Zur Ortung und Verfolgung von Schiffen nutzt Frontex Daten des automatischen Identifikationssystems (AIS), mit dem jedes größere Schiff über UKW-Funkfrequenzen regelmäßig seine Identität, den jeweiligen Standort und das Ziel an Empfangsgeräte senden muss. So will die Europäische Grenzagentur etwa unerwünschte Schleusungen von Geflüchteten oder auch Drogenschmuggel nach Europa verhindern. Die Informationen werden mit Bildern von optischen oder radarbasierten Satelliten in einem „Gesamtsituationsbild“ angereichert.
Das mehrschichtige Überwachungssystem stößt an Grenzen, wenn Schiffe „unkooperativ“ sind und ihre AIS-Transponder ausschalten. Bilder hochauflösender optischer Satelliten sind zudem teuer und können nur tagsüber und bei gutem Wetter genutzt werden. Daten von SAR-Satelliten (Synthetic Aperture Radar) können Schiffe zwar jederzeit erkennen, ihre Auflösung ist jedoch grobkörnig.
Detektion von Funkgeräten und Telefonen
Deshalb setzt Frontex zunehmend auf das Aufspüren von elektromagnetischer Strahlung, wie sie etwa von Funkgeräten oder Mobiltelefonen an Bord von Schiffen ausgesendet wird. Diese elektronische Aufklärung (Signals Intelligence – SIGINT) beziehungsweise raumbezogene Aufklärung (Geospatial Intelligence – GEOINT) wurde in den vergangenen Jahrzehnten nur von Militär und Geheimdiensten genutzt. Neue miniaturisierte Satelliten und das Elon Musk-Unternehmen SpaceX haben die Spionagetechnologie jetzt für private Anbieter und damit auch Grenzbehörden erschwinglich gemacht.
Unter dem Titel „Erkennung von Satellitenfunk-Sendern für die maritime Situationsanalyse“ hat Frontex dazu 2019 einen ersten Rahmenvertrag über 1,5 Millionen Euro mit HawkEye 360 abgeschlossen. Die Vergabe an die amerikanische Firma erfolgte ohne eine ansonsten übliche europäische Ausschreibung. Nach einer Marktsichtung hatte Frontex erklärt, es handele sich um das einzige Unternehmen weltweit, das zum damaligen Zeitpunkt über die Technik verfügte.
Die Firma ist auf die sogenannte Geodatenanalyse spezialisiert. Als einer der ersten kommerziellen Anbieter hat HawkEye 360 ab 2018 eine Serie Kleinsatelliten ins All gebracht, mit der die gesamte Erdoberfläche auf Hochfrequenzsignale abgetastet werden kann. Der Transport erfolgte mit einer Falcon9 von SpaceX.
Mustererkennung mit Amazon
Ein Jahr später startete HawkEye 360 unter dem Namen „RFGeo“ den ersten Dienst, der die georeferenzierten Daten der elektronischen Geräte grafisch darstellt und damit für Kund:innen einfach zugänglich macht.
Die automatisierte Risikoanalyse von Schiffen erfolgt mithilfe „Künstlicher Intelligenz“, HawkEye 360 startete dazu eine Kooperation mit dem ML Solutions Lab von Amazon. Darüber sollen verborgene Muster und Beziehungen zwischen Schiffsmerkmalen aufgedeckt werden. Zu den potenziell auffälligen Verhaltensweisen gehören etwa die Fischerei in dafür gesperrten Gebieten, Schiff-zu-Schiff-Übergaben auf Hoher See oder das Abschalten von Transpondern.
Das Mittelmeer ist eine der ersten Regionen, die von „RF Geo“ abgedeckt wurden, und die Grenzagentur gehörte zu dessen ersten Kund:innen. Damit wollte die Agentur das „Situationsbewusstsein“ vor allem im maritimen Bereich, aber auch über Landgebieten erhöhen.
Auch Abstrahlung von Schiffsradaren von Interesse
Der erste Rahmenvertrag galt für eine Dauer von 365 Tagen. Ein Jahr später hat Frontex eine Erneuerung bekannt gegeben, die demnach fünf Millionen Euro teuer ist und ebenfalls nicht öffentlich ausgeschrieben wurde. Vermutlich wurde der Auftrag abermals an HawkEye 360 vergeben. Angaben dazu hält Frontex aber geheim.
Zur „Situationsanalyse“ hatte Frontex von HawkEye 360 den Zugang zu vier verschiedenen Datenquellen gefordert. Dies sind Abstrahlungen von UKW- und X-Band-Seefunkanlagen, Satellitentelefonen sowie AIS-Transpondern.
Bereits in ihrer ersten Ausschreibung von 2019 wollte Frontex, dass auch die elektromagnetische Abstrahlung der Radargeräte von Schiffen verarbeitet werden soll. Allerdings hat HawkEye 360 einen solchen Dienst erst 2020 offiziell eingeführt. Es ist deshalb unklar, ob Frontex über diese Fähigkeit verfügt.
Frontex kennt drei Firmen mit Spionagesatelliten
In ihrer Vergabeentscheidung an HawkEye 360 schrieb Frontex im Jahr 2019, es gebe noch zwei weitere Unternehmen die neben dem Aufspüren elektronischer Kommunikation ein elektromagnetisches Aufspüren von Schiffsradaren versprechen. Diese hätten sich demnach aber noch „in der Aufbauphase der Satelliten“ befunden und würden „erst mittelfristig die volle Betriebsfähigkeit erreichen“.
Eine der Firmen ist Unseenlabs aus Frankreich, die ab 2019 ebenfalls mehrere „weltraumgestützte Radiofrequenz-Erkennungssysteme“ ins All geschossen hat. Zu ihren Kund:innen gehören nach eigenen Angaben „Versicherungsgesellschaften, Industriekonzerne und Regierungen“. Ein anderer Hersteller ist die Firma Kleos aus Luxemburg, die auch Niederlassungen in Großbritannien unterhält. Ihre Dienste kommen in einer EU-Militärmission und bei Geheimdiensten zum Einsatz, schreibt Kleos.
Mit seinen Amber SIGINT CubeSats steigt auch die britische Firma Horizon Technologies in die Satellitenüberwachung der Meere ein. Sie vertreibt eine ähnliche Technik für Flugzeuge und Drohnen. Allerdings sei der Weltraumdienst frühestens Ende dieses Jahres einsatzbereit. Horizon Technologies verspricht, dass dann jedem Schiffsradar eine individuelle Signatur zugeordnet, es also wiedererkannt werden kann.
EMSA beobachtet Entwicklungen
Auch die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) sammelt Satellitendaten aus verschiedenen Quellen. Sie betreibt das CleanSeaNet, das eigene Dienste erstellt und mit anderen Informationen von Frontex zusammenführt.
Hinsichtlich der Erkennung und Identifizierung von Schiffsradaren mithilfe der Funkfrequenzerkennung ist die EMSA zurückhaltender als Frontex.
Als zivile Technik sei diese „hinsichtlich der Genauigkeit noch nicht ausgereift“, schreibt die EU-Kommissarin für Verkehr, Adina Vălean, auf Nachfrage. Eine generelle Absage an die Lokalisierung von Schiffsradaren durch Spionagesatelliten ist dies jedoch nicht. Die Entwicklungen würden „weiter beobachtet“, schreibt Vălean.
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