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Öffentliches Geld - Öffentliches Gut!Viele gute Gründe für das Fediverse

In dem Appell „Für die Nutzung wirklich sozialer Medien an den Hochschulen“ fordert das Aktionsbündnis neue Soziale Medien, Accounts auf X/Twitter stillzulegen und die digitale Kommunikation im Fediverse zu betreiben. Einer der Erstunterzeichner beschreibt die Hintergründe.

Ein buntes Mosaik aus den Logos vieler verschiedener Fediverse-Anwendungen.
Das Fediverse ist vielfältig. CC-BY-NC-SA 4.0 Tobias Buckdahn

In den letzten 20 Jahren hat die Kommunikation der Hochschulen mit der Öffentlichkeit eine schleichende Revolution durchlaufen. Damals noch eifrig versandte Pressemitteilungen wurden durch das Posten von Neuigkeiten auf den großen Internetplattformen Twitter und Facebook ersetzt. Beide Kanäle wurden im Laufe der Jahre durch Instagram, YouTube und neuerdings auch TikTok ergänzt.

Voller Eifer präsentieren die Hochschulen immer wieder das nächste Logo eines monopolistischen Großkonzerns auf ihren Homepages. So sind wir Schritt-für-Schritt in eine Situation geraten, in der scheinbar keine Öffentlichkeitsarbeit mehr ohne diese Medien vorstellbar ist.

Doch wie ist die Nutzung dieser Plattformen mit den Zielvorgaben der Hochschulen vereinbar? Passen sie zu den hohen Ansprüchen, die sich die Hochschulen für gute Forschung und Lehre gegeben haben? Schließlich bekennen sich die meisten in ihren Mission Statements zu einem demokratischen Gemeinwesen, zum Einsatz für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung, zu Nachhaltigkeit und Open-Source-Software. Sind das alles nur schöne Worte für Sonntagsreden?

Reichweite in Hülle und Fülle?

Anfangs war es spannend und innovativ, mit den neuen Medien zu arbeiten. Doch bald entwickelte sich eine regelrechte Abhängigkeit, da die großen Plattformen etwas zuvor nie Erreichtes scheinbar in Hülle und Fülle zu bieten hatten: Reichweite.

Mehrere tausend oder gar mehrere zehntausend Follower würden die Hochschulen direkt mit jedem Post erreichen – ein unvorstellbarer Zuwachs im Vergleich zum Zeitalter der Pressemitteilungen. Darauf wollte schnell keine Hochschule mehr verzichten.

So ist das Zauberwort „Reichweite“ zu einem Fetisch geworden. Denn es ist ein Irrglaube anzunehmen, ein Post auf Medien wie X/Twitter würde so vielen Menschen angezeigt wie Follower für den Account genannt sind. Zum einen sind viele der Accounts keine realen Menschen mehr, sondern Bots. Und zum anderen folgt die Ausspielung der Posts intransparenten Regeln, die vor allem der Optimierung von Werbeeinnahmen dienen.

Leistung von vielen, Profit für wenige

Solche digitalen Kanäle zu bespielen, kostet die Hochschulen viel Geld. Grob geschätzt werden bundesweit mehrere hundert Personalstellen für Community-Manager vorgehalten, deren Kosten sich auf einige zehn Millionen Euro pro Jahr belaufen. Mit diesem öffentlichen Geld werden Meldungen für die Plattformen der großen Internetkonzerne verfasst, die zwischen die Posts noch die Anzeigen ihrer Werbekunden schalten und daran beträchtlich profitieren. Davon fällt für die Hochschulen als Verfasser der Artikel ab: exakt null Prozent.

Die „Social Media“-Präsenz der Hochschulen entpuppt sich als ein weiterer Fall einer ausbeuterischen Internetökonomie, in der durch das Abschöpfen der kreativen Leistung von vielen nur einige wenige profitieren.

Die Veränderungen auf der X-Plattform haben jedoch eine Veränderung ausgelöst. Die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit, Desinformation, Leugnung des Klimawandels und rechte Hetze haben viele Institutionen veranlasst, ihre Präsenz auf der Plattform zu überprüfen.

Nicht wenige Organisationen haben ihre Accounts auf X mit Hinweis auf die Unvereinbarkeit mit ihren Zielen stillgelegt. Neben den vormals Genannten kamen mittlerweile noch hinzu: netzpolitik.org, die Hochschule Darmstadt und FU Berlin, der NFDI-Verein und Deutsche Bildungsserver, die Stadt Chemnitz, die GLS Bank und Deutsche Rentenversicherung, wechange eG und Phineo gAG, das ZDF, die Stiftung Datenschutz, der Bundesverband Deutscher Stiftungen, die Suchmaschine BASE, das Deutsche Institut für Menschenrechte, der Deutschlandfunk und weitere.

Viele gute Argumente fürs Fediverse

Es gibt also viele gute Argumente für die Hochschulen, ihre Präsenz auf den großen Plattformen zu beenden, zumal sich die Dienste des Fediverse als Ersatz und Nachfolge anbieten: etwa Mastodon für X/Twitter, PeerTube für YouTube und Pixelfed für Instagram – und so weiter.

Diese Dienste sind werbefrei, interoperabel, daten- und Privatsphäre-schützend, die Timeline ist nicht von opaken Algorithmen gesteuert, sie sind moderiert und resilient gegen Hass und Hetze, und ihre Nutzung wird die europäische Datensouveränität stärken. Vor allem operieren die Fediverse-Dienste auf Basis von freier Software, so dass die Hochschulen mit ihrer Nutzung konsequent dem Leitspruch „Public money, public code!“ folgen können.

Das Aktionsbündnis fordert in seinem Appell die Hochschulen auf, eigene Fediverse-Server in Betrieb zu nehmen, um die digitale Kommunikation mit ihren Mission Statements in Einklang zu bringen.

So wie vor 30 Jahren die electronic mail als neues Austauschformat an den Hochschulen eingeführt wurde, so wird der nächste Schritt der digitalen Transformation darin bestehen, allen Hochschulangehörigen und jeder Forschungsgruppe einen Fediverse-Account zugänglich zu machen.

Eine Umwälzung steht bevor

Die Universität Innsbruck hat schon ein gutes Stück auf dem Weg ins Fediverse zurück gelegt und macht vor, wie es geht. Im November 2023 hat sie den Server social.uibk.ac.at aufgesetzt, der anfangs nur von Organisationseinheiten der Uni genutzt werden konnte. Seit April hat sie den Zugang auf alle Mitarbeitenden erweitert und wird ihn bis Ende des Jahres voraussichtlich auch den Studierenden öffnen.

Nicht zuletzt ergibt sich mit dem Einstieg ins Fediverse die Chance, den Umfang der Social-Media-Arbeiten zu verringern und durch die Interoperabilität der Plattformen Kosten zu sparen. Doch nicht nur finanzielle Argumente sollten die Hochschulen auf dem Weg ins Fediverse begleiten.

Die Organisation der digitalen Kommunikation ist ein weltweites Unterfangen, zu dem die an den Unis konzentrierte IT-Expertise einen wichtigen Beitrag leisten kann. Statt es einigen wenigen Großkonzernen zu überlassen, könnte an den Hochschulen die Entwicklung von Software für das Fediverse unterstützt, die Software getestet, Server in Betrieb genommen, Instanzen moderiert und zukünftige Fediverser geschult werden.

Die vor uns stehenden Umwälzungen der digitalen Transformation sind von historischer Dimension. Sie sind in ihrer Bedeutung vergleichbar mit den Veränderungen im Zeitalter der Aufklärung, die die Grundlage für die Menschenrechte und ein friedlich vereintes Europa legten. Mögen die Hochschulen dabei behilflich sein, dass die Aufgabe einer gemeinwohlorientierten Digitalisierung gelingt – so wie es die Mission Statements von ihnen fordern.

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