Bericht darüber, wie niedrig in Deutschland die Hürden für Hausdurchsuchungen zu sein scheinen. Für Alexander ist es hier aber noch nicht vorbei. Neben Pimmelgate Süd hagelt es bald noch mehr Anzeigen. Zum Beispiel veröffentlichen die Aktivist:innen auch das Protokoll der Hausdurchsuchung und den Durchsuchungsbeschluss, teils geschwärzt auf ihrer Website. Daraufhin bekommt Alexander einen Brief. Denn diese Veröffentlichung, die war strafbar. Und es kommt noch mehr Ärger auf Alexander zu. Erinnert ihr euch an die Protokolle aus den Stadtratssitzungen? In denen hat er einmal geschrieben.
Alexander Mai: Dass die CSU geklopft hat wie Affen. Und das war konkret, weil die ganzen Diskussionen, wo die CSU sehr ideologisch argumentiert hat, warum etwas nicht sich ändern darf, halt sehr konservativ. Und dann hat irgendwie so schulhofmäßig einer von der CSU versucht, den Grünen zu dissen und den SPD’ler glaube ich. Ich glaube daran. SPD’ler sollte man aus der Opposition auch. Und dann mal halt ein paar aus der Union so zu hören. Also keine Ahnung. Also wirklich mit dem Geräusch aus dem Mund, so als wären das so Achtklässler. Und das habe ich halt so dann literarisch festgehalten, haben gekloppt wie Affen.
Serafin Dinges: Außerdem bezeichnet er in diesen Protokollen Mitglieder der AfD als Nazis oder Clowns. Und auf diese Aussage hin folgte dann ein weiterer Strafantrag. Ich habe mich darüber mit Alexanders Anwältin Martina Sulzberger unterhalten. Hallo?
Martina Sulzberger: Hi. Hmmm. Jetzt habe ich gerade ein Stück Pilze für unser Gespräch versenkt. Okay.
Serafin Dinges: Denn wie es zu dem Strafantrag wegen der Protokolle kommt, das ist etwas kurios.
Martina Sulzberger: Es gab da diese Protokolle und ein Politiker hat es glaube ich gesehen und hatte das dann irgendwie dem Staatsschutz gegeben. Die haben sich dann das ganze Protokoll gezogen und hatten dann mehrere Vorwürfe, unter anderem der mit den Affen und hat dann natürlich aktiv. Die Leute, die Geschädigten, die potenziell Geschädigten angeschrieben, ob sie Strafantrag stellen wollen, sich in ihrer Ehre halt herabgewürdigt fühlen. Aber die Polizei schaut immer ganz gerne auf Facebook und in die Medien, wo sie rein kommen.
Was sagt die Augsburger Staatsanwaltschaft dazu?
Serafin Dinges: Der Staatsschutz hatte also in Alexanders Protokollen gezielt nach potenziell strafbaren Handlungen gesucht und dann die betroffenen Politiker:innen darauf angesprochen. Die CSU Mitglieder wollen wegen der Bezeichnung als Affen aber am Ende gar keine Strafanträge stellen. Aber weil die Polizei eben noch weitere Beleidigungen in den Protokollen gefunden hatte, die als Klauen und Nazi. Stellt am Ende ein Mitglied der AfD Fraktion einen Strafantrag. Und so kam es zu der Pimmelbeleidigung und der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente. Noch ein weiteres Verfahren hinzu wieder wegen Beleidigung. Und noch ein Verfahren gegen Alexander kommt hinzu. Im Oktober 2022, also ein halbes Jahr nach der Hausdurchsuchung, sollen wegen eines Bauprojekts in Augsburg gut 50 teils sehr alte und große Bäume gefällt werden. Die Aktivist:innen sagen Der Wohnungsneubau, der wäre auch möglich, ohne dass man die Bäume fällen müsste. Die Wohnbaugruppe widerspricht und will die Bäume fällen. Alexander, Ingo und eine weitere Aktivistin klettern aus Protest auf die Bäume. Die Aktivist:innen brechen die Aktion nach ein paar Stunden ab und werden daraufhin von der Wohnbaugesellschaft angezeigt. Und damit sie nicht mitgezählt habt, laufen gegen Alexander jetzt vier Verfahren gleichzeitig. Wir haben uns lange um ein Interview mit Polizei und Staatsanwaltschaft in Augsburg bemüht. Wir würden gern von der anderen Seite hören, verstehen, was man dort über das Klimacamp denkt. Über den Umgang mit Janikapondorf. Alexander Mai, Ingo Blechschmidt. Aber trotz vieler Telefonate und Bitten war ein Interview nicht möglich. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft könnte die Statements einlesen, wurde mir gesagt. Aber Rückfragen wären dann nicht möglich. Man wolle nicht in eine Rechtfertigungshaltung kommen. Die Statements kann man so zusammenfassen Rechtlich wäre immer alles abgesichert gewesen, es hätte überall einen Anfangsverdacht gegeben und die Hausdurchsuchungen wurden immer richterlich bestätigt. Und die Betroffenen? Die könnten ja Rechtsmittel und Beschwerden einlegen. Wir wollten auch wissen, ob Janika, Ingo und Alexander besonders im Visier waren, weil sie Teil der Augsburger Klimabewegung sind. Das wurde uns von der Staatsanwaltschaft zwar nie konkret bestätigt, aber grundsätzlich spiele der Kontext immer eine Rolle, hieß es. Es gehört zu unserer journalistischen Sorgfaltspflicht, dass wir auch AfD Stadtrat Andreas Jurca Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Mehrere Wochen nach meiner ersten Anfrage bekam ich eine Antwort. Er hätte zwar gern etwas gesagt, aber jetzt sei es wohl zu spät. Das war noch nicht zu spät. Ich habe noch am selben Tag geantwortet, dass ich auf jeden Fall Zeit für ein Gespräch finden würde. Aber auf diese und jede weitere meiner Emails seitdem bekam ich entweder keine Reaktion oder eine automatisch generierte Email, dass das Postfach voll sei.
Sprecherin: Mailbox Full
Serafin Dinges: Naja. Wir haben es versucht.
Spendenaufruf
Serafin Dinges: Bevor es weitergeht, habe ich noch eine kurze Nachricht. Oder eher ein Geständnis. Und zwar von mir. Ich muss zugeben, dass ich nicht jeden Tag netzpolitik.org lese. So, es ist raus. Obwohl ich seit Jahren regelmäßig mit und für netzpolitik.org arbeite, bin ich nicht immer auf dem neuesten Stand. Von jedem Papier über Vorratsdatenspeicherung oder biometrische Gesichtserkennung oder Alterskontrollen. Ich weiß nicht sofort Bescheid über fragwürdige Netzsperren oder den aktuellsten Versuch des Staates, auf meinem Handy mitzulesen. Aber auch wenn ich diese Entwicklungen nicht immer in Echtzeit verfolge, dann weiß ich, dass bei netzpolitik.org jeden Tag Kolleg:innen sitzen, die sich mit genau diesen Themen auseinandersetzen. Die dranbleiben und Druck machen. Wo mir selbst manchmal die Zeit oder das Verständnis oder ganz ehrlich die Geduld fehlt. Und genau deshalb ist eine regelmäßige Spende für netzpolitik.org auch so eine Art Vorsorge, eine Vorsorge gegen Überwachung und Grundrechtsverletzungen für eine funktionierende Demokratie. Denn natürlich schaffen wir es alle nicht immer in unserem Alltag überall dran zu bleiben. Aber eine Spende macht möglich, dass Menschen bei netzpolitik.org das tun. Dass sie weiterhin für digitale Freiheit und Selbstbestimmtheit kämpfen. Auch wenn ich selbst vielleicht gerade gar keine Energie dafür habe. Okay. Ganz ehrlich. Ich sag Leuten nicht gern, was sie tun sollen. Aber bitte, wenn ihr die Demokratie stärken wollt und er es euch leisten könnt, dann gebt Geld für guten Journalismus aus, egal welchen. Gerade jetzt überlegt euch, wofür ihr sonst so regelmäßig Geld ausgibt und wie hoch Journalismus da fällt. Eine gute Faustregel Wenn ihr mehr Geld für Streaming ausgibt als für Journalismus. Das könnte man vielleicht mal überdenken. Und wenn euch diese Podcast gefällt, dann könnt ihr Geld für diesen Journalismus ausgeben und zwar unter netzpolitik.org/spenden. Jedes bisschen hilft. Okay, das war’s.
Die Letzte Generation
Serafin Dinges: Alexander wartet jetzt also auf seinen Gerichtsprozess zu den Vorwürfen von Pimmelbeleidigung bis hin zu auf Bäume klettern. Aber während Alexander darauf wartet, eskaliert der Konflikt zwischen Klimaaktivist:innen und Staatsschutz noch weiter bis auf die nationale Ebene.
Nachrichtenausschnitte: Klimaaktivisten der sogenannten letzten Generation haben am Morgen den Flughafen München vorübergehend lahmgelegt.
Nachrichtenausschnitte: nach einzelnen Protesten vergangene Woche hatten die Klimaaktivisten angekündigt, von heute an den Verkehr in der Hauptstadt lahmlegen zu wollen.
Nachrichtenausschnitte: Tag 18 Ohne Essen im Herzen des Berliner Regierungsviertel greifen junge Klimaaktivisten in einem Park zu einem radikalen Mittel, damit die Politiker ihre Anliegen ernst nehmen und damit den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, mehr für den Klimaschutz zu tun.
Nachrichtenausschnitte: Die Sorgen der jungen Menschen sind nicht aus der Luft gegriffen. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt zum Schluss, dass mit keinem der großen Parteiprogramme die Klimaschutzziele zu erreichen sind.
Serafin Dinges: Die letzte Generation. Viele dürften Sie als Klimakleber kennen. Sie sind bekannt für kontroverse Aktionen, um Aufmerksamkeit auf die Klimakatastrophe zu lenken. Dabei überschreiten sie oft Grenzen, persönliche und gesetzliche. Die Klimaaktivistin in Augsburg, die sehen die letzte Generation teilweise kritisch erklärt. Und Ingo Blechschmidt.
Ingo Blechschmidt: Die letzte Generation hatte sich dann halt irgendwann gegründet. Und wir haben wir und ganz viele Gruppen in Deutschland haben das halt so aus dem Augenwinkel verfolgt. Davor gab es ja diesen Hungerstreik, der in Teilen der Szene auch scharf kritisiert wurde, nach dem Motto Aktivismus ist ja kein Sprint, sondern ein Marathon. Es bringt jetzt nichts, Hunger zu streiken und sich selbst fertig zu machen. Man muss ja noch vier Jahre aktiver, aktiver sein.
Serafin Dinges: Bei Fridays of Future Augsburg, da liegt der Fokus auf eine Art von Aktivismus, der für möglichst viele Leute zugänglich sein soll. Man will vor allem ins Gespräch kommen. Und so entwickeln sich die beiden Bewegungen parallel.
Ingo Blechschmidt: Jedenfalls sahen wir das so aus dem Augenwinkel quasi verfolgt. Und irgendwann habe ich die Anfrage bekommen von der sich gründenden letzten Generation, ob ich Telefondienst für die letzte Generation machen möchte.
Serafin Dinges: Bei den Schüler:innenstreiks in Augsburg. Da war er einer der wenigen Volljährigen, die von Anfang an dabei waren und deshalb hat er auf Demos angemeldet, rechtliche Verantwortung übernommen. Und weil Ingo ein geduldiger Typ ist, der auch gerne mit Kritiker:innen spricht, steht seine Telefonnummer bei ganz vielen Websites im Impressum. Steht da immer noch Befreites vor? Future beim Klimacamp? Und deshalb sagt er dann auch Ja, als ihn die letzte Generation danach fragt, ob er Telefondienst machen will.
Ingo Blechschmidt: Die meisten Anrufe fangen so an, dass ich in den ersten zwei Minuten Morddrohungen abbekomme. Wenn. Wenn ich euch erwische, ich gebe Gas, wenn ich raus bin, wo dann Familie wohnt. Also, was? Ähm, das. Das höre ich mir an und dann kläre ich Missverständnisse auf, dass die letzte Generation nicht als Ziel hat, alle Autos zu verbrennen, die es auf der Welt gibt. Und durch diese Missverständnis Aufklärung sind die Leute dann auch so überrascht und überrumpelt, dass dann ein gutes Gespräch in sehr vielen Fällen möglich ist. Das ist die häufigste Art von Gespräch. Endet das dann nach 40 Minuten damit, dass Sie der letzten Generation viel Erfolg wünschen? Es gibt natürlich auch welche, die legen auf nach den Morddrohungen oder obwohl ich es so gut wie es kann versuche kommt. Kommt das Gespräch nicht auf einen grünen Zweig, aber der häufigste andere Anruf ist Morddrohung am Anfang und viel Erfolg am Ende.
Hausdurchsuchung, die nächste… und nächste
Serafin Dinges: Aber dann passiert es wieder. Und zwar bei Ingo.
Ingo Blechschmidt: Das war um 7:00 in der Früh.
Serafin Dinges: Es ist im Mai 2023.
Ingo Blechschmidt: Und meine Freundin stand paar Minuten vor mir auf. Die musste zur Schule. Sie ist Lehrkraft an einem Gymnasium und sie meinte noch zu mir, ich soll nicht erschrecken, wenn es an der Tür klingelt, weil sie erwartet ein Paket und ich kann einfach öffnen. Und mehr oder weniger direkt. Als sie das gesagt hat, hat es an der Tür geklingelt und es auch noch durch den Türspion. Und siehe da, die Polizei.
Serafin Dinges: Ist zu diesem Zeitpunkt bei seiner Freundin in einer winzigen Wohnung. Eine Ein Zimmer Wohnung, also wirklich ein Zimmer, in dem Bad und Küche sind. Daneben ein kleines Bad.
Ingo Blechschmidt: Dann hat die Polizei angefangen. Es waren viele Beamte hier drin. Nicht alle von den 15 paar haben auch die ganze Zeit draußen gewartet und haben dann hier angefangen sich auszubreiten. Angefangen sich angefangen Sachen anzuschauen. Ähm. Und nach paar Minuten wurde mir dann eröffnet, was eigentlich Sache ist. Das eben, dass das eine Hausdurchsuchung ist, dass ein Gerichtsbeschluss vorliegt zur Konfiszierung von allen möglichen technischen Geräten und außerdem allem, was nach Spendengeldern aussieht. Meine Freunde und ich saßen dann hier auf dem Bett und haben haben da erstmal zugeschaut.
Serafin Dinges: Die Polizist:innen suchen nach elektronischen Geräten. Für Ingo erschließt sich nicht so richtig, wonach gesucht wird und warum überhaupt ermittelt wird. Was Ingo hier noch nicht weiß An diesem Tag werden die Wohnungen von mehreren Mitgliedern der letzten Generation durchsucht.
Ingo Blechschmidt: Seit dem frühen Morgen durchsuchen Ermittler Wohnungen und Geschäftsräume der letzten Generation wie hier in Berlin. Der Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft.
Alexander Mai: München die Bildung bzw Unterstützung.
Ingo Blechschmidt: Einer kriminellen Vereinigung, bei der Carla Hinrichs die Aussage der Pressesprecher der letzten Generation, die wurde ja am selben Tag auch aus durchsucht und der haben sie ja sogar mit gezogener Waffe eröffnet. Worum es geht, das haben sie bei mir nicht gemacht. Alle Dienstwaffen blieben in den Halfter eingesteckt, aber ich habe einfach das Gefühl, dass es da auch viel um Einschüchterung und und auch öffentliche Stimmungsmache geht.
Serafin Dinges: Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte an diesem Morgen veranlasst, dass 15 Orte in sieben Bundesländern durchsucht werden und sie hatten die Website der letzten Generation beschlagnahmt. Dort stand dann.
Sprecherin: Die letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß Paragraf 129 StGB dar. Spenden an die letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar.
Serafin Dinges: Diese Formulierung, das wissen wir heute, die ist nicht okay. Nach wie vor geht die letzte Generation nämlich nicht als kriminelle Vereinigung. Es gibt dazu noch kein Gerichtsurteil, und viele Jurist:innen zweifeln an dem Verdacht. Die Generalstaatsanwaltschaft München rammt hier später Fehler ein. Und bei Ingo? Da weckt der gesamte Trubel schon wieder den Verdacht. Die Hausdurchsuchungen. Sie werden hier nicht gemacht, um irgendwelche Beweise sicherzustellen und zu ermitteln, sondern um einzuschüchtern.
Ingo Blechschmidt: Mir wird vorgeworfen, im Rahmen der Hausdurchsuchungen, dass ich kriminelle Vereinigungen gegründet haben soll, sogar im Plural, heißt es in der Überschrift von diesem Dokument.
Serafin Dinges: Ich meine jetzt nicht unbedingt so absurd, wenn du im Impressum stehst, oder?
Ingo Blechschmidt: Ja, das. Das magister schon sein, dass das akzeptiert schon. Aber man kann natürlich ein bisschen weiterdenken. Also erstens welche tatsächlich kriminelle Vereinigung setzt in Ihren Chef auf der Webseite ins Impressum? Also welche Mafia oder so was macht das? Kommt mir. Wenn ich dann also weiter drüber nachdenke, unglaubwürdig vor. Und ansonsten? Die letzte Generation ist ja eine unglaublich transparente Vereinigung. Es gibt eine Kerngruppe aus sechs Menschen und die hält sich aber nicht im Verborgenen auf, sondern jeder, der sich für Gesetze interessiert, weiß halt, wer diese sechs Menschen sind.
Serafin Dinges: Ingo sagt, er ist kein offizielles Mitglied der letzten Generation, hat nur Telefondienst gemacht und trotzdem wird er durchsucht. Und nicht nur er wird durchsucht.
Gotlind Blechschmidt: Ich lag noch im Bett und hab mir überlegt, was ich so den Tag über jetzt alles machen werde.
Serafin Dinges: Auch bei Ingo Mutter Gutlind Blechschmidt steht die Polizei auf der Matte, denn da ist Ingo noch immer gemeldet. In der vorigen Folge, da wurde Godwins Haus schon einmal wegen ihres Sohnes durchsucht. Damals dachte sie, es kämen Handwerker. Diesmal dachten sie aber nicht, dass es Handwerker sind.
Gotlind Blechschmidt: Nein, diesmal wusste ich sofort, dass es Polizisten sind. Genau.
Serafin Dinges: Und was dachten Sie dann? Als sagten Sie warum?
Gotlind Blechschmidt: Das war mir nicht klar. Aber es gehen einem der viele Gedanken durch den Kopf. Das ist ganz komisch. Ich dachte mir auch Gott sei Dank, es sind nicht nur zwei. Weil wenn es zwei sind, dann überbringen die mir jetzt vielleicht eine ganz schlimme Nachricht. Aber es war neun oder so und dann dachte ich Ja gut, dann wird es wohl. Ich glaube, es fiel mir dann sofort ein, Das wird dann wohl wieder eine Hausdurchsuchung sein.
Serafin Dinges: Die Polizist:innen erklären ihr, dass ihr Sohn Teil einer kriminellen Vereinigung sein soll. Fast dreieinhalb Stunden wird das Haus von. Ingos Mutter durchsucht.
Gotlind Blechschmidt: Konkrete Idee hatten sie nicht. Es war ja eine bundesweite Razzia, und die fand ja da und dort statt. Und ich glaube, die haben alle auf Geratewohl gesucht.
Serafin Dinges: Und hinterher erfährt Gotland, dass für mindestens drei Monate ihr Telefon abgehört wurde.
Gotlind Blechschmidt: Ja, das fand ich schon blöd, weil mich ohne meinen, ohne mein Wissen zu meine Telefonate zu überwachen. Also das ist ja skandalös.
Serafin Dinges: Wussten Sie vorher, dass so was überhaupt möglich ist?
Gotlind Blechschmidt: Äh. Ja. An und für sich. Nein. Also. Nein. Na ja, gut. Ich nehme schon an, dass die Polizei bei irgendwelchen Schwerverbrechern oder wenn Sie jemanden in Verdacht haben, dass Sie das dann vielleicht machen können. Das könnte schon sein, dass ich das wusste. Aber nun, bei mir, ausgerechnet da ich keine Schwerverbrechern bin und überhaupt keinen, keinen Anlass dazu bestand, dass ich irgendwie verdächtig bin, finde ich das unkorrekt.
Serafin Dinges: Gotland ist sich sicher, dass weder Sie noch ihr Sohn etwas Falsches getan haben. Ein gutes Gewissen ist ein gutes Ruhekissen, sagt sie mir am Telefon. Umso mehr ist sie empört über die viele Aufmerksamkeit, die sie während und in den Wochen nach der Hausdurchsuchung bekommen hat.
Gotlind Blechschmidt: Und es wurde auch mein Haus im Fernsehen gezeigt. Es kam dann ein einer verschiedene von Fernsehanstalten, und die haben dann von der Straße aus gefilmt. Ich habe sie gebeten, ob sie nicht das Filmen einstellen lassen. Aber nein, das sei öffentlicher Grund und da können sie filmen usw. Also das war dann auch unangenehm.
Serafin Dinges: Durch die viele Aufmerksamkeit wurde auch Godlins Adresse öffentlich. In einem so aufgeheizten Klima fühlte sie sich dadurch sehr wohl nach Rabe.
Gotlind Blechschmidt: Ein paar Wochen später wurde wurden meine Holten, wurden meine Zaunpfosten besprüht und an einer Mauer gleich bei mir gegenüber wurde dann hingedreht. Klimaterrorist Ingo Böll. Und dann mit einem Pfeil nach rechts. Nummer fünf. Also es war alles schon unangenehm.
Serafin Dinges: Und auch Ingo erfährt nach der Hausdurchsuchung, dass er überwacht wurde oder vielleicht immer noch wird. Sicher ist er sich da nicht.
Ingo Blechschmidt: Und ansonsten? Sie haben ja mein Handy überwacht, für mindestens sechs Monate. Ich habe nicht schwarz auf weiß, dass sie mich immer noch überwachen. Aber ich habe auch nicht schwarz auf weiß, dass Sie es nicht mehr tun. Ich gehe davon aus, dass es immer noch machen. Sicherheitshalber. Und daraus konnten Sie ja dann auch ablesen, was meine Rolle ist. Nämlich konnten Sie hören, wenn ich wenn Presse anruft und was von der Nation will, dass ich sage Sorry, ich leite das gerne weiter, aber ich kann keine Auskunft geben. Oder wenn die ganzen Bürger ihn anrufen und ich dann sage ich mal Telefon für die letzten 42 Minuten mich mit denen unterhalte. Und sie wissen eben auch, dass kein einziges strategisches Gespräch da war, wo sich führende Köpfe der letzten Generation unterhalten, wie sie jetzt weitermachen wollen oder so was.
Alexander Mais Urteil
Serafin Dinges: Ob die letzte Generation nun eine kriminelle Vereinigung ist, darüber wird man sich wohl noch länger streiten. Die Gerichtsverhandlung steht noch aus. Eine andere Gerichtsverhandlung, aber die ist mittlerweile vorbei. Anfang März 2024 wurde in den vier Fällen von Alexander May ein Urteil getroffen. Also wegen der Pimmelgeschichte, wegen der Veröffentlichung von Dokumenten, wegen der Protokolle in den Stadtratssitzungen und wegen dem Klettern auf Bäume. Es war aber gar nicht so wirklich ein Urteil, sondern eher eine Vereinbarung.
Alexander Mai: Wie jetzt gerade so gut wir sind. Aber ich bin sehr zufrieden.
Serafin Dinges: In den Tagen vor der Gerichtsverhandlung hatten sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft auf einen Deal geeinigt. Alexander bekennt sich schuldig zu den Beleidigungen in den Protokollen, der Veröffentlichung der Dokumente und des Hausfriedensbruch wegen der Bäume. Dafür soll er 1.200 € Strafe zahlen. Die Vorwürfe wegen der Beleidigung des AfD Stadtrats Andreas Jurca, wegen denen seine Wohnung durchsucht wurde, die wurden fallen gelassen und damit endet Pimmelgate Süd genauso wie Pimmelgate Nord. Erstaunlich schlapp. Rechtsanwältin Sulzberger.
Martina Sulzberger: Das heißt auch im Umkehrschluss Also entweder ist da gar nichts dran oder aber so wenig, dass wir es einfach außer Acht lassen können. Und das ist hier passiert. Das heißt, wir haben diesen ganzen Teil mit diesem Wir Geld weg beschränkt und uns auf die anderen Sachen konzentriert.
Serafin Dinges: Wir wissen nicht, ob der Konflikt zwischen Klimacamp und Augsburg hiermit schon seinen Höhepunkt erreicht hat. Ob das wirklich alles war oder nur der Anfang von viel mehr. Bei einer ersten Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen die letzte Generation kommt Ingo nicht vor. Andere Anklagen stehen noch aus. Und das Klimacamp vor dem Rathaus? Das besteht weiter. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die ganzen Razzien und Maßnahmen gegen Klimaaktivist:innen. Haben Sie eigentlich was bewirkt? Die Klimaaktivist:innen. Die machen weiter. Nur ihre Einstellungen haben sich verändert. Der Janika Pondorf aus der letzten Folge.
Epilog
Janika Pondorf: Also ich muss sagen, mein Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat hat sich verändert. Es ist strategisch wahrscheinlich nicht besonders schlau gewesen von der Polizei, das so zu machen, weil ich vorher wirklich ein sehr positives Bild von der Polizei hatte. Das hat es dann natürlich erschüttert, dieses Bild mittlerweile. Ja, habe ich dann nicht mehr dieses Urvertrauen?
Alexander Mai: Ich meine, am Ende ist es ja immer eine Risikoabwägung. Ich will ja eigentlich auch nie eine Straftat begehen, aber als Aktivist begeht man eigentlich erst dann Straftaten, wenn man das Gefühl hat, dass man dadurch schlimmere Straftaten verhindert oder zumindest moralisch gesehen schlimmere Sachen durch das durch die Politik oder durch andere Akteure, die vielleicht sich im legalen Rahmen bewegen, aber trotzdem leben oder Lebensgrundlagen zerstören.
Janika Pondorf: Wenn man mit legalen Protesten sowieso auch rechtliche Probleme bekommt, warum sollte man dann weiterhin legale Proteste wählen? Ein Grund dafür wäre, dass es gesellschaftlich akzeptiert ist, egal Protest zu machen. Und deswegen halte ich es nach wie vor für wichtig, auch legale Proteste anzubieten. Aber ob ich persönlich mein ganzes Leben lang nur auf legale Proteste zurückgreifen werde, ist die andere Frage.
Serafin Dinges: Die Aktivist:innen wenden sich also zivilem Ungehorsam zu. Bäume besetzen, Statuen dekorieren. So was kann illegal sein, aber in ihren Augen ist es nicht illegitim. Sie wollen etwas besser machen innerhalb des Systems und werden dafür behandelt. Wie Gegner:innen des Systems finden sich plötzlich auf der anderen Seite wieder. Es ist schon seltsam, wenn Außenseite und Innenseite so ineinander übergehen, fast wie bei so einem Möbius Band.
Alexander Mai: Also so richtig cool. Aber jetzt hier wird es kompliziert. Jetzt habe ich zwei mal halbiert. Das Möbius Band könnte ein Teil sein. Scheint noch ziemlich chaotisch. Es wird gleich cool.
Ingo Blechschmidt: Oh mein Gott, sind das etwa 2 verschlungene Herzen?!
Alexander Mai: Zwei verschlungene Herzen.
Ingo Blechschmidt: Oh mein Gott, wie süß!
Alexander Mai: Zwei Herzen. Das kann man. Kann man schon noch mal verschenken.
Serafin Dinges: In diesem Podcast haben wir Menschen getroffen, bei denen plötzlich die Polizei auf der Matte steht, ohne Einladung. Und dann sind die Polizist:innen eingedrungen. In die Wohnung, in die Handys, in die Privatsphäre. Das passiert nicht einfach nur, weil das Gesetz es erlaubt. Das Gesetz ist nichts ohne die Menschen, die es anwenden. Es waren Menschen, die entschieden haben. Ja, hier soll eine Razzia passieren. Und hier auch. Und hier noch eine. Razzien gegen linke Journalist:innen. Gegen Kirchenasyl. Gegen Geflüchtete. Gegen Klimaaktivist:innen. Da waren Beamt:innen bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft. Da waren Richter:innen, die entschieden haben Ja, wir machen das jetzt so! Und so wird aus vielen Entscheidungen ein System. Ein System, in dem bestimmte Menschen sich nicht sicher fühlen wegen ihrer Einstellungen, wegen ihrer Herkunft. Ein System, das sie als Gefahr sieht, obwohl sie sich selbst überhaupt nicht gefährlich finden.
Andreas Reimann: Sie arbeiten ja nicht für Geld, dann haben Sie ja wohl andere Interessen.
Fabian Kienert: Linke Medienarbeit ist nicht kriminell.
David: Viele, die sind verrückt geworden. Viele, die sind wieder kriminell.
Sandra Menzel: Die christlichen Grundsätze auch. Und der Nächstenliebe. Das hat sich ja nicht verändert. Meine Theologie hat sich nicht verändert.
Andrej Holm: Und du eigentlich immer mit denkst, wie Dritte das interpretieren könnten, was du gerade erzählst und berichtest.
David: Verflucht, dieser Platz. Ehrlich, sage ich, ist verflucht.
Serafin Dinges: Noch ein schnelles Update. Erinnert ihr euch an Folge eins unseres Podcasts Linksextremismus? Der Journalist von Radio Dreyeckland, der vor Gericht musste, weil er einen Link gesetzt hat auf linksunten.indymedia.org. Am 6. Juni fiel vor dem Landgericht Karlsruhe sein Urteil: Es war ein Freispruch. Danke, dass ihr bis hierhin gehört habt. Wir sind noch nicht ganz fertig. Nächste Woche haben wir noch eine Folge für euch. Ein Gespräch mit Rechtsanwältin Analog a. Wir fragen Sie. Was tun, wenn es plötzlich bei mir an der Tür hämmert? Wie komme ich am besten durch so eine Hausdurchsuchung? Welche Rechte habe ich? Und Antworten auf alle Fragen, die ihr uns in den letzten Wochen so geschickt habt.
Serafin Dinges: Systemeinstellungen ist eine Produktion von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Host und Producer bin ich Serafin Dinges. Redaktion Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck. Titelmusik von Daniel Laufer. Zusätzliche Musik von Blue Dot Sessions und mehr. Cover Design Lea Binsfeld. Besonderen Dank an Lara Seemann und Lena Schäfer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann freuen wir uns sehr über eine gute Bewertung. Und wenn ihr ihn an Freund:innen weiterempfehlt.
Sprecherin: Systemeinstellung ist ein Podcast von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Netzpolitik.org macht mit dieser Arbeit keinen Gewinn und Spenden finanziert schon ein paar Euro im Monat. Helfen beim Kampf gegen Überwachung, Netzsperren und digitale Gewalt für Transparenz, Datenschutz und digitale Rechte. Wenn du diese Arbeit unterstützen willst, spende jetzt unter netzpolitik.org/spenden.
Kurzer Hinweis: diese neue Folge Nr. 6 ist noch nicht im RSS-Feed aufgetaucht!
Danke für den Hinweis, inzwischen sollte sie da sein.
Ich weiß nicht, aber die hilflosen Rechtfertigungsversuche der Behörden erinnern an dunkelste Zeiten, die wir nie wieder haben wollen. Beamte, die sich damit rechtfertigen, nichts Illegales gemacht zu haben und nur Befehle befolgt hätten. Nicht nur für die Betroffenen bricht langsam eine Welt zusammen…