"Historischer Deal"EU-Gesetz für Plattformarbeit steht – aber nicht sicher

Es gibt einen Kompromiss zur geplanten Plattformarbeitsrichtlinie. Damit steht fest, welche neuen Rechte Arbeiter:innen genau bekommen sollen. Das Gesetz könnte aber immer noch scheitern – auch, weil Deutschland es nicht unterstützt.

Delivero-Fahrer vor einem Restaurant.
Diese Fahrer:innen werden in der EU bald neue Rechte haben. CC-BY 2.0 Garry Knight

28 Millionen Menschen arbeiten in der Europäischen Union über Plattformen wie Uber, Deliveroo oder Helpling, in den nächsten zwei Jahren sollen es 43 Millionen sein. Sie alle werden mit einem EU-Gesetz neue Rechte bekommen, das eine große Hürde genommen hat: Parlament und Rat haben sich gestern auf einen Kompromiss geeinigt. Damit muss die Richtlinie zur Plattformarbeit nur noch formell beschlossen werden.

Die italienische Sozialdemokratin Elisabetta Gualmini, die die Verhandlungen für das Parlament leitete, ist von dem Ergebnis begeistert. Das sagte sie gestern Morgen bei einer Pressekonferenz im Anschluss an die letzte, lange Verhandlungsrunde. „Wir bauen hier einen Rahmen an Sozialrechten für die Arbeiter:innen in Europa auf, die mit die prekärsten, die schlechtbezahltesten sind“, so Gualmini. „Das hier ist eine echte Verbesserung für die Arbeitsrechte, für die Sozialrechte von Millionen an Arbeiter:innen.“

Mehr Rechte bei Arbeitsverhältnis

Die Kommission hatte im Dezember 2021 einen ambitionierten Vorschlag für das jetzt fertiggestellte Gesetz vorgelegt. Das hat zwei Kernteile: algorithmische Transparenz und die Grundannahme, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Diese Annahme soll das Problem der Scheinselbstständigkeit beheben. Momentan sind viele Menschen, die bei den großen Plattformen arbeiten, juristisch selbstständig – sie sind ihre eigenen Unternehmer und tragen damit mehr Risiken. Dafür sollten sie eigentlich auch mehr Rechte haben, das ist aber oft nicht der Fall: Die Plattformen geben ihnen genaue Anweisungen, gegen die die Arbeiter:innen nicht verstoßen dürfen.

In den letzten Jahren zog sich eine lange Liste an Verfahren durch europäische Arbeitsgerichte, in denen Arbeiter:innen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten dagegen protestierten. Sie wollten als Angestellte behandelt werden und nicht mehr das Geschäftsrisiko der Plattformen mittragen. Dabei mussten sie allerdings vor Gericht argumentieren, warum sie neu eingestuft werden sollten – nicht einfach ohne Zugang zu den Daten, die über sie gesammelt werden. Außerdem zogen sich die Fälle oft lang hin, was Kosten verursacht. Wegen unterschiedlicher Regelungen in einzelnen Mitgliedstaaten war der jeweilige Ausgang oft ungewiss.

Dem schiebt die Plattformarbeitsrichtlinie einen Riegel vor: Sie enthält fünf Indikatoren dafür, dass Plattformen Kontrolle über ihre Arbeiter:innen ausüben. Wenn die Arbeit auf einer Plattform zwei davon erfüllt, können Arbeiter:innen vor Gericht ziehen – und dann muss nun die Plattform beweisen, dass hier kein Fall von Selbstständigkeit vorliegt. Die Beweislast wird also umgekehrt. Damit werden Arbeiter:innen ihre Rechte wesentlich einfacher durchsetzen können. Die Kommission schätzt, dass momentan rund fünf Millionen Arbeiter:innen scheinselbstständig arbeiten.

Wie trifft der Algorithmus Entscheidungen?

Der zweite große Teil der Richtlinie ist die algorithmische Transparenz. Plattformen nutzen oft Algorithmen, um Entscheidungen zu treffen. Die sind dann für Arbeiter:innen, für die das Unternehmen manchmal nur aus einer App besteht, schwer nachzuvollziehen: Wie entscheidet die App, wie Aufträge zugewiesen werden? Welche Daten kennt die Plattform über mich und welche Auswirkungen hat das?

Mit dem Gesetz bekommen Arbeiter:innen nun das Recht, über diese Fragen informiert zu werden. Plattformen müssen nun Bescheid geben, wenn neue Entscheidersysteme eingeführt werden und welche Entscheidungen sie treffen. Menschen müssen an wichtigen Entscheidungen, wie etwa zu Entlassungen, beteiligt sein.

Parlament verbucht Erfolge

Der endgültige Text der Richtlinie muss erst noch festgezurrt werden. Das Parlament konnte aber gegenüber dem Rat noch einige strittige Punkte durchsetzen, erfuhr netzpolitik.org von an den Verhandlungen Beteiligten. So dürfen Plattformen etwa in Zukunft keine biometrischen Daten mehr verarbeiten. Arbeiter:innen werden auch ein Recht darauf haben, über sich gespeicherte Daten in einem maschinenlesbaren Format abzurufen, zu korrigieren oder zu löschen.

Außerdem werden einzelne durchgeklagte Fälle in Zukunft automatisch größere Auswirkungen haben: Sobald eine Arbeiterin einer Plattform eine Neueinstufung als Angestellte durchgesetzt hat, müssen die zuständigen Stellen prüfen, ob andere Arbeiter:innen der Plattform damit auch neu eingestuft werden müssen.

Entsprechend zufrieden waren die verschiedenen Fraktionen im Parlament. „Faire Arbeitsbedingungen und Datenschutz gelten für alle!“, sagte der EVP-Schattenberichterstatter Dennis Radtke. „Scheinselbstständigkeit und Wettbewerbsverzerrung sagen wir hiermit den Kampf an.“

Die Linken-Abgeordnete Leïla Chaibi erinnerte an die sehr harte Lobbyschlacht um das Gesetz: „Bis zum letzten Moment haben die Uber- und Deliveroo-Lobbys hinter den Kulissen versucht, diese Richtlinie zu sabotieren. Ich hätte gerne einen ambitionierten Kompromiss gehabt, aber wir haben durchgehalten. Uber hat sein Gesetz in Europa nicht selbst geschrieben.“

Der ehemalige Uber-Fahrer und Gründer der französischen Uber-Gewerkschaft, Brahim Ben Ali, äußerte sich bewegt über das Ende der Verhandlungen.

Noch ist nichts sicher

Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Dazu müssen das Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat noch einmal zustimmen. Das ist normalerweise nur eine Formalität, könnte in diesem Fall aber interessant werden: Die Mitgliedstaaten hatten lange über ihren Entwurf diskutiert. Auf der einen Seite stand Spanien, das eine ambitionierte Richtlinie nach dem Vorbild des eigenen Plattformarbeitsgesetzes wollte. Auf der anderen Seite setzten sich unter anderem Frankreich und Schweden für eine lockere Regulierung ein. Deutschland enthielt sich – weil die FDP eine Stimme der Bundesregierung für mehr Arbeiter:innenrechte verhinderte.

Am Mittwoch wird der Rat über die Richtlinie abstimmen. Dabei wird die Mehrheit wahrscheinlich dünn werden. Wie Deutschland abstimmen wird, ist momentan unklar. Deshalb wird dem Vernehmen nach viel an der Stimme Frankreichs hängen. Sollte es im Rat keine Mehrheit geben, könnte das Gesetz auf den letzten Metern noch zu Fall gebracht werden.

2 Ergänzungen

  1. > Deutschland enthielt sich – weil die FDP eine Stimme der Bundesregierung für mehr Arbeiter:innenrechte verhinderte.

    Was will man von einer neoliberalen FDP erwarten?
    Aus Lindners „lieber nicht regieren als schlecht regieren“ ist ja leider ein lieber verhindern und schlecht regieren geworden.

  2. Hallo, dieses Vorhaben zum Plattformgesetz wird von deutschen Selbstständigen sehr kritisch gesehen. Beim VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.) wird das Thema begleitet. Es kommen immer wieder Dinge ans Licht, die dazu führen könnten, dass nahezu alle Selbstständigen die über irgend eine Onlineplattform an Aufträge kommen oder anderweitig über digitale Methoden Koordinierung machen davon betroffen sein könnten. Die Ausflüchte gerade der „sozialdemokratischen“ Akteure in der EU sind hier als Feindlich gegenüber kleinen Selbstständigen zu sehen. Die meisten Selbstständigen sind gerne selbstständig und nicht zu verwechseln mit ausgebeuteten Arbeitssklaven, die es ggf. durchaus bei Plattformen gibt.

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