NSU-Watch„Wir müssen endlich Konsequenzen ziehen“

Caro Keller vom Bündnis NSU-Watch bewertet das vergangene Jahr als „äußerst besorgniserregend“. Im Gespräch mit netzpolitik.org kritisiert sie erstarkende rechte Positionen und eine ineffektive Justiz. Und sie äußert eine Hoffnung.

Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Podium und nehmen einen Podcast auf.
Caro Keller (rechts) von NSU-Watch gemeinsam mit Arne Semsrott von FragDenStaat während einer Podcast-Aufnahme beim 37C3. – Alle Rechte vorbehalten Leonard Frick

Vor gut zwölf Jahren hat sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst enttarnt. Seine Mordserie hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Gleichzeitig offenbarte die Aufdeckung eine neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland und ein eklatantes Versagen der Sicherheitsbehörden.

Dessen ungeachtet geht die staatliche Aufklärung und Aufarbeitung von rechtem Terror hierzulande nur äußerst schleppend voran. Seit Jahren begleitet das Bündnis NSU-Watch die Aufklärungsarbeit zum NSU kritisch. Und es dokumentiert, wie sich Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt hierzulande entwickeln.

Caro Keller ist Redakteurin bei NSU-Watch, seit 2013 gehört sie dem Bündnis an. Im Gespräch mit netzpolitik.org blickt sie auf das vergangene Jahr zurück.

Wer mehr über das Thema erfahren möchte, findet Caro Kellers Vortrag „Gemeinsam gegen rechten Terror! Aber wie?“, den sie auf dem 37C3 gehalten hat hier.

netzpolitik.org: Vor wenigen Tagen wurde in der Nähe von Hanau das Haus einer aus Pakistan stammenden Familie bei einem mutmaßlichen Brandanschlag zerstört. An mehreren Wänden in der Wohnung wurde offenbar der Spruch „Ausländer raus“ gesprüht. Die Tat zeigt, dass rechte Gewalt gegen Menschen hierzulande weiter an der Tagesordnung ist. Wie siehst du die Lage im Kampf gegen rechten Terror zum Ende des Jahres 2023?

Caro Keller: Wenn wir auf dieses Jahr zurückschauen, müssen wir die Lage als äußerst besorgniserregend beschreiben. Immer wieder gab es rassistische Diskussionen zu verschiedensten Themen. Das ging los mit einer rassistischen Debatte zu den Ausschreitungen an Silvester, auf die aktuell wieder Bezug genommen wird. Darauf folgte eine rassistisch aufgeladene Debatte um Ausschreitungen in Freibädern.

In den vergangenen Wochen haben sich antisemitische und rassistische Narrative hierzulande dann weiter dramatisch zugespitzt. Gleichzeitig werden auf gesetzlicher Ebene rechte Forderungen erfüllt, beispielsweise durch die restriktive Asylgesetzgebung der Ampel-Regierung. All das hat gravierende Auswirkungen auf diejenigen, die hier leben und von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind.

„Ernsthafte Konsequenzen sehen wir nicht“

netzpolitik.org: Gab es konkrete politische Maßnahmen, um rechten Terror einzudämmen oder zu bekämpfen?

Caro Keller: Es wurden mehrere Razzien durchgeführt. Darunter eine gegen die Neonazi-Gruppe „Knockout 51“ aus Thüringen sowie gegen Mitglieder des „Reichsbürger“-Netzwerks „Patriotische Union“. Wie deren Taten in den Gerichtsprozessen bewertet werden, sehen wir vermutlich im kommenden Jahr. Das wurde auch begleitet von warmen Worten, wonach die Bekämpfung rechter Gewalt wichtig sei. Aber dass daraus ernsthafte, weitergehende Konsequenzen gezogen werden, sehen wir derzeit nicht.

netzpolitik.org: Wo siehst du konkret Verbesserungsbedarf?

Caro Keller: Das beginnt bereits bei den rassistischen und antisemitischen Narrativen, die sich nicht nur in den sozialen und klassischen Medien verbreiten, sondern auch von Politiker:innen vorangetrieben werden. Durch die Verabschiedung bestimmter Gesetze haben sie außerdem rechten Positionen nachgegeben, deren Standpunkte aufgegriffen und diese in Gesetze integriert. Das stellt ein ernsthaftes Problem dar.

„Auch die sogenannte Mitte ist nicht frei von rechten Ideologien“

netzpolitik.org: Wie erklärst Du Dir diese Offenheit gegenüber rechten Positionen?

Caro Keller: Aktuell erleben wir eine Situation, die stark an die Verhältnisse der 90er-Jahre erinnert. Wie damals haben Rechte heute die Möglichkeit, Einfluss auf die Politik zu nehmen – außerhalb und innerhalb des Parlaments. Ein Beispiel dafür ist die AfD. Außerdem wird dem Druck von rechts nachgegeben, weil auch Politiker:innen der sogenannten Mitte nicht frei von rechten Ideologien sind. Das trägt dazu bei, die Bedrohung durch rechten Terror eher zu verstärken.

netzpolitik.org: Hast du dafür ein Beispiel?

Caro Keller: Nancy Faeser trat ihr Amt als Bundesinnenministerin mit dem festen Vorsatz an, entschieden gegen rechte Gewalt und rechten Terror vorzugehen. Leider beobachten wir stattdessen, dass die Ministerin selbst rassistische Narrative bedient und eine entsprechende Gesetzgebung befördert. Im Kampf gegen Rechts ist dieses Verhalten kontraproduktiv. Denn durch eine solche Haltung sehen Rechte ihre Anliegen in der Politik zusätzlich bestätigt.

netzpolitik.org: Wie effektiv ist deiner Meinung nach das deutsche Rechtssystem im Umgang mit rechtem Terror?

Caro Keller: Als NSU-Watch beobachten wir viele Gerichtsprozesse. Vor diesem Hintergrund ist es für mich schwierig, diese Frage einheitlich zu beantworten. Das liegt unter anderem daran, dass die Prozesse jeweils unterschiedlich verlaufen. Oftmals aber sehen wir, dass es bei den Gerichten keine Aufklärung darüber gibt, was rechter Terror überhaupt ist und wie er funktioniert. Das heißt, jede:r Richter:in entscheidet aus dem Bauch heraus, ob die Tatmotive rassistisch oder antisemitisch sind – oder nicht. Dadurch werden rechte Motive oftmals gar nicht erst erkannt.

netzpolitik.org: Was braucht es, um das zu ändern?

Caro Keller: Wichtig ist, die Verfahren aktiv zu begleiten und zu beobachten. Oftmals werden während der Beweisaufnahme rechte Motive für Taten deutlich herausgearbeitet, im Urteil finden sie dann aber keinen Niederschlag. Gleichzeitig werden die Taten entpolitisiert. Oft stehen auch nur Einzelpersonen vor Gericht. Dadurch wird die Verantwortung letztlich auf sogenannte Einzeltäter:innen geschoben und aktive Netzwerke und die gesellschaftliche Verantwortung bleiben unentdeckt. Die Neonaziszene wird dadurch bestärkt. Die denken sich, wenn wir irgendwas machen, dann kommen, wenn überhaupt, nur ein paar von uns vor Gericht.

Dementsprechend sollten wir immer gleich mehrere Fragen im Blick behalten, wenn wir die Missstände beheben wollen: Wird die Tat aufgeklärt? Wenn sie aufgeklärt wird, kommt es dann zu einem Gerichtsverfahren oder wird der Fall zu den Akten gelegt? Wird das politische Motiv anerkannt oder wird die Tat entpolitisiert? Wie erfolgt die Beweisaufnahme? Was kann eine Nebenklage erreichen? Was erwarten wir von der Staatsanwaltschaft? Was steht am Ende im Urteil?

„Meine Hoffnung ist, dass sich mehr Menschen mit rechtem Terror beschäftigen“

netzpolitik.org: Welche Rolle spielen deiner Meinung nach soziale Medien wie X oder auch Telegram-Gruppen dabei, rechtsextreme Ideologien zu verbreiten?

Caro Keller: Eine große Rolle! Terror gab es schon immer. Und die Verbreitung extrem rechter Ideologien bedient sich immer den Mitteln ihrer Zeit. Das Internet ist das Mittel unserer Zeit und dementsprechend nutzen es rechte Akteur:innen gezielt. Doch auch Bürger:innen der sogenannten Mitte nutzen diese Plattformen und fördern rassistische Diskurse. Nicht alle von ihnen werden gewalttätig. Aber wer nach Rückendeckung sucht, kann einfach zu X, Instagram oder anderen Plattformen gehen. Doch auch ohne Internet gäbe es rechtes Gedankengut, da die Ideologie noch immer fest in der Gesellschaft verankert ist.

netzpolitik.org: Glaubst du, dass sich das mit Hilfe präventiver Maßnahmen langfristig ändern ließe?

Caro Keller: Ja, aber dazu müssen wir aus dem NSU-Komplex und allem anderen rechtem Terror unsere Lehren ziehen. Wir müssen den Verfassungsschutz abschaffen und die Polizei auf institutionellen Rassismus prüfen. Die mediale Berichterstattung sollte frei von rechten Ideologien sein, und wir müssen für eine solidarische Gesellschaft kämpfen.

Meine Hoffnung ist aber vor allem, dass sich mehr Menschen ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen. Es ist wichtig, die Geschichte des rechten Terrors aufzuarbeiten und für Aufklärung kämpfen.

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14 Ergänzungen

  1. „wir müssen den Verfassungsschutz abschaffen“ galt ganz sicher, als Maaßen Präsident war, und Fritsche die Beweise schredderte, die sonst dem NSU-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestanden hätten.
    Thomas Haldenwang aber unternimmt doch das Richtige gegen die rechtsradikale AfD, genießt das Vertrauen unserer jüdischen Gemeinde, hat CSU-Politikern erklärt, dass die letzte Generation, wenn sie die Einhaltung der von der Regierung selbst gesetzten Ziele anmahnt, sich doch gerade demokratisch engagiert, u.a.m. –
    ob wir mit oder ohne Inlandsgeheimdienst besser d’ran sind, muss jeder für sich beantworten,
    aber Thomas Haldenwang sollte nicht in der wirklich bedrohlich finsteren Gruppe von Hans Georg Maaßen und Klaus Dieter Fritsche einfach mit untergehen, denn das wäre unfair !, – findet dass Caro Keller nicht auch?

    1. > Caro Keller: Ja, aber dazu müssen wir aus dem NSU-Komplex und allem anderen rechtem Terror unsere Lehren ziehen. Wir müssen den Verfassungsschutz abschaffen

      Wobei „Wir müssen den Verfassungsschutz abschaffen“ auf einen Artikel des „Stern“ aus dem Jahr 2019 verlinkt, und damit quasi Caro Kellers Position rechtfertigen soll. Ich finde es abwegig das so zu machen.

      Und ja, was Qualität und Nutzen von Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene anbelangt, wäre kritische Differenzierung angesagt. Die pauschale Forderung nach einer Abschaffung der Geheimdienste ist so unterkomplex wie die Forderung den Staat abzuschaffen. Aber Naivität und ideologische Verblendung lässt sich ebensowenig abschaffen.

      Wenn Demokratie überleben soll, dann muss sie wehrhaft sein gegenüber jenen, die sie abschaffen wollen. Das hat man, so glaube ich, in einzelnen Führungspositionen der deutschen Geheimdienste inzwischen ganz gut begriffen. Kritik und gute Aufsicht braucht es aber auch weiterhin.

      1. Das ist die „Demokratie“ von der Du sprichst:

        „Man kann nicht zulassen, dass Wahlen die Wirtschaftspolitik beeinflussen“

        Wolfgang Schäuble

      2. Der Verfassungsschutz, sowohl BfV als auch die LfV, hat eine desastroese Bilanz bezueglich seiner Aufgaben und eine langjaehrige Tradition der Unkontrollierbarkeit, und er ist letztlich ein Fremdkoerper in einem demokratisch kontrollierten Rechtsstaat.

        Als Geheimdienst ersatzlos zu streichen und durch transparente und kontrollierbare Organisationen in Polizei und OSINT ersetzen. Denen koennte man dann auch vertrauen, waehrend niemand Aussagen oder „Ergebnissen“ von BfV/LfV auch nur ansatzweise vertraut: wenn die in die eigene Agenda passen, werden sie so oder so als Argument benutzt, wenn nicht, so oder so ignoriert, nachpruefen/nachvollziehen kann’s ja eh keiner.

        Nette Zusammenfassung zB unter http://www.internet-law.de/2012/09/bei-den-diensten-ist-die-systemfrage-zu-stellen.html

  2. „Auch die sogenannte Mitte ist nicht frei von rechten Ideologien“
    Die sogenannte Mitte ist auch nicht frei von linken Ideologien.
    Da gibt es auch in beiden Fällen nichts dran zu meckern.
    Im ganzen Artikel wird ständig „rechts“ mit „rechtsextrem“ gleichgesetzt, was genauso falsch ist wie „links“ mit „linksextrem“ gleich zu setzen. Für „rechts“ und „links“ gilt: das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere. Sollte mit dem Zitat jedoch wirklich ausgedrückt werden, dass die Mitte „rechtsextremen“ Ideologien anhängt, stellt sich die Frage der eigenen Position. Wenn man sehr weit links steht, sieht die Mitte halt sehr rechts aus. das ist aber dann kein Problem der Mitte, sondern der eigenen (extremen) Position geschuldet.

    1. Man kann halt nur für oder gegen den Faschismus sein, die selbsternannte „Mitte“ lehnt ein aktives „dagegen“ idR ab und damit ist sie halt im Ergebnis dafür.

      1. Die selbsterklärte bürgerliche „Mitte“ hält mittlerweile Positionen für „links“ oder sogar „linksextrem“, die für die konservativen Eltern des GG noch selbstverständliche bürgerliche Tugenden waren.

        Da wurde und wird sehr erfolgreich nach rechts-autoritär verschoben und der explizit dagegen etablierte ÖR versagt leider auch hier größtenteils.

  3. Die Beobachtungen von Frau Keller spiegeln sich auch in anderen Gerichtsprozessen wieder, z. B. wenn es um Berliner Clans geht. Die Konsequenzen für die Strukturen sind auch dort zu gering. Es hat also nichts mit der Behandlung dieser Täter, sondern mit der Justiz im Allgemeinen zu tun. Dies zu kritisieren ist völlig legitim. Auf der anderen Seite ist unser Rechtssystem viel zu komplex, um mit gefährlichem Halbwissen und inneren Impulsen auf solche Fälle zu reagieren. Grundlegend kann so etwas nur die Gesetzgebung ändern.

    1. „Grundlegend kann so etwas nur die Gesetzgebung ändern.“

      Das sollte auch die Intention sein. Richtermoden oder Politiker, die auf diese Phase zurückblicken, und dann an Generationen weitergeben wie schlimm das alles war, unter der Annahme, wir hätten diese Demokratiekriesen umschifft bzw. irgendwie überstanden, tragen halt nur so und so weit. Wir sind dann de facto bei Überlieferung. Das System funktioniert nur auf Basis von Überlieferung. Bei den konkreten Bösartigkeiten gegen demokratische Prozesse, Verfasstheit, Bürgerrechte, sowie für Lobbyschnitzel, sollte es uns einen Forschungsgang wert sein, wie wir davon einiges ins System gegossen bekommen. Gerne mit Bildung und Checks und Balances dafür, wenn das die besten Aussichten bedeutet. Bei der Gesetzgebung selbst sehe ich eklatante Defizite, seit mehreren Legislaturperioden – nicht überall, dafür ist mein Taschenlampenkegel zu klein, aber Freiheitsrechte und alles mit IT sind grenzwertigst, von der falschen Seite her. „Apologie EU“ zählt natürlich nicht, Demokratie ist nicht als solche verhandelbar.

  4. Das Interview ist mir leider inhaltlich zu dünn. Als Leser tappt man in vielen relevanten Punkten weiter im Dunkeln.
    Welche rassistischen und antisemitischen Narrative werden von wem in der Politik vorangetrieben?
    Durch die Verabschiedung welcher konkreten Gesetze (außer Asylgesetz) haben sie rechten Positionen nachgegeben, deren Standpunkte aufgegriffen und diese in Gesetze integriert?
    Welche rassistischen Narrative bedient Nancy Faeser und welche entsprechende Gesetzgebung befördert sie?
    Und so weiter… Schade!

  5. Jeder Zweite schränkt laut einer Umfrage seine Internetnutzung wegen Hass im Netz ein. Besonders betroffen seien junge Frauen, die in sozialen Netzwerken sexuelle Übergriffe erführen, heißt es in der Untersuchung. Auch Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen seien dort vermehrt Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt.

    Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung.
    https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/lauter-hass-leiser-rueckzug/

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