Simone Ruf engagiert sich als Teil der Zivilgesellschaft bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Sie erklärt im Gespräch, wie Sachverständige in Ausschüssen des Bundestags oder in Länderparlamenten politische Vorhaben bewerten und wie solche Sachverständigenanhörungen ablaufen.
Das gekürzte Transkript des Gesprächs stammt aus dem Podcast „Dicke Bretter“, der alle zwei Monate erscheint. Es geht darin um politische Willensbildung und um die Entstehung von Gesetzen, Richtlinien oder Konventionen bei digitalen Themen sowie um die Institutionen, Akteure und Organisationen, die daran mitwirken. In Zusammenarbeit mit dem Chaosradio des Chaos Computer Clubs erscheint bei netzpolitik.org ein Auszug aus der aktuellen Ausgabe von „Dicke Bretter“: ein Gespräch zwischen Simone Ruf, Elisa Lindinger und Constanze Kurz über die Abläufe bei Anhörungen im Bundestag und von wem Sachverständige eingeladen und befragt werden. Kommt tatsächlich ein Dialog zwischen Volksvertretern und Experten in Gange?
Simone Ruf ist promovierte Juristin und arbeitet als Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind derzeit Überwachungsthemen.
Sachverständige in Anhörungen
Constanze Kurz: Wir sprechen heute über Sachverständigenanhörungen, beispielsweise in Ausschüssen im Bundestag. Elisa und ich haben in den vergangenen Jahren schon einige Erfahrungen darin gesammelt. Wir wollen erstmal erklären, wie eine solche Anhörung abläuft.
Elisa Lindinger: Simone, in welchem Ausschuss warst du jüngst, von welchem Parlament?
Simone Ruf: Ich war als Sachverständige im Innenausschuss des Bundestags. Man hat dort nur drei Minuten Zeit für ein Eingangsstatement. Zum Teil sind auch Sachverständige zugeschaltet. Nach den Eingangsstatements geht es mit einer Fragerunde los, die aber auch zeitlich stark beschränkt ist. Man hat dann jeweils zwei Minuten Zeit, um zu antworten.
Constanze Kurz: Elisa, war das bei deinen Anhörungen als Sachverständige auch so?
Elisa Lindinger: Was den Bundestag angeht, hatte ich eine bis zwei Minuten mehr Zeit als Simone. In der letzten Legislaturperiode war ich im Ausschuss Digitale Agenda, in dieser Legislaturperiode im Ausschuss für Digitales. Da waren es jeweils vier bis fünf Minuten, die wir anfangs Zeit hatten …
Constanze Kurz: … und von den Sachverständigen auch ausgenutzt wurde?
Elisa Lindinger: Bei mir zumindest waren alle sehr diszipliniert. Du merkst schon, dass die Leute, die dort reden, diese Chance ernst nehmen und sich darauf sehr intensiv vorbereiten. Fünf Minuten oder auch drei Minuten sind keine lange Zeit. Das heißt: Ich muss wirklich durchdenken, was die Kernpunkte sind, die ich rüberbringen möchte in dieser kurzen Redezeit, die mir auf jeden Fall zusteht.
Schriftliche Stellungnahmen
Constanze Kurz: Zusätzlich zur mündlichen Stellungnahme gibt es auch schriftliche Stellungnahme. Simone, hattest du bei deiner Anhörung eine schriftliche Stellungnahme abgegeben?
Simone Ruf: Ja, ich habe eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Sie ist vor allem für die Abgeordneten gedacht, damit sie ihre Fragen darauf aufbauen können.
Constanze Kurz: Hattest du den Eindruck, dass die Abgeordneten die Stellungnahmen gelesen haben? Hast du Punkte aus deiner schriftlichen Stellungnahme wiederholt?
Simone Ruf: Ich weiß nicht, ob alle wirklich alles lesen und in welcher Detailliertheit. Um die eigenen wichtigen Punkte machen zu können, ist es wichtig, im Eingangsstatement kurz die Chance zu nutzen, um den Fokus auf die Argumente zu legen.
Constanze Kurz: In diesem Fall ging es um keinen konkreten Gesetzentwurf, sondern um einen Antrag der Opposition. Warum musste der Innenausschuss tagen?
Simone Ruf: Die Opposition, also konkret die Fraktion aus CDU und CSU, wollte, dass der Bundestag beschließt, dass Palantir-Software auch auf Bundesebene eingesetzt werden darf.
Constanze Kurz: Worum ging es bei deinen Anhörungen, Elisa?
Elisa Lindinger: Die Anhörung in diesem Sommer fand auch auf Antrag der Oppositionsfraktion statt. Es ging um das Thema Datenschutz. Ich versuche es mal neutral zu formulieren: Es ging darum, inwieweit es ein Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Innovation gibt. Es war nicht nur die Zivilgesellschaft vertreten, sondern eine ganze Reihe von Sachverständigen aus unterschiedlichen Bereichen.
Constanze Kurz: Hatte die Anhörung einen bestimmten Zweck? Bei Simone gab es zum Beispiel ein bestimmtes Ziel, der Bundestag solle etwas beschließen. War das bei dir auch so?
Elisa Lindinger: Es war vage. Die Anhörung fand relativ kurze Zeit nach der Bundestagsanhörung zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes statt. Insofern war das eine gedoppelte Diskussion.
Im Bundestag
Constanze Kurz: Wir haben jetzt die Situation ungefähr beschrieben. Wir wollen nun darauf kommen, wie der gesamte Prozess im Bundestag abläuft. Wir haben Ausschüsse wie den Innenausschuss, das haben wir schon in anderen Folgen der „Dicken Bretter“ besprochen. Hier wird im Wesentlichen die Gesetzgebung für zum Beispiel die Polizei oder für die Geheimdienste besprochen. Bei Elisas Beispielen waren es hingegen Ausschüsse, die teilweise mehrere Ministerien betreffende Themen behandeln.
Aber der eigentliche Hintergrund einer Sachverständigenanhörung ist ja zunächst mal ein Erkenntnisinteresse: Man möchte Experten zusammenholen, deren juristische, aber auch andere Einschätzungen hören. Simone, hattest du den Eindruck, dass du als Expertin mitwirkst an der politischen Meinungsbildung?
Simone Ruf: Ich glaube, das ist schon eine Chance, die eigenen Argumente und die eigene Sichtweise darzustellen. Ich hatte den Eindruck, dass es viel um Sachkunde einbringen geht.
Constanze Kurz: Wer hat dich zur Anhörung geladen?
Simone Ruf: Die offizielle Einladung kommt immer vom Ausschuss selbst. Grundsätzlich wird man aber von den Fraktionen vorgeschlagen. Sie können Sachverständige benennen, die dann eingeladen werden sollen. In diesem Fall wurde ich von den Grünen eingeladen.
Constanze Kurz: Also du bist von der Regierungsseite eingeladen worden. Elisa, war das bei dir auch so?
Elisa Lindinger: Bei mir war es die SPD-Bundestagsfraktion, die mich eingeladen hat.
Wer lädt ein?
Constanze Kurz: Seid ihr jemals von der Opposition eingeladen worden?
Elisa Lindinger: Bei mir war es das erste Mal, dass ich von einer Regierungsfraktion eingeladen wurde. Vorher war es die Linke, die zivilgesellschaftliche Stimmen reinholen wollte.
Constanze Kurz: Macht es einen Unterschied, wenn man regierungsseitig berufen ist?
Simone Ruf: Ich habe keinen Unterschied gemerkt, vielleicht nur an der Anzahl der Fragen, die man bekommt. Die Linke kann in den Sachverständigenanhörungen nicht mehr viele Fragen stellen.
Stellungnahmen
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Constanze Kurz: Du hast am Anfang erwähnt: Es gibt die Eingangsstatements und dann eine Form von Dialog. Wie läuft es danach weiter?
Simone Ruf: Es geht reihum. Bei mir gab es pro Fraktion zwei Fragen in den ersten beiden Runden. Dann kommt noch eine schnelle Runde am Schluss. Als sachverständige Person hat man trotzdem nur zwei Minuten Zeit, um zu antworten.
Fragerunden
Constanze Kurz: Elisa, gab es in deiner letzten Anhörung eher Dialog oder war es auch so sehr aufgeteilt nach Fraktionen?
Elisa Lindinger: Die Fragen in der zweiten Runde kommen eigentlich nur von der Fraktion, die einen eingeladen hat, insofern keine Diskussion. Es gibt eine Fraktion, die strukturell Probleme hat, Sachverständige zu bekommen, aus nachvollziehbaren Gründen: Das ist die AfD. Sie fragen manchmal gar nichts, manchmal fragen sie andere Sachverständige. Darauf reagieren die Sachverständigen sehr unterschiedlich. Manche beziehen konkret Stellung, dass sie der AfD-Bundestagsfraktion keine Antwort geben wollen, wie das letztens die großartige Aline Blankertz von Wikimedia gemacht hat.
Constanze Kurz: Hast du das ähnliches erlebt, Simone? Wie war das mit der AfD?
Simone Ruf: Sie haben mir keine Fragen gestellt. Allerdings gibt es noch eine neutrale Instanz, an die Fragen von allen Fraktionen gestellt werden. Das war der Bundesbeauftragte für Datenschutz, in meiner Anhörung noch Ulrich Kelber.
Constanze Kurz: Meine Erfahrung in den letzten Anhörungen war, dass Kelber eher selten gefragt worden ist. Ich möchte auch kurz einbringen, dass die jetzt beschriebene Anhörungsform nicht immer so war. Früher habe ich das als dialogischer erlebt. Gerade bei Themen, die neu waren, wurde über Fraktionen hinweg gefragt. Leider beobachte ich das genau wie ihr in den letzten Jahren nicht mehr.
Elisa Lindinger: Wie erklärst du dir das?
Constanze Kurz: Mein Eindruck ist: Es ist ein hoher zeitlicher Druck da. Ich empfinde die Sachverständigenanhörungen zumindest teilweise als Simulation von Beteiligung. Die Zeit, als der Bundestag Technik als Neuland betrachtet hat, ist vorbei.
Ich habe oft frustrierende Momente erlebt, aber auch das Gegenteil. Deswegen würde ich euch gern fragen, wie es jenseits vom Bundestag läuft: Ihr wart auch schon in Landtagen bei Anhörungen, wie läuft es dort?
Simone Ruf: Ich war im Bayerischen Landtag. Das war weniger formalisiert. Es gab zwar auch eine Zeitbeschränkung, die wurde aber einfach überzogen. Es gab viel mehr Diskussion. Zum Beispiel war das Eingangsstatement, wenn ich mich richtig erinnere, zehn Minuten lang. Bei Fragen konnte man sich grundsätzlich auch selbst einschalten. Man konnte so auf die Aussagen der anderen Sachverständigen eingehen. Auch die Abgeordneten haben Fragen an mehrere Sachverständige gerichtet.
Elisa Lindinger: Meine Erfahrungen sind ähnlich. Im ersten Jahr der Pandemie war ich in Nordrhein-Westfalen im Landtag. Das war eine digitale Zuschaltung. Das Zuschalten war damals noch neu, vielleicht waren wir alle sehr achtsam miteinander. Ich fand das Gesprächsklima einfach sehr nett, es war eine sehr wertschätzende und gute Diskussion – vor allem auch eine Diskussion, die ihren Namen verdient.
Constanze Kurz: Ich habe auch Landtage als Sachverständige beraten. Es wirkt auf mich ein bisschen weniger eitel, mehr sachorientiert und weniger als Korsett, was die zeitlichen Beschränkungen angeht.
Aber ich habe auch Ausnahmen erlebt: In Hessen fand anlässlich des „Hessentrojaners“ eine große Sachverständigenanhörung statt, wo ich als Sachverständige mit dabei war. Da waren fast vierzig geladene Sachverständige. Dann wird es natürlich ein bisschen harscher, weil man stark auf die Regeln achten muss, damit nicht alle durcheinander reden. Es hängt also zumindest aus meiner Erfahrung auch mit der Menge der Sachverständigen zusammen.
Konkrete Gesetzentwürfe diskutieren
Constanze Kurz: Wie läuft eine Anhörung ab, wenn man einen konkreten Gesetzentwurf vor der Nase hat?
Simone Ruf: Dann sind häufig noch mehr Juristen dabei. Das liegt daran, dass es darum geht, rechtliche Grenzen zu markieren. Bei offen formulierten Anträgen ist hingegen ein bisschen mehr Raum für politische Forderungen und Argumentationen. Man ist dann nicht so gezwungen, auf rechtliche Grenzen einzugehen.
Bei der GFF kennen wir die rechtlichen Grenzen, kommunizieren aber darüber hinaus trotzdem politische Forderungen. Insofern ist eine Sachverständigenanhörung für uns eine gute Chance, um auch Forderungen reinzubringen und gleichzeitig zu markieren, wo rechtliche Grenzen liegen.
Bei Gesetzentwürfen ist eine Stellungnahme sehr aufwendig. Die Entwürfe sind häufig sehr lang, die Zeit ist beschränkt. Im besten Fall hat man vielleicht auch Formulierungen parat, wie man es besser machen könnte.
Elisa Lindinger: Du warst in einer Anhörung, wo ein konkreter Gesetzentwurf besprochen wurde. Was für ein Gesetzentwurf war das?
Simone Ruf: Es ging um das Datenschutzgesetz. In unserer Stellungnahme ging es auch um ein Verbot von biometrischer Fernidentifikation, das man darin mit aufnehmen könnte. Das war ein Vorschlag, den wir platzieren wollten.
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Constanze Kurz: Wie gehst du bei der Bewertung von Gesetzesentwürfen vor?
Simone Ruf: Im besten Fall beobachtet man das Thema länger und hat entsprechend schon Argumente entwickelt. Ansonsten ist immer die Frage, wer intern bereits dazu arbeitet oder ob andere NGOs bereits Positionen entwickelt haben, die man mit einbeziehen will.
Dann geht es natürlich um die konkrete Betrachtung der Regelungen, um eine umfängliche rechtliche Prüfung vorzunehmen. Sprich: der Abgleich mit Verfassungsrechtsprechung. Gleichzeitig muss man aber auch immer überlegen, was für Argumente sprechen dafür, dass man die Grenzen nicht unbedingt immer ausreizen muss, sondern vielleicht weiter weg von den juristischen Grenzen geht. Mit Gesetzgebung, die insbesondere Überwachungsbefugnisse betrifft, will man vielleicht nicht wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen.
Constanze Kurz: Wenn man sich die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden bei Überwachungsbefugnissen der letzten zehn Jahre ansieht, ist vieles davon in Sachverständigenanhörungen genau so schon benannt worden – nicht nur von Sachverständigen der GFF, sondern natürlich auch von anderen Juristen, die beispielsweise an Universitätslehrstühlen arbeiten.
Es gibt auch die Ausschüsse, in denen man ein Thema bespricht und sich eine politische und inhaltliche Meinung bilden will. Werden dann auch schriftliche Stellungnahmen abgegeben?
Elisa Lindinger: Ja, aufgrund der knappen Zeit allerdings recht kurze. Man bekommt vorher einen Fragenkatalog, in den die Fraktionen alle Fragen reingeben. Man wird dann aufgefordert, diese Fragen zu beantworten. Das ist in der Regel eine inhaltliche Bandbreite, die wahrscheinlich die Expertise jeder einzelnen Person übersteigt. Manche Sachverständige listen in ihren schriftlichen Stellungnahmen konkrete Fragen aus dem Katalog auf und nehmen dazu Stellung. Andere schreiben eher eine Art von Einschätzung zum Gesamtthema und referenzieren, welche Fragen sie wo beantworten.
Fristen werden knapper
Elisa Lindinger: Was verändert sich in den Ausschüssen?
Constanze Kurz: Mein Eindruck ist: Fristen werden knapper, immer alles auf den letzten Drücker. Da bleibt nicht wirklich Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die Zivilgesellschaft hat das bereits 2020 in einem offenen Brief klar benannt. Ein Teil der Zivilgesellschaft arbeitet ehrenamtlich. Eine der Forderungen war: mindestens vier Arbeitswochen für einen langen, komplexen Gesetzentwurf. Eine weitere Forderung war, dass der gesamte Prozess transparenter sein soll, also mehr Synopsen. Eine Synopse ist eine Gegenüberstellung der gesetzlichen Änderungen, damit arbeitet man leichter.
Besonders gut finde ich allerdings in letzter Zeit, dass alles gestreamt wird und man sich so die Anhörungen auch im Nachhinein anschauen kann.
Elisa Lindinger: Auch vor Ort kann man dabei sein. Man kann sich ein paar Tage vorher beim Ausschussbüro anmelden und dann auf der Tribüne oben sitzen und sich das angucken. Das ist ganz interessant, da sitzen immer wieder Leute.
Unterm Strich: Was ist eigentlich der Mehrwert für euch, um in diesen Ausschüssen dabei zu sein?
Simone Ruf: Ich finde es einfach eine große Chance, dass man als zivilgesellschaftliche Organisation etwas einbringen kann und dadurch auch Öffentlichkeit bekommt. Man kann auch Kritik und eigene Ansichten unterbringen und bekommt entsprechend Reichweite. Gleichzeitig hoffe ich schon, dass auch Rechtfertigungsdruck entsteht, wenn am Ende die Argumente doch nicht umgesetzt oder aufgegriffen werden. Trotzdem muss man immer in Kauf nehmen, dass Argumente in politischen Kompromissen untergehen.
Constanze Kurz: Ich würde es ähnlich sehen, trotzdem war ich öfter mal frustriert nach Anhörungen. Ich fand das immer eine Chance, denn man muss das Gespräch suchen und die Aufklärung, insbesondere bei technischen Themen. Ich habe es auch immer als Privileg empfunden.
Aber wie könnte ein gute Beteiligung von Experten, Zivilgesellschaft, aus der Wissenschaft aussehen?
Simone Ruf: Einen Aspekt hast du schon angesprochen: der zeitliche Aspekt. Wir hatten ein ganz krasses Beispiel: Es ging um die Reform zum BND-Gesetz, und wir hatten nur 24 Stunden für 88 Seiten Gesetzentwurf. Sowas darf eigentlich nicht sein.
Zeit ist immer ein Faktor, sowohl für die schriftlichen Stellungnahmen als auch in der mündlichen Anhörung. Wir haben ja gerade schon über die Unterschiede dazu gesprochen, wie Anhörungen in den Bundesländern ablaufen. Da kommt mehr Diskussion zustande, man ist nicht so gezwungen, eine Frage ganz kurz in zwei Minuten zu beantworten. Das wäre ein großer Aspekt, den man verbessern könnte.
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Constanze Kurz: Würdest du zustimmen? Fallen dir noch weitere Aspekte ein, die man in einer idealen Welt gern hätte?
Elisa Lindinger: Ich stimme auf alle Fälle zu, was die Arbeit im Vorfeld angeht: mehr Zeit, auch eine bessere Zurverfügungstellung von Dokumenten und Arbeitsständen, gerade wenn es um konkrete Gesetzesentwürfe geht. Es wird besser, aber ist immer noch verbesserungsbedürftig.
Ich würde auch wünschen, dass es eine Art von Nacharbeitung gibt. Da sind sieben mehr mit Expertise ausgestattete Menschen, die Standpunkte vertreten und Vorschläge machen. Das ist teilweise sehr konkret und begründet. Dann passieren manche Dinge aber trotzdem, manche Dinge werden umgesetzt oder nicht. Es gibt überhaupt keinen Referenzpunkt, an dem sich der Ausschuss oder die Ministerien oder das Kabinett, die dann die finalen Entwürfe fertigstellen, nochmal darauf beziehen. Du weißt nie: Wurde über meinen Punkt jetzt diskutiert oder ist das verhallt? Ich hätte das gern sichtbar gemacht: Was passiert eigentlich mit der Expertise, die wir einbringen. Klar ist das eine Mehrarbeit, aber ich glaube, das wäre im Sinne des respektvollen Miteinanders ein wichtiges Zeichen.
Constanze Kurz: 2020 gab es eine Initiative von vielen NGOs: Wir haben damals geschrieben, dass Sachverständigenanhörungen und generell die Hinzuziehung von Expertise nicht zur Simulation verkommen sollte. Ich fand das einen harten Begriff, aber manchmal hat man schon den Eindruck, dass eine Sachverständigenanhörung einfach stattfinden muss. Zwar ist es politisch von allen oder der Mehrheit der regierenden Parteien gewollt, dass etwas genauso kommt wie geplant, und eigentlich wollen sie die Gegenargumente nicht hören. Denn letztlich ist es das, was die Sachverständigen oft anbringen: nämlich Kritik. Da kommt selten mal ein Sachverständiger und sagt: „Ja, okay, finde ich super“, sondern sie haben an einzelnen Punkten große und kleinere Kritikpunkte.
Menschlich kann ich es auch verstehen: Es ist anstrengend, wenn man sich an dieser Kritik abarbeiten soll anstatt seine politische Agenda durchzubringen. Mit euren Vorschlägen würde man dieses Dilemma leider auch nicht lösen.
Elisa Lindinger: Wir sollten keine Expertokratie ins Leben rufen, ich glaube, das will niemand von uns. Aber vielleicht für mehr Transparenz zu sorgen, zum Beispiel zu sagen, das Gesetz wurde später vom Verfassungsgericht abgesägt, auch schon in den Stellungnahmen bei den Anhörungen wurde es zu Recht kritisiert.
Das macht Simone und das macht die GFF tatsächlich. Deswegen machst du großartige Arbeit, Simone.
Würdet ihr es wieder tun?
Constanze Kurz: Wenn ihr als Sachverständige eingeladen werdet, ihr würdet das nochmal tun, oder?
Simone Ruf: Auf jeden Fall.
Elisa Lindinger: Wenn es nicht die AfD ist. Ich habe das im Bundestag schon mehrfach gehört: Die AfD hat tatsächlich Probleme, Sachverständige einzuladen. Sie könnten oft zwei Sachverständige berufen, schaffen das aber nicht.
Constanze Kurz: Würdet ihr empfehlen, sich die Streams von den Anhörungen anzusehen?
Simone Ruf: Kommt wahrscheinlich auf das Thema an, aber ich finde, wenn ein Thema dabei ist, an dem man Interesse hat, dann ist das ganz interessant. Aber es ist vielleicht ein bisschen interessanter – wenn jemand in Berlin wohnt –, einfach reinzugehen und live dabei zu sein, dann bekommt man mehr Atmosphäre mit.
Elisa Lindinger: Man kann vielleicht auch die zivilgesellschaftliche Vertretung eurer Herzen ein bisschen unterstützen, denn es ist manchmal ganz schön aufregend und nervenaufreibend. Und zu wissen, es ist wichtig und Leute hören zu, das ist, finde ich, ein gutes Signal.
Constanze Kurz: Vielen Dank, dass du bei unserem Podcast „Dicke Bretter“ zu Gast warst, Simone!
Es gibt öffentliche und nicht öffentliche Anhörungen. Erstere werden live übertragen und stehen danach in einer Mediathek zur Verfügung.
https://www.bundestag.de/mediathek/live
Wenn man das Format formal betrachtet, so mag man sich fragen, was denn der Zweck der Veranstaltung sein soll, und inwieweit das Format dem überhaupt gerecht werden kann.
Wenn nur „eigene“ berufene Sachverständige befragt werden, dann erinnert das eher an Prozesse im Gericht, wo der Sachverstand der Gegenpartei auch nicht befragt werden will.
Zumal es schriftliche Stellungnahmen der einzelnen Sachverständigen gibt, und diese ebenfalls öffentlich zugänglich sind, ließen sich ja auch effektivere Befragungen innerhalb der Fraktionen organisieren, wenn es denn um einen zusätzlichen Transfer von Sachverstand ginge. Wozu also dieser Rahmen, wenn ein Dialog, auch zwischen den Fraktionen, nicht erkennbar ist?
Wenn der Zweck ein Schaufenster für die Öffentlichkeit sein sollte, dann ist das, was da wahrnehmbar ist, eher ein performantes Schaulaufen, und weniger ein Aushandeln unterschiedlicher Auffassungen zu einem besseren Kompromiss.
Wenn trotz Anhörungen von Sachverständigen dennoch Gesetze höchstrichterlich gerügt und gekippt werden müssen, dann war wohl auch die Anhörung von Sachverstand dysfunktional, diente aber dem unschönen Zweck einer Instrumentalisierung.