Kritik auch an Klimakonferenz COP27Ägyptischer Blogger weiter im Hungerstreik

Ägypter:innen im Exil protestieren derzeit für die Freilassung des Bloggers und Demokratie-Aktivisten Alaa Abd el-Fattah. Eine Solidaritätsgruppe hat auch Kritik an Deutschland, das wichtiger Handelspartner des Regimes in Kairo ist und „grüne Energie“ importieren will.

Zwei Dutzend Personen halten ein Transparent "No Greenwashing Egypt's Prisons No Cop27 Until Alaa Is Free" an der Kreuzung der Straße Unter den Linden/ Wilhelmstraße.
Solidaritätsaktion vor der britischen Botschaft in Berlin. Salma Said/ Twitter

Der ägyptische Aktivist und Blogger Alaa Abd el-Fattah gilt als eines der Gesichter der Revolution von 2011, die Regierung sperrt ihn  immer wieder ein. Seit dem 2. April befindet er sich im Hungerstreik, nimmt täglich nur 100 Kalorien zu sich. Alaa verfügt auch über die britische Staatsangehörigkeit, seine Unterstützer:innen protestieren deshalb vor Konsulaten und Botschaften Großbritanniens. Wir haben dazu der neuen Solidaritätsgruppe „OccupyCOP27“ aus Berlin Fragen gestellt.

netzpolitik.org: Ihr habt inzwischen schon mehrere Kundgebungen in Berlin organisiert und auch beim Besuch von Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi protestiert. Worum geht es dabei?

OccupyCOP27: Nach dem Putsch vom Juli 2013 hat das Regime von Abdelfattah as-Sisi in Ägypten ein noch repressiveres totalitäres Umfeld geschaffen als vor der damaligen Revolution vom 25. Januar. Die Regierung hat 27 neue Gefängnisse gebaut, in denen Zehntausende politische Gefangene inhaftiert sind, nur selten erhielten sie ein faires Gerichtsverfahren. Dies ist sehr schwer zu dokumentieren, da selbst Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen ihr Leben aufs Spiel setzen. Es gibt zahllose Fälle, in denen auch diese aufgrund erfundener Anschuldigungen verhaftet wurden. Einer von ihnen ist unser Freund Alaa.

netzpolitik.org: Vor dem Kanzleramt habt ihr auch gestanden, wohl wegen der deutsch-ägyptischen Beziehungen? Wie wichtig ist Ägypten für die deutsche Regierung?

OccupyCOP27: Besonders wichtig sind Handelsabkommen und Waffenexporte. As-Sisi hat zweimal den Rekord von Siemens gebrochen, den größten Verkauf in der Geschichte des Unternehmens unter Dach und Fach zu bekommen. Einmal sieben Milliarden Euro für drei riesige Gasturbinen im Jahr 2015 und in den letzten Monaten acht Milliarden Euro für die komplette Erneuerung des ägyptischen Eisenbahnsystems sowie anderer Infrastrukturen. 2021 unterzeichnete die Regierung Merkel, zu der auch der damalige Finanzminister Olaf Scholz gehörte, außerdem einen Vertrag über Waffenverkäufe an Ägypten im Wert von 4,9 Milliarden Euro – der größte einzelne Waffendeal in der Geschichte Deutschlands und einer von vielen, seit As-Sisi an die Macht kam.

Für diese Deals nimmt die ägyptische Regierung überhöhte Kredite auf, auch aus Deutschland, und treibt damit die Bevölkerung für kommende Generationen noch tiefer in die Armut. Allein in den nächsten zwölf Monaten muss Ägypten 30 Milliarden Dollar an Krediten bedienen, bei einem Gesamtkreditvolumen von 158 Milliarden Dollar, das sich seit dem Amtsantritt von As-Sisi verdreifacht hat. Deutschland macht sich bei all dem mitschuldig.

netzpolitik.org: Auch die Europäische Union hat Interessen in Ägypten, hier geht es aber vor allem um Migration…

OccupyCOP27: Für kurze Zeit zögerte die EU nach der brutalen Machtergreifung von as-Sisi im Jahr 2013 und dem Massaker an über 1.000 Anhängern des damals gestürzten Präsidenten Mohammad Mursi. Als die Vorteile einer solchen Militärdiktatur immer offensichtlicher wurden, war es mit der Zurückhaltung vorbei. Erstens spielt Ägypten eine zentrale Rolle dabei, Geflüchtete von der Festung Europa fernzuhalten. Inhaftierung, Folter und Mord sind gängige Praxis gegenüber BIPOC-Migrant:innen aus anderen afrikanischen Ländern. In Ägypten haben sie keine Stimme.

netzpolitik.org: Alaa war bereits mehrmals inhaftiert, das erste Mal 2006. Was sind die Vorwürfe?

OccupyCOP27: Alaa ist ein unerschrockener Aktivist, der klare Visionen für eine sozial und wirtschaftlich gerechte Zukunft in Ägypten formuliert. Immer waren die Anschuldigungen gegen ihn gefälscht und zielten auf seine inspirierende Solidarität mit bestehenden Bewegungen. 2006 wurde Alaa zusammen mit vielen anderen Blogger:innen und Journalist:innen verhaftet, als diese auf der Straße die Unabhängigkeit der ägyptischen Justiz forderten. 2011 folgte eine Verhaftung nach einem blutigen Angriff des Militärs auf eine friedliche Demonstration, das als Maspero-Massaker bekannt wurde.

Danach beschuldigten die Behörden viele Demonstrant:innen, das Militär angegriffen zu haben. Alaa wurde angeklagt, ein Militärfahrzeug gestohlen und beschädigt zu haben, später aber freigelassen. 2013 wurde seine Wohnung von maskierten Sondereinsatzkräften durchsucht, woraufhin er im Februar 2015 vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, weil er an einem Protest gegen eine neue Verfassungsänderung teilgenommen hatte – zu einer Zeit, als Versammlungen vom ägyptischen Regime verboten wurden.

netzpolitik.org: Nach dem zuletzt ergangenen Urteil des ägyptischen Staatssicherheitsgerichtes mit einer fünfjährigen Haftstrafe soll er Falschnachrichten verbreitet haben…

OccupyCOP27: Im März 2019 kam er zunächst auf Bewährung frei und musste zwölf Stunden am Tag in einem Haftraum in einer Polizeistation verbringen. Damals widmete Alaa seine Zeit seinem Sohn, den er fünf Jahre lang vermisst hatte, und dem Wiederaufbau seines Lebens, seiner Beziehungen und seines Schreibens. Er hatte viele Ideen für Initiativen, die mit jungen Menschen durchgeführt werden könnten, die aus dem Gefängnis kommen.

Ein halbes Jahr später wurde Alaa aus seinem Haftraum entführt und verschwand, bevor er in den Händen der Staatssicherheit wieder auftauchte. Er wurde ohne Angabe von Gründen vorübergehend inhaftiert und erst im Dezember 2021 erneut vor Gericht gestellt und verurteilt, weil er einen Facebook-Post über die Nachricht von einem zu Tode gefolterten Gefangenen geteilt hatte.

Diese Anklagen wegen „Verbreitung falscher Nachrichten“ wird häufig verwendet, um die Recherche und Darstellung von Fakten über die Realität in Ägypten zu unterdrücken. Das betrifft auch Journalist:innen, die über die Corona-Situation schreiben; Doktorand:innen, die über Abtreibung recherchieren, Menschenrechtsaktivist:innen, die die Vertreibung von Gemeinschaften aufgrund von militärischen Infrastrukturprojekten dokumentieren; und Menschen, die über die Situation in Gefängnissen schreiben.

netzpolitik.org: Wo sitzt Alaa derzeit und was ist über seine Haftbedingungen bekannt? Darf er Besuche empfangen?

OccupyCOP27: Seit September 2019 durfte er keine Bücher mehr lesen, Besuche finden nur hinter einer Glaswand statt, so dass er seine Familie nicht berühren konnte, er hatte keinen Zugang zu Sonne oder frischer Luft, und regelmäßig wird ihm der Zugang zu Briefen und Besuchen verweigert. Alaa trat im April 2022 in den Hungerstreik, um seine Grundrechte einzufordern: Und zwar einen Besuch des britischen Konsulats, Bücher zum Lesen und Zugang zu frischer Luft und Sonne außerhalb seiner Zelle.

netzpolitik.org: Wobei würde der Besuch des britischen Konsulats hilfreich sein?

OccupyCOP27: Während seiner jüngsten Inhaftierung haben er und seine Geschwister Anspruch auf die britische Staatsbürgerschaft erhoben, da seine Mutter Laila Soueif in England geboren wurde und dort lebt. Das war auch erfolgreich. Seit er im Dezember 2021 seinen britischen Pass erhalten hat, hat Alaa ohne Erfolg konsularische Besuche beantragt und das Vereinigte Königreich hat vergeblich um seine Freilassung gebeten.

netzpolitik.org: Wie gelingt Alaa, durch die Gefängnismauern mit seiner Familie und Unterstützer:innen zu kommunizieren?

OccupyCOP27: Zu Beginn seines Hungerstreiks im April 2022 forderte Alaa zunächst, dass seine Briefe an seine Familie freigegeben werden, dass er Bücher lesen darf und dass er Zeit außerhalb seiner Zelle verbringen darf. Als Reaktion auf die internationale Solidarität wurde er im Mai 2022 in den Gefängniskomplex Wadi al-Natrun verlegt. Wochen vor seiner Verlegung wurde er von einem Polizeibeamten, der einen persönlichen Rachefeldzug gegen Alaa führte, in Handschellen gelegt und geschlagen. Er ist jener Beamte, der einen Gefangenen gefoltert und ermordet hatte, Alaa hatte darüber geschrieben, deshalb sitzt er nun im Gefängnis.

Alaas Haftbedingungen sind dieses Mal schlimmer als sonst. Immerhin haben die Proteste dafür gesorgt, dass ihm nun mehr Briefe und Bücher ausgehändigt werden, er darf jetzt auch einen Korridor im Freien nutzen – die Sonne sieht er dort aber nicht.

netzpolitik.org: Und wie reagiert das Regime auf seinen Hungerstreik?

OccupyCOP27: Er wird von den ägyptischen Behörden und den Medien geleugnet. Sie behaupten, dass er isst und trinkt, und weigern sich dementsprechend, seinen Gesundheitszustand, seinen Blutdruck, seinen Gewichtsverlust oder seine Mineralien zu überwachen, was einen Verstoß gegen die Gefängnisgesetze darstellt. In Anbetracht dessen und nach über 151 Tagen Hungerstreik haben sich Alaas Forderungen nunmehr geändert. Er hat seiner Familie erklärt, dass „es keine Hoffnung auf individuelle Rettung gibt“ und dass sie als Gefangene ihre Situation als Kollektiv betrachten müssen. Dies ist Teil von Alaas Überzeugung, dass er es vielleicht nicht lebend aus dem Gefängnis schafft, und so nutzt er die Stimme, die ihm sein Hungerstreik gegeben hat, um in der ihm verbleibenden Zeit für die Rechte der Mitgefangenen zu kämpfen.

netzpolitik.org: Was genau sind seine Forderungen im Hungerstreik? Es geht ja, wie ihr sagt, auch um Repression in Ägypten im Allgemeinen…

OccupyCOP27: Ganz oben steht die Freilassung aller Gefangenen, die in den sogenannten „Gefängnissen der Nationalen Sicherheit“ einsitzen. Freigelassen werden sollen auch diejenigen, die ihre gesetzliche Untersuchungshaftzeit überschritten haben. Denn viele Gefangene in Ägypten leiden unter einer endlosen Verlängerung ihrer eigentlich 15-tägigen Untersuchungshaft und verbringen Jahre in Haft, ohne angeklagt zu werden oder Richter:innen zu sehen. Außerdem macht Alaa auf die Freilassung aller Personen aufmerksam, die – zwar gemäß der neuen Verfassung, aber trotzdem verfassungswidrig – verurteilt wurden, etwa durch eine Verurteilung vor einem „Notstandsgericht“.

netzpolitik.org: Viele von euch sind selbst von Repression betroffen, das Regime in Kairo verfolgt ägyptische Staatsangehörige sogar im Exil im Ausland. Was ist darüber bekannt, wie lassen sich diese Berichte überprüfen?

OccupyCOP27: In Berlin gibt es eine ziemlich große Gemeinschaft von Menschen aus Ägypten, die in irgendeiner Form im Exil leben. Einige mussten tatsächlich fliehen, andere dürfen nicht zurückkehren, wieder andere sind besorgt, dass sie in Ägypten aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verhaftet werden könnten. Bei einer kürzlichen Umfrage durch ein Mitglied unserer Gruppe erfuhren wir durch einen Anwalt, dass bis zum Sommer 2021 täglich etwa 100 Menschen vor den Gerichten der Staatssicherheit erscheinen, und dann in deren Labyrinthen verschwinden.

Ein beträchtlicher Teil der Repression in Ägypten kann nicht bewiesen werden, weil nicht darüber recherchiert oder berichtet werden darf. Die Entführung von Menschen ist in Ägypten gang und gäbe, und das Zurücklassen ihrer Körper – tot oder lebendig – an einem weit entfernten Straßenrand ist ebenfalls eine gängige Praxis der ägyptischen Sicherheitskräfte.

netzpolitik.org: Warum verbindet euren Protest mit dem Weltklimagipfel COP 27, der im November in Ägypten stattfindet?

OccupyCOP27: Die Klimakrise ist eine Krise von globalem Ausmaß. Angesichts des Staatsterrors, mit dem wir es in Ägypten zu tun haben, ist es schwierig, sich auch auf diesen globalen Kampf zu konzentrieren. Beides lässt sich aber nicht voneinander trennen. Schließlich ist es dieselbe Militärdiktatur, die seit 2014 Kohle in der Industrie einführt, die Förderung fossiler Brennstoffe ausweitet und diesen Monat mit dem Bau eines Atomkraftwerks am Mittelmeer begonnen hat. Dies ist nicht nur ein Problem für die ägyptische Bevölkerung, sondern für die ganze Welt. Dieser Militärstaat ist nun Gastgeber für ein weltweites UN-Klimatreffen. Die teilnehmenden Staaten ignorieren nicht nur die brutalen Verbrechen der ägyptischen Regierung, sondern sie machen diese Verbrechen auch noch grüner, indem sie Ägypten als klimabewussten Staat feiern.

netzpolitik.org: Ihr fordert, die Vereinten Nationen sollen nicht auf ein ägyptisches „Greenwashing“ hereinfallen. Was meint ihr damit?

OccupyCOP27: In Ägypten gibt es reichlich Sonne, Wind und Wasser, um daraus Energie zu gewinnen. Mit dieser „grünen Energie“ sollen ausländische Investitionen angelockt werden. Im Großen und Ganzen ist es aber ein schmutziges Geschäft, denn für die Bevölkerung bleibt davon nichts. Wenn die „grüne Energie“ exportiert werden soll, womit werden dann die lokale Industrie und der lokale Verbrauch versorgt? Das führt dazu, dass in Ägypten Kohlekraftwerke weiter laufen müssen und weiter schmutziges Gas gefördert wird. Davon profitieren dann wieder die Konzerne in Deutschland.

netzpolitik.org: Nochmal zurück zu Alaa. Der öffentliche Druck könnte helfen, dass er begnadigt wird. Aber wie kann er ganz persönlich unterstützt werden?

OccupyCOP27: Alaa könnte auch vom Präsidenten begnadigt werden, aber dies ist immer willkürlich und folgt politischem Kalkül. Bekanntlich sind Solidaritätsbriefe in den Knast eine sehr gute Idee, denn Gefangene fühlen sich oft von der Welt vergessen. Briefe können an letterstothoseinside@riseup.net geschickt werden, eine Kampagne sorgt dann dafür dass sie ihm zugestellt werden.

Die Schwester von Alaa hat eine Petition für seine Freilassung gestartet, die hier gezeichnet werden kann.

1 Ergänzungen

  1. Diese grüne Energie aus Ägypten und Co. darf getrost als blutrote Energie bezeichnet werden.

    Wir machen hier genau den gleichen Fehler wie mit Putin, das wir uns auf Beziehungen einlasen mit Staaten die die Menschenrechte mit den Füssen treten. Am Ende wird dann genau das selbe herauskommen wie mit Russland, diese Staaten werden uns letztendlich erpressen.

    An Ägypten eine sehr dumme Frage gesellt. Unser Kultur ist Gaga, unsere Kunst ist Gaga, unser Menschenrechte sowieso. Wieso verwendet ihr all die Produkte die unsere kulturelles Selbstverständnis hervorbrachten, wenn doch alles so Gaga ist? Vom Auto, über Radio, Fernsehen, Smartphones, Flugzeuge, eklektischer Strom. ..

    In diese Richtung sollte es meines Erachtens gehen bei den Protesten der Zivilgesellschaft – gegen Unterdrückung und Willkür!

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