Let’s play im Theater … und dann springt der Zombie ins Bild

In Hildesheim erfinden Theaterschaffende das Let’s-Play- Format neu. Live auf der Bühne. Mit Band. Das funktioniert erstaunlich gut.

Tim Steinheimer und Nadiah Riebensahm in „die Showmasters“. – Alle Rechte vorbehalten Illustration: Carina Kluge

„Kleine Warnung: Das ist das Spiel, weswegen dieser Abend ab 18 Jahren ist“, endet Spielführerin Nadiah ihre kurze Einführung. Moderator Tim nickt etwas nervös und wendet sich wieder der großen Leinwand zu. Eine Zuschauerin ruft ihm aufmunternd zu. Mit kleinem Lichtpegel erkundet seine Spielfigur Mike die Ruine einer düsteren Nervenanstalt. „Leute, ihr macht mir schon jetzt so Angst“, kommentiert Tim die lauernde Melodie, die der Kontrabassist leise anspielt.

Das vom britischen Entwicklerstudio Supermassive Games entwickelte Spiel Until Dawn ist das Erste, in das Showmaster Tim und das Publikum an diesem Abend in der Kulturfabrik Löseke in Hildesheim geschubst werden.

Die Idee von „The Showmasters“ ist simpel: Let’s Play! Und zwar auf der Bühne. Der besondere Reiz liegt in der Liveband: Zwei Kontrabassist:innen und ein Schlagzeuger reagieren spontan auf den Spielverlauf.

Let’s Play zum „Anfassen“

„Das Format Computerspiel wird total unterschätzt“, findet Tim Steinheimer, der sich das Konzept überlegt hat. Die Vielseitigkeit der Spielindustrie wollen die Macher:innen „aus dem YouTube-Zimmer herausholen“. Und das in einer Art Late-Night-Show, mit Bier und Raucherpausen. Neben einem festen Kernteam um Steinheimer sind zu jeder neuen Aufnahme bis zu 25 Menschen beteiligt. Kamera, Post-Produktion, Kostüme, Gaming-Redaktion. Alles Freund:innen, „die Bock und Ahnung haben“.

„Dir kann nichts passieren, es ist nur ein Spiel“

Angefangen hat Steinheimer mit Let’s Play in seinem eigenen „YouTube-Zimmer“ und den großen Akteuren der deutschen Szene wie Gronkh oder Sarazar. Seine ersten Aufzeichnungen begleitete ein Freund mit Gitarre und Zwischenbemerkungen. Da deutete sich die Wirkung der Livemusik schon an.

Während des Studiums am Theaterinstitut in Hildesheim kommt dann das Interesse an neuen Bühnenformaten dazu. Funktioniert das Let’s Play-Konzept auch außerhalb der Online-Community? Und wenn ja, wie bekommt man die Zuschauer dazu mitzufiebern?

Dass digitale Formate auf die Live-Bühne gehen, liegt im Trend: Bekannte Podcasts wie „Lage der Nation“ touren durchs Land, „Community“-Produzent Dan Harmon spielt das Rollenspiel Dungeons&Dragons in seiner Serie „Harmonquest“ vor Publikum und Sam Aaron entwickelte „Sonic Pi“. Ein Open-Source-Musikprogramm, durch das man im Club mitverfolgen kann, wie der DJ aus einem Quelltext Musik produziert – da ist es nur folgerichtig, dass auch Youtube-Formate wie Let’s Play vom Rechner ins Theater wechseln.

Im Vordergrund steht das Erlebnis

Die Online-Let’s-Play-Szene lebt vor allem auch vom regen Austausch in Kommentarspalten und Livechats. Unter welchen Umständen die Zuschauer in ihrer analogen Situation mit in die Partie eintauchen und sich beteiligen, wurde dem Team um Steinheimer erst nach einigen Testläufen klar.

An den ersten beiden Abenden wählte das Team das Spiel Assassin’s Creed. Das ging ziemlich schief, erzählt Steinheimer: „Bei Open-World-Games ist es dem Publikum egal, ob du nach links oder nach rechts gehst, ob du auf einem Pferd oder einem Kamel reitest.“ Das hatte er sich davor engagierter vorgestellt.

Wichtig ist, ein Spiel oder auch eine Mission im Spiel zu finden, die in dem kurzen Aufführungszeitraum aufgeht. Mittlerweile sichtet die Gaming-Redaktion das Spiel zuvor und entscheidet an welcher Position gestartet wird. Denn in den Live-Formaten gehen nur „kleine Storyminiaturen“ auf. Die Zeit, das Publikum in die epischen Geschichten großer Games einzuführen, gibt es nicht. Der Fokus liegt auf dem gemeinsamen Erlebnis und weniger auf Vollständigkeit und Spielexpertise.

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Emotionen, Emotionen, Emotionen

Das Survival Horror Game Until Dawn bringt Zuschauer:innen und den Showmaster schnell auf eine Wellenlänge: Als der erste Zombie ins Bild springt, schreien alle panisch auf. Es fühlt sich ein bisschen an, als säße man in einer großen Horrorfilmvorführung – erschrocken wird zusammen. Tim fliegt beim Verteidigungsmanöver beinahe vom Stuhl und alle atmen erst dann auf, als er es schafft das Gruselwesen zu killen. „Dir kann nichts passieren, es ist nur ein Spiel“, lacht Sidekick Nadiah. Nicht nur Tim kann diese beruhigenden Worte gebrauchen, auch das Publikum ist ziemlich aufgewühlt. Jedes Mal, wenn die Spielfigur Mike vor einer Entscheidung steht, rufen die Zuschauer:innen lautstark dazwischen.

Das Publikum geht mit. - Alle Rechte vorbehalten Let's Play Showmasters

Wie auch beim konventionellen Let’s Play, geht es neben den Skills der Gamer:innen, auch besonders um deren Persönlichkeit. An der Personenkonstellation – der erfahrenen Spielführerin und dem etwas hilflosen, aber sehr verquatschten Gamer – habe das Team dramaturgisch lange gefeilt.

Mittendrin wird die Zombiejagd kurz unterbrochen und Tim ein Geschenk überreicht: „Der Nimbus 2000 unter den Bluescreens!“ Ein selbstgebastelter Rucksack mit riesigem Bluescreen. Tims Oberkörper soll in der Postproduktion in die Spielumgebung hingesetzt werden.

Zu jeder Partie gibt es einen kleinen Überraschungsinput, um die Spielsituation aufzubrechen. Tim protestiert, weil er in diese gruselige Umgebung auf gar keinen Fall rein will. Er lässt sich erst dazu überreden, nachdem die Spielleitung versichert, ihn davor kurz an den Strand zu versetzen. Zur Erholung.

Kollektives Meditieren

Und Erholung können jetzt alle gut gebrauchen. Deswegen ist es die richtige Entscheidung, dass der Abend mit dem Indie-Adventure-Game Journey weiter geht. Die filmische Anfangsszene fühlt sich an wie eine opulente Planet-Earth-Folge: „Mensch! Da passiert ja voll die Magic, aber Grande!“

Das Publikum schwelgt schon bald in kollektiver Meditation. Geschmeidig gleitet die Figur mit wallender Schärpe durch Sanddünen. Mit der jazzigen Livemusikimprovisation gleicht das Spiel einem hoch-produziertem Musikvideo. Als die Spielleitung das Spiel nach 30 Minuten stoppt, seufzt das Publikum enttäuscht auf. In diesem Spiel wären alle gerne etwas länger geblieben.

Über den Abschied von „Journey“ hilft die Musik hinweg. Auch beim nächsten Spielgenre gelingt es den Jazzmusiker:innen den Spielverlauf detailliert in ihre Musik zu übertragen. Man vergisst immer wieder, dass sie den ganzen Abend lang improvisieren. Ihre musikalische Begleitung funktioniert wie ein weiterer Sidekick, ein Kommentar. Die Idee, auch Let’s Play zu vertonen, ist inspiriert vom Stummfilm. Da passt es gut, dass Kontrabassist Ferdinand Röscher auch regelmäßig Stummfilmvorführungen im Kino begleitet.

Das geheime Leben eines Toastbrots

Zum Schluss robbt Tim als Brot durch die Wohnung eines psychisch labilen Herrn Murtons. Das Ziel ist einen Zimmergegenstand zu finden, auf dem es sich toasten kann. In I am Bread nimmt die Genießbarkeit ab, sobald das Toast eine schmutzige Oberflächen berührt. Schon nach den ersten Sekunden liegt das Brot auf dem ekligen Wohnungsboden und ist vollends ungenießbar. Nochmal von vorn.

Tim ist frustriert, Nadiahs Enthusiasmus aber steckt weiter an. Laut ihr ist dieses Spiel, „das Allerbeste, das je entwickelt wurde“. Das Brot verwandelt sich in ein Staubknäuel. Eine kleine Spielpause wird dazu genutzt, eine:n aus dem Publikum zu finden, der sich an diesem Abend noch live tätowieren lassen will. Der Andrang ist erstaunlich groß.

Als Tim zum 18. Mal daran scheitert, das Brot über den Wandschrank zu manövrieren, reagiert das Publikum ziemlich abgenervt. Gut, dass Sidekick Nadiah da ist und den Toast erfolgreich zur Heizung manövriert. Zufriedenes Aufseufzen, die erste Reihe lehnt sich erleichtert zurück. Jede Reaktion ist eine gute Reaktion. Misson Accomplished.

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