Die Europäische Union will die Regierung in Libyen beim Aufbau geheimdienstlicher Strukturen unterstützen. Ein libysches „Nationales Team zur Terrorismusbekämpfung“ (NCTT) soll dazu eine „Analyseeinheit“ aufbauen, die sich „schwerpunktmäßig mit der Erkenntnisgewinnung und deren Analyse“ befasst. Das schreibt die EU-Kommission im Namen ihres Hohen Vertreters und Vizepräsidenten, Josep Borrell, in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Die neue Einheit in Libyen soll anschließend „wirksamer mit der internationalen Gemeinschaft“ zusammenarbeiten.
Allerdings steht Libyen seit Jahren in der Kritik, etwa im Bereich der Migrationspolitik elementare Menschenrechte zu verletzen. Auf Hoher See aufgebrachte Geflüchtete werden massenhaft in Gefängnisse gesteckt und dort misshandelt oder gefoltert. In dem immer wieder von Bürgerkriegen betroffenen Land ist auch eine politische Opposition lebensbedrohlich. „Dissidente Stimmen werden unterdrückt, unabhängige Medien oder Aktivisten müssen ins Exil gehen oder riskieren Gefängnis“, sagt dazu die italienische Investigativ-Journalistin Sara Creta gegenüber netzpolitik.org.
Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung könnten auch politische Gegner mit der neuen Anti-Terror-Einheit ausgespäht werden. Zunächst sollen aber sogenannte „ausländische Kämpfer“ des Islamischen Staates im Fokus stehen.
Beratung von Europol und Behörden aus Belgien
In der Antwort wird die neue Einheit als „Fusionszelle“ bezeichnet. Der Begriff meint die Zusammenführung von verschiedenen Behörden und Abteilungen, die Informationen sammeln und dann auf nationaler und internationaler Ebene austauschen. In der EU existiert eine solche „Fusion Cell“ beispielsweise im geheimdienstlichen Lagezentrum in Brüssel. Auch das 2016 bei Europol gestartete Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung (ECTC) sollte dem Modell eines „Fusionszentrums“ folgen, allerdings fehlte hierzu ein entsprechendes Mandat zur Kooperation mit Geheimdiensten.
Trotzdem hat Europol libysche Behörden zur Einrichtung einer „Fusionszelle“ beraten. Auch dies geht aus der Antwort hervor. Zusammen mit dem belgischen „Koordinierungsorgan für die Bedrohungsanalyse“ hat Europol einen Vortrag über die Einrichtung und den Betrieb einer „Fusionszelle“ gehalten. Dabei ging es auch um den Betrieb von Einsatzräumen und Ausrüstung.
Für die verbesserte Zusammenarbeit der „libyschen Partner“ mit Agenturen und einzelnen EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Polizeiakademie (CEPOL) ein „Projekt für Informationsaustausch und strafrechtliche Reaktion bei der Terrorismusbekämpfung“ (CT INFLOW) gestartet. Es richtet sich ebenfalls an die libysche „Fusionszelle“ und soll mit Schulungen dazu beitragen, „terroristische Netzwerke und die Aktivitäten von Anwerbern für den Terrorismus zu verhindern und zu zerschlagen“. Strafverfolgungs- und Justizbehörden aus Libyen sollen so für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gegen „ausländische Kämpfer“ ertüchtigt werden. Hierzu ermittelt auch Europol zusammen mit verschiedenen Militär- und Geheimdienstbehörden.
„Fachexkursion“ zu Interpol in Lyon
Weitere Hilfestellung für das libysche „Fusionszentrum“ kommt von der Mission der Europäischen Union zur Unterstützung des integrierten Grenzmanagements in Libyen (EUBAM Libya). Die Mission hat die zuständigen Behörden im Innenministerium zur Umsetzung einer „Nationalen Strategie zur Terrorismusbekämpfung“ beraten.
Der dortigen Antiterroreinheit wurden außerdem 15 Laptops und Software „für Schulungszwecke sowie für die Datenverarbeitung und die Analysetätigkeit“ zur Verfügung gestellt. Um welche Anwendungen es sich handelt, bleibt aber offen.
Die anvisierte Einbindung der libyschen Behörden in die internationale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll dann über Interpol erfolgen. Im März hat EUBAM Libya bereits eine „Fachexkursion“ zum Generalsekretariat von Interpol in Lyon organisiert. Dort haben die libyschen Behörden Einblicke die Tätigkeiten und Datenbanken von Interpol erhalten. Ein Vertreter des nationalen Interpol-Zentralbüros in Libyen wurde daraufhin in das „Nationale Team für Terrorismusbekämpfung“ aufgenommen.
Geräte zur Erfassung biometrischer Daten
Libyen ist schon jetzt Adressat des Interpol-Projekts Sharaka. Es wird von der EU finanziert und richtet sich an alle fünf Staaten Nordafrikas sowie Jordanien, Libanon und Palästina. Einzelne Grenzübergänge oder Polizeibehörden werden darüber direkt an die Interpol-Datenbanken angeschlossen und können dort gespeicherte Informationen abrufen.
Im Oktober 2020 haben libysche Behörden bereits an einem Testlauf im Projekt Sharaka teilgenommen. Im Seehafen von Khoms haben das Zentralbüro von Interpol in Tripolis, die Kriminalpolizei, der Zoll „und andere Sicherheitsbehörden“ eine gemeinsame Operation durchgeführt.
Von Interpol erhielten die Teilnehmenden „operative und technische Fernunterstützung“ sowie Geräte für die mobile Verbindung zu den Interpol-Datenbanken. Außerdem wurden Geräte zur Erfassung von biometrischen Daten zur Verfügung gestellt. Mehr als 30 libysche Polizeibeamte sollen anschließend Fingerabdrücke und Gesichtsbilder verdächtiger Besatzungsmitglieder von Schiffen und Fahrzeugen kontrolliert haben. Durch Abgleiche mit Informationen bei Interpol sollen zwei Container mit „illegalen Substanzen“ entdeckt worden sein.
Libyen in der Krise
Nach der wiederholten Absage der geplanten Parlamentswahlen befindet sich Libyen in der Krise. In Tripolis sitzt die Regierung von Ministerpräsident Abdul Hamid Dbaiba, der im Zuge des UN-Friedensprozesses für das vorübergehende Amt bestimmt worden war. Allerdings wird Dbaiba vom Parlament mehrheitlich nicht akzeptiert, stattdessen haben die Abgeordneten den ehemaligen Innenminister Fathi Baschaga zum Ministerpräsidenten erklärt. Dies wiederum wird von Dbaiba nicht anerkannt.
„Libyen ist zersplittert, das betrifft auch den Sicherheitsapparat. Dutzende bewaffnete Gruppen kämpfen um Macht und politische Legitimität“, erläutert die Journalistin Sara Creta. Über Informationsfreiheitsanfragen, aber auch parlamentarische Anfragen auf EU-Ebene oder in Italien war es in der Vergangenheit nicht möglich, den Verbleib von Ausrüstung aus der EU zu verfolgen. Creta klagt deshalb gegen das italienische Innenministerium. „Jede EU-Unterstützung muss deshalb zunächst auf politische Stabilität ausgerichtet sein“, so Creta.
In der Vergangenheit hat die Mission EUBAM Libya bereits die libysche Seepolizei unterstützt, die dem Innenministerium untersteht. Gleichzeitig erhielt die militärische Küstenwache Ausbildung und Ausrüstung von der EU-Militärmission im Mittelmeer. Beide Einheiten bestehen aus unterschiedlichen Milizen und konkurrieren miteinander. Diesen Konflikt könnte die EU mit ihrer Unterstützung beider Parteien angeheizt haben.
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