Debatte zum Digital Networks Act„Harmonisierung der Regeln, nicht der Märkte“

Die EU-Kommission macht weiterhin Probleme auf den EU-Märkten für Telekommunikation aus. Schon Ex-Kommissar Thierry Breton hatte tiefgreifende Reformen gefordert, die neue Kommission setzt die Arbeit daran nun fort. Doch nicht alle teilen ihre Sicht auf die Lage des Telekommunikations-Sektors.

Die hochrangige EU-Kommissionsbeamtin Renate Nikolay bei einer Veranstaltung im Vorjahr. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / CTK Photo

Europas Ansatz bei der Regulierung der Märkte für Telekommunikation habe zwar niedrige Preise gebracht, aber „wir haben ein Problem in Europa“, sagte heute Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der bei der EU-Kommission dafür zuständigen Abteilung DG CNECT (englische Abkürzung für Directorate-General Communications Networks, Content and Technology).

Das vom inzwischen aus der EU-Kommission ausgeschiedenen Thierry Breton vorgelegte Weißbuch habe die Probleme „auf den politischen Radar“ gebracht, sagte Nikolay. Darin hatte der französische Ex-Kommissar unter anderem eine Deregulierung des Sektors sowie einen konsolidierten, gesamteuropäischen Telekommunikationsmarkt vorgeschlagen.

Auch wenn Breton EU-politisch weg vom Fenster ist, seine Vorschläge leben offenkundig weiter. Die hatten im damals heftigen Gegenwind eingehandelt. Verbraucherschutzorganisationen und Wettbewerber von Ex-Monopolisten wie der Telekom Deutschland warnen vor dem zur Debatte gestellten „Paradigmenwechsel“. Dieser würde den Wettbewerb beschädigen. Die Folgen wären weniger Auswahl, steigende Preise und schlechterer Service, so die Sorge.

„Wir befürchten, dass die europäischen Harmonisierungsbemühungen den Wettbewerb verzerren“, sagte Martin Weyand vom Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft bei der heutigen Podiumsdiskussion, die von der Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union ausgerichtet wurde.

Digital Networks Act offenbar weiterhin geplant

Für diese Sorgen bestehe kein Anlass, so Nikolay. Offenbar in Anlehnung an die BEUC-Verbraucherschützerin Monique Goyens stehe keine „binäre Wahl zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerb“ bevor, sagte Nikolay. „Wir werden nicht vom Ziel abrücken, Wettbewerb zu haben“, so die hochrangige EU-Beamtin. Aber die EU müsste neben der Wettbewerbsfähigkeit auch Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit berücksichtigen, sagte Nikolay.

Die Kommission plant weiterhin einen Digital Networks Act (DNA). Der soll zumindest einige der Ideen aus dem Weißbuch in ein neues Gesetz überführen. Der DNA müsse den regulatorischen Rahmen überarbeiten, ihn vereinfachen und dort „deregulieren, wo es möglich ist“, kündigte Nikolay an.

Am Ende soll ein „gemeinsamer Markt für Konnektivität“ entstehen. Beispielsweise sollte die bislang übliche nationale Versteigerung von Frequenznutzungsrechten im Mobilfunk überdacht werden. Mit Blick auf die jüngste, national zersplitterte und erneut milliardenschwere Versteigerung der 5G-Lizenzen sagte Nikolay: „Es ist einfach nicht gut genug“.

Berichte stellen EU-Wettbewerbsfähigkeit in Frage

Im vergangenen Jahr hatten zudem Berichte von Enrico Letta und Mario Draghi, beide im Auftrag der EU, der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt teils gehörigen Nachholbedarf attestiert, auch im Telekommunikationssektor. Es brauche große, „europäische Champions“ und einen deutlich weniger fragmentierten, wenn nicht völlig harmonisierten Markt, forderten die unabhängig voneinander entstandenen Berichte mit Verweis auf die USA und China.

Doch stimmt die Analyse samt Handlungsvorschlägen überhaupt? Michel Van Bellinghen als Vertreter von BEREC (Body of European Regulators for Electronic Communications), dem Gremium europäischer Telco-Regulierungsbehörden, hatte seine Zweifel. „Im Großen und Ganzen hat das europäische Modell ganz gut funktioniert“, sagte Van Bellinghen. Insgesamt hätte die EU eine gute Versorgung mit 5G-Netzen, teils deutlich niedrigere Preise als in den USA und mehr Gigabit-Verträge als andere Weltregionen, sagte der Regulierungsexperte.

„Ich glaube nicht, dass man die Wettbewerbsfähigkeit steigern kann, indem man den Wettbewerb reduziert“, sagte Van Bellinghen. Zwar gebe es „echte Probleme“ in Europa, aber es „bedarf einer Harmonisierung der Regeln, nicht einer Harmonisierung der Märkte“, so Van Bellinghen.

Auch der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Matthias Ecke wollte die Schlussfolgerungen nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen. „Wir müssen Beweise dafür sehen, dass Fusionen zu mehr Investitionen führen“, sagte Ecke zu einem Kernargument der EU-Kommission. Die Regulierung grenzüberschreitender Aktivitäten müsse reduziert werden, so Ecke, aber „das muss nicht zwangsläufig Fusionen bedeuten“.

Telekom Deutschland wünscht sich leichtere Fusionen

Sympathien für die Sicht der EU-Kommission zeigte hingegen Jakob Greiner von der Deutschen Telekom. Dem Unternehmen gehe es gut, weil die US-Tocher T-Mobile Gewinne einfahre, die in Europa reinvestiert würden, so Greiner. „Wir würden gerne eine Reform der Regeln für Fusionen sehen“, sagte Greiner.

Zumindest habe das Weißbuch eine längst überfällige Diskussion über den Sektor und seine Probleme entfacht, freute sich Nikolay. Sogar der EU-Rat arbeite derzeit an einer Stellungnahme zu dem umstrittenen Weißbuch, was sehr ungewöhnlich wäre. „Wir befinden uns in einem iterativen Prozess mit den Stakeholdern“, sagte die Kommissionsvertreterin zum weiteren Ablauf. Eine offizielle Position des EU-Rates wäre als ein Punkt in diesem Prozess zu sehen, weitere Debatten würden folgen. „In den Schlussfolgerungen heißt es eindeutig, dass es ein Problem gibt, und ich denke, das ist ein sehr guter erster Schritt“, so Nikolay.

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