Was der schwarz-roten Koalition nicht gelungen ist, will nun die Ampel nachholen. Der heute vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes soll Whistleblower:innen dabei helfen, Missstände zu melden, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen.
Obwohl der Regierungsentwurf über die Mindestvorgaben der EU hinausgeht, bleibt er doch hinter den Erwartungen zurück. Beispielsweise müsste ein deutscher Edward Snowden ähnlich viel Sorge vor rechtlichen Konsequenzen haben wie der nun in Russland sitzende US-Whistleblower. „Wer auf ein umfassendes Schutzgesetz für Whistleblowerinnen und Whistleblower gehofft hat, wird enttäuscht“, sagt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). „Der Entwurf lässt viele Hinweisgebende im Stich und legt ihnen Steine in den Weg.“
Die Hoffnung auf einen umfassenden Schutz von Hinweisgeber:innen hatte die Regierung indes selbst geweckt. Im Koalitionsvertrag versprach sie, nicht nur Meldung von Verstößen gegen EU-Recht sicher zu gestalten. Auch sollten Hinweise über erhebliche Verstöße gegen Vorschriften oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten geschützt sein, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt – unabhängig davon, ob es sich um Verstöße gegen EU-Recht oder deutsche Gesetze handelt.
Zu wenige Missstände abgedeckt
Tatsächlich weitet der Kabinettsentwurf den sogenannten sachlichen Anwendungsbereich aus. Allerdings bleibt dies auf bestimmte Bereiche beschränkt: Umfasst ist die Offenlegung strafbewehrter Verstöße, ebenso die von bußgeldbewehrten Informationen, sofern sie „Leben, Leib oder Gesundheit oder den Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane verletzen“. Darüber hinaus lassen sich unter anderem bestimmte Finanzverbrechen melden oder Verstöße, die die Produktsicherheit gefährden.
Im Vergleich zu früheren Entwürfen aus dem Bundesjustizministerium hätten sich fast keine Neuerungen ergeben, sagt Simon Gerdemann, der an der Universität Göttingen zum Whistleblowing-Recht forscht. Zwar seien Verstöße gegen nationales Kartellrecht jetzt weitgehend meldefähig. „Die im Koalitionsvertrag eigentlich vereinbarte Aufnahme erheblicher Missstände als Gegenstand des Whistleblowings fehlt aber nach wie vor“, sagt Gerdemann.
Grundsätzlich soll eine Meldung über interne und externe Meldestellen erfolgen. Whistleblower:innen können selbst entscheiden, ob sie auf Missstände zunächst im Unternehmen beziehungsweise einer Behörde hinweisen oder sich an etwa an das Bundesamt für Justiz wenden. Dort soll eine zentrale externe Meldestelle entstehen, daneben soll es spezialisierte Meldesysteme geben, unter anderem beim Bundeskartellamt.
Bitte nicht anonym und bitte nicht an die Presse
Anonyme Meldungen „sollten“ bearbeitet werden, wünscht sich die Bundesregierung. Eine Pflicht für entsprechende Meldekanäle sieht sie jedoch nicht vor. Das gehe an der Realität vorbei, sagt Werdermann von der GFF. „Aus Angst vor Repression wenden sich viele Menschen legitimerweise nur anonym an Meldestellen“, so der Jurist. Die Ermöglichung und Bearbeitung anonymer Meldungen sollte daher verpflichtend vorgeschrieben werden, „zumal es dafür mittlerweile zahlreiche IT-Lösungen gibt“.
Der Gang an die Medien soll nur dann möglich sein, wenn eine Meldung über die vorgesehenen Kanäle im Sand verlaufen ist. Das genüge aber weder dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit für Whistleblower:innen noch dem Informations- und Partizipationsanspruch einer demokratischen Gesellschaft, kritisiert Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk. „Die Norm muss den direkten Gang an die Öffentlichkeit schützen, wenn eine Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt.“
Wirtschaftsblockade
Eigentlich war die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtline bereits Ende des Vorjahres fällig gewesen. Streit gab es in der Vorgängerregierung vor allem darum, ob auch Verstöße gegen deutsches Recht erfasst werden sollten. Blockiert hatte das damals CDU-geführte Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier, der sich auf die Seite der Unternehmen gestellt hatte.
Gegen die nun geplante Ausweitung wehrt sich die Wirtschaft bis heute. Den Arbeitgeberverbänden zufolge sei sie „überflüssig“ und berge die Gefahr einer „Überfrachtung“. Zumindest müsse es eine Bagatellgrenze geben, schreibt der Verband in seiner Stellungnahme zu einem früheren Entwurf des Gesetzes, damit nicht jeder „kleinste Verstoß oder Missstand“ gemeldet werden kann.
Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten hingegen auf einen möglichst breiten Schutz gedrängt. So sei etwa unklar, warnt der Deutsche Anwaltverein, ob Mängel in Lieferketten oder bei Sozialversicherungen erfasst sind. Auch die GFF sieht Schutzlücken. Rechtsextreme Chats von Polizeibeamt:innen müssten etwa eine hohe Schwelle der Strafbarkeit wie Volksverhetzung erreichen, um sie melden zu können.
„Dabei kann es auch bei solchem Fehlverhalten ein erhebliches öffentliches Interesse am Bekanntwerden geben“, sagt Werdermann. Dies gelte auch in anderen Bereichen, etwa in der Pflege: Selbst wenn kein Straftatbestand erfüllt wird, können vielen Missstände trotzdem skandalös und schädlich für das Gemeinwohl sein.
Geheim bleibt weitgehend geheim
Minimal hat sich die Regierung in Sachen geheimer Informationen bewegt. Ein früherer Gesetzentwurf hatte noch völlige Stillhaltepflicht verlangt. Nun sollen zumindest Informationen des schwächsten Geheimhaltungsgrades (Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch) unter bestimmten Bedingungen gemeldet werden dürfen – allerdings nur an eine interne Meldestelle.
Die schwache Regelung ärgert die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner. „Indem ’nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates‘ pauschal Vorrang haben sollen, werden ‚illegale Geheimnisse‘ durch ihre Einstufung als Verschlusssachen gegen Whistleblowing immunisiert“, sagt die Geheimdienstexpertin. Anregungen wie unabhängige Anlaufstellen, die die Einstufung als Verschlusssache auf Aufforderung potenzieller Whistleblower:innen prüfen könnten, seien nicht berücksichtigt worden. „Die Ampel bleibt damit selbst hinter ihrem eigenen Koalitionsvertrag zurück.“
Der Ball liegt nun beim Bundestag und Bundesrat. Die beiden Kammern müssen dem Entwurf noch zustimmen.
Wer sich nicht mit leidlichen Pressemitteilungen zufrieden geben will dem sei dieser Link empfohlen:
https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinweisgeberschutz.html
Dort finden sich auch sämtliche Stellungnahmen der sog. Stakeholder.
„Die Bundesregierung will […]“ ist so eine Sache. Die Bundesregierung sagt, dass sie will. Das ist ja uU ein Unterschied.
Kein nitpicking oder Vorwurf an den Autor. Aber die Medien sind mW viel zu sehr daran gewöhnt, Absichtserklärung als Realität darzustellen, letztlich ist das die Übernahme der jeweiligen PR. Wobei „besser als nichts“ natürlich korrekt „besser“ ist 8)
Download | Datum18. Mai 2022Stellungnahme Deutscher BundeswehrVerband e.V. (der Veröffentlichung wurde widersprochen)
Stellungnahme des Deutschen BundeswehrVerband e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (der Veröffentlichung wurde widersprochen)
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Wer hat der Veröffentlichung der Stellungnahme des Deutschen BundeswehrVerband e.V. zum Referentenentwurf widersprochen. Der Verein oder das Verteidigungsministerium? Was ist die Story dahinter?
Ist das eine Scherzfrage?
Der BDwV ist ein unabhaengiger privater Verein, was sollte das BMVg da zu sagen haben?
In dem Gesetzentwurf ist also eine Anleitung für die Fehler-Begehenden, wie man Fehler-Melder zum Schweigen bringt: Deklaration des Fehlers als gar nicht straf-/bußgeld-bewehrt, interne Meldung ignorieren/leugnen/Beweise vernichten um externe Meldung auszuschließen, sämtliche Kommunikation zum Fehler als vertraulich/geheim einstufen, anonyme Meldungen diffamieren, bekannte Fehler-Melder mit ihren tragischen Schicksalen laut und deutlich auflisten zur Abschreckung.
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Das ist also in Wahrheit ein Whistleblower-Unterdrückungs-Gesetzentwurf ?
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Dann hoffe ich jetzt, der Bundestag lehnt diesen Entwurf ab, und beschließt an seiner Stelle, Edward Snowdens sicheren Aufenthalt in Berlin (deutsche Staatsangehörigkeit) einzufordern von unserer Regierung als Sofortumsetzung, da diese ja in den Koalitionsvertrag den WhistleblowerSCHUTZ geschrieben hatte. Nicht die Whistleblower-Unterdrückung.
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Zu unterscheiden ist der politische Nutzen eines Gesetzgebungsverfahrens vom gesellschaftlichen Nutzen.
Bis zur Verabschiedung des Gesetzes kann man sagen: Wir haben Whistleblower-Schutz gewollt. Das ist eine feine Sache und ist prima geeignet zu einer freundlichen Selbstdarstellung.
Man kann sagen: Wir haben eine öffentliche Debatte gehabt. Jeder durfte alles sagen. Gehört werden ist das eine, aber zum erhört werden muss man mit Geltungsmacht ausgestattet sein. So ist z.B. der CCC ein gern geladener Gesprächsteilnehmer, der sich in Teilnehmerlisten immer gut macht, aber damit ist seine Funktion auch schon weitgehend beschrieben. Es gilt der Olympische Gedanke: Dabeisein ist alles. Der Sieg gehört den Gedopten.
Was ist nun mit dem gesellschaftlichen Nutzen? Man kann sagen, jetzt haben wir endlich einen Whistleblower-Schutz. Das Mögliche wurde ausgeschöpft, der Prozess war transparent (bis auf den Bundeswehr-Verein) und fair. Leider hat es nicht zu mehr gereicht. Aber so ist es immer: Zu mehr reicht es eben immer nicht.
Nja, der Gesellschaftliche Nutzen wird aber vielleicht eher gegen Null tendieren. Immerhin gibt es Gesetze und insgesamt könnte das helfen, bei größeren Betrieben an den im Weg stehenden Managementebenen vorbeizumelden. Da kann es sinnvoll sein, wäre auch typisch: „Groß – Flos, klein – kannschde noch ned Schwimme?“.
Ansonsten schwächt es effektiv vielleicht sogar die Möglichkeiten. Wenn z.B. an die Presse durchstecken plötzlich grundsätzlich illegal wird, am Besten auch für die Presse, weil ja noch ein Meldeweg zu beschreiten bleibt!
Das ist jetzt aus der Reihe: „Natürlich kolportiert!“
„aber zum erhört werden muss man mit Geltungsmacht ausgestattet sein. “
Das ist wohl ein Konstruktionsfehler. Wenn wir nicht schnell aussterben wollen, müssen wir da durchlässiger werden. In der Datensicht sieht es dann hierarchisch aus, und letzlich stimmt das natürlich schon: die Information kommt dann irgendwann beim wirkmächtigen CCC an, was im Grunde ja auch eine qualitätsichernde Funktion hat. Man stelle sich vor, sowas wäre allgemein in der Politik umgesetzt!
Problem wäre halt, wenn plötzlich die Macht zum Abwürgen besteht und falsch genutzt wird, oder wenn diese Institutionen nur noch isoliert dastehen, und sozusagen keine Zwischenhierarchien mehr zu den Individuen (und im Zweifel nach weiter oben) hin bestehen. Also im Grunde haben Sie da schon recht, es stellt sich aber schon die Frage, ob und wer geeignet ist für Eingaben nach oben.
Ansonsten sehe ich ziemlich viele Fragezeichen, die (und andere) eigentlich nicht ohne nähre Betrachtung verschwinden. Sich der Betrachtung zu entziehen ist zwar häufig in der Politik, zeigt aber, dass Argumentation an der Stelle nichts bring. Letzlich könnte man hier nur entschuldigen, wenn es stetige Prozesse der Prüfung und Verbesserung von Verfahren gäbe, inklusive Adäquatheit und Absetzen von Verfahren und Gesetzen, die nicht tun was sie sollen, also eine Art real (umngangssprachlich bereits?) verbindliche Präambel für jedes Vorhaben.
Zum Nutzen:
– Wem nützt das? Da wird schnell die alte deutsche Asymmetrie stehen (Konzerne, sonst nüscht).
– Wie ist der Ausblick bzgl. des Ganges zur Presse? (Mehr Risiko? Für das Herunterspielen von eklatanten Verstößen oder auch nur zufälligen Unfällen gibt es ziemlich viele, wo gerade bei Unternehmen oft weite Teile des Managements involviert sein dürften. Ob da der Meldeweg Spaß bringt? Es gibt auch keine 90-Tage-Regel für Transparenz o.ä.)
Und die Transparenz des Prozesses:
– Woher ganz genau kommt welches Stück Text?
– Wer hat mit wem bzgl. dieses Themas gesprochen?
– Wer bekommt von Profiteuren etwas, z.B. Geld (wann auch immer).
– Strukturierte Datensammlung für Postmortem öffentlich?
Und nun zur Beteiligung:
– Gibt es überhaupt positive Beispiele, wie z.B. Bürgerbeteiligung jemals etwas gebracht hat? Gibt es Statistiken darüber?
– Wäre es nicht klüger, Beteiligungsanfragen auf der offiziellen Seite an bestimmte NGOs oder auch Parteien (für die, die das wollen), oder sonsteine registrierte Veranstaltung zu schicken, die dann mit mehr Gewicht, Destille usw. als Treuhänder mehrerer auftritt?
– (Nichts gegen individuelle Eingaben.)
Zum Totschlag:
– Der sogenannte Kuhhandel ist leider auch noch nicht transparenzpflichtig.
Ihr wisst schon, dass „Hinweisgebende“ etwas komplett anderes bedeutet als „Hinweisgeber“? Inhaltlich jetzt? Ist euch aber egal?
Die Frage laesst erkennen, dass Du die Intention der Aussage korrekt erkannt hast. Funktioniert also.