Militärische Drohnen, mobile Radargeräte und automatisierte Lügendetektoren — in den letzten zehn Jahren hat die EU hunderte Millionen Euro für moderne Überwachungstechnologien ausgegeben, um Geflüchtete von der Einreise in die EU abzuhalten. Das berichtet „The Guardian“ in einer umfassenden Übersicht zur „Festung Europa“. Neben der heftig in der Kritik stehenden Grenzschutzbehörde Frontex, die ein großer Abnehmer für neue Grenzschutztechnologien ist, fördert die EU den Einsatz von Überwachungstechnologien an den Außengrenzen ihrer Mitgliedsstaaten als zentraler Geldgeber, etwa mit Fonds für innere Sicherheit oder dem Innovationsförderungsprojekt Horizon 2020.
Erst letzten Monat hatte die polnische Regierung genehmigt, eine 5,5 Meter hohe und 200 Kilometer lange Mauer an der Grenze zu Belarus zu errichten, die mit hochsensiblen Bewegungsmeldern und Wärmekameras ausgestattet sein soll. 350 Millionen Euro legt Polen für den Bau auf den Tisch. Seit der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Geflüchtete gezielt instrumentalisiert, um Druck auf die EU auszuüben, droht die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze zu eskalieren. Mehr als zwölf Menschen sind inzwischen im Grenzgebiet gestorben. Zuletzt verschickten polnische Grenzbehörden automatisierte SMS, um Geflüchtete von der Einreise abzuhalten.
Private Rüstungs- und Technologieunternehmen profitieren
Im Jahr 2018 prognostizierte die EU, dass der europäische Sicherheitsmarkt bis 2020 auf 128 Milliarden Euro anwachsen werde. Davon profitieren vor allem Rüstungs- und Technologieunternehmen, die diese Technologien anbieten. Das hat bei Aktivist:innen und einigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments Besorgnis ausgelöst.
„Drohnen oder Hubschrauber halten die Menschen nicht davon ab, die Grenze zu überqueren. Sie nehmen nur riskantere Wege“, sagt Jack Sapoch, ehemaliger Mitarbeiter des Border Violence Monitoring Network, ein Projekt, das illegale Pushbacks von Asylsuchenden in der EU und anderen Staaten dokumentiert. Dass sich die EU in Fragen des Grenzschutzes vor allem auf Rüstungs- und Technologieunternehmen verlasse, hält Petra Molnar vom Refugee Law Lab für unangemessen. Das Refugee Law Lab untersucht unter anderem den Einfluss von neuen Technologien auf Geflüchtete. „Sie verlassen sich darauf, dass der Privatsektor diese Spielzeuge für sie entwickelt. Aber es gibt sehr wenig Regulierung“, sagt sie. „Für mich ist es wirklich traurig, dass es fast schon eine beschlossene Sache ist, dass all das Geld für Lager, Zäune, Überwachung und Drohnen ausgegeben wird.“ Die hohen Summen könnten statt in Überwachungs- und Militärtechnologien auch in Hilfen für Geflüchtete aller Art, in soziale Projekte oder in die konkrete Unterstützung der grenznahen Regionen fließen, um nur einige Alternativen zu nennen.
Die deutsche Europaabgeordnete Özlem Demirel kritisiert, dass die Rüstungsindustrie Migration zu einer Sicherheitsfrage gemacht habe: „Die EU spricht immer von Werten wie den Menschenrechten und wendet sich gegen Menschenrechtsverletzungen, aber Woche für Woche sterben mehr Menschen, und wir müssen uns fragen, ob die EU ihre Werte verletzt“, sagt sie.
Überwachung aus der Luft mit Militärdrohnen
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe an Technologien, mit denen die EU-Grenzbehörde die Geflüchteten an der Einreise hindern wollen. Neben der Überwachung aus der Luft durch militärische Drohnen kommen am Boden nicht nur Sensoren und Spezialkameras, sondern auch automatisierte Software zum Einsatz. Während Griechenland an der Grenze zur Türkei auf Luftschiffe setzt, nutzen Grenzbeamt:innen auf dem Balkan Drohnen und Hubschrauber, um Geflüchtete vom Überqueren der Grenze abzuhalten.
Im Mittelmeerraum kommen die Langstrecken-Drohnen Heron und Hermes zum Einsatz. Diese Drohnen können mehr als dreißig Stunden in einer Höhe von 10.000 Metern fliegen und senden dabei nahezu Echtzeit-Daten an die Frontex-Zentrale in Warschau. Meist starten sie vom Inselstaat Malta und suchen dann die libysche Such- und Rettungszone nach Flüchtlingsbooten ab, die das Mittelmeer überqueren wollen. Israelische Rüstungsunternehmen stellen die Drohnen her, die auch im Gazastreifen zum Einsatz kommen. Sie gelten als die teuersten Instrumente für die Überwachung aus der Luft. Im vergangenen Jahr vergab Frontex für die Drohnen einen Auftrag in Höhe von 100 Millionen Euro. Derzeit gibt Frontex 84 Millionen Euro, also ein Sechstel des diesjährigen Budgets, für Flüge an den EU-Außengrenzen aus.
Bewegungsmelder und automatisierte Verhaltenserkennung
An den Grenzen am Boden kommen vermehrt Sensoren und Spezialkameras wie mobile Radargeräte, Wärmebildkameras, Herzschlagdetektoren und CO2-Monitore zum Einsatz. Sie können Bewegungen erkennen und sollen dabei helfen, Personen aufzuspüren, die sich beispielsweise in Fahrzeugen verstecken. Grenzbehörden in Griechenland, Rumänien und Kroatien nutzen die Technik bereits. Auch die geplante Mauer an der polnisch-belarussischen Grenze soll mit fortschrittlichen Wärmebildkameras und Sensoren ausgestattet werden. An der Außengrenze zur Türkei setzt Griechenland zudem seit Mitte des Jahres eine Schallkanone ein, die Geflüchtete mit ohrenbetäubenden Knallgeräuschen von der Lautstärke eines Düsentriebwerks einschüchtern soll.
Auch das im September neu eröffnete Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos setzt auf moderne Überwachungstechnik. Das Pilotprojekt wird mit Bewegungsmeldern, Verhaltenserkennung und Drohnen kameraüberwacht. Ein privates Sicherheitsunternehmen und 50 uniformierte Beamte kontrollieren das von Stacheldraht umzäunte Lager unter anderem mit Fingerabdrücken, Drehkreuze und Röntgenstrahlen. Es ist das erste von fünf geplanten Lagern in Griechenland; zwei weitere haben im November eröffnet. Insgesamt zahlt die EU-Kommission 276 Millionen Euro für die neuen Zentren auf den griechischen Inseln.
Zusätzlich zu Sensor- und Kameratechnik setzt die EU auch zunehmend auf automatisierte Überwachungssysteme. Drei Jahre lang hat sie in Griechenland, Ungarn und Lettland einen automatisierten Lügendetektor getestet, der die Mimik von Geflüchteten und anderen Reisenden scannt, während sie Fragen beantworten und dann entscheidet, ob sie die Wahrheit sagen. Das Pilotprojekt hat die EU 4,5 Millionen Euro gekostet. Wissenschaftler:innen haben die Technologie als „pseudowissenschaftlich“ kritisiert. Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer hat vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg bereits gegen die Software geklagt. Eine Entscheidung wird für den 15. Dezember erwartet.
Nunja, was sollte die EU denn sonst machen? Klar kann man das Geld irgendwie verschenken, aber was aenderte das an dem Zustrom an Menschen?
Die Frage stellt sich natuerlich nicht, wenn man offene Grenzen fuer alle postuliert. Aber dann postuliert man halt auch das Ende des Sozialstaats und den folgenden reinen Klassismus.
Tippfehler: Nicht „Ölzem Demirel“ sondern „Özlem Demirel“
Danke, ist nun korrigiert.