In Polen beginnt die Aufarbeitung des Pegasus-Überwachungsskandals. Heute trat erstmals ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zusammen, der den Einsatz der Spionagesoftware innerhalb Polens prüfen soll. Mit dem Werkzeug hatte die inzwischen abgewählte konservative Regierung mutmaßlich nicht nur ihre politischen Gegner:innen, sondern offenbar auch zahlreiche Regierungsmitglieder überwacht, einschließlich des Ex-Premiers Mateusz Morawiecki.
Zunächst werde es darum gehen, Beweisanträge zu stellen und Fragen an mögliche Zeug:innen zu formulieren, sagte der Abgeordnete Marcin Bosacki von der regierenden Bürgerkoalition (KO) zur polnischen Nachrichtenagentur PAP. Schon im Vorjahr hatte eine Sonderkommission des Senats festgestellt, der Einsatz von Pegasus sei wahlverzerrend, verfassungswidrig und illegal gewesen. Konsequenzen blieben jedoch aus, da zu dem Zeitpunkt sämtliche andere staatliche Institutionen in der Hand der PiS-Partei waren.
Mächtiges Überwachungswerkzeug
Pegasus ist das Flaggschiff-Produkt des israelischen Herstellers NSO Group. Mit der Software lassen sich unbemerkt IT-Geräte wie Smartphones knacken. Damit erhalten Angreifer:innen praktisch unbegrenzten Zugriff auf das digitale Leben ihrer Opfer und ihres Umfelds. In Echtzeit lassen sich dann beispielsweise Gespräche mitlauschen, der Standort der Opfer ermitteln und beliebige Daten vom Gerät abziehen, etwa verschlüsselte Chats, private Fotos oder Passwörter.
Offiziell vertreibt die NSO Group den Trojaner allein zum Kampf gegen den Terrorismus und die Organisierte Kriminalität und nicht an autoritäre Staaten. Einem Realitätsabgleich hält diese Beteuerung indes nicht stand. Spuren der Überwachungssoftware finden sich seit Jahren auf Geräten von Regierungskritiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen in aller Welt. Aufgrund der anhaltenden Verletzungen von Menschenrechten steht das Unternehmen inzwischen auf einer US-Sanktionsliste.
Mit Pegasus gegen die Opposition
Erklärungsbedarf besteht offenkundig auch in Polen. „Sicherlich müssen sich die prominentesten PiS-Politiker der Untersuchungskommission stellen und erklären, wie Pegasus gekauft wurde und mit welchen Mitteln“, sagte Bosacki, der selbiger Kommission angehört. Zudem müsse die Rolle des Ex-Justizministers Zbigniew Ziobro aufgeklärt werden und „warum diese Spyware, diese Cyberwaffe, in Polen gegen die Opposition eingesetzt wurde“, so der Abgeordnete.
Forensische Analysen des kanadischen Citizen Lab der Universität Toronto hatten mehrfach Infektionen mit Pegasus in Polen nachgewiesen. So wurden etwa der Rechtsanwalt Roman Giertych und die Staatsanwältin Ewa Wrzosek nachweislich ausspioniert. Ebenfalls betroffen ist der Politiker Krzysztof Brejza, der laut Citizen Lab im Wahljahr 2019 über 30 Mal gehackt worden sein soll. Private Nachrichten von Brejzas Handy tauchten damals im Wahlkampf auf und wurden unter anderem vom regierungstreuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitet, um Stimmung gegen die Opposition zu schüren.
Neue polnische Regierung hat viel zu tun
Erfolgreich war die Strategie der PiS letztlich nicht, bei den letzten Wahlen im Vorjahr verlor die Partei ihre sicher geglaubte Stimmenmehrheit im Unterhaus. Seitdem befindet sich das rechtskonservative Lager in heller Aufregung: Auf dem Programm der neuen Regierung unter Donald Tusk (KO) steht unter anderem, die umstrittene Justizreform der PiS rückgängig zu machen, die öffentlich-rechtlichen Medien umzubauen sowie allgemein zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren – allesamt Schritte, die von PiS-Politiker:innen fast als persönliche Angriffe gedeutet werden.
Nicht wenige von ihnen betrachteten Polen als eine Art Selbstbedienungsladen, das zeigt sich auch am Pegasus-Skandal. So wurde der Kauf von Pegasus auf Initiative des Zentralen Antikorruptionsbüros beantragt, die Mittel dafür kamen aus einem Gerechtigkeitsfonds, der eigentlich für die Betreuung von Kriminalitätsopfern gedacht ist. Umgerechnet knapp zehn Millionen Euro ließ sich das die damalige Regierung kosten. Die extensive Nutzung des Staatstrojaners in Polen ging sogar dem Anbieter NSO Group zu weit: Dem EU-Staat wurde die Pegasus-Lizenz wieder entzogen.
Direkt oder indirekt verwickelt dürfte auch der ehemalige Innenminister Mariusz Kamiński sein. Dieser wurde zuletzt wegen Amtsmissbrauchs zu einer Haftstrafe verurteilt und kürzlich vom PiS-nahen Staatspräsidenten Andrzej Duda erst gedeckt und später begnadigt.
Papier ist geduldig
Duda steht weiterhin hinter Kamiński, der als Innenminister über die Beschaffung und den Einsatz der Spähsoftware zumindest informiert gewesen sein musste. Er sei für eine Untersuchung des Pegasus-Skandals, sagte Duda jüngst auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Premier Tusk. Allerdings sei Kamiński ein „rechtschaffener Mensch“, fügte der langjährige PiS-Politiker hinzu. Auch anderswo bemühen sich Parteifreunde, den Skandal herunterzuspielen. PiS-Chef Jarosław Kaczyński etwa, der neben vielen anderen als Zeuge auftreten wird müssen, hält die Sache für einen „übel aufgeblasenen Ballon“.
Überschwängliche Kooperation ehemaliger PiS-Politiker:innen mit der Untersuchungskommission ist also eher nicht zu erwarten. Aber sie dürften zumindest ihre Fingerabdrücke hinterlassen haben: So geht etwa Magdalena Sroka, ein KO-Mitglied der Kommission, davon aus, dass für den Erwerb der Spionagesoftware Verhandlungen auf hoher politischer Ebene notwendig gewesen seien.
Das könnte im Detail zutage fördern, wie Kamiński oder auch die Ex-Premierministerin Beata Szydło verwickelt waren. Entsprechend habe die Kommission auch geheime Dokumente des Inlandsgeheimdienstes ABW angefordert, so Sroka gegenüber PAP. Aber schon jetzt steht fest: „Es sind viele Tatsachen aufgetaucht, von denen die Bürger hören sollten“, sagte Sroka.
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