Wer in ein Flugzeug steigt, hinterlässt jede Menge Daten: Reiseverlauf, Sitzplatz, Gepäck, Essenswünsche sind nur ein paar Beispiele. Eine EU-Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten schreibt vor, dass Fluggesellschaften bei Flügen in die EU oder aus der EU die Passagierdaten übermitteln müssen. Mitgliedstaaten können außerdem die sogenannten Passenger Name Records (PNR) für ausgewählte Flüge innerhalb der EU erfassen. Geht es nach dem Willen einiger EU-Mitgliedstaaten würde das bald noch mehr Verkehrsmittel wie Fernzüge, Busse und Schiffe betreffen.
Derzeit diskutiert darüber der Rat der EU, genauer die Arbeitsgruppe für Informationsaustausch und Datenschutz DAPIX. Am 9. September haben sich deren Mitglieder wieder getroffen. Aus einer Zusammenfassung des Treffens geht hervor, dass sich die Mitgliedstaaten bisher noch nicht einig sind.
Skeptiker und Befürworter
Manche begrüßen eine Ausweitung der Reisedatenspeicherung – Schweden, Frankreich und Belgien zum Beispiel. Andere sind zurückhaltender. Österreich will die Evaluierung der bisherigen Richtlinie abwarten, die soll laut der EU-Kommission bis Mai 2020 fertig sein. Derzeit haben 25 von 28 EU-Staaten die bisherige PNR-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt und der EU-Kommission vorgelegt.
Ein Rechtsakt zu einer Ausweitung der Datenspeicherung stehe vorerst nicht an. Zunächst gehe es darum, „die Frage strukturiert zu diskutieren“, heißt es in der Zusammenfassung der DAPIX-Sitzung. Bis Ende des Jahres hat Finnland den Vorsitz im Rat der EU und moderiert die Treffen des Gremiums. In der Sitzung berichtet das nordeuropäische Land, dass es derzeit mehr Menschen per Schiff – 19,4 Millionen jährlich – als per Flugzeug erreichen.
Schon heute bekämen finnische Behörden Daten aus den Seereisen, dazu gehören auch Nummernschilder von Fahrzeugen, die in Finnland mit der Fähre ankommen. 190 nationale Haftbefehle seien im Juli vollstreckt worden, 220 Mitglieder „von Gruppen aus dem Bereich organisierter Kriminalität“ habe man feststellen können.
Deutschland hat rechtliche Bedenken
Deutschland hat dem Protokoll zufolge Bedenken gegenüber einer erweiterten Passagierdatenspeicherung, „aus rechtlicher, fachlicher und technischer Sicht“. Die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht sagte im Juli: „Das Gefühl, dass der Staat weiß, wann ich wohin reise, kann zu gravierenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit führen.“
Zumindest würde sich einiges ändern. Zugtickets ins Ausland einfach so am Automaten oder am Schalter mit Bargeld bezahlen, ohne weitere Daten zu hinterlassen? Das wäre kaum mehr möglich. Die Kollegen aus dem Innenministerium von Horst Seehofer verwiesen darauf, dass die Bundesregierung noch keine Position habe. Das heißt: Es ist ungewiss, ob Deutschland weiterhin auf der Seite der Skeptiker bleibt.
Bisherige Fluggastdatensammlung ist kein Erfolg
Besonders effektiv ist die bisherige Datenspeicherung nicht: 99,7 Prozent aller anfänglichen Treffer stellten sich als Fehlalarme heraus, insgesamt etwa 40 Beamte des Bundeskriminalamts sind damit beschäftigt, das rund um die Uhr zu überprüfen. Auch in der Ratsarbeitsgruppe diskutieren die EU-Staaten Probleme: Datenqualität und -vollständigkeit lassen offenbar oft zu wünschen übrig.
Außerdem laufen derzeit mehrere Klagen gegen die „Vorratsdatenspeicherung der Lüfte“. Die NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt zusammen mit epicenter.works vor deutschen und österreichischen Gerichten gegen die Richtlinie.
Bei den Reisedaten geht es nicht nur um bloße Sammlungen und Abgleiche mit Fahndungslisten. Es geht auch darum, Profile über die Reisenden zu bilden. Die EU-Grenzagentur Frontex arbeitet dafür an der „Reisendenanalyse für Grenzmanagementzwecke“, um Risikoprofile und – indikatoren zu erstellen.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass unser aktuelles Innenministerium einem solchen Gedanken widerstehen kann. Man überlegt wahrscheinlich, wie man das ganze am Besten verkauft. Das traurige Ereignis mit dem vor die Schienen gestoßenem Kind musste ja bereits für die Videoüberwachung herhalten.
Die Fluggastdaten sollten erst einmal auf Privatflugzeuge ausgeweitet werden. Und Privatjets aus nicht EU-Staaten sollten auch zunächst auf Flughäfen landen müssen, die eine vernünftige Zollabfertigung gewährleisten können. (Siehe z.B. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/sicherheitsluecken-an-flugplaetzen-reiche-werden-nicht-kontrolliert/22852408.html )
„190 nationale Haftbefehle im Juli“ bei „19 400 000 Passagieren pro Jahr“ ist jetzt auch nicht besonders viel, oder?
Bei der Masse an Flugplätzen ist eine lückenlose Kontrolle zum Glück nicht möglich, bei Sportfluggeräten und Ultraleichtfluggeräten sowieso nicht.
Ein anderer Aspekt: Es wird wieder einmal ein Ökonomieballon aufgeblasen. An den sich dann wieder neue Beschäftigung andocken wird und somit die Wirtschaft wieder ein winziges Stück wachsen kann.
Bzgl. Überwachung:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-008.html
„Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.“
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/D
E/2008/03/rs20080311_1bvr207405.html
„Die Unbefangenheit des Verhaltens wird insbesondere gefährdet, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen (vgl. BVerfGE 107, 299 ; 115, 320 ). Das aber ist gerade bei der seriellen Erfassung von Informationen in großer Zahl der Fall.“
„Das sich einstellende Gefühl des Überwachtwerdens kann – wie bereits dargestellt (siehe oben C II 1 a) – zu Einschüchterungseffekten und in der Folge zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen. Hierdurch sind nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen betroffen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 ; auch BVerfGE 100, 313 ).“
https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/persoenlichkeitsrechte/244837/informationelle-selbstbestimmung
„Die damaligen Überlegungen könnten heute nicht aktueller sein. Bereits vor über 30 Jahren erkannte das Bundesverfassungsgericht die Gefahr, dass gesammelte Daten zu einem teilweisen oder sogar vollständigen Persönlichkeitsprofil zusammengefügt werden könnten, ohne dass der Betroffene dies kontrollieren könne. Dadurch werde ein Gefühl der Überwachung erzeugt. „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“ Aufgrund dieses „nachhaltigen Einschüchterungseffektes“ werde man seine Freiheitsrechte nicht mehr wahrnehmen und damit seine Persönlichkeit nicht mehr frei entfalten. Deshalb müsse jedem ein Selbstbestimmungsrecht über seine Daten zustehen.“