Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist eine Anerkennung und manchmal gar eine Ehre, als Sachverständige von Parlamenten nach der eigenen Expertise gefragt zu werden. Es ist auch eine Gelegenheit, Politik und Recht mitzugestalten, ohne selbst ein politisches Amt innezuhaben. Und wer Lust auf Politik und Parlamente hat, kann zudem viel darüber lernen, wie demokratische Prozesse hierzulande in der Praxis wirklich ablaufen und welcher Arbeitsalltag die Abgeordneten prägt.
Wer allerdings die so gut wie immer unbezahlte Sachverständigentätigkeit einige Male ausgeführt hat, wird sich des Gefühls nur schwer erwehren können, dass auch einiges faul ist im Staate. Um zu beschreiben, woran es oft hakt und wie man sich überhaupt eine parlamentarische Anhörung aus Sicht des Experten vorstellen kann, fassen wir unsere Erfahrungen (nicht das erste Mal) zusammen und schlagen zugleich Verbesserungen vor.
Zu viele Juristen, zu wenig andere Expertise
Es mag auch an den Themenfeldern liegen, mit denen wir uns beschäftigen, aber sehr viele Anhörungen in den Parlamentsausschüssen sind dominiert von Juristen. Nun kann man den Kopf schütteln und denken: Na sicher sind da viele Juristen, es geht ja auch um Gesetze! Diese Sicht werden vielleicht viele teilen, aber man sollte sich vor Augen führen, was für positive Effekte mehr thematische Expertise bringen könnte.
Statt nur oder dominierend über rechtliche Auslegungen zu sprechen oder in Streit um die Verfassungskonformität zu geraten, ließe sich die Diskussion hinzu breiterem Wissen öffnen, wenn mehr Experten anderer Disziplinen hinzugezogen würden. Neben Wissenschaftlern anderer Fachrichtungen wären das vor allem Menschen, die das Gesetz in der Praxis anwenden müssen, die technologische Vorgänge erklären können oder von den Auswirkungen betroffen sein werden.
Das hieße natürlich nicht, die Jurisprudenz zu einer Hilfswissenschaft zu degradieren, die nur noch genutzt wird, um die korrekten Formulierungen in Gesetzestexte zu gießen. Aber der Fakt, dass es derzeit zu viele Juristen bei den Sachverständigen gibt, formt die Anhörungen auch inhaltlich. Hinzu kommt: Wer nicht Jurist ist, muss sich an juristische Formalien gewöhnen, als sei das selbstverständlich. Dabei geht es oft um Fragestellungen, die eben nicht nur von Juristen besprochen werden sollten und manchmal weitreichende oder gar gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben.
Einseitige Interessenvertretung
Eine Interessengruppe – heute weit überproportional in den sie betreffenden Gesetzgebungsprozessen vertreten – ist die Polizei. In den Anhörungen zu Polizeigesetzen sieht das beispielsweise so aus: Auf der einen Seite sitzen sechs Juristen, auf der anderen fünf Polizeigewerkschafter (und in diesem konkreten Fall noch eine der beiden Autorinnen dieses Textes). Nach Vertreterinnen von Betroffenenverbänden wie der Kampagne Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) hingegen sucht man bei solchen Anlässen vergeblich. Zusätzlich sind Frauen unter den anwesenden Experten oft Mangelware.
Wer es ernst meint mit der Diversität, muss dafür auch die entsprechenden Strukturen schaffen. Um Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen, Aktivisten und anderen Ehrenamtlichen die Teilnahme an Anhörungen in der Zukunft zu erleichtern, sollten sich die Parlamente dazu entschließen, mindestens erstmal die Fahrtkosten der Sachverständigen zu zahlen. Immerhin spendieren sie schon ihre Arbeitszeit und sollten sich nicht noch selber ins Portemonnaie greifen müssen.
Erschwerte Bedingungen zur Vorbereitung
Da wäre außerdem das häufig anzutreffende Problem, dass auch höchst komplexe Gesetzesvorhaben oder solche mit sehr weitreichenden Konsequenzen im Schnelldurchgang durch die Parlamente gehievt werden sollen und nur wenig Zeit für das Einholen der Expertise bleibt. Ein aktuelles Beispiel ist die Entfristung der umfangreichen Regeln in den Anti-Terror-Gesetzen. Dass ein Sachverständiger nur einige Werktage vor einer Anhörung kontaktiert wird und auf die Schnelle eine Stellungnahme schreiben soll, ist leider mehr Regel als Ausnahme. Die Abgabefristen sind zwar manchmal etwas dehnbar, nicht jedoch, wenn man sehr spät gefragt wird.
Wer als Sachverständiger berufen wird, hat sich in der Regel schon lange und intensiv mit einem Themenbereich befasst, manchmal Jahre oder gar Jahrzehnte. Oft haben solche Experten akademische Abschlüsse in dem Feld, um das es in der Anhörung geht, oder haben dazu bereits veröffentlicht oder aber ganz praktische berufliche oder anderweitige Erfahrung damit. Das ist bei den Abgeordneten im Ausschuss allerdings oft anders: Sie haben mit vielen Themen zu tun und sind eher Generalisten als Spezialexperten, wenn man es mal ganz banal ausdrücken möchte.
In jedem Fall sind auch erfahrene Sachverständige auf den Zugang zu den Gesetzentwürfen angewiesen, zu denen sie Stellung beziehen sollen. Oft genug gibt es aber noch mehr Materialien im Parlament, die hilfreich sein können. Dazu gehören sogenannte Synopsen, also Gegenüberstellungen der geplanten Gesetzesänderungen zur bisherigen Rechtslage, oder bereits eingeholte Gutachten und Evaluationen. Obwohl es im beidseitigem Interesse wäre, die Sachverständigen ihre Arbeit bestmöglich machen zu lassen, wird der Zugang zu diesen Schriftstücken teilweise nicht gewährt. Im Fall des niedersächsischen Polizeigesetzes haben Aktivist:innen sich daraufhin selber an die Arbeit gemacht und eine Übersicht der geplanten Gesetzesänderungen erstellt. Das ist zwar ehrenwert, sollte aber eigentlich nicht nötig sein.
Ärgerlicher noch wird es, wenn zwar ausreichend Zeit zur Durchsicht der gesetzlichen Pläne und zum Verfassen der Stellungnahme vorhanden ist, aber kurz vor der Anhörung noch signifikante Änderungen angekündigt werden. Das können auch Änderungsanträge sein, die man als Sachverständiger keinesfalls ignorieren kann, wenn sie von Regierungsfraktionen stammen. Nachtarbeit kurz vor Toreschluss ist dann oft angesagt, natürlich auch das für lau.
Dabei arbeitet man als Sachverständiger oft nicht allein, sondern nimmt Zeit weiterer Menschen in Anspruch, seien es Co-Autoren oder Gegenleser, die Rechtschreib- und Grammatikfehler ausmerzen und Fußnoten überprüfen, oder Personen, bei denen man spezielles Wissen abfragen muss, das man selbst nicht hat. Das mag bei einem Lehrstuhl einer Universität vielleicht weniger anstrengend sein es als bei ehrenamtlicher Arbeit in der Freizeit ist, aber auch bezahlte Akademiker müssen mit ihrer Zeit haushalten. Selbst dem durchschnittlichen Lobbyisten, der für einen Interessenverband arbeitet oder von Unternehmen engagiert ist, werden kurzfristigen Änderungen nicht gerade gelegen kommen.
Manchmal lohnt es sich trotzdem
Hat man es dann irgendwann geschafft, das Papier versendet, die Reise zur Anhörung angetreten und im Saal Platz genommen, lernt man in der Regel sofort, dass die Zeit knapp sei, dass man sein Eingangsstatement doch bitte keinesfalls auf mehr als drei Minuten aufbauschen solle und ansonsten nirgendwo aufgeschriebene „parlamentarische Regeln“ oder auch „interfraktionelle Absprachen“ das Frage-Antwort-Spiel nach Ende der Eingangsstatements definieren.
Trotz allem: Es gibt Anhörungen, die lohnen sich. Da stellen die Abgeordneten interessierte Fragen, da entstehen Dialoge und Erkenntnisgewinn und im Nachgang der Anhörung werden gar Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen und keine unsinnigen oder offenkundig verfassungswidrigen Gesetze durchgewunken. Beispielhaft dafür ist der Landtag in Brandenburg, wo die mitregierende Linksfraktion die Einführung von Überwachungssoftware aus dem Polizeigesetz rausverhandelt hat, nachdem einige Sachverständige scharfe Kritik an dem Vorhaben geäußert hatten.
Gegenbeispiele dazu gibt es leider zuhauf. Ein drastisches ist die StPO-Novelle zur eklatanten Ausweitung des Staatstrojanereinsatzes, wo sich selbst die ansonsten überaus schweigsame damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff über das Vorgehen beschwerte. Und beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz schaffte das Parlament nicht einmal mehr die Simulation von Partizipation.
Um dem Verdruss unter den Sachverständigen entgegenzuwirken, die ein paar Mal miterleben mussten, wie ihre Anmerkungen und Kritik ohne Notiz oder Konsequenzen blieben, wäre es auch wünschenswert, ein standardisiertes Rückmeldesystem einzuführen. Wer sich tagelang unentgeltlich mit einem Gesetzentwurf beschäftigt hat, sollte zumindest erwarten dürfen, den weiteren Prozess zu erfahren und informiert zu werden, sobald eine überarbeitete Version vorliegt und verabschiedet wird.
Constanze hat zahlreiche technische Stellungnahmen für den Chaos Computer Club und gelegentlich für die Gesellschaft für Informatik verfasst.
Marie war in den letzten Jahren als Sachverständige für Polizeigesetze in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Saarland und Berlin.
Ihr habt das sicherlich anders gemeint, aber man könnte interpretieren, dass ihr Frauen mit Waren vergleicht und somit objektifiziert:
„Zusätzlich sind Frauen unter den anwesenden Experten oft Mangelware.“
Wie wäre es stattdessen – beispielweise – mit „mangelt es unter den anwesenden Experten an Frauen“
Jetzt sei mal nicht so, das ist schon gebräuchlich..
https://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011&word=Mangelware+sein
Also Frauen als Gebrauchsgegenstände unter Experten?? Also HÖREN SIE MAL.
Anderes Thema: „Zu viele Juristen, zu wenig andere Expertise“ – Das ist der Tod, vor allem mit der derzeitigen Hilly-Billy-Gesetzgebung. Nette Features statt zukunftsfähiger Architektur.
Ich höre (mal)!