Bei der geplanten Abstimmung über die Chatkontrolle im Rat am Donnerstag will die Bundesregierung offenbar „nicht zustimmen“. Das verbreitete Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) per Pressemitteilung. Ob diese Nicht-Zustimmung ein „Nein“ oder eine Enthaltung ist, hat Buschmanns Ministerium auf kurzfristige Anfrage nicht beantwortet, sondern auf das federführende Bundesinnenministerium verwiesen. Das Ministerium von Nancy Faeser (SPD) wollte sich auch nach mehrmaliger Nachfrage von netzpolitik.org jedoch nicht zum Abstimmungsverhalten äußern. [Siehe Update]
Der Bundesjustizminister gibt sich in seinem Statement jedenfalls eindeutig: „Die Chat-Kontrolle darf nicht kommen!“ Sie bedeute nichts anderes als das anlasslose und massenhafte Scannen – selbst verschlüsselter – privater Kommunikation. Ein derart schwerer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger sei unverhältnismäßig, so der Minister.
„Nicht mit liberalen Rechtsstaat vereinbar“
Weiter heißt es im Statement von Buschmann:
Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass ich einem staatlichen Aufseher etwa mein Fotoalbum zur Vorabkontrolle vorlegen müsste, bevor ich einem Freund meine jüngsten Urlaubsfotos zeige. Freiheitsrechte und Datenschutz sind auch im digitalen Raum keine Rechte zweiter Klasse. Für mich ist klar: Die Bundesregierung wird der Chat-Kontrolle nicht zustimmen. Wir werben für Freiheit und Privatsphäre statt anlassloser Massenüberwachung. Sollte der AStV morgen dennoch die Chat-Kontrolle durchwinken, werden wir in den Trilog-Verhandlungen uns mit aller Kraft einbringen. Ich halte die Chat-Kontrolle für nicht mit dem liberalen Rechtsstaat vereinbar.
Die Abstimmung der Länder am Donnerstag in Brüssel ist keine formale Abstimmung, aber die belgische Ratspräsidentschaft wird prüfen, ob ihr Vorschlag genügend Unterstützung findet. Nach monatelanger Uneinigkeit ist in den vergangenen Wochen Bewegung in die Verhandlungen gekommen, da Frankreich plötzlich eine mögliche Zustimmung signalisiert hat. Wenn Frankreich kippt, könnte die umstrittene anlasslose Massenüberwachung im EU-Rat die nächste Hürde nehmen, weil dann bei der folgenden formalen Abstimmung die Sperrminorität knapp verfehlt würde.
Grundsätzliches Problem bleibt
Der Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft (PDF) sieht verschiedene Änderungen vor, die aber laut einmütiger Meinung von IT-Sicherheitsexpert:innen nichts an der Tatsache ändern, dass Verschlüsselung durch den Entwurf massiv geschwächt wird.
So sieht der belgische Entwurf vor, dass Dienste das Risiko einschätzen müssen, ob auf ihren Plattformen Straftaten begangen werden. Das bedeutet, dass die Chatkontrolle vor allem Dienste treffen dürfte, die viel Anonymität und Verschlüsselung bieten. Die Dienste sollen zudem Bilder, Videos und URLs durchsuchen, nicht aber Audio und Text, wie es noch in früheren Konzepten zur Chatkontrolle vorgesehen war.
Zudem sollen Nutzer:innen einer Chatkontrolle zustimmen, sonst dürfen sie keine Bilder und Videos hochladen. Dieses Modell wird als „Upload Moderation“ bezeichnet. Dieses Modell suggeriert eine „Freiwilligkeit“, ist aber eine „erzwungene Zustimmung“, weil Nutzer:innen sonst nur um Kernfunktionen beschnittene Dienste bekommen.
Kritik wird wieder lauter
Mit der nahenden Abstimmung wird auch die Kritik an dem Vorhaben wieder lauter. Gestern hatten 36 Abgeordnete einen offenen Brief (PDF) zur Chatkontrolle veröffentlicht, in dem sie unter anderem vor Massenüberwachung und einem „Klima des Generalverdachts“ warnen. Mit ihrer Kritik stehen die Abgeordneten nicht allein. Dass der vorliegende belgische Vorschlag die Verschlüsselung privater Kommunikation entscheidend schwäche, sagen außerdem der Threema-Messenger, der Industrieverband eco, die Chefin des Signal-Messengers Meredith Whittaker sowie der Chaos Computer Club.
Update: In einer Pressemitteilung spricht sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser klar gegen den vorliegenden Vorschlag aus:
Die sogenannte Chatkontrolle lehnen wir ab. Deutschland wird im Rat deshalb mit Nein stimmen, wenn es beim aktuellen Vorschlag bleibt. Denn wir müssen gezielt handeln und die rechtsstaatliche Balance halten. Verschlüsselte private Kommunikation von Millionen Menschen darf nicht anlasslos kontrolliert werden. Darin sind wir uns in der Bundesregierung seit langem einig. Auch im Europäischen Parlament gibt es daran breite Kritik.
Hier kann Frau Faeser und ihr Resort mal zeigen wie demokratisch und rechtsstaatlich sie wirklich eingestellt sind!
Du erwartest zu viel von der Innenministerin der SPD. Wir können gerade noch froh sein dass Justizminister Buschmann standhaft bleibt und die FDP ihre Zustimmung zur Chatkontrolle nicht für eine Steuersenkung verkauft hat.
Schön zu sehen, wie zumindest auf europäischer Ebene und bei diesem Thema ein bisschen Einigkeit zwischen Grünen und FDP herrscht – gemessen an den Unterschriften des verlinkten offenen Briefes.
Eine Enthaltung ist ja quasi im Rat ein Nein. Ob Nein oder Enthaltung, das ist in der Abstimmung eig egal.
Das stimmt so nicht unbedingt, sondern es hängt von der Auswertung ab. Das wird im Artikel auch angedeutet. Es ist jedenfalls nicht unbedingt egal.
Nur wenn die Enthaltungen auch gezählt werden. Dies wird teilweise absichtlich nicht getan, da nicht verpflichtend.
Klassischer Fall von „Wir sind gaaanz, gaaaanz stark dagegen und werden gaaaanz bestimmt mit ‚Nein‘ stimmen, aber wenn es trotzdem kommt können wir leider nichts machen und müssen es gezwungenermaßen (freudestrahlend) umsetzen.“, oder hat irgendwer irgendetwas von möglichen Konsequenzen, wie einem automatischen, postwendenden Dexit, falls die Chatkontrolle verabschiedet wird, gesagt?
Mal sehen ob Faeser die Barley macht…
Mir geht bei der Chatkontrolle das alte Zitat von Jean-Claude Juncker nicht mehr aus dem Kopf:
„“Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.““
(Quelle: https://de.wikiquote.org/wiki/Jean-Claude_Juncker)
Es braucht also das große Geschrei und „Aufstände“, sonst kommt doch noch die Chatkontrolle – und dann gibt es kein Zurück mehr. Und dass die meisten Politiker:innen nicht begreifen was da eigentlich beschlossen werden soll ist auch eine traurige Wahrheit.