Neues aus dem Fernsehrat (102)Fusionen sind noch keine Reformen

Sind Fusionen die Antwort auf digitale und andere Herausforderungen für öffentlich-rechtliche Medien? Ein Blick auf die Forschung zu Unternehmensfusionen sollte hier zumindest skeptisch machen. Statt immer neuer Fusionsfantasien bräuchte es demnach moderne Netzwerkansätze, die auf Kooperation und Wettbewerb zugleich setzen.

Stilisiertes Bild eines Kernfusionsreaktors
Wie bei der Kernfusion braucht es auch bei Unternehmensfusionen erstmal hohe Investitionen mit ungewissem Ausgang. CC-BY-NC-SA 2.0 Katherine Fellows

Die Serie „Neues aus dem Fernsehrat“ beleuchtet seit dem Jahr 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen Beiträgen der Reihe.

Auf der Suche nach öffentlich-rechtlichen Kostensenkungen und Einsparpotenzialen wird regelmäßig mehr oder weniger großen Fusionen das Wort geredet. Wenn schon nicht gleich ARD und ZDF verschmolzen werden sollen – wie es etwa der ehemalige ARD-Vorsitzende Tom Buhrow vorschlägt –, dann sollten wenigstens kleinere ARD-Anstalten zusammengelegt werden oder doch zumindest Deutschlandradio und ZDF miteinander fusionieren.

Gegen letzteren Vorschlag hat sich vor wenigen Tagen vehement Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue in einem Interview mit Medienpolitik.net ausgesprochen:

Nach meiner Meinung ist eine Fusion nicht sinnvoll, weil sie sehr teuer ist und damit Ressourcen bindet. Die Radio- und Fernsehwelt haben sich sehr weit auseinanderentwickelt, inhaltlich und wirtschaftlich wäre das nicht vernünftig. Es würde sehr viel Geld kosten, das anzupassen. Mögliche Einspareffekte halte ich dagegen für sehr gering.

Ist das ein Beispiel für oft kritisierte Reformblockaden im öffentlich-rechtlichen System? Geht es hier vor allem um das Sichern von Pfründen? Oder könnte es nicht vielmehr sein, dass Fusionsfantasien zu den uninspiriertesten Ideen der öffentlich-rechtlichen Reformdebatte zählen?

Die meisten Fusionen scheitern

In der Tat kosten Fusionen erst einmal Geld, mit der Hoffnung auf zukünftige Einsparungen. Diese Hoffnungen sind häufig vergeblich, denn die Mehrheit der Fusionen scheitert. Zwar bergen diese das Potenzial, sowohl Kosten zu sparen (z.B. geringere Verwaltungskosten relativ zum Output) als auch Marktanteile und damit Marktmacht zu vergrößern. Gleichzeitig drohen große integrierte Konzernstrukturen zu Effizienzverlust zu führen, etwa weil Flexibilität und Innovationsoffenheit zurückgehen.

Auch ein Blick auf die Abfolge immer neuer Fusionen und Zusammenlegungen von Redaktionen privater Medien erweist sich in der Regel nicht als ein „Gesundschrumpfen“. Kaputtfusionieren scheint ein angemessenerer Begriff. Worin besteht der Mehrwert, auf immer gleiche Inhalte von Zentralredaktionen nur unterschiedliche regionale Logos zu drucken? Am ehesten dient dies dazu, die Illusion von real existierenden Regionalzeitungen aufrechtzuerhalten. Ob das aber dem Erhalt von Regionaljournalismus dient oder vielleicht sogar die Entstehung neuer Formen des Regionaljournalismus‘ behindert, ist alles andere als eindeutig.

Strategische Netzwerke werden unterschätzt

Vor allem aber verstellt das Entweder-oder von eigenständig oder fusioniert den Blick auf alternative Organisationsformen jenseits von Wettbewerb und Hierarchie: strategische Netzwerke. Schon bevor Jörg Sydow in seinem 1992 erschienen Band „Strategische Netzwerke“ diese Organisationsform auch im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich untersucht hat, erfreuten sich Ansätze wachsender Beliebtheit, die Kooperation wirtschaftlich selbstständiger Organisationen zu forcieren.

Strategische Allianzen oder Netzwerke versprechen, die Vorteile von Kooperation – zum Beispiel schneller Wissenstransfer oder die Nutzung komplementärer Kompetenzen – mit jenen von Wettbewerb zu kombinieren, was unter anderem vielfältigere Innovationspfade oder Spezialisierungsvorteile ermöglicht. Der Preis dafür ist, dass bestimmte Spannungsverhältnisse wie jene zwischen Autonomie und Abhängigkeit oder zwischen Flexibilität und Spezifität nicht aufgelöst werden können. Stattdessen müssen diese als fortdauernde Managementherausforderungen begriffen werden.

Wenig überraschend sind kooperative Ansätze auch in öffentlich-rechtlichen Kontexten seit langem auf dem Vormarsch. Das vor zwei Jahren angekündigte gemeinsame Streaming-Netzwerk von ARD und ZDF ist inzwischen Realität geworden. Zukunftsweisende F&E-Projekte wie der Public Spaces Incubator werden von vier öffentlich-rechtlichen Anstalten auf zwei Kontinenten zusammen mit einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation entwickelt. Und auch Deutschlandradio-Intendant Raue fällt es leicht, Beispiele für eine Kooperation mit dem ZDF zu nennen:

Zum anderen gibt es ja dort, wo es Sinn macht, bereits eine Zusammenarbeit mit dem ZDF. Das ist über Jahre erprobte Praxis, auch inhaltlich. So haben wir zuletzt mit „Billion Dollar Apes“ ein gemeinsames Podcastprojekt über den Handel mit digitaler Kunst gestartet, bei dem beide Seiten viel lernen konnten. Wir denken auch über weitere Kooperationsmöglichkeiten im Programmbereich nach.

Infrastruktur bündeln und öffnen

Für ein offenes öffentlich-rechtliches Medienökosystem der Zukunft könnte ein kooperatives Zusammenspiel von großen Tankern wie WDR und ZDF mit kleineren, regionalen Beibooten wie SR oder Radio Bremen letztlich auch strategische Vorteile bieten. Experimente lassen sich in kleineren Einheiten leichter realisieren, umfassendere Programm- und Infrastrukturpojekte sind schon heute nur noch gemeinsam möglich.

Besonders gut lässt sich das im Bereich der immer wichtigeren Entwicklung zeitgemäßer Softwareinfrastruktur beobachten. Verglichen mit großen kommerziellen Plattformriesen sind auch WDR oder ZDF kaum mehr als Zwerge. Sie verfügen weder über die finanziellen noch die Humanressourcen, um auch nur annähernd mit den Konzernen auf Augenhöhe zu konkurrieren.

Die einzige Chance öffentlich-rechtlicher Medien ist deshalb, über Anstalts- und Ländergrenzen hinweg auf offene Software, offene Standards und offene Protokolle zu setzen. Dadurch wird nicht nur die Investitionslast auf viele weitere Schultern verteilt. Es entstehen dabei auch digitale Gemeingüter, von denen nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern auch gemeinnützige und regionale Medienökosysteme profitieren.

Ein kooperativ-dezentraler Zugang erfordert aber einen modernen Managementzugang, der weniger auf hierarchische Kontrolle und mehr auf kooperatives Management von Spannungsverhältnissen abstellt. Das ist langfristig vielversprechender als das Schielen auf vermeintlich einfache Lösungen wie Fusionen, die zu immer größeren, schwerfälligeren Einheiten führen, aber deshalb noch lange keine Antwort auf digitale Chancen und Herausforderungen beinhalten.

4 Ergänzungen

  1. Es gibt ja zwei größere Fusionen bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die man sich ansehen könnte. Südwestfunk und Süddeutscher Rundfunk fusionierten 1998 zum Südwestrundfunk und Sender Freies Berlin und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg 2003 zum Rundfunk Berlin-Brandenburg.

    1. Das könnten jedenfalls spannende Forschungsprojekte sein. Gleichzeitig haben sich die technischen und politischen Rahmenbedingungen seither doch sehr stark geändert, als egal, welche Schlüsse und Lehren man aus so einer Untersuchung ziehen könnte, sie wären nicht 1-zu-1 auf die heutige Situation übertragbar.

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