PlattformarbeitWie Ungleichheiten in die digitale Arbeitswelt mitziehen

Plattformen präsentieren sich als Vorreiter bei flexiblem und selbstbestimmtem Arbeiten. Gerade für Frauen könnte das eine Chance sein, doch Diskriminierung und ungleiche Bezahlung sind längst in die digitale Arbeitswelt mitgewandert. Die Politik reagiert bisher zögerlich.

Aus der Vogelperspektive sieht man eine Frau im Homeoffice. Neben ihr auf dem Boden spielt ein Kind.
Ungleichheiten wandern in die digitale Welt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Ob an den Jacken, ihren Fahrrädern, Helmen oder überdimensionalen Taschen – Fahrradkuriere gehören genauso zum Stadtbild von Großstädten wie die Namen der Unternehmen, für die sie arbeiten. Anders ist das zum Beispiel bei Helpling. Die Plattform vermittelt Reinigungskräfte an Haushalte, die dann die Wohnung putzen oder andere Haushaltstätigkeiten erledigen. Anders als die Lieferdienste fallen die Reinigungskräfte in den Straßen nicht auf. Sie haben keine Diensträder und auch keine auffälligen Taschen mit dem Logo des Unternehmens und sind damit nahezu unsichtbar.

Helpling ist nur eine der Firmen, die in der „Gig Economy“ den Markt der Zukunft gewittert haben. Dort läuft Arbeit nicht mehr durch ein langfristiges Arbeitsverhältnis, sondern verlagert sich auf Plattformen im Internet, über die einzelne Aufträge auf Honorarbasis vergeben werden. Solche Plattformen sind etwa Airbnb, die Haushaltsplattform betreut.de oder das Designportal 99designs. Plattformarbeit kann sehr unterschiedlich aussehen. Manchmal ist es Arbeit im Haushalt oder mit Senior:innen, manchmal vermittelte Schlaf- oder Wohnplätze. Eins haben viele der Plattformen aber gemein: Sie versprechen schnellverdientes Geld und flexible Arbeitszeiten.

Das könnte gerade auch für Frauen eine Chance sein. Doch auch in der Gig Economy sind Geschlechterungleichheiten ein Problem: Fehlende soziale Absicherung, sexualisierte Gewalt und ungleiche Bezahlung sind in die Plattformarbeit mitgewandert.

„Weibliche“ Arbeit in der Gig Economy

In einer Gesellschaft, in der meist Frauen noch Kinder erziehen, ältere Verwandte pflegen oder andere unbezahlte Sorgearbeit erledigen – konkret sind es täglich 87 Minuten mehr als bei Männern -, hat Flexibilität in Erwerbsarbeit einen hohen Stellenwert. Das stellen etwa die Forscherinnen Helene von Schwichow und Katrin Fritsch in einer Studie zu Erfahrungen von Frauen in der Plattformökonomie fest: „Da Frauen in Deutschland nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit leisten und somit öfter als Männer Zusatzbelastungen ausgesetzt sind, beziehungsweise sich ihre Lebensumstände schwieriger mit einem ‚Nine-to-Five-Job‘ in einem Angestelltenverhältnis vereinbaren lassen, wirkt Plattformarbeit für Frauen besonders attraktiv“, sagen sie gegenüber netzpolitik.org.

Zum Zeitpunkt ihrer Studie im Jahr 2020 lag der Frauenanteil unter den Plattformarbeitenden bei 38 bis 52 Prozent – Tendenz steigend, so die Forscherinnen. Das bestätigt auch eine Studie, die kürzlich vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) veröffentlicht wurde. Deutschland wurde dabei nicht untersucht, dafür aber vergleichbare EU-Länder wie Frankreich oder die Niederlande. Flexibilität sei für 43 Prozent der Frauen ein motivierender Faktor, in Plattformarbeit einzusteigen – dagegen bei Männern nur für 35 Prozent, heißt es in dem Bericht. Auch sei für Frauen die Kombination von Arbeit mit Haushalts- oder Erziehungstätigkeiten wichtiger.

Auf den Plattformen lassen sich diese Muster wiederfinden. Helpling beispielsweise wirbt mit Aussagen wie „Bestimme deine Arbeitszeit selbst“ um neue Putzkräfte – laut einer Umfrage des Unternehmens finden 82 Prozent davon Arbeitszeitflexibilität wichtig. Betreut.de verspricht seinen Kund:innen „kompetente und flexible Alltagshelfer“. Von Schwichow und Fritsch warnen in ihrer Studie jedoch: Flexibilität werde von Arbeiterinnen als positiv wahrgenommen, aber sie könne schnell umschwingen in Unsicherheit.

So können Aufträge über Plattformen oft auch kurzfristig abgesagt werden und den Arbeitenden dadurch das Einkommen verloren gehen. „Hinzu kommen fehlende soziale Absicherungen, die vor allem mit Blick auf die Rente zum Problem werden, da in Deutschland vermehrt Frauen von Altersarmut betroffen sind“, sagen die beiden Autorinnen. Bei Krankheit bekommen Plattformarbeiter:innen keinen Verdienstausfall.

Oft auch schlechtere Bezahlung

Auch sexualisierte Gewalt und Diskriminierung stellt bei Plattform-Arbeit ein Problem dar. Das Gutachten einer Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung attestiert Plattformen sogar eine „erhöhte Gefahr sexueller und sonstiger Übergriffe“. Frauen sind damit überproportional konfrontiert. Plattformarbeit wird oft alleine ausgeführt, ob vorm Computer oder bei fremden Menschen zu Hause.

Die Forscherinnen von Schwichow und Fritsch und stellten fest, dass Diskriminierungserfahrungen sehr unterschiedlich sein können. Für ihre Studie führten die beiden zwölf Interviews. Gleich mehrere Frauen berichteten dabei von übergriffigem Verhalten oder Beleidigungen, besonders im haushaltsnahen Bereich. Eine von ihnen sei etwa von einem Kunden erst in Unterwäsche und beim nächsten Mal nur mit einem Handtuch bekleidet empfangen worden. Doch auch die Bewertungssysteme der Plattformen bieten oft Raum für Diskriminierung, so die Autorinnen. Kund:innen können etwa die Arbeiter:innen bewerten, umgekehrt ist das aber nicht immer möglich.

Es gibt außerdem Hinweise, dass Frauen auch in der Gig Economy schlechter bezahlt werden als Männer. Lisa Bor forscht speziell zu Arbeitsverhältnissen von Putzkräften. 2018 stellte sie beispielsweise fest, dass Putzkräfte nach Abzügen weniger als den Mindestlohn verdienten. Zusätzlich zum eigentlichen „Gig“ müsse nämlich Arbeitszeit aufgewendet werden, um etwa das eigene Plattformprofil zu pflegen oder sich mit Kund:innen abzusprechen.

„In den Interviews haben mir viele Arbeiter:innen auch davon erzählt, dass sie bei der Hotline von Helpling anrufen mussten, um etwas zu klären, zum Beispiel wenn ein Kunde nicht da war oder es Missverständnisse gab. All sowas gilt nicht als Arbeitszeit und drückt die Einnahmen zusätzlich“, sagt die Forscherin. Schon eine halbe Stunde unbezahlte Arbeit mache aus 16 Euro Brutto je Stunde nur 13,30 Euro. Dazu kommen laut Bor noch Kranken-, Sozial- und Haftpflichtversicherung, die Arbeiter:innen als Selbständige leisten müssen.

„Hier kann jede:r schnell Geld verdienen“

Ein weiteres Beispiel ist die Taxi-Alternative Uber. 2018 fanden Forscher:innen heraus, dass Frauen, die für Uber fahren, im Durchschnitt sieben Prozent weniger verdienten als Männer. Einerseits liegt das an Präferenzen von Ort und Zeit, zum Beispiel fahren Frauen seltener in Gegenden mit schlechtem Ruf. Andererseits waren Männer trotz des höheren Unfallrisikos wegen einer durchschnittlich höheren Fahrgeschwindigkeit im Vorteil. Frauen konnten dadurch weniger Angebote annehmen – und bekamen letztlich weniger Geld.

Mittlerweile sind bei der Haushaltsplattform Helpling auch Verträge bei Partnerunternehmen möglich, die nach Aussage des Unternehmens ein „überdurchschnittliches Branchengehalt“ zahlen. Dennoch steht weiterhin die „flexible“ Arbeitsvariante zur Option auf Helpling zur Auswahl. Zur Frage wie Helpling sicherstellt, dass Arbeiter:innen den Mindestlohn verdienen, äußerte sich das Unternehmen gegenüber netzpolitik.org bisher nicht.

Laut dem Jahresbericht des Fairwork-Projekts zahlen die meisten Plattformen den gesetzlichen Mindestlohn. Dennoch werden weiterhin versteckte Kosten der Plattformen auf Arbeiter:innen abgeladen, beispielsweise die Organisation der Arbeit, so die Studie von von Schwichow und Fritsch. „Das Versprechen der Plattformen lautet: ‚Hier kann jede:r unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Ausbildung oder auch Geschlecht schnell Geld verdienen.‘ Das Versprechen wird aber nicht eingelöst, da sich bestehende Ungerechtigkeiten, etwa Altersarmut von Frauen, in der Plattformarbeit fortziehen und verstärken“, sagen von Schwichow und Fritsch. Auch die Forscherin Lisa Bor äußert sich skeptisch über die rosigen Versprechen der Plattformen: „Sie passen sich an und reagieren schnell auf Kritik, ohne aber die zugrundeliegenden Probleme zu beheben.“

Der Politik reicht die Datengrundlage nicht

Von der Politik bekommen Frauen auf Plattformen bislang eher wenig Beachtung. SPD, Grüne und FDP haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, faire Arbeitsbedingungen auf Plattformen schaffen zu wollen. Dazu will die Ampel „bestehendes Recht überprüfen“ und „Datengrundlagen“ verbessern. Geschlechtsspezifische Nachteile in dieser Branche erwähnen die Koalitionspartner allerdings nicht explizit.

Das Europäische Gleichstellungsinstitut EIGE fordert indes, den rechtlichen Status zu klären und soziale Absicherung sowie Gewerkschaftsrechte der Plattformarbeiter:innen zu stärken. Außerdem müssten mehr Daten zum Gender Pay Gap und sexualisierter Gewalt gesammelt werden. Ähnliche Forderungen stellt der unabhängige Sachverständigenrat zum Dritten Gleichstellungsbericht. Es sei wichtig, „Plattformarbeitende über ihre Rechte aufzuklären“.

Die eine Maßnahme zu finden, die Arbeit auf Plattformen verbessert, ist nicht leicht. Lisa Bor allerdings sagt: „Ich denke, ein Anfang wäre, Technik und Plattformen nicht als neutral zu verstehen. Nur mit der Einsicht, dass die Gestaltung der Plattform auch die Arbeitsverhältnisse prägt, kann es Veränderungen geben.“

Den rechtlichen Status geht mittlerweile die EU-Kommission an. Sie hat eine Richtlinie auf den Weg gebracht, die künftig den Status von Plattformarbeitenden bestimmen soll. Fünf Kriterien entscheiden demnach, ob jemand angestellt ist oder selbständig arbeitet. Die Plattform Helpling etwa wäre nach Ansicht des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC von dieser Richtlinie betroffen und müsste seine Arbeiter:innen anstellen. Das würde etwa bedeuten, dass die Arbeiter:innen sozialversichert wären. Doch auch bei Selbständigen sollte darauf geachtet werden, dass alle anfallenden Kosten gedeckt sind, findet Lisa Bor. Das seien etwa Internetvertrag, Transportmittel oder Versicherungen.

Besonders in Bezug auf die Einkommensnachteile, die Frauen auf Plattformen haben, hört man eine Forderung immer wieder: Es brauche mehr Daten. Nicht nur im Koalitionsvertrag, auch in der Stellungnahme zum Gleichstellungsbericht wird das deutlich. Hier heißt es, die Bundesregierung nehme „zur Kenntnis, dass gegenwärtig keine ausreichenden Erkenntnisse zu Entgeltunterschieden auf Plattformen vorliegen und prüft mögliche Ansatzpunkte, um die Datenlage zu verbessern.“

Zwar sind auch die Wissenschaftler:innen nicht begeistert über die derzeitige Datenlage, allerdings zählt das Gutachten zum Gleichstellungsbericht zahlreiche Beispiele für Lohnungleichheiten auf. Auch Lisa Bor sieht weiteres Abwarten kritisch: „Die Datengrundlage ist längst da. Langsam wäre es Zeit, den Plattformen ernsthaft Vorschriften zu machen und in diesen Markt einzugreifen.“

Bislang bekommen sichtbarere Plattformen wie Gorillas oder Lieferando mehr Aufmerksamkeit als etwa Helpling. Mit Fahrer:innen von Gorillas traf sich Arbeitsminister Heil sogar persönlich. Plattformarbeit, die im Pflege- oder Reinigungsbereich stattfindet, ist weniger sichtbar. Und gerade dort arbeiten besonders viele Frauen. Erst kürzlich äußerte sich auch der Deutsche Frauenrat zu den Arbeitsbedingungen für Frauen und forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Denn ob Ungleichheiten sich auch in der digitalen Arbeitswelt ausbreiten, bleibt bisher hauptsächlich den Plattformen überlassen.

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Eine Ergänzung

  1. >> Plattformen präsentieren sich als Vorreiter bei … ??? <<
    Plattformen sind vor allem Instrumente der Ausbeutung. Das sollte sich doch herumgesprochen haben.
    Wer erwartet denn noch von Plattformen positive gesellschaftliche Entwicklungen?
    Plattformen bedienen emotionale Bedürfnisse und machen ein Massengeschäft daraus.
    Selbst die Sharing-Industry war ein Wolf, daherkommend im Schafkleid.

    Die Teile der Gesellschaft, die wirklich das Gemeinwohl und nicht Partikularinteressen steigern wollen, sollten die propagandistische Außendarstellung der Plattform-Industrie nicht auch noch verbreiten.

    Wir sollten mehr Wert auf das Gemeinwohl auf regionaler Ebene legen. Das Überleben, wie das gute Leben der Menschen findet bei knappen Ressourcen im erreichbaren Umfeld statt. Massengeschäfte können kaum nachhaltig sein, darum werden einfach gestrickte Konsumenten auf Teufel komm raus getäuscht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.