Laura Wisser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg. Sie forscht zu Polizei- und Verfassungsrecht. Dieser Beitrag erschien zuerst in „Recht gegen rechts – Report 2022“, der im S. Fischer Verlag erschienen ist. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Herausgeber*innen. Alle Rechte vorbehalten.
Im Jahr 2020 gelangten jeden Monat Berichte über rechtsextreme Vorfälle in verschiedenen Polizeibehörden an die Öffentlichkeit. Die Spanne des Verhaltens, das unter diesen Schlagworten verhandelt wird, reicht von rassistischen Äußerungen oder Verherrlichung des Holocaust bis hin zum Bunkern von massenhaft entwendeter Behördenmunition.
Auf das Bekanntwerden der Vorfälle folgten ein ums andere Mal dieselben Reaktionen seitens der Behörden: Die Behördenleiter*innen oder Pressesprecher*innen gaben betont empört und erschrocken bekannt, dass Verfassungsfeindlichkeit keinen Platz in der Polizei habe, dass man gegen die fraglichen Beamt*innen disziplinarrechtliche Schritte einleiten und die Sache lückenlos aufklären werde. Bis in den Herbst 2020 bekräftigten die Sprecher*innen jedes Mal, dass es sich bei den Vorkommnissen keinesfalls um ein strukturelles Problem handle.
Dieses Narrativ der Einzelfälle, das sämtliche Sicherheitsbehörden und Innenministerien bedienten, geriet im September 2020 ins Wanken: Nachdem aufgedeckt wurde, dass etwa 30 nordrhein-westfälische Polizist*innen in einer Chatgruppe rassistische und rechtsextreme Nachrichten ausgetauscht hatten, räumte der Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ein, dass man nicht mehr von Einzelfällen sprechen könne. Reul kündigte weitreichende Maßnahmen an.
Gegen mindestens 29 Polizist*innen wurden umgehend Disziplinarverfahren, gegen einige andere Strafverfahren wegen Volksverhetzung oder Beleidigung eingeleitet. Im besonders betroffenen Mülheim an der Ruhr wurde eine Sonderkommission eingesetzt, die die Vorfälle untersuchen sollte. Sämtliche Führungskräfte wurden zusammengerufen, um gemeinsam die Situation auf den Revieren zu evaluieren und Möglichkeiten des Umgangs mit dieser Art von Vorfällen zu entwickeln.
Für einen kurzen Moment sah es fast so aus, als würden die deutschen Sicherheitsbehörden ernsthaft und nachhaltig gegen rechtsextreme Strukturen vorgehen. Fast ein Jahr später jedoch ist klar: Die Reihe von rechtsextremen Vorfällen in den Polizeien ist nicht abgerissen. Und ob sich im Umgang mit auffällig gewordenen Polizist*innen wirklich etwas zum Positiven verändert hat, bleibt fraglich.
Don’t shoot the messenger
Der Fall einer jungen Polizeianwärterin aus Düsseldorf deutet darauf hin, dass die Strategien der Behörden im Umgang mit rechtsextremen Netzwerken zwischen punktuellem Eifer und weitgehender Ignoranz changieren: Sensibilisiert durch das Bekanntwerden der Chatgruppen in Nordrhein-Westfalen und die darauffolgenden Mitarbeitergespräche, hatte sich die 21-jährige Kommissaranwärterin einige Gruppenchats mit anderen Kommisaranwärter*innen noch mal genau angeschaut.
Dabei waren ihr einige Nachrichten und Bilder mit rassistischen und antisemitischen Inhalten aufgefallen, worauf sie sich an ihren Vorgesetzten wandte, um dessen Einschätzung einzuholen. Weil sie dabei aber offenlegte, dass sie selbst monatelang die Bilder auf ihrem Handy gespeichert hatte, ohne sich davon zu distanzieren, wurde sie suspendiert, ihr drohte die Entlassung.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigte die Disziplinarmaßnahmen gegen sie im Dezember 2020 in erster Instanz. Sie vertrete Werte, die mit der demokratischen Grundordnung unvereinbar seien und sei deshalb charakterlich für den Polizeidienst ungeeignet. Die zweite Instanz erklärte die Suspendierung jedoch für rechtswidrig. Zwar seien die auf dem Handy gespeicherten Bilder teilweise antisemitisch oder rassistisch, und Personen, die Derartiges teilten oder affirmativ kommentierten, seien nicht für den Polizeidienst geeignet. Die Klägerin habe die Bilder aber weder weitergeschickt noch kommentiert. Stattdessen sei sie, zwar spät, aber immerhin von sich aus, an ihren Vorgesetzten herangetreten.
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen befand, dass es glaubwürdig sei, dass sie die fraglichen Nachrichten mit rechtsextremen Botschaften angesichts der enormen Menge von gespeicherten Daten auf ihrem Handy – 337.525 Nachrichten in 790 Chats und 172.214 Bilddateien – nicht direkt bemerkt und als rassistisch oder antisemitisch wahrgenommen habe.
Was auf den ersten Blick vielleicht als engagiertes Vorgehen der Behörde gegen rechtsextreme Strukturen und daher begrüßenswert erscheinen mag, ist tatsächlich aber eher als Statuierung eines Exempels und als Ablenkungsmanöver zu werten. Denn während die Polizistin, die die Bilder gemeldet hatte, direkt suspendiert worden war und entlassen werden sollte, hatte das Polizeipräsidium gegen die anderen Kommissaranwärter*innen in der Gruppe erst sehr viel später Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.
Unterm Strich dürfte diese Art von Aktionismus der Behörde sogar kontraproduktiv sein, denn ermutigend ist der Fall der Klägerin für andere Polizist*innen, die Rassismus und Rechtsextremismus in den eigenen Reihen anzeigen wollen, sicherlich nicht.
„Kernanliegen“ der Innenministerien?
Auch auf der Ebene der Ministerien zeugt das Vorgehen des Staates nicht gerade von Engagement oder planvoller Strategie; das zeigt etwa der Bericht „Disziplinarrechtliche Konsequenzen bei extremistischen Bestrebungen“, den das Bundesinnenministerium (BMI) nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle im Juni 2020 der Innenministerkonferenz vorgelegt hat.
Der Bericht beginnt in altbekannter Hufeisenlogik mit der Beteuerung, dass „die Bekämpfung des Extremismus im öffentlichen Dienst, ganz gleich ob Rechts- oder Linksextremismus, […] ein Kernanliegen der Innenminister und -senatoren aus Bund und Ländern“ sei. Ein solcher Satz ist zu einem Zeitpunkt, an dem allein in den zwölf zurückliegenden Monaten mindestens zwölf Menschen in Deutschland aus rechtsextremen Motiven ermordet worden waren und ein rechtsextremes Netzwerk nach dem anderen in den Sicherheitsbehörden aufgeflogen war, im besten Fall als Ignoranz, im schlimmsten Fall als Hohn zu bewerten.
Und auch der Rest des Berichtes stimmt wenig hoffnungsvoll. Was eine „Bestandsaufnahme der Anwendung des Disziplinarrechts in Bund und Ländern beim Vorliegen extremistischer Bestrebungen“ sein will, ist vor allem eine Darstellung der Rechtslage. Keine einzige Anwendung des Disziplinarrechts wird in dem gesamten Bericht aufgeführt, lediglich die rechtlichen Möglichkeiten dazu erörtert. Dass die Innenministerien die Rechtslage in einem Bereich darlegen müssen, den sie auf der ersten Seite des Berichts noch als „Kernanliegen“ charakterisiert haben, ist erschreckend.
Zahlen zu stattgefundenen Disziplinarverfahren oder Verdachtsfällen sucht man in dem Bericht vergebens. Das legt nahe, dass die Landesbehörden entweder keine Aussagen dazu machen können, wie es um die Anwendung des Disziplinarrechts de facto steht, weil sie keine Zahlen erheben, oder dass sie die Informationen nicht veröffentlichen wollen. Keine dieser Möglichkeiten deutet auf ein entschiedenes und kompetentes Vorgehen oder ein Interesse an Transparenz hin.
Den Abschluss des Berichts bilden Handlungsempfehlungen bezüglich der Auswahl und Ausbildung von Beamt*innen und dem Umgang mit rechtsextremen Beamt*innen, die wiederum kaum mehr sagen, als dass das geltende Recht anzuwenden ist und Polizist*innen über ihre Pflichten aus- und fortgebildet werden müssen.
Blockade
Auch abseits dieses Berichts ist es schwierig, an Informationen darüber zu gelangen, ob und inwieweit die Möglichkeiten, die das Disziplinarrecht bereitstellt, genutzt werden und wo etwaige Probleme oder Hürden liegen. Denn die Innenministerien geben diesbezüglich, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft Daten an Öffentlichkeit und Wissenschaft weiter.
Auf eine Forschungsanfrage bei sämtlichen Landesinnenministerien mit Ausnahme von Berlin, wie in aus den Medien bekannten Fällen und auch ganz grundsätzlich bei rechtsextrem motiviertem Verhalten von Polizist*innen vorgegangen wurde, wie viele Verfahren seit 2015 eingeleitet wurden und mit welchen Ergebnissen sie endeten, antworteten nur wenige Landesinnenministerien ausführlich.
Es sei zu viel Aufwand, die Akten zu sichten, der Datenschutz stünde im Weg (obwohl ausdrücklich keine personenbezogenen Daten abgefragt wurden), „ermittlungstaktische Gründe“ sprächen gegen eine Beantwortung der Frage, ob nach einem konkreten Vorfall die Entfernung aus dem Dienst erfolgt sei. In einem Fall wurde unverblümt angegeben, dass die angefragten Informationen niemanden etwas angingen, auch nicht die Wissenschaft.
Diese Blockadehaltung gegenüber der Öffentlichkeit und der Wissenschaft ist hochproblematisch. Bürger*innen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was der Staat macht, wie er es macht und wer für ihn handelt. Wenn sich an dieser Haltung nach und nach etwas ändert, ist das insbesondere der unermüdlichen Arbeit einiger Journalist*innen zu verdanken, die nicht zulassen, dass das Thema immer wieder in der Versenkung verschwindet.
Optimist*innen können vielleicht aus der im Juni 2021 angeordneten Auflösung und Neuordnung der Sondereinsatzkräfte in Frankfurt am Main Hoffnung schöpfen. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass dadurch alle Probleme gelöst werden – allein deshalb, weil der mit der Neustrukturierung beauftragte Polizeipräsident von Westhessen wohl kaum ausreichende Distanz zum SEK in Frankfurt hat. Aber immerhin könnten Auflösung und Neuaufbau zumindest auf struktureller Ebene wirken.
Naja, ausser Baum verstehen sich die deutschen Innenminister als Beschützer der herrgebrachten Ordnung und Obrigkeit, und dafür brauchen sie eine entsprechend aufgestellte und eher bürgerferne Polizeistreitmacht. Das hat sich seit 100 Jahren nicht geändert.
Dass die SPD spätestens nach Brandt in der BRD da immer vorne mit dabei ist, ist natürlich ein Witz der Geschichte.
Von den Grünen ist leider wenig Gegenwehr zu erwarten: die lassen im Zweifel ihre bürgerlichen Privilegien und die das aufrecht erhaltenden Strukturen verteidigen. Sieht man in jeder Regierung mit Grüner Beteiligung.
Das ist eben auch Teil des Verständisses von „Kollegen“…
wen wundert sowas noch, wo wir doch sehen, was Sprache noch bedeutet.
Das Problem beginnt immer noch bei der Ausbildung. Und hier ist auch de Hebel anzusetzen.
Da können sich auch die Innenminister und das Bundesministerium nicht querlegen, wenn die Forderung nach besser Ausbildung gestellt wird.
Dahingehend nehme ich nicht nur die Innenminister in die Pflicht sondern die gesamte Gesellschaft, solange das de Kampf gegen den Rechtsextremismus als Selbstzweck gesehen wird.
Bleibt zu hoffen das erkannt wird das dieser Rechtsextremismus auch enorme wirtschaftliche und wissenschaftliche Verluste bedeuten, Das wird auch jenen die diesem Gedankengut nachlaufen, letztendlich selbst auf den Kopf fallen.
Die sind nicht rechts, will sie unwissend oder dumm sind. Die sind rechts, weil sie das gut finden.
Dieser Ansatz „alles nur eine Bildungsfrage“ ist linke Arroganz und letztlich dumm, weil kontraproduktiv in vielerlei Hinsicht.
Und man kann rechts-extrem übrigens bestens Geschäfte machen, die Welt ist voll davon. Man kann rechts vor allem wunderbar seine gewonnenen Privilegien verteidigen.