Das Sächsische Polizeigesetz wird sich einer höchstrichterlichen Überprüfung stellen müssen. Mit einer Verfassungsbeschwerde wehrt sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen die erweiterten Überwachungsinstrumente für die Polizei, gab die Grundrechteorganisation heute bekannt.
Im Vorjahr vom Landtag beschlossen, gibt das Gesetz der sächsischen Polizei neue und weitreichende Befugnisse in die Hand. Liegt etwa bloß der Verdacht vor, eine Person könnte in Zukunft eine Straftat begehen, kann die Polizei ein enges Überwachungsnetzwerk aufspannen.
Dazu zählt die invasive Observation von Verdächtigen, inklusive des heimlichen Aufzeichnens von Gesprächen in Privatwohnungen oder des Einsatzes verdeckter Ermittler:innen. Zudem kann die Polizei von beliebigen Dienstanbietern im Internet verlangen, Daten von Kund:innen herauszugeben.
Neben Bestandsdaten fallen auch vergangene und zukünftige Standortdaten von Handys darunter, ebenso wie der Inhalt von Telefongesprächen, SMS und unverschlüsselten E-Mails. Außerdem lassen sich Bewegungsprofile von Personen erstellen, gegebenenfalls mit Hilfe von IMSI-Catchern zur Standortermittlung und elektronischen Fußfesseln.
Einschnitte in verfassungsmäßige Rechte
Eingereicht hat die GFF die Beschwerde gemeinsam mit Journalist:innen, Rechtsanwält:innen, einem Fußballfan und einer Sozialarbeiterin. „Das sächsische Polizeigesetz ermächtigt Polizeibehörden und Vollzugsdienste in noch stärkerem Maße als bisher, in verfassungsmäßige Rechte einzugreifen oder diese zu unterwandern“, sagt die Sozialpädagogin Anja Merkel in einem Interview.
So könnten Menschen, die im Verdacht stehen, eine Straftat zu begehen, mit Kontaktverboten belegt werden. Dies könnte unmittelbar auch ihre Arbeit mit Betroffenen berühren, sagt Merkel. Die Sozialpädagogin betreut vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die von herkömmlichen Angeboten der Jugendhilfe nicht mehr erreicht werden.
Der Investigativjournalist Arndt Ginzel wiederum sieht das Gesetz als Einschnitt in seine Berufsausübung. Für Recherchen in islamistischen oder rechten Milieus sei er auf einschlägige Kontakte angewiesen, sagt Ginzel der GFF. „Diese Kontakte können künftig als Anhaltspunkt herangezogen werden, um mich zu überwachen“, fürchtet Ginzel.
Wie auch in anderen Bundesländern ist die Polizei in Sachsen wiederholt durch Skandale aufgefallen. So bezeichnete ein Revierleiter an Übergriffen gegen Geflüchtete beteiligte Rechtsextreme als „eventbetonte Jugendliche“, gegen drei Polizeikommissaranwärter laufen Ermittlungen, weil sie mit rechtsextremen Parolen um sich geworfen hatten. Zuletzt machten Polizist:innen und ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft mit der sogenannten „Fahrradaffäre“ Schlagzeilen. Den rund 100 Beschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, gestohlene Fahrräder illegal verkauft zu haben.
Videoüberwachung und Handgranaten
Ferner ist der sächsischen Polizei auch sogenannte intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung erlaubt, innerhalb eines 30-Kilometer-Umkreises an den Grenzen zu Polen und Tschechien. Das umfasst rund 50 Prozent der Fläche von Sachsen, darunter einige wichtige Städte. Solche Aufnahmen dürften automatisiert mit polizeilichen Daten abgeglichen werden.
Im Visier der GFF steht auch der nun erlaubte Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei. Dies verletze nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Militär und Polizei, sondern auch die Menschenwürde, schreibt die Grundrechteorganisation.
Bereits seit dem Sommer des Vorjahres gehen Abgeordnete der grünen und linken Fraktionen im Sächsischen Landtag gegen die Novelle vor. Deren Antrag auf abstrakte Normenkontrolle vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof hat aber noch immer keinen Termin in Sicht. Dem Vernehmen nach schiebt der Gerichtshof den Fall vor sich her, weil beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bereits seit 2018 die Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz auf dem Tisch liegt, das der Polizei noch weitreichendere Befugnisse gibt.
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