Daniel Gerber ist Sachse, hat Informatik studiert und wurde an der Uni Leipzig promoviert. Er war danach Start-up-Gründer. Dann wechselte er das Berufsfeld: Ab 2019 war er Abgeordneter im Sächsischen Landtag für die bündnisgrüne Fraktion. Dort bearbeitete er die Themen Digitalisierung, Energie- und Klimapolitik und war Sprecher für Digitalpolitik. Wir fragen ihn, warum er Abgeordneter wurde, und sprechen mit ihm über das sächsische Transparenzgesetz, die Open-Source-Strategie und die parlamentarischen Abläufe im Landtag – und auch über den Wahlabend.
Das Gespräch ist eine gekürzte Fassung des Podcasts „Dicke Bretter“. Wir wollen in dieser Podcastreihe anhand von Digitalthemen aufzeigen, wie politische Willensbildung vor sich geht und wie Gesetze entstehen. Das Gespräch zwischen Elina Eickstädt, Daniel Gerber und Constanze Kurz wurde bei den „Datenspuren“ in Dresden aufgezeichnet und ist auch als Podcast beim „Chaosradio“ erschienen.
Landespolitik in Sachsen
Elina Eickstädt: Diesmal soll es bei „Dicke Bretter“ um Digitalthemen in der Landespolitik gehen, konkret um Landespolitik in Sachsen. Unser Gast ist Daniel Gerber.
Constanze Kurz: Daniel, wie kommt man nach dem Informatik-Studium und ein paar Jahren in der Praxis mitsamt Unternehmensgründung in den Landtag? Wie läuft das praktisch ab, wenn man sich für digitale Themen interessiert?
Daniel Gerber: Ich hatte 2016 ein einschneidendes Erlebnis: Es sind in dem Jahr zwei Dinge passiert, die für mich besonders relevant waren. Das war zum einen der Brexit und zum anderen die Wahl von Donald Trump. Das hat mein Leben in gewisser Weise erschüttert, ich wollte damals irgendwas tun. Dann hat sich für mich die Frage gestellt: Aber wie? Die Antwort war, in die Politik zu gehen, und zwar bei den Grünen. Sie hatten die größte Schnittmenge mit meinem Denken.
Dann bin ich in die Parteipolitik gegangen. Wir waren 2016 ein sehr kleiner Landesverband, ich bin direkt nach sechs Wochen Mitgliedschaft Sprecher der Arbeitsgruppe Europa und Internationales geworden. Das habe ich zwei Jahre gemacht. Dann wurde ich Sprecher für Digitales und Medien, weil da mein Herz hängt.
Auf der Höhe der Klimaproteste 2019 gab es für mich die Möglichkeit, über die Landesliste bei den Grünen zu kandidieren. Mit meinem Informatik-Background habe ich eine politische Lücke bedient, die so niemand anders hat. Meinen damaligen Vollzeitjob habe ich quasi nach unten gestellt. Ich habe das nie bereut.
Ich empfehle jedem, in den Sächsischen Landtag zu gehen. Das ist eine absolut prägende Erfahrung. Es war eine große Ehre für mich, so viele Bürgerinnen und Bürger zu vertreten und für eine gerechtere Welt zu streiten.
Elina Eickstädt: Als Person, die den Politikbetrieb nicht kennt, fühlt sich der Einzug in den Landtag wahrscheinlich genauso an, wie als Aktivist das erste Mal mit dem Landtag zu tun zu haben. Wie ist es, da anzukommen und in die Strukturen reinzufinden? Wie viele Mitarbeitende hat man im Landtag?
Daniel Gerber: Ich befürchte, dass ich keine Standardantwort geben kann, weil diese Legislatur geprägt war von der Corona-Pandemie und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Ich bin als Basismitglied von heute auf morgen in Koalitionsverhandlungen gerufen worden. Du sitzt dann mit dem Verkehrsminister irgendwie am Tisch und musst verhandeln …
Constanze Kurz: … für die, die nicht aus Sachsen kommen: Koalitionsverhandlungen mit wem?
Daniel Gerber: Wir hatten in Sachsen eine sogenannte Kenia-Koalition, also eine Koalition aus CDU, Bündnisgrünen und SPD. Wobei die Wahlergebnisse in Sachsen so waren, dass die CDU die größte Fraktion war und SPD und Grüne ungefähr gleich groß, mit einem klitzekleinen grünen Vorsprung, auf den wir immer bestehen.
Hier in Sachsen hatten wir den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gewählt. Dann wurden im Landtag Ausschüsse gebildet, je nach den einzelnen Ministerien, die quasi in den Koalitionsverhandlungen verteilt wurden.
Constanze Kurz: In welchen Fachausschüssen warst Du?
Daniel Gerber: Ich war im Wirtschafts-, Arbeits- und Verkehrsausschuss und im Ausschuss Energie, Klima, Umwelt, Landwirtschaft. Und dann war Pandemie. Dann war nichts mehr mit Landtag, dann war nichts mit Kollegen kennenlernen. Wir waren in einer Sondersitzung im Messesaal, weil wir noch einen Nachtragshaushalt beschlossen hatten – mit selbstgenähten Corona-Masken und anderthalb Meter Abstand. Eine Einarbeitungszeit gab es nicht.
Wie der Gesetzgebungsprozess abläuft
Elina Eickstädt: Auf Landesebene sind die Parlamente für Schule und Bildung, Hochschulen, Polizei, Versammlungsrecht, Kultur, Medienpolitik und Kommunales zuständig. Es gibt einige Überschneidungspunkte mit dem Bund. Gibt es ein digitalpolitisches Gesetz, das du mit auf den Weg gebracht hast, das wir als Beispiel nehmen können, um zu erklären, wie der Gesetzgebungsprozess abläuft?
Daniel Gerber: Bei der Digitalpolitik fällt mir spontan das E-Government-Gesetz ein, das den digitalen Austausch innerhalb der Behörden regeln soll. Das haben wir aber in der Legislatur nicht geschafft, das ist ein schlechtes Beispiel.
Constanze Kurz: Vielleicht das Transparenzgesetz von Sachsen?
Daniel Gerber: Ja, wir nehmen das Transparenzgesetz als Beispiel. Was ist das überhaupt? Es ist quasi die kleine Schwester des Informationsfreiheitsgesetzes. Der Staat muss beispielsweise auf Anfrage von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern auf der Grundlage eines Informationsfreiheitsgesetzes bestimmte Informationen herausgeben, solange sie nicht Ausnahmetatbeständen im Gesetz widersprechen.
Ein Transparenzgesetz verpflichtet hingegen eine Regierung dazu, von sich aus der Öffentlichkeit diese Informationen zur Verfügung zu stellen.
In der Regel gibt es in der Gesetzgebung einen Prozess, der auf Regierungsseite angestoßen wird. Da schreiben die Fachreferenten in den Ministerien einen Referentenentwurf, beispielsweise für dieses Transparenzgesetz. In unserem konkreten Fall in Sachsen ist das Justizministerium, unter grüner Leitung von Katja Meier, dafür verantwortlich gewesen. Sobald es diesen Referentenentwurf gibt, wird er in die Ressortabstimmung gegeben oder innerhalb der verschiedenen von dem Gesetz betroffenen Ministerien verteilt. Dann gibt es ein oder zwei Feedback-Schleifen. In dem Fall des Transparenzgesetzes gab es eine knapp vierstellige Zahl an Änderungswünschen.
Es hieß, das mit dem Transparenzgesetz sei eine ganz schwierige Kiste, das können wir nicht machen, wir müssen das irgendwie verhindern. Das Abendland geht sonst unter! Nicht alles, aber ein Großteil der Änderungswünsche war politisch inszeniert, um das Gesetz zu verhindern, was nicht geschafft wurde.
Wir haben am Ende ein Transparenzgesetz geschaffen – in einer Koalition mit einem sehr konservativen CDU-Landesverband. Dass wir dabei nicht das Paradebeispiel für ein Transparenzgesetz in Sachsen auf die Beine stellen konnten, das war von vornherein klar. Aber mit dem, was rausgekommen ist, war ich sehr zufrieden. Auch unsere Landtagsfraktion und das Ministerium waren sehr zufrieden.
Das Gesetz regelt, wer was wo veröffentlichen muss. Aber es gibt auch einen Paragraphen darin zur sogenannten Transparenzplattform. Das ist quasi die Software, mit der dann tatsächlich die Informationen veröffentlicht werden. Ich gehe davon aus, dass das automatisch passiert. Und wir haben es in den Verhandlungen geschafft, dass diese Plattform – so wie das auch in anderen Bundesländern der Fall ist – hier entwickelt wird und auf Open-Source-Basis läuft.
Sachverständigenanhörungen
Constanze Kurz: Im Bundestag ist eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss üblich, war das im Justizausschuss in Sachsen auch so?
Daniel Gerber: Ja, das war hier auch so. Die Sachverständigenanhörung war wirklich eines der lehrreichsten Instrumente in dieser Parlamentsarbeit. Ich habe das immer sehr gerne gemacht.
Constanze Kurz: Wir können bei der Gelegenheit auf die Folge der „Dicken Bretter“ über Sachverständigenanhörungen verweisen.
Daniel Gerber: Ich persönlich hätte gern mehr Leute für die Sachverständigenanhörung eingeladen, aber ich hatte nur Vorschlagsrecht für eine Person.
Constanze Kurz: Im Bundestag ist mein Eindruck häufig folgender: Nach dem Referentenentwurf und der Ressortabstimmung, dann nochmal den Runden in der eigenen Koalition, ist der Drang nicht mehr sehr stark nach externen Sachverständigen, die vielleicht noch Sachen rausstreichen oder ändern lassen wollen, obwohl nun schon der lange Vorlauf war. Will man eigentlich wirklich hören, was Experten dazu sagen und ändern wollen? Oder möchte man das Gesetz eigentlich im Wesentlichen durchkriegen?
Daniel Gerber: Am Beispiel Transparenzgesetz hat die Sachverständigen-Aussage von der Gesellschaft für Freiheitsrechte nochmal Dinge zum Positiven verändert.
Ich jedenfalls wollte Sachverständige hören. Ich als Abgeordneter hatte ja in dem ganzen Prozess der Gesetzgebung bisher noch überhaupt keine Möglichkeit, externe Sachverständige zu diesem Gesetzentwurf zu hören. Das war zuvor alles sozusagen Regierungsseite, und da bin ich nicht dabei. Deshalb ist das meine Gelegenheit, nochmal externen Sachverstand draufzugeben.
Elina Eickstädt: Wie ist es denn für zivilgesellschaftliche Akteure? Wann ist ein guter Zeitpunkt sich einzubringen, um gehört zu werden, um Einfluss zu nehmen auf solche Gesetzgebungsprozesse?
Daniel Gerber: So früh wie möglich. Ich würde gar nicht darauf warten, bis ich irgendwie höre, dass die Regierung einen Gesetzentwurf entwickelt. Ich würde sofort mit meinem Anliegen an meinen Abgeordneten des Sächsischen Landtags herantreten. Auf Landesebene kann man versuchen, Termine mit den Landtagsabgeordneten zu organisieren.
Austausch mit anderen Bundesländern
Constanze Kurz: Nun ist ja das Transparenzgesetz nicht in Sachsen erfunden worden. Das heißt: Es gibt Vorläufer in anderen Bundesländern und verschiedene Erfahrungen. Inwieweit sind denn in diesem ganzen Prozess Erfahrungen aus anderen Bundesländern eingeflossen? Hat man sich zum Beispiel mit anderen Ministerien oder auch mit Praktikern auseinandergesetzt, die anderswo bereits ein Transparenzgesetz haben?
Daniel Gerber: Sehr intensiv. Als Abgeordneter war ich in diesem Prozess nicht direkt involviert, aber ich habe es immer wieder mitbekommen. Da gab es einen sehr intensiven Austausch mit anderen Bundesländern. Da wurde nachgefragt: Welche Software verwendet ihr? Wie habt ihr sie angepasst? Wie viele Stunden gehen in die Beantwortung der Anfragen? Gerade der Kostenfaktor wurde von unseren Koalitionspartnern sehr intensiv bearbeitet.
Elina Eickstädt: Was hat sich digitalpolitisch noch getan in der Legislaturperiode, in der du dabei warst? Könnte jetzt etwas rückgängig gemacht werden, das ihr erkämpft habt?
Daniel Gerber: Das ist eine ganz große Frage …
Constanze Kurz: … das hier ist der Podcast für die ganz großen Fragen …
Elina Eickstädt: … und die ganz dicken Bretter.
Daniel Gerber: Es fällt schwer, fünf Jahre Landtagsarbeit in zwei Sätze zu bringen. Vielleicht fangen wir damit an, wie die nächste Legislaturperiode sein könnte. Die Wahlergebnisse vom 1. September lassen aktuell nur eine Koalition aus CDU, BSW und SPD zu, denn mit der AfD will Gott sei Dank niemand koalieren. Bei CDU und SPD kann ich ungefähr einschätzen, wie sie handeln werden. Was das BSW im digitalen Bereich alles macht, ist mir völlig unbekannt.
Neue Schwerpunkte
Elina Eickstädt: Ich habe nachgesehen, wie häufig die Worte digital in den unterschiedlichen Wahlprogrammen der Parteien vorkommen. Das Interessante bei einer Koalition mit CDU und BSW ist: Sie kommen sich gar nicht so krass in die Quere, außer vielleicht beim Thema Bildung und Digitalisierung. Die CDU hat 63 Mal das Wort digital in ihrem Wahlprogramm, nicht viel Überraschendes natürlich: Digitale Räume, heißt es, sollten keine Toleranzräume für Kriminalität sein. Wir wissen alle, was das heißt: Staatstrojaner, mehr Überwachung für alle. Ansonsten will die CDU mehr Digitalisierung für alles Mögliche: Justiz, Verbraucherschutz, Unternehmen, Transformation, Bildung.
Das BSW hat das Wort digital nur 16 Mal im Wahlprogramm. Es legt einen sehr großen Schwerpunkt auf das Recht auf Analog: Sie sind dagegen, dass es Digitalisierungsprojekte in Schulen gibt, eigentlich wollen sie Schuldigitalisierung stoppen. Ansonsten konzentrieren sie sich auf die Vereinfachung von Prozessen durch Verwaltungsdigitalisierung und auf Innovationen im Bereich von Pflege, zum Beispiel um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Constanze Kurz: Befürchtest du bei etwas Konkretem, dass es politisch zurückgedreht werden könnte?
Daniel Gerber: Bei den Sachen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, habe ich nicht das Gefühl, dass man jetzt irgendwas zurückdrehen wird. Wir haben 119 Gesetze in Sachsen beschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein CDU-Landesverband Sachsen mit einer Partei BSW koaliert, die aus Postkommunisten zusammengesetzt wurde. Das ist mir unbegreiflich.
Constanze Kurz: Du hast ja bestimmte Themen betreut in deiner Fraktion. Weißt du, wer deine Themen nun nach der Wahl betreuen wird und ob es da eine inhaltliche Kontinuität gibt? Vielleicht noch genereller gesprochen: Gibt es mit dem Wechsel der Mandatsträger und mit veränderten Mehrheitsverhältnissen trotzdem eine in den Parteien inhaltliche Konsistenz? Etwa bei Sachen, die du nicht geschafft hast …
Daniel Gerber: Wir sind ja gezwungen, uns zu verändern. Wir sind von zwölf Abgeordneten auf sieben Abgeordnete geschrumpft. Ich habe Klima, Energie und Digitalisierung betreut. Diese Kompetenzen sind jetzt weg, die müssen irgendwie umgeändert werden. Bei der CDU hast du den feuerwehrpolitischen Sprecher oder den weinbaupolitischen Sprecher.
Constanze Kurz: Ihr habt ein Personalproblem, bei anderen Parteien ist es wiederum andersherum. So funktioniert Demokratie: Andere haben jetzt viel mehr Leute und können sich ausdifferenzieren …
Daniel Gerber: So ist das, ja.
Constanze Kurz: Wie ärgerlich ist das am Wahlabend? Hast du es dir angesehen …
Daniel Gerber: … es ist beschissen, seien wir ehrlich. Man hat sich fünf Jahre engagiert. Man hat beispielsweise das Transparenzgesetz geschaffen, man hat ein Beteiligungsgesetz im Erneuerbaren-Ausbau geschaffen, man hat eine Open-Source-Strategie geschaffen und den Breitbandausbau maßgeblich beschleunigt.
Man stellt sich schon die Frage: Wird das jetzt alles zurückgedreht oder nicht? Eine große Frage war, ob ich mein Regionalbüro verliere, was wir mühselig aufgebaut haben. Das ist sehr frustrierend.
Ich kann nicht drumherum reden: Für die Digitalpolitik in Sachsen war das keine gute Wahl. Ich selbst bin zwar nicht nochmal angetreten. Aber gerade im Bereich Digitales haben wir – um dieses furchtbare Wort zu verwenden – ideologiefrei miteinander gesprochen. Es gab beispielsweise einen konstruktiven Austausch zwischen mir und der sächsischen CDU-geführten Staatskanzlei. Ich hatte in der CDU-Fraktion einen Fürsprecher, der auch bestimmte Dinge mitgetragen hat, etwa bei Open Data oder Open-Source-Software. Aber derjenige hat im Erzgebirge leider auch gegen den AfD-Direktkandidaten verloren, den keiner kennt, der noch nie irgendwie etwas gemacht hat. Aber so ist das halt: Genau die Menschen, die sich in Sachsen für Digitalisierung engagiert haben, die wird es nicht mehr geben.
„Nicht zu krass verkürzen und Dinge verdrehen“
Constanze Kurz: Du hast den politischen Prozess bei der Gesetzgebung schon beschrieben. Aber da ist ja auch noch die Öffentlichkeitsarbeit: Was man schafft im politischen Raum, das muss man ja kommunizieren. Wie viel Platz in deiner parlamentarischen Arbeit nahm das ein? Woraus bestand diese Arbeit? Wie läuft das praktisch ab in der Öffentlichkeitsarbeit, die ja auch zum politischen Betrieb gehört?
Daniel Gerber: Es gibt in der Öffentlichkeitsarbeit ganz verschiedene Sachen, die man machen muss: Relativ regelmäßig gibt es Pressemitteilungen, die man über die Fraktionen veröffentlicht. Das ist einfach ein bisschen Text, der per E-Mail an Zeitungsredakteure, meistens die Lokalpresse, manchmal auch an netzpolitik.org geht. Es gibt Fernsehinterviews, die gegeben werden müssen. Wir haben Social-Media-Arbeit, die eigentlich noch eine viel größere Rolle in meiner Arbeit einnehmen müsste, als ich das geschafft habe.
Ich bin jemand, der mehr inhaltlich arbeitet und dann am Ende nicht genug dazu kommt, bestimmte Dinge auch noch so zu erklären, dass man sie tatsächlich versteht. Das ist gar nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Ich habe auch immer einen gewissen Anspruch an die Kommunikation: Ich will nicht zu krass verkürzen und Dinge verdrehen. Das macht dann Social-Media-Arbeit ein bisschen schwerer, wenn man weiß, wie Social-Media-Plattformen funktionieren und was für ein Abgrund an Überwachungskapitalismus dranhängt. Aber dafür gibt es zum Glück Leute, die sich damit auskennen: Ich kann jemanden beschäftigen, denn Abgeordnete haben ein gewisses Budget, mit dem sie Leute bezahlen können, die beispielsweise an fachlichen Fragen oder an Social-Media-Fragen arbeiten. Das ist sozusagen Outsourcing.
Constanze Kurz: Du hast über erfolgreiche Koalitionsarbeit gesprochen. Wir können nicht auf alle Gesetze eingehen, aber du kannst vielleicht einige herausgreifen. Wofür hast du gekämpft, was war ein Erfolg? Und warum war das ein Erfolg?
Daniel Gerber: Ich sage drei Beispiele. Ich möchte allen den sächsischen Digitalpreis ans Herz legen. Es gibt drei Tracks: Gesellschaft, Wirtschaft und Open Source.
Zweites Beispiel ist der Breitbandausbau, ein sehr großes Thema über die gesamte Legislaturperiode hinweg. Da gibt es Förderprogramme vom Bund, die vom Land kofinanziert werden. Es gingen sehr große Summen in den Breitbandausbau. Wir haben auch versucht, das Problem nicht nur mit Geld zu erschlagen: Mir war es auch besonders wichtig, dass man beispielsweise an die Verfahren rangeht, dass man die einzelnen Bauämter dazu befähigt, moderne Methoden zu verwenden, dass es Leitfäden gibt, an die sich Leute halten, die solche Verfahren genehmigen. Wir wollten darüber nachdenken, wie dieser Prozess beschleunigt wird, dass wir bis 2030 dann einhundert Prozent Glasfaserausbau haben.
Das dritte Beispiel ist das Transparenzgesetz. Darüber hatten wir schon gesprochen.
Es gibt kein Digitalministerium
Constanze Kurz: Wie sieht es beim Thema Open Source aus?
Daniel Gerber: Das ist eine Sache, die quasi bis zum Koalitionsvertrag 2019 zurückgeht. Da habe ich das reinverhandelt. Eine Initiative von mir war ein Antrag in der Koalition im Landtag, in dem drinsteht: Die sächsische Staatsregierung möge bitte eine „Open-Source-Strategie“ erstellen, zu der auch Maßnahmen benannt werden, damit man den Erfolg der Umsetzung kontrollieren kann. Man stellt sonst vielleicht eine Strategie auf und vermeidet dann, sich daran messen zu lassen, ob man das Vorhaben geschafft hat oder nicht.
Dann gab es einen Beschluss im sächsischen Landtag. Ein Jahr später gab es auch die Strategie. Die ist öffentlich einsehbar. In dieser Strategie steht natürlich auch drin, dass die Staatsregierung regelmäßig über den Erfolg berichten muss.
Constanze Kurz: Was steht drin in dem Bericht?
Daniel Gerber: Als diese Strategie aufgestellt wurde, wollten wir einen konkreten Umsetzungsplan, wo am Ende Ziele dranstehen. Digitalisierung ist ja ein Querschnittsthema, es gibt keine einzelne Zuständigkeit für Digitales. Es gibt im Landtag keinen Ausschuss, der sich nur mit Digitalisierung beschäftigt. Es gibt kein Digitalministerium. Das ist aufgeteilt auf quasi alle Ministerien. Jeder macht so ein bisschen was.
Man hatte keinen wirklichen Überblick über alle Ministerien, welche Software wo eingesetzt wurde. Und wenn man keinen Überblick über die eingesetzte Software hat, dann kann man verständlicherweise schwer Ziele benennen. Mit der Strategie wurde daher ein Anhang mitveröffentlicht. Ich empfehle auch Leuten aus anderen Bundesländern, da mal reinzugucken. Das ist tatsächlich eine sinnvolle Sammlung.
13,5 Prozent
Constanze Kurz: Es gibt jetzt also eine Art Bestandsaufnahme über alle Ministerien hinweg?
Daniel Gerber: Genau. Für die einzelnen Strategieziele, wie wir zum Beispiel zu mehr Open Source kommen oder die Akzeptanz in der Verwaltung erhöhen, sind tatsächlich quantitative und qualitative Kriterien aufgestellt, um das zu messen: Kommen wir dahin, wo wir wollen, oder nicht?
Ich kann mir auch ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie das ohne Bestandsaufnahme gehen soll. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Daten vielleicht schon vorliegen, dass man sowas strukturiert irgendwo speichert, etwa welche Software in einem Bundesland verwendet wird.
Die Strategie definiert wirklich nur abstrakt die Ziele und Handlungsfelder. Es gab dann ein Jahr Zeit, eine Abfrage innerhalb aller Ministerien zu machen. Über 6.000 Einträge kamen heraus, also wirklich eine große Liste an eingesetzter Software.
Der Landtag hat die Staatsregierung beauftragt, regelmäßig alle zwei Jahre zu berichten. Der erste Berichtstermin war jetzt im Juni oder Juli. Der Bericht ist auch öffentlich. Zum Stichtag 30. Juni 2023 beträgt der Open-Source-Anteil rund …
Constanze Kurz: … jetzt festhalten!
Daniel Gerber: Es sind 13,5 Prozent der gesamten Software-Landschaft in der sächsischen Staatsverwaltung. Wir haben auch einen Anteil der Nutzenden: Dreizehn Prozent der Menschen, die mit Software zu tun haben, benutzen Open-Source-Software.
Ich würde mich sehr freuen, wenn die Zivilgesellschaft den Finger in die Wunde legt und in der sächsischen Staatskanzlei immer mal wieder nachfragt, wie denn der aktuelle Stand ist.
Constanze Kurz: Jemand aus der Zivilgesellschaft könnte sich einen beliebigen Abgeordneten suchen, der kooperationswillig ist.
Daniel Gerber: Ja, man sucht sich den passenden Wahlkreisabgeordneten von der freundlich ausgerichteten Partei und fragt mal, ob sie eine kleine Anfrage stellen können. Bisher hat sich die Staatsregierung an die Aufträge aus dem sächsischen Landtag gehalten.
Freie und offene Software zum Standard in der Verwaltung machen
Constanze Kurz: Was sind konkrete Ziele?
Daniel Gerber: Wir haben festgelegt, dass wir eine Relation von 20 Prozent von Open-Source-Software zur gesamten Software-Landschaft zum Stichtag 30. Juni 2028 haben wollen. Also sollen von den mehr als 6.000 Einträgen aus der Bestandsaufnahme in Zukunft 20 Prozent Open-Source-Software sein.
Elina Eickstädt: Wie kann man mitwirken, wenn man progressive Digitalpolitik machen möchte?
Daniel Gerber: Ich möchte ein Plädoyer dafür halten, dass bitte alle ihre regionalen Landtagsabgeordneten mit ihrem Lieblingsthema nerven. Es existiert eine Art Barriere, die gar nicht sein müsste, um diese Personen anzusprechen, obwohl sie genau dafür da sind, angesprochen zu werden. Das war meine Hauptaufgabe, dass ich mich um die Probleme kümmere, die zu mir getragen werden. Und das gilt nicht für mich, sondern auch für alle anderen. Deswegen: Bitte geht mit den Themen, die euch betreffen und die euch am Herzen liegen, zu euren Vertretern – zu allen Parteien.
Elina Eickstädt: Vielen Dank, dass du bei „Dicke Bretter“ bei zu Gast warst, Daniel!
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