Wer checkt die Faktenchecker? Kontroverse um Facebooks „externe Faktenprüfung“

Im Kampf gegen Falschmeldungen und Desinformation setzt Facebook unter anderem auf „externe Faktenprüfer“. Ihr Urteil hat weitreichende Auswirkung auf die Verbreitung von Inhalten über die Plattform. In den USA gibt es jetzt Kritik, dass manche Faktenchecker diese Macht missbrauchen.

Facebooks Faktenprüfungstool (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Shane Aldendorff

Zur naiven Vorstellung, der Verbreitung von Falschmeldungen und Desinformation („Fake News“) durch mehr und besseres „Fact-Checking“ Einhalt gebieten zu können, hat eigentlich Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin, schon Ende 2016 in diesem Twitter-Thread alles gesagt.

Stefanowitsch erklärte: „Postfaktizismus mit Faktizismus zu bekämpfen, ist ungefähr so sinnvoll, wie die Postapokalypse mit der Apokalypse zu bekämpfen.“

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Genau einen solchen Ansatz verfolgt jedoch Facebook mit seinem Konzept der „externen Faktenprüfung“. In Deutschland gibt es seit Anfang 2017 mit dem Recherchebüro Correctiv einen offiziellen externen Faktenprüfer. Die Aufgabe dieser Faktenprüfer ist, im Faktenprüfungstool von Facebook

für jeden Inhalt, der zum Review eingereicht wird, diese Frage [zu] beantworten: ‚Wie wahrheitsgetreu ist dieser Artikel?‘

Das Faktenprüfungstool erlaubt acht verschiedene Antwortmöglichkeiten. Neben „falsch“, „teilweise falsch“ oder „wahr“ stehen auch noch „Meinung“, „Satire“ oder „Fake-News-Generator“ zur Auswahl (siehe Screenshot). Dass gerade die Trennung zwischen Meinung und Tatsachenbericht alles andere als trivial ist und selbst Meinungscharakter aufweist, ist nur eine von vielen Schwierigkeiten dieser Einteilung.

Screenshot der Beschreibung der Antwortkategorien in Facebooks Faktenprüfungstool

Besser dran mit oder ohne Faktenchecker?

Während es in Deutschland nur einen und in den meisten Ländern wie zum Beispiel Österreich oder der Schweiz gar keine solchen externen Partner gibt, sind es in den USA gleich fünf an der Zahl: die Nachrichtenagentur Associated Press, die Non-Profit-Organisationen Factcheck.org und Politifact, der anzeigenfinanzierte Fact-Checking-Dienst Snopes.com sowie die – laut Wikipedia – neokonservative Wochenzeitung The Weekly Standard. Vor allem letzterer wird nun vorgeworfen, ihre Stellung als externer Faktenprüfer zu missbrauchen.

Bereits die Aufnahme des Weekly Standard in die Liste der Faktenprüfer hatte für Kritik gesorgt. Der Akkreditierung durch Facebook vorausgegangen waren Vorwürfe, u.a. vom Weekly Standard selbst, dass die Faktenprüfer nicht unparteiisch genug bzw. zu links („liberal“ im US-Politjargon) wären. Durch Aufnahme des Weekly Standard in die Liste der Faktenprüfer konnte sich Facebook dieser Vorwürfe erwehren, tappte damit aber naturgemäß in genau jene journalistische Falle, die unter anderem Faktenchecks vermeiden helfen sollten: false balance – also das Problem, gerade durch das Ziel, besonders ausgewogen berichten zu wollen, eine Verzerrung zu erzeugen. Ein klassisches Beispiel dafür ist, Aussagen von Klimaforschern hinsichtlich globaler Erwärmung den Aussagen von Leugnern des Klimawandels gegenüberzustellen und damit das Bild einer Gleichwertigkeit der beiden Positionen zu erzeugen.

Weekly Standard vs. Think Progress

Neue Nahrung erhielt die Kritik am Weekly Standard als Faktenprüfer für Facebook durch dessen Bewertung eines Artikels der linksliberalen Nachrichtenseite Think Progress über Brett Kavanaugh, der von Trump als Richter für den Supreme Court der USA nominiert worden war. Think Progress hatte behauptet, dass Kavanaugh sich offen zu einer Abkehr von Roe vs. Wade bekannt hätte, also jener höchstrichterlichen Entscheidung, die eine US-weite Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zur Folge gehabt hatte. Der Weekly Standard bewertete diesen Beitrag als „falsch“ – mit der Konsequenz, dass nicht nur die Verbreitung des Artikels selbst eingeschränkt wurde, sondern jene der gesamten Facebook-Seite von Think Progress. (Hintergründe zur Kontroverse über Kavanaughs Aussage liefert ein Beitrag bei Vox.com.)

Es zeigt sich also, dass politisch klar verortete Faktenprüfer wegen potentiell parteiischer Entscheidungen das ganze System externer Faktenprüfung in Zweifel ziehen. Vielleicht ist aber genau das auch notwendig, denn nur weil (vermeintlich) „unparteiische“ Medien Fakten prüfen, muss ihr Urteil nicht richtig(er) sein. In Deutschland hat gerade erst die Diskussion über ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger auf EU-Ebene gezeigt, wie schwer – wenn nicht überhaupt unmöglich – es ist, als Journalist nicht Partei zu sein.

Von Wikipedia lernen

Tatsächlich liegt die Antwort auf postfaktische Herausforderungen wie Trump, Desinformation und Facebook nicht in einem Ausbau von Fact-Checking-Tools. Alleine schon, weil wir seit Sokrates nur wissen, dass wir nichts mit Sicherheit wissen können. Wenn ich in der Wissenschaft eines gelernt habe, dann wie schwierig es ist, Wahrheitsbehauptungen bei eingehend-kritischer Prüfung zweifelsfrei aufrecht zu erhalten. Das bedeutet umgekehrt natürlich nicht, solchen Wahrheitsbehauptungen komplett zu entsagen. Auch hier wäre das Gegenteil genauso falsch.

Vielleicht war die beste Idee von Plattformen wie YouTube und Facebook in der ganzen Fake-News-Debatte – um nicht zu sagen: Hysterie – jene, im Kampf gegen Falschmeldungen und Verschwörungstheorien auf Wikipedia-Einträge zu verlinken. Ein Treppenwitz der Internetgeschichte. Just jene freie und gemeinnützige Enzyklopädie, die in den ersten Jahren ihres Bestehens immer mit der Frage nach der Vertrauenswürdigkeit ihrer Inhalte konfrontiert worden war, dient heute den großen, kommerziellen Plattformen als vertrauenswürdigste Quelle in strittigen Fragen.

Der Grund dafür ist aber keineswegs, dass Wikipedia-Wissen über jeden Zweifel erhaben wäre. Im Gegenteil. Wikipedia-Wissen ist oft falsch oder alles andere als „neutral“. Aber Wikipedia und deren radikal transparente, nie abgeschlossene Aushandlung eines letztlich unerreichbaren „neutralen Standpunkts“ zeigt, dass, wer auf dem Boden der Tatsachen stehen möchte, schleunigst schwimmen lernen sollte. Nur weil wir nichts mit Sicherheit wissen können, ist das Ringen um Wahrheit nicht umsonst. Was Wikipedia auszeichnet, ist dieses Ringen um jedes Detail minutiös nachvollziehbar zu machen. Damit ist zwar auch kein absoluter Schutz vor Manipulation und Falschinformation verbunden. Aber alleine medialen Konsens wie Dissens unmittelbar als unendlichen, sozialen Konstruktionsprozess erlebbar zu machen, ist ein Fortschritt.

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