ePrivacy-VerordnungHerzstillstand für das digitale Briefgeheimnis

Es sollte eine große Datenschutzreform werden, die uns vor Werbetracking durch Cookies und Auswertung unserer Messengerkommunikation schützt. Doch die lang erwartete ePrivacy-Verordnung steht offenbar vor dem Aus. Verbraucherschützer:innen fordern von der EU-Kommission einen Neuanfang.

Aus für ePrivacy-Reform?
Kommt für die ePrivacy-Verordnung jede Hilfe zu spät? (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Während in Brüssel an neuen Vorstößen zur Vorratsdatenspeicherung gearbeitet wird, steht eine wichtige Datenschutzreform vor dem Scheitern. Die ePrivacy-Verordnung sollte nach Wunsch des EU-Parlaments eine Art digitales Briefgeheimnis verankern. Doch der Rat der EU-Staaten verzögert Verhandlungen über das Gesetz. Wegen ausbleibender Fortschritte könnte die EU-Kommission ihren Vorschlag für das Gesetz zurückziehen: „Aus meiner Sicht verpassen wir als Europäische Gesetzgeber damit die einmalige Chance, die Grundrechte der Europäerinnen und Europäer zu stärken, wenn die ePrivacy-Verordnung keine Realität wird“, warnt die Chefverhandlerin des Parlaments, SPD-Abgeordnete Birgit Sippel.

EU-Abgeordnete Birgit Sippel
Birgit Sippel - Alle Rechte vorbehalten European Union 2023 - Source : EP

Auf Wunsch des Parlaments soll Kommunikation über Messenger wie WhatsApp und Telegram rechtlich vor Werbetracking geschützt werden. Damit wäre der Schutz von Messenger-Kommunikation juristisch gewöhnlichen Anrufe und SMS gleichgestellt, die nicht für Werbetargeting ausgewertet werden dürfen. Auch soll die ePrivacy-Verordnung Werbetracking durch Cookies ohne Einwilligung der Nutzer:innen verbieten und überdies starken Schutz der Privatsphäre als Standard in jedem Browser festlegen. Darauf hat sich das EU-Parlament bereits 2017 geeinigt.

Doch jahrelang weigerte sich der Rat der EU-Staaten, der der Reform zustimmen muss, eine eigene Position festzulegen. Als die Staaten 2021 schließlich ihre Version des Gesetzes beschlossen, verwässerten sie darin Schlüsselbestimmungen. Geht es nach dem Rat, dürfen bei der Kommunikation über Messenger Metadaten ohne Zustimmung der Nutzer:innen ausgewertet werden. Windelweiche Formulierungen sollen Cookie-Tracking für Werbezwecke ermöglichen. Und mit breiten Ausnahmen für „nationale Sicherheit“ und Verteidigung öffnet der Ratsvorschlag sogar Hintertüren für die Vorratsdatenspeicherung.

„Sprachlos“ über schwedisches Zögern

Seit gut zwei Jahren ringt Parlamentsverhandlerin Sippel mit dem Rat um einen Kompromissvorschlag, um die Reform endgültig Gesetz werden zu lassen. Die SPD-Abgeordnete zog in den Verhandlungen rote Linien – etwa ist ein Verbot von Cookie-Tracking ohne Einwilligung für Sippel ein Muss. Doch nach zögerlichen Fortschritten im Laufe des Vorjahres kamen die Gespräche mit dem Rat in diesem Jahr endgültig zum Erliegen.

Seit Jahresanfang hat Schweden den Vorsitz im Rat inne. Anfang März bat Sippel in einem Brief (hier im Volltext) den schwedischen Ratsvorsitz, Termine für Verhandlungen über das Gesetz anzusetzen, um endlich eine Einigung zu erzielen. Doch ihr Schreiben blieb unbeantwortet. „Ich bin sprachlos, wie wenig [der schwedische Ratsvorsitz] sich um Datenschutz und Vertraulichkeit der Kommunikation zu kümmern scheint“, twitterte Sippel.

Ihre Bemühungen bleiben fruchtlos. Auf Anfrage von netzpolitik.org erklärte die schwedische Regierung, sie werde „die Verhandlungen zu ePrivacy in unserer Präsidentschaft nicht abschließen.“ Die schwedische Ratspräsidentschaft habe die Nutzung von Daten für wirtschaftliche Zwecke und staatliche Überwachung (Stichwort Vorratsdatenspeicherung) vorangetrieben, sagt Sippel. Doch „beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Überwachung und Vertraulichkeit der Kommunikation hört das Interesse an Fortschritt auf“, ärgert sich die SPD-Abgeordnete.

Damit ist mit einer Einigung sehr wahrscheinlich nicht mehr zu rechnen. In einem Jahr wird ein neues Europäisches Parlament gewählt. Schon Monate zuvor kommt die europäische Gesetzgebung in der Regel zum Erliegen. Wenn die ePrivacy-Verordnung nicht vor Jahresende in trockenen Tüchern ist, dürfte sie endgültig Geschichte sein. Denn die nächste EU-Kommission könnte ihren dann sieben Jahre alten Vorschlag offiziell zurückziehen, wie es EU-Kommissar Thierry Breton irrtümlich bereits 2019 angekündigt hatte. Die Kommission antwortete auf unsere diesbezügliche Frage nur, dass sie über ein mögliches Scheitern der Verhandlungen nicht spekulieren wolle.

„Brauchen Verbot von Profilbildung zu Werbezwecken“

„Dass die ePrivacy-Verordnung seit mehr als sechs Jahren ergebnislos diskutiert wird, ist ein Armutszeugnis für die europäischen Gesetzgebungsinstitutionen“, kritisiert Florian Glatzner von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Dabei seien wirksame Maßnahmen für den Schutz der Rechte auf Privatsphäre und vertrauliche Kommunikation dringend erforderlich.

Glatzner fordert daher einen Neuanfang – auch weil sich die Natur des Trackings im Netz in den vergangenen Jahren verändert habe – unter anderem durch die neue Datenschutzgrundverordnung und einem von Google angekündigten Vorgehen gegen sogenannte Third-Party-Cookies, so Glatzner. „Daher könnte es auch der richtige Weg sein, die ePrivacy-Verordnung sterben zu lassen und einen Neuanfang zu wagen.“

Dem Verbraucherschützer schwebt stattdessen ein neues EU-Gesetz für digitale Werbung vor, dass über ein bloßes Verbot von Cookie-Tracking hinausgeht und ein Verbot von Profilbildung zu Werbezwecken vorsieht. Dieser Rechtsakt „sollte neue technologische Entwicklungen [adressieren], wie Profilbildung auf den Endgeräten der Nutzer:innen, aber auch die Vielzahl der negativen Auswirkungen von auf Profilbildung basierender Werbung, zum Beispiel Manipulation oder Diskriminierung von Verbraucher:innen.“

6 Ergänzungen

  1. Ja, es gibt sie noch, die aufrechten EU-Parlamentarier, die sich für Bürgerrechte einsetzen. Aber wie viele sind es noch, und warum werden es immer weniger?

    Die europäische Zivilgesellschaft muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie die wenigen Aufrechten Parlamentarier hinreichend unterstützt, während Lobbyisten ihr schädliches Werk bei den Empfänglichen mit Hingabe verrichten.

    Der Wähler muss diejenigen kennen, die gegen seine Interessen agieren. Es reicht nicht, im EU-Kontext nur Namen von Staaten zu nennen, wie hier nur „Schweden“. Welche Mitgliedstaaten positionieren sich ähnlich?

    Der Wähler muss die treibenden Kräfte mindestens an Parteinamen erkennen können, besser noch in Persona, um informierte Wahlentscheidungen treffen zu können.

    Darüber hinaus müssen Konsumenten wissen, welche Lobbyisten für welche Firmen arbeiten und welchen Schaden sie gerade für die Bevölkerung anrichten. Nicht-Entscheidungen im Supermarkt oder beim Internet-Kauf sind oft wirkmächtiger als Stimmzettel.

    Meine Bitte an den Journalismus wäre, nennt die Reiter beim Namen, mindestens aber für welche Farben sie reiten.

    1. Da fühle ich mich ein bisschen an Heise erinnert, die mal irgendwann in den letzten 4 Jahren in ihrem Newsticker titelten, dass x Add-Ons wegen Privatsphäre-Verstößen (?) von addons.mozilla.org entfernt worden sein. Im Artikelforum schrieb dann jemand zurecht so etwas wie: „Der Artikel ist nicht besonders hilfreich solange sie nicht recherchieren und auflisten, *welche* Add-Ons Mozilla nun genau hinausgekickt hat.“

      George Orwell hätte Wikileaks bestimmt gemocht, denn er schrieb mal: „Journalism is printing what someone else does not want printed. Everything else is public relations.“

        1. bzw. naja… vielleicht geht damit gar keine Quantifizierung bzw. kein Vergleichsmaß einher? Oder keine vollständige Beschreibung, wegen der Kürze und so…

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