Neues aus dem Fernsehrat (59)Von Kultur bis Breitensport: Es fehlt ein öffentlich-rechtliches Angebot für Nutzerinhalte

Die Coronakrise hat einen Boom an digitalen Angeboten von Hochkultur bis hin zu Fitnessvideos für Zuhause ausgelöst. Mangels Angeboten für nutzer:innengenerierte Inhalte bleiben die öffentlich-rechtlichen Anbieter in Deutschland aber außen vor.

leere Theaterbühne
Die Not leerer Säle und Bühnen macht digital erfinderisch – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Peter Lewicki

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

Viele Kulturschaffende sind von der Corona-Krise ganz besonders betroffen. Mit den abgesagten Konzerten, Lesungen oder anderen Veranstaltungen fallen nicht nur die Gagen für die Auftritte weg, sondern der oft noch wichtigere Aufmerksamkeitseffekt: keine Nachberichterstattung, kein Multiplikatoreffekt, kein Folge-Gig. Und wegen oft prekärer Beschäftigungsvergangenheit gibt es – wenn überhaupt – nur höchst bescheidene Ansprüche auf Arbeitslosengeld.

Umso erstaunlicher, wie sehr gerade in der Kunst- und Kulturbranche derzeit Kunstschaffende genauso wie Kultureinrichtungen jeder Größenordnung versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen und digitale Angebote improvisieren. Die Starpianist Igor Levit und seine Twitter-Konzerte sind hier nur eines von zahlreichen Beispielen für binnen weniger Tage aus dem Boden gestampfte Digitalangebote.

Alle wissen, dass alle improvisieren

Bis zu einem gewissen Grad kommt es dadurch zum Aufbau neuer Digitalkompetenzen. In der Not werden auf diese Weise Berührungsängste mit digitalen Vermittlungswegen abgebaut und die Krise zwingt dazu, sich für Dinge Zeit zu nehmen, für die bislang nie Zeit war. Gleichzeitig haben wir es derzeit mit einer Ausnahmesituation zu tun. Alle wissen, dass alle improvisieren. Improvisierte Technik und auch mittelmäßig bis schlechte Bild- und Audioqualität wird deshalb toleriert und die Hemmschwelle sich digital zu präsentieren sinkt.

Sich einen Überblick über das Angebot zu verschaffen ist gar nicht so einfach, für Berlin gibt es mit Berlin (a)live eine erste Seite, die versucht das neue digitale Kulturangebot zu bündeln. Wenn es um die technische Seite der Angebote geht, so bedienen sich nicht nur Einzelpersonen sondern auch größere Einrichtungen kommerziellen Plattformen wie Youtube (z.B. die Staatsoper Stuttgart), Vimeo (z.B. Berliner Esemble) oder Facebook (z.B.  „Quarantine Sessions“ von Jazzmusikerin Marina Albero).

Wo bleibt ein KulturTube von ARD und ZDF?

Umso eindrücklicher führt die große, auch regionale Vielfalt an kulturellen Digitalangeboten das Fehlen eines öffentlich-rechtlichen Upload-Angebots vor Augen. Nicht nur kleine Kultureinrichtungen und individuelle Kunstschaffende sind auf technische Infrastrukturen Dritter zur Verbreitung ihrer Inhalte angewiesen. Was könnte einem öffentlich-rechtlichen Kulturauftrag im digitalen Zeitalter mehr entsprechen, als hier eine niedrigschwellige Plattform für diese digitalen Kulturprojekte zu liefern? Und sie dadurch gleichzeitig zu bündeln und ihnen eine zusätzliche Bühne zu bieten? Nicht um YouTube oder Facebook zu ersetzen, sondern als eine öffentlich-rechtliche Alternative oder Ergänzung.

Das bedeutet nicht, dass es gar keine Kooperationen zwischen Kultureinrichtungen und öffentlich-rechtlichen Anbietern gibt. Aktuell ist es ARTE, das mit seiner Infrastruktur „United we Stream“ eine Bühne bietet. Jeden Abend zeigt ARTE in seiner Mediathek Streams aus Berliner Clubs wie dem Watergate, Tresor oder Kater Blau und unterstützt diese damit im Überlebenskampf in Zeiten von Corona. Im ZDF gab es zwar bereits vor Corona mit ZDFKultur erste Kooperationen mit Kultureinrichtungen, um deren Inhalte im Rahmen der ZDF-Mediathek zu präsentieren. Allerdings basieren alle derartigen Angebote auf im Einzelnen ausgehandelten Kooperationsvereinbarungen. Was fehlt ist so etwas wie ein öffentlich-rechtliches KulturTube, das der gesamten Kulturszene offensteht.

User-Videos für Breitensport

Aber auch jenseits des Kulturbereichs gäbe es Bedarf für öffentlich-rechtlich präsentierte Nutzerinhalte. Und auch hier liefert Corona bzw. die Reaktion darauf Anschauungsmaterial. Die Basketballer:innen von Alba Berlin sorgen gerade mit gut gemachten Turnvideos auf YouTube für Kita- und Schulkinder für Furore. Die erste Folge der täglichen Turnstunde für Grundschule und Kita haben mittlerweile jeweils über eine Millionen Menschen gesehen.

Upload-Formular des ORF (Screenshot
Unter video.ORF.at können User Videos einreichen (Screenshot) - Alle Rechte vorbehalten ORF

In Österreich hat der öffentlich-rechtliche ORF den Bedarf nach kurzen Sportvideos zum Mitmachen vor den Bildschirmen ebenfalls erkannt. Unter dem Motto „Wir bewegen Österreich“ setzt man dort allerdings auf nutzer:innengenerierte Inhalte:

„Wir bewegen Österreich“ bietet eine bunte Mischung an Sportangeboten. Dafür werden Homevideos gesucht, in denen Menschen jeden Alters vorzeigen, wie man sich auch in den eigenen vier Wänden kreativ sportlich betätigen kann.

Für den Upload von Videos gibt es ein eigenes Online-Formular unter video.ORF.at (siehe Abbildung).

Jetzt in eine Verstetigung neuer Digitalangebote investieren

Es ist kein Zufall, dass die wichtigsten digitalen Plattformen unserer Zeit vor allem Beiträge von Nutzer:innen aggregieren. Das trifft auf Suchmaschinen genauso zu wie auf die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, es gilt für Facebook wie für YouTube. Auch für öffentlich-rechtliche Angebote im Netz stellt sich die Frage, ob nicht schon längst eine stärkere Öffnung für nutzer:innengenerierte Inhalte höchst an der Zeit wäre. Nicht, um die oben genannten Plattformen zu ersetzen, sondern um eine öffentlich-rechtliche Alternative jenseits von Tracking und Werbefinanzierung mit regionaler Verankerung zu bieten.

Noch wissen wir nicht, ob der Boom an Corona-inspirierten Digitalangeboten von Dauer sein wird. Es ist durchaus möglich, dass die meisten Kulturschaffenden und -einrichtungen nach der akuten Krise rasch wieder vom Ausnahme- in den Regelbetriebsmodus wechseln.

Umso wichtiger wäre es deshalb, sobald als möglich Kultureinrichtungen dabei zu unterstützen, ihre neuen Digitalaktivitäten zu verstetigen. Am besten also bereits jetzt, während der Krise, kurzfristige Fördermittel dafür bereitzustellen – sei es von Seiten der Öffentlich-Rechtlichen selbst, sei es aus Unterstützungsgeldern für Betroffene der Coronakrise. Angesichts dessen, dass gerade im Kulturbereich besonders viele Menschen unter Arbeitslosigkeit und fehlenden Aufträgen leiden, könnte man mit einem entsprechenden Programm gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Verstetigung und Verbesserung von neuen digitalen Angeboten und Linderung von Krisenfolgen für Menschen im Kulturbereich.

3 Ergänzungen

  1. Wenn die Lehrerin den 5.-Klässlern Youtube-Links zu RBB-Videos zur glazialen Serie zum Selbststudium schickt …
    … dann lernen die Kinder von Anfang an, welche Plattformen wirklich wichtig sind.

    Und man kann sich nichtmal mit der Lehrerin anlegen, da der RBB die Sendung nicht mehr anbietet.

  2. Es könnte so einfach sein. Die Software wäre sogar schon da. Für den Übergang PeerTube Instanzen aufsetzen und wenn die auf Dauer nicht glücklich machen, kann währenddessen was eigenes entwickelt werden (vor allem für Livestreams). Aber nein, es müssen die großen Datenkapitalisten sein.

  3. Bloß nicht. Es gibt schon hinreichend viele kommerzielle Plattformen für Content Müll. Da braucht es nicht auch noch eine mit Steuergeldern finanzierte Müllhalde. Anspruch der ÖR muss eine redaktionelle Auswahl sein. Und dafür zu bezahlen. Die ÖR wären die ALLERERSTEN die Ihre Contentabieter die „Reichweite“ anstatt einer Honorarzahlung vorschreiben werden. Das macht ARTE im Musikbereich leder schon seit 15 Jahren. Kaum einer weiß, dass es für in Deutschland produzierte ÖR Filme immer eine „Arte“ Fassung gemischt werden muss. Diese Fassung MUSS rechtefreie Musik anstatt der Originalmusik haben, damit sich ARTE die GEMA gebühren sparen kann. Das hat zur abstrusen Folge, dass man monatelang an einem Film arbeitet und jede Sekunde durchdenkt, um dann nach dem Prozeß für die ARTEfassung. noch irgendwelche rechtefreie Dudelschrottmurik drunterzusetzen. Und klar, spielen die grad den weißen Ritter für Clubs, UMSONT für ARTE interessante Programme senden zu können. Könnten den Clubs ja auch was dafür bezahlen. Schießlich gehen die Clubs und deren Mitarbeiter pleite und wissen nicht wie der Kühlschrank gefüllt werden soll. Hindessen die sehr fetten Redaktionsgehälter bei ARTE fließen wie eh und je.

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