Wochenrückblick KW 14Rettet Bluetooth unsere Daten?

Eine Contact-Tracing-App, die auf Bluetooth-Technologie setzt, lässt Datenschützer:innen frohlocken. Ein Bündnis fordert Unterstützung für die digitale Zivilgesellschaft. Und Plattformen zieren sich, Tweets von Donald Trump zu löschen. Die Nachrichten der Woche im Überblick.

Sieht so Home-Office aus? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Matthew Henry

Zu Beginn des Wochenrückblicks möchten wir euch auf unseren aktuellen Transparenzbericht für den Februar hinweisen. Wir mussten leider ein Minus von 13.000 Euro verbuchen. Auch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Spender:innen, die unsere Arbeit erst ermöglichen!

Seit zwei Wochen bieten wir mit unserem wochentäglichen bits-Newsletter einen neuen Service. Darin bekommt ihr nicht nur einen kommentierten Überblick, was an dem Tag bei uns passierte, wir sammeln und kuratieren auch spannende Links außerhalb unserer Berichterstattung. Und auf absehbare Zeit gibt es auch einige spannende Lese-Tipps rund um die Corona-Krise. Hier geht es zur Anmeldung.

Weniger Infizierte – mehr Überwachung?

Unser Thema der Woche war zweifelsfrei die Frage, ob von Smartphones generierte Daten dazu beitragen können, Infektionen mit dem Coronavirus nachzuvollziehen und zu verhindern. In ihrem Gastbeitrag zeigen Johannes Abeler, Matthias Bäcker und Ulf Buermeyer, dass es durchaus auch datenschutzfreundliche Varianten gibt, Handyanwendungen zu programmieren, die nachvollziehbar machen, mit wem eine infizierte Person Kontakt hatte. Grundlage für ihre Ausführungen ist eine Anwendung der Regierung von Singapur, die dem Prinzip Privacy by Design in weiten Teilen folgt.

Und tatsächlich arbeitet in Deutschland seit mehr als drei Wochen ein internationales Team aus Wissenschaftler:innen, IT-Fachleuten und einzelnen Unternehmen rund um das Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik (Heinrich-Hertz-Institut) daran, eine auf ähnlichen Prinzipien basierende Technologie zu entwickeln. Dabei geht es nicht um eine konkrete App, sondern um eine quelloffene Technologie namens Pepp-PT, die auch in anderen Ländern anwendbar sein soll. Damit das Ganze möglichst gut funktioniert, müssen viele Menschen die Anwendung freiwillig installieren und nutzen – auch deshalb soll sie möglichst datenschutzfreundlich gestaltet sein, so die Macher:innen.

In einem dritten Gastbeitrag kommentieren Stefan Brink, baden-württembergischer Landesdatenschutzbeauftrager, und Clarissa Henning, warum solch ein freiwilliges Handy-Tracking ihrer Meinung nach nicht funktionieren wird. Sie zweifeln nicht nur an der versprochenen Anonymität und der Genauigkeit von Bluetooth-basierten Abstandsmessungen, sondern kritisieren auch, dass Diskussionen um die Anwendung den Blick auf das verstellen, was wirklich wichtig ist: die Frage, ob und inwieweit ein freiheitlicher Rechtsstaat positiv getestete Bürger:innen daraufhin überwachen darf, ob sie Quarantäne-Auflagen einhalten.

Gleichzeitig wecken auch die Handy-Standortdaten, auf die Pepp-PT bewusst verzichtet, weiter Begehrlichkeiten. Die Europäische Kommission möchte von Netzbetreibern Zugang zu anonymisierten Daten von Handy-Nutzenden erhalten, aus denen die gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Union Bewegungsprofile erstellen soll. Diese Profile sollen Rückschlüsse darüber erlauben, welche Eindämmungsmaßnahmen gegen das Virus besonders effektiv sind. Zwar sollen die Daten gänzlich anonymisiert und aggregiert sein, der Europäische Datenschutzbeauftragte mahnt aber trotzdem, einen regelkonformen Umgang zu finden.

Deutlich fragwürdiger ist die Praxis vieler Gesundheitsämter, Daten über Infizierte und ihre Kontaktpersonen an lokale Polizeibehörden zu übermitteln. Recherchen von netzpolitik.org zeigen auf, dass dies in vielen Bundesländern geschehen ist – laut Behördenangaben, damit sich Polizeibeamt:innen besser schützen können. In Baden-Württemberg, Bremen und Niedersachsen schieben Datenschutzbeauftragte der Praxis einen Riegel vor, in Mecklenburg-Vorpommern darf sie wohl erstmal fortgesetzt werden.

Turbodigitalisierung dank Corona bringt Probleme mit sich

Die Corona-Krise ist nicht nur eine enorme Belastung für unser Gesundheitssystem. Sie stellt uns auch als Gesamtgesellschaft vor große Fragen. Die Corona-bedingte Turbodigitalisierung verschiedenster Lebensbereiche generiert riesige Datenvolumen, die teils sehr sensibel sind. In seinem Gastbeitrag fragt Rainer Mühlhoff, ob die gesellschaftliche Debatte zu Datenschutz mit dem Tempo dieser Veränderungen mithalten kann – und erklärt, wieso wir jetzt über digitale Grundrechte sprechen müssen.

Wie lassen sich resiliente digitale Infrastrukturen schaffen, die gleichzeitig gemeinwohlorientiert sind? Viele freie Projekte stehen in der Krise vor einer doppelten Herausforderung: Ihre Nutzer:innenzahlen explodieren, während gleichzeitig Spenden einbrechen. Ein digitalpolitisches Bündnis veröffentlicht deshalb einen Forderungskatalog mit Maßnahmen, die die digitale Zivilgesellschaft in Krisenzeiten stärken können.

Können wir den Moment der Krise – und die vielen kreativen und solidarischen Initiativen, die dadurch entstanden sind – nutzen, um neu über die Klimakrise, die unmenschliche Lage an den EU-Außengrenzen und unser Wirtschaftssystem insgesamt zu sprechen? Die Autor:innen unseres Gastbeitrags beantworten diese Frage mit einem entschiedenen Ja – und versuchen ihren Beitrag zu leisten, damit aus Hoffnung Realität wird.

Wie Lösungen auf Teilprobleme der Corona-Krise auch online entstehen können, hat der #WirVsVirus-Hackathon gezeigt (wir berichteten). Organisator:innen und eine Jury haben jetzt 20 Projekte prämiert, die sie auch langfristig unterstützen wollen. Wir werfen einen Blick auf die Endauswahl und stellen vor, wie diese Projekte verstetigt werden sollen.

In seiner Kolumne aus dem Fernsehrat beschreibt Leonhard Dobusch, wie die öffentlich-rechtlichen Kanäle mit der Digitalisierung ihres Angebots kämpfen und wieso sie kaum vom Corona-Boom profitieren. Dies liegt unter anderem an einem fehlenden Kanal für nutzer:innengenerierte Inhalte, erklärt Dobusch.

Die Pandemie ist auch eine Infodemie

Die Corona-Krise sorgt für immensen Zeitdruck – in Wissenschaft und Journalismus ebenso wie in der Politik. Ein Ergebnis ist, dass eine eigentlich unproblematische wissenschaftliche Praxis jetzt mitunter auch zu Falschnachrichten führt. Wissenschaftler:innen können ungeprüfte Ergebnisse auf sogenannten Preprint-Servern veröffentlichen und so mit anderen Expert:innen über ihre Arbeit diskutieren. Angesichts der drängenden Krise werden hier veröffentliche Resultate aber oft auch fälschlicherweise als wissenschaftlicher Konsens verstanden und auf sozialen Medien verbreitet.

In seinem Gastbeitrag argumentiert Wolf Schünemann, das Konzept der Desinformation sei – insbesondere in Hinblick auf die Corona-Krise – nicht trennscharf genug, um strafrechtlich verfolgt zu werden. Stattdessen plädiert er für Aufklärung sowie Eigenverantwortung – und weist auf das Schicksal des chinesischen Arztes Li Wenliang hin, der als einer der ersten online vor einem neuartigen Virus warnte. Chinesische Sicherheitsbehörden warfen ihm vor Gerüchte zu verbreiten und zwangen ihn, seine Warnung schriftlich zu widerrufen.

Auch Online-Plattformen geraten durch die Corona-Krise unter Druck. Von viralen Verschwörungstheorien bis zu falschen Informationen über das Virus, die von offiziellen Accounts – zum Beispiel von Donald Trump oder Jair Bolsonaro – in die Welt gesetzt werden: Facebook, Twitter und YouTube haben alle Arme voll zu tun. Die EU-Kommission setzt die Plattformen unter Druck, gegen Desinformationen vorzugehen. Das Ergebnis sind teils willkürlich anmutende Entscheidungen und Unklarheit, ob die Regeln der Netzwerke auch bei Politiker:innen stringent durchgesetzt werden.

Blicke über den Corona-Tellerrand

Die Europäische Kommission und EU-Länder drängen das Parlament dazu, laufende Verhandlungen zu einem Anti-Terrorpropaganda-Gesetz möglichst rasch abzuschließen. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem Uploadfilter gegen mutmaßliche Terrorpropaganda sowie grenzüberschreitende Löschanordnungen vor. Insbesondere Letzteres ist angesichts der rapide wachsenden autoritären Tendenzen einiger mitteleuropäischer Länder – beispielsweise Ungarn – aus bürgerrechtlicher Sicht hochproblematisch, bekräftigt jetzt erneut ein Bündnis europäischer digitalrechtlicher Organisationen.

Am Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird fleißig geschraubt: während der Bundestag noch über die erste Änderung berät, bringt die Bundesregierung eine zweite, weniger kontroverse Novelle auf den Weg. Sie soll unter anderem die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste in nationales Recht überführen und nutzer:innenfreundlichere Meldewege sowie Beanstandungsmöglichkeiten einführen.

NPP 199 – unser Off The Record Podcast

Falls ihr neugierig seid, wie sich der Homeeffice-Alltag auf unsere Arbeit auswirkt, hört gerne in unseren aktuellen Hintergrundpodcast hinein – in dieser Ausgabe exklusiv über Skype und mit entsprechender Soundqualität. Wir sprechen über zwei Themen der vergangenen Woche: die Debatte um Auswertungen von Handy-Standortdaten sowie Datenübertragungen durch Gesundheitsämtern, für die Faxgeräte noch immer eine wichtige Rolle spielen.

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