Seit 2013 ist Kroatien offizielles Mitglied der Europäischen Union. Bis dahin hat der Westbalkan-Staat die üblichen finanziellen „Heranführungshilfen“ erhalten, um fit für den Beitritt zum Schengen-Raum zu werden. Die vollständige Anwendung des Schengen-Besitzstands bleibt dem Land jedoch immer noch verwehrt, da Frankreich und die Niederlande wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit Bedenken angemeldet hatten. Deshalb müssen die Binnengrenzkontrollen zu den benachbarten EU-Staaten Slowenien und Ungarn fortgeführt werden.
Ein Grund für die Blockade der Schengen-Vollanwendung durch einzelne EU-Mitglieder könnte aber auch in der Funktion Kroatiens als Bollwerk auf der sogenannten „Balkanroute“ liegen. Viele Geflüchtete durchqueren das Land, um in wohlhabendere EU-Staaten zu gelangen und dort einen Asylantrag zu stellen. Die Beibehaltung der Binnengrenzkontrollen zu den nördlichen Nachbarn könnte diese Migration erschweren.
Umstrittene Überwachungstechnik
Auch die deutsche Bundesregierung hat deshalb ein vermeintliches Interesse daran, die kroatische Polizei bei der Verhinderung der unerwünschten Migration über Bosnien und Herzegowina zu unterstützen. Dies erfolgt durch Ausrüstung und vor allem Schulungen.
Zuletzt hat das deutsche Innenministerium im vergangenen Jahr drei Geräte zur Nummernschilderkennung an die Grenzpolizei in Kroatien geliefert. Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage aus dem vergangenen Jahr kosteten die als „feste Kameras mit Kfz-Lesefunktion“ bezeichnete Ausstattungshilfe rund 62.000 Euro.
Der Einsatz derartiger Technik ist umstritten. In Deutschland machen immer mehr Landespolizeien davon Gebrauch, darunter ist auch Brandenburg. Das Bundesland hatte die Kennzeichenscanner sogar dauerhaft eingesetzt und vorbeifahrende Fahrzeuge auf Vorrat gespeichert. Erst ein Urteil des Landgerichts hat diese Praxis schließlich beendet.
Insgesamt 163 Millionen Euro für Grenzpolizei
Im Januar 2020 übergab der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seinem kroatischen Kollegen außerdem zehn Wärmebildkameras im Wert von 350.000 Euro. Damit sollten die Grenztruppen in Kroatien die „illegale Sekundärmigration“ kontrollieren. Gemeint ist die Weiterwanderung von Geflüchteten, nachdem diese einen Asylantrag in einem anderen Land gestellt haben. „Illegal“ im Sinne einer Straftat ist dies allerdings nicht.
Im Dezember 2020 folgten zehn Fahrzeuge im Wert von 835.000 Euro für die kroatischen Grenztruppen. Insgesamt sollen die seit dem Jahr 2000 aus Deutschland gelieferten technischen und materiellen Unterstützungsmaßnahmen 3,1 Millionen Euro gekostet haben, erklärte der kroatische Innenminister Davor Bozinovic bei der Übergabe dieser Fahrzeugspende.
Zusammen mit der Europäischen Union sollen sogar rund 163 Millionen Euro an die Grenzpolizei Kroatiens geflossen sein, berichtete das Fernsehmagazin Monitor.
Keine Rechtsstaatlichkeit für Geflüchtete
Spätestens seit 2016 wurden erste Berichte öffentlich, dass Kroatien mit seiner Migrationspolitik das Völkerrecht verletzt. Unter Einsatz von Gewalt hat das Land vermutlich bereits Tausenden Geflüchteten das Recht auf einen Asylantrag in einem EU-Staat verwehrt. Dies widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta der Europäischen Union.
2019 dokumentierte auch die Tagesschau, wie die kroatische Polizei massenhaft Geflüchtete über die Grenze nach Bosnien und Herzegowina zurücktreiben und dabei körperliche Gewalt anwenden. Auf Bildern versteckter Kameras ist zu sehen, wie Menschen von Uniformierte mit Knüppeln, Pfefferspray und Einsatz von Hunden durch den Wald gejagt werden.
Trotz dieser sogenannten Pushbacks hat das damalige Seehofer-Ministerium weitere Ausrüstung an Kroatien geliefert, darunter Schutzausrüstung, Helme, Kameras und Geräte zur Beweissicherungs- und Dokumentation für die kroatische „Spezialpolizei“.
Fahrzeuge für die „Spezialpolizei“
Die Truppe übernimmt ähnliche Aufgaben wie die deutschen Bereitschaftspolizeien, dazu zählen Einsatzlagen wie Demonstrationen, die Sicherung von Großereignissen oder „Krisenlagen“. Wenn nötig, wird die „Spezialpolizei“ auch für den Streifendienst abgeordnet und führt auch Razzien durch.
Laut Medienberichten wurden in Gegenwart des deutschen Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder außerdem vier Mercedes Benz Sprinter an die „Spezialpolizei“ übergeben. In einer heute öffentlich gewordenen Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt das Innenministerium eine Lieferung von drei Fahrzeugen.
Aufs Ganze gesehen mag die deutsche Ausrüstungshilfe für die kroatische Polizei gering sein. Gerade die Lieferung von Fahrzeugen ist jedoch heikel, denn diese könnten auch benutzt werden, um Geflüchtete an die bosnisch-herzegowinische Grenze zu verschleppen und zur Ausreise zu zwingen. Diese brutale Praxis hatte unter anderem Der Spiegel mit einer Drohne dokumentiert.
„Einsatzbeobachtung“ bei G20-Treffen und Fußballspielen
Von größerer Bedeutung ist indes die Hilfe, die Kroatien aus Deutschland in Bezug auf den Erfahrungsaustausch und die Einbindung in europäische Polizeistrukturen erhielt. Aus der Antwort auf die parlamentarische Anfrage geht hervor, wie eng die deutsche Polizei den Aufbau der „Spezialpolizei“ auf diese Weise begleitet hat.
Seit 2006 werden die kroatischen Einheiten von deutschen Polizeien trainiert, federführend sind dabei Landespolizeien aus Niedersachsen und Berlin, die teilweise mehrere Maßnahmen und gegenseitige Besuche jährlich durchgeführt haben. Zu den Dutzenden von Schulungen gehören Seminare zu „Strategien der Lagebewältigung von Großeinsätzen“ oder „Einsatzbeobachtung Fußball“.
In Hamburg hat die „Spezialpolizei“ außerdem die polizeiliche Taktik beim G20-Gipfel beobachtet. Unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz hatte die Polizei angemeldete Massenproteste verhindert und dabei nachgewiesenermaßen in großem Umfang Gewalt angewendet. „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“, leugnete der heutige Bundeskanzler damals.
129 Beamt:innen für Frontex-Einsätze
Für die Koordination der Zusammenarbeit mit der kroatischen Polizei haben deutsche Behörden eigens Personal in die Hauptstadt Zagreb entsandt. Die Bundespolizei stationiert dort einen Verbindungsbeamten, während der touristischen Saison kommt eine „Grenzpolizeiliche Unterstützungskraft Ausland“ in Split hinzu. Das Bundeskriminalamt und die Zollverwaltung haben ebenfalls jeweils einen Koordinator nach Kroatien abgeordnet.
In der Antwort nennt die Bundesregierung die weiteren Pläne für Ausbildungsmaßnahmen in Kroatien, darunter gegenseitige Hospitationen von Polizeibediensteten und ein „strategischer Austausch“ mit der „Spezialpolizei“ zu den Themen „Diensthundewesen“ oder „Frauen in Führungsfunktionen“. Das deutsche Bundeskriminalamt plant im Themenfeld „Islamistisch motivierter Terrorismus/Extremismus“ einen nicht näher erläuterten Vortrag.
Auch die EU-Grenzagentur Frontex ist in verschiedenen Missionen an kroatischen Grenzübergängen aktiv, von Frontex geleaste Flugzeuge überwachen außerdem an der Grenze zu Bosnien und Herzegowina. An diesen Einsätzen beteiligt sich auch die deutsche Bundespolizei. Seit 2017 waren insgesamt 129 Beamt:innen für Frontex in Kroatien stationiert.
Bald Entscheidung zum endgültigen Schengen-Beitritt
„Viel wichtiger wäre mit Blick auf die illegalen Zurückweisungen an den Grenzen ein gezieltes Training zur Einhaltung von menschenrechtlichen Standards bei Polizeieinsätzen“, kommentiert die Linken-Politikerin Clara Bünger, von der die jüngste Anfrage zu Kroatien stammt, die deutschen Hilfen für den Polizeiaufbau in Kroatien. „Für einen angekündigten Paradigmenwechsel insbesondere beim Thema Fluchtpolitik erwarte ich von der Bundesregierung, ihre Unterstützungsmaßnahmen noch einmal scharf zu überdenken“.
Demnächst soll das EU-Parlament darüber abstimmen, ob Kroatien nun doch Schengen-Vollmitglied wird. Im Rat der Europäischen Union haben die Mitgliedstaaten hierzu bereits grünes Licht gegeben. Im Falle eines positiven Votums könnte das Land ab dem 1. Januar 2023 den Schengen-Besitzstand anwenden.
Bünger lehnt dies unter den aktuellen Bedingungen ab. „Die Ampel-Koalition hat sich selbst auf die Fahne geschrieben, bei Erweiterung des Schengenraums besonderes Augenmerk auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und humanitären Standards zu legen“, erklärt die Abgeordnete. „Dass die Bundesregierung im Rat der EU nun mit durchgewunken hat, Kroatien erfülle alle formalen Voraussetzungen für die Anwendung des gesamten Abkommens, offenbart ein fragwürdiges Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“.
Laut Churchill sollte man ja die Gelegenheiten einer guten Krise nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Jetzt verstaerkte Armutsmigration anzustreben klingt aber eher wie die Strategie von FDP oder AfD?