Das Lieferunternehmen Foodora schloss am Montag seine kanadische Niederlassung. Das Unternehmen hatte diesen Schritt vor zwei Wochen angekündigt. Laut einem Statement der Firma sind starke Konkurrenz und anhaltende Verluste der Grund für den Rückzug.
Kurz nach der Ankündigung meldete Foodora in Kanada Bankrott an. Laut einem Dokument aus dem Insolvenzverfahren schuldet das Unternehmen verschiedenen Gläubigern, besonders Steuerbehörden, Restaurants und Angestellten, insgesamt mehr als 4,7 Millionen kanadische Dollar (rund 3 Millionen Euro). Einen Tag später meldete die Mutterfirma Delivery Hero, dass sich ihr weltweiter Umsatz im ersten Quartal 2020 beinahe verdoppelt hatte.
Damit verlieren auch alle kanadischen Angestellten des Unternehmens ihren Job. Die Rider hatten erst im Februar das Recht gewonnen, sich einer Gewerkschaft anzuschließen: Organisiert unter dem Namen „Foodsters United“ wollten sie der Canadian Union of Postal Workers (CUPW) beitreten. Foodora verneint, dass es Kanada wegen dieser Auseinandersetzung verlässt.
Eine abrupte Entscheidung
„Nein, wir haben das nicht erwartet“, so Iván Ostos von Foodsters United in einem Radiointerview. „Die letzte E-Mail, die ich von diesem Unternehmen vor diesen traurigen Nachrichten bekommen habe, hat besagt, dass sie wegen steigender Nachfrage mehr Schichten erstellen.“
Wie viele Angestellte nun ohne Job dastehen, ist unklar. Laut Schätzungen von Foodsters United waren in Toronto, der größten Stadt Kanadas und Zentrum der Gruppe, rund 800 von 1.300 registrierten Ridern aktiv. Für ganz Kanada schätzt die Gruppe rund registrierte 5.000 Rider. Mehr als die Hälfte davon war vor der Ankündigung bereits auch bei einer anderen Liefer-App registriert oder arbeitete in einem anderen Job.
Der Rückzug des Dienste bringt für viele Beschäftige ernsthafte finanzielle Probleme mit sich: „Was die meisten nicht wussten, war, dass Foodora die einzige Plattform war, die keine Vorstrafen geprüft haben, weshalb sie jetzt nicht einfach zu anderen Plattformen wechseln können“, so Neu-Gewerkschafter Ostos zu netzpolitik.org. Besonders für solche ohne gültige Sozialversicherungsnummer, internationale Studierende und Wanderarbeiter sei dies problematisch, da diese nun ohne Einkommen dastünden und keinen Anspruch auf Corona-Notfallhilfen hätten.
Offene Rechnungen sollen beglichen werden
Auf eine Anfrage von netzpolitik.org reagierte Foodora Kanada nicht. Ausstehende Gehälter sollen noch gezahlt werden, teilte jedoch eine Beratungsfirma des Lieferdienstes in einem Statement mit: „Unser Verständnis von Seiten des Unternehmens ist, dass alle Angestellten, selbstständigen Rider und Restaurantzahlungen vom Unternehmen gemäß ihres regulären Zeitplans für Zahlungen getätigt werden.“ Trotzdem will Foodsters United „alle notwendigen rechtlichen Schritte gegen das Unternehmen verfolgen“, erklärt Ostos gegenüber netzpolitik.org.
Zuerst wollen die Rider sich als Gläubiger*innen am Insolvenzverfahren beteiligen. In den Dokumenten dazu sind „Rider-Angestellte“ bereits mit einem Anspruch von rund 160.000 Euro aufgeführt, Büroangestellte mit rund 720.000 Euro. Die Formulierung Angestellte ist hier wichtig, da die Rider im Februar erst die Klassifizierung als „abhängige Auftragnehmer“ erstritten hatten. Dies ist eine Zwischenstellung zwischen Selbstständigen und Angestellten. Ob in diesem Posten alle Rider inbegriffen sind, ist unklar.
Die Rider denken auch über eine Sammelklage gegen Schäden nach, die durch die falsche Einstufung als Selbstständige anstatt als Angestellte entstanden sind. „Das würde sich länger hinziehen und weniger klare Ergebnisse haben, aber die zwei Sachen können parallel laufen“, so Ostos.
Als Beispiel nennt der Gewerkschafter Australien. Auch dort ging Foodora 2018 bankrott, und auch dort hatte das Unternehmen offene Schulden in Millionenhöhe. Damals erhielten die Arbeiter*innen im Rahmen des Insolvenzverfahrens nur ein Drittel der Gelder, die ihnen Foodora noch schuldete.
Kurz danach verlor das Unternehmen ein Verfahren, in dessen Folge Rider als Angestellte, nicht als Selbstständige eingestuft werden mussten. Damals erhielt ein Angestellter rund 9.000 Euro Schadenersatz. Weitere Verfahren wurden aber eingestellt, ohne Ergebnisse erzielen zu können.
„Lasst uns etwas eigenes machen“
Foodora ist nicht das einzige Liefer-App-Unternehmen, das plötzlich Länder verlässt: Als sich Deliveroo 2019 innerhalb einer Woche aus Deutschland zurückzog, klagten verschiedene Rider mit gewerkschaftlicher Unterstützung gegen vermeintliche Scheinselbstständigkeit. Schließlich konnte sich das Unternehmen auf Vergleiche mit allen Kläger*innen einigen, ein Verfahren zur Prüfung der Arbeitsbedingungen wurde nicht durchgeführt.
Mit der Schließung Foodoras verlieren viele der am stärksten organisierten Essenskurier*innen in Kanada ihren Job. Ostos verweist aber auf andere Unternehmen wie SkiptheDishes, Uber Eats und DoorDash: Auch dort sei Foodsters United vertreten und werde sich weiter für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Mit Uber Drivers United hat die Gruppe auch bereits Arbeiter*innen einer weiteren Branche der Gig Economy dazu gebracht, sich mit einer Gewerkschaft zu verbünden.
„Vielleicht werden wir darüber nachdenken, unsere eigenen Lieferkollektive zu starten“, kündigte Ostos in einem Radiointerview an: „Wir sind schon organisiert, also lasst uns etwas eigenes machen.“
Der Ansatz, Essen kollektiv organisiert auszuliefern, ist nicht neu: Auch in Deutschland gibt es einige solcher Dienste, nach dem Deliveroo-Aus noch einige mehr. Mit CoopCycle gibt es sogar eine internationale Open-Source-Föderation von Lieferkollektiven. Sie entwickeln eine gemeinsame App und unterstützen sich gegenseitig finanziell. In der Anzahl der Mitarbeiter*innen können sie aber bei weitem nicht mit den großen Unternehmen mithalten.
“(…) Laut einem Statement der Firma sind starke Konkurrenz und anhaltende Verluste der Grund für den Rückzug. (…)
Die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann hat vor drei Tagen einen lesenswerten Kommentar veröffentlicht. Unter dem Titel “Nicht konkurrenzfähig? Und tschüss“ beschreibt die Journalistin am Beispiel der deutschen Fleischindustrie, dass zahlreiche Arbeitgeber/-innen dieser Branche der Meinung sind nur mittels Mindestlohn und Akkordarbeit überhaupt konkurrenzfähig zu sein; das diese neoliberale Denkweise ein “Fass ohne Boden“ ist und zu Lasten der Arbeitnehmer/-innen geht dürfte klar sein.
Dabei wäre der Schutz vor Ausbeutung der Arbeitnehmer/-innen relativ einfach zu verwirklichen: Der Gesetzgeber müsste der Akkordarbeit unter Mindestlohn einen Riegel vorschieben.
Foodora/ Lieferando ist in Deutschland als Ausbeutungsunternehmen (max. 10 EUR/h) bekannt, welches gerne Arbeitskosten auf die Arbeitnehmer/-innen bzw. die Scheinselbständigen abwälzt und die Gründung von Betriebsräten behindert. Wenn das Foodora-Unternehmesmodell in Kanada “keinen Fuß auf dem Boden“ bekommt zeigt dies eines sehr deutlich: Dort tobt ein ruinöser Wettbewerb welcher auf den Rücken der Lohnabhängigen ausgetragen wird!
Ausgelieferte Mitarbeiter (17.04.20)
https://taz.de/Lieferando-torpediert-Betriebsratswahl/!5676689/