Dr. Cornelia Raue ist seit fast 20 Jahren in Berlin im Wissenschaftsmanagement tätig. Derzeit arbeitet sie als Leiterin „Strategie & Stabsbereich“ für den Forschungsverbund Berlin.
Die wertvollste Ressource Deutschlands ist Wissen. Seit vielen Jahren wird daher verstärkt in Bildung, Wissenschaft und Forschung investiert. Nicht nur die Politik versucht durch großangelegte Pakte die Rahmenbedingungen in Wissenschaft und Forschung zu verbessern, auch Stiftungen bringen sich ein, etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.
Allein ein Bereich bleibt von diesen Neuerungen ausgenommen: die Wissenschaftsverwaltung selbst. Gleich einem blinden Fleck wird an ihr vorbei gefördert mit der unausgesprochenen Erwartung, dass in diesem Bereich sich der Fortschritt von selbst einstellt. Jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler kann bezeugen: dem ist nicht so!
Exzellente Wissenschaft braucht exzellente Verwaltung
Für ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem sind die Unterstützungsprozesse für Forschung und Lehre von zentraler Bedeutung: Wer in Forschung und Lehre außergewöhnliche Leistungen erbringen und im internationalen Wettbewerb bestehen will, kann dies nur auf Basis einer modernen und effizienten Verwaltung erreichen. Exzellente Wissenschaft braucht exzellente Verwaltung.
Dies ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, wie das Beispiel Digitalisierung zeigt.
Digitaler Wandel wird im Wissenschaftssystem fast ausschließlich als Forschungsfrage getrieben: Künstliche Intelligenz, Zukunft der Arbeit, Mikroelektronik, autonomes Fahren, Kommunikation, Sicherheit und Quantentechnologie sind die Zukunftsbereiche, in die Fördermillionen investiert werden, um Weltspitze zu bleiben oder zu werden. Hierfür werden Professuren, ein Einstein Center for Digital Future, Forschungsfabriken und neue Studiengänge zu Data Science aufgebaut. Mit Instrumenten der Gründungs- und Innovationsförderung sollen die Erkenntnisse zügig zur wirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen.
Administrieren aus der Zeitkapsel heraus
Schaut man indes auf den wissenschaftsunterstützenden Bereich, sieht man sich in eine andere Zeit zurückversetzt: Beschaffungsvorgänge, Berichtswesen oder Personalmanagement sind in Teilen auf dem Stand von vor 20 Jahren oder älter. Mit selbstgebastelten PDFs und kopierten Excel-Tabellen werden die international renommierten Forscherinnen und Forscher – oft mit hohem persönlichen Einsatz – unterstützt. Für die Mittelgeber werden auf diese aufwändige Art und Weise die beständig steigenden Berichtsanforderungen erfüllt. Zu weiterreichenden Hochrechnungen, Prozessanalysen oder Benchmarks ist die Wissenschaftsadministration kaum in der Lage.
Wissenschaftseinrichtungen, die sich auf den Weg gemacht haben, ihre Verwaltung als workflow-gestützte Prozesse zu modernisieren und zu digitalisieren, sind meist auf halber Strecke stecken geblieben. Oder sie scheuen den nächsten Schritt, weil der erste Reformschritt sie an ihre Grenzen gebracht hat. Im Alltag sieht das dann für die Beschäftigten so aus, dass er oder sie das Formular am PC ausfüllt, das Papier am Ende doch ausgedruckt und in die Umlaufmappe steckt, weil die digitale Unterschrift noch nicht eingeführt ist.
Warum ist das so?
- Fehlende Aufmerksamkeit der Entscheider
Zunächst und vor allem: Wissenschaftliche Einrichtungen werden – aus guten Gründen – von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt, deren beruflicher Erfolg und Reputation aus ihrer wissenschaftlichen Leistung rührt. Die Bedeutung der Verwaltung ist für die wissenschaftlich geprägte Führungskraft nachrangig oder häufig nie in den Fokus geraten. Ihr Anspruch an die Wissenschaftsadministration ist die der geräuschlosen Unterstützung. Sie soll sich so verhalten, dass sie den Forschungsprozess nicht stört.
- Der Rückstand ist gewaltig und die Erwartungen sind groß
Beginnt man heute im Wissenschaftssystem Verwaltungsprozesse zu digitalisieren, beginnt man meist ganz von vorn. Mühsam wird eine Prozessperspektive erarbeitet und gegen die Besitzstände der Abteilungen in Stellung gebracht. Die hohe Last des Alltagsgeschäfts – bedingt durch steigende Drittmitteleinnahmen und wachsende Komplexität rechtlicher Anforderungen – lässt den Modernisierungsvorhaben und der Durchsetzung der Prozesslogik wenig Raum.
Die großen Player auf diesem Markt wie SAP sind teuer und die wissenschaftlichen Einrichtungen keine „smart buyers“, denn sie verfügen über keine Expertise in diesem Bereich. Erst während der Umsetzung wird klar: die Standardsoftware ist nur mit hohem Aufwand auf den Wissenschaftskontext übertragbar. So kommt es, dass für die letzten Schritte – siehe das Beispiel digitale Unterschrift – das Geld und die Kraft oft nicht reichen. Eine bei 75% Umsetzung steckengebliebene Digitalisierung ist aber kein Dreiviertel-, sondern im Endeffekt gar kein Fortschritt (das gilt sogar noch bei 95%, siehe das Beispiel Umlaufmappe). So bleibt Wissenschaftsadministration dazu verurteilt, Quell der Enttäuschung zu sein.
Hinzu kommt, dass sich die Erwartungen an die Digitalisierung aus unserem privaten „smart phone & home“- Konsum speisen. Aber zwischen der Anwendbarkeit von Amazon, Apple & Co. und den Softwaresystemen im privaten und öffentlichen Bereich liegen Welten. Der Public Sector ist für die Softwarefirmen einfach zu unattraktiv, als dass sie dafür in Entwicklungen investieren würden.
- Die Verwaltung im Wissenschaftssystem befindet sich in einem Zielkonflikt
Auch ganz unabhängig von der Digitalisierung: Die Erwartung der Forschenden an einen reibungslosen Ablauf für den Forschungsprozess steht oft im Widerspruch zum Auftrag an die Verwaltung, die öffentlich-rechtlichen Vorgaben sicherzustellen. Sparsamkeitsgebote, Planbarkeit und Standardisierungen gehen mit der Logik des Forschungsprozesses nicht immer einher. Diese unaufgeklärten gegenseitigen Erwartungen entzünden sich, wenn Geschäftsprozesse digitalisiert und damit auf eine Weise verbindlich werden – und dann nicht mehr zu untertunneln sind. Das führt zu Frust und Schuldzuschreibungen zwischen Wissenschaft und Verwaltung – leider nicht selten mit Reibungsverlusten auch auf persönlicher Ebene. So kommt es, dass das Thema „Verwaltung“ häufig mit negativen Erfahrungen konnotiert ist und selbst von jenen, die reformwillig sind, gemieden wird.
Modernisierung muss Chefsache werden
Was also braucht die Verwaltung im Wissenschaftssystem?
Die Modernisierung der Wissenschaftsadministration muss Chefsache in den Wissenschaftseinrichtungen sein. Die Verwaltung braucht Entscheiderinnen und Entscheider, die erkennen, dass nicht nur wertvolle Ressourcen wie Zeit und institutionelles Wissen verloren gehen, sondern sie bald auch keinen Nachwuchs für diese Unterstützungsaufgaben mehr finden werden. Junge Leute setzen eine moderne Arbeitsumgebung und mobiles Arbeiten als selbstverständlich voraus. Ohne Not kehren sie nicht in die Welt der 90er zurück.
Die Politik wiederum muss sich von der Annahme verabschieden, dass die Verwaltung sich schon irgendwie von selbst weiterentwickelt. Es bedarf einer Projektförderung auf Landes- und Bundesebene, die die Wissenschaftsadministration dabei unterstützt, diese Modernisierungslücke zu schließen. Dass das geht, zeigen Programme wie der Qualitätspakt Lehre, der dem Stiefkind „Lehre“ die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und durch eine Vielzahl von Projekten die Qualität der Lehre an den Hochschulen zum Thema gemacht hat. Auch die Wissenschaftsadministration – neben Forschung und Lehre der dritte Bereich im System – braucht Best Practises, Pilotprojekte, Wettbewerb und für das alles, auch, Geld. Um dies an drei Punkten festzumachen:
- Warum sollte der im Januar zu verhandelnde Pakt IV für Innovation und Forschung nicht auch für diese Vorhaben Mittel bereitstellen? Der Aufholbedarf ist enorm!
- Warum keine Public Private Partnerships etablieren – wie es mit der Einstein Stiftung Berlin für die Forschungsförderung gelungen ist?
- Warum nicht Expertinnen und Experten aus Industrie und Consulting zum Aufbau von Inhouse-Kompetenz gezielt anwerben und angemessen bezahlen?
Selbstverständlich sind auch Hausaufgaben in den Wissenschaftseinrichtungen ganz ohne zusätzliche Mittel zu erledigen. Dazu gehört, dass die Wissenschaftsadministration ihr Selbstverständnis klärt: will sie verwalten oder unterstützen? Und wie gelingt es, die vom Wissenschaftsrat in seinem Papier zu Governance empfohlene „Balance“ herzustellen „zwischen dem Willen zur Ermöglichung seitens der Verwaltung und Akzeptanz notwendiger Einschränkungen seitens der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“?
Dies kann nur der Anfang von Überlegungen und der Beginn einer Diskussion zum Thema Modernisierung der Wissenschaftsadministration sein. In keinem Fall jedoch darf die Digitalisierung am wissenschaftsunterstützenden Bereich weiter vorbeiziehen.
Die Beobachtungen der Autorin finde ich absolut zutreffend und ich teile die meisten ihrer Thesen.
Ich befürchte aber, sie macht den zweiten Schritt vor dem ersten: Bevor Digitalisierung greift, benötigt man digitalisierbare Strukturen: Das sind einfache, beschriebene Prozesse, ein wissenschaftliches UND ein betriebswirtschaftliches Controlling und eine Personalführung, die das versteht und Wissenschaftler führen kann. Diese Strukturen fehlen schlicht.
So fühlt sich der Vorschlag von Raue an, wie der Digitalpakt für die Schule: Der Bund haut für die Anschaffung von IT Milliarden € zum Fenster raus, ohne dass Schule weiss, was sie damit machen soll. Und verantwortlich ist niemand, der Bundestag gibt ja nur Geld, die Länder schreiben ja nur das Curriculum und die Lehrer sind nicht befähigt. Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit auf allen Ebenen.
Auch die rechtlichen Strukturen für die Wissenschaft sind für die Moderne ungeeignet: Ausschließliche Zuständigkeit bei den Ländern, auf Lebenszeit berufene Professoren im Beamtenstatus, unzweckmäßige Differenzierung von Forschung und Lehre, ungeeignete Finanzplanung etc.
Ich empfehle, erst mal darüber nachzudenken, wie die rechtlichen, personellen und sächlichen Strukturen aussehen müssen, damit diese digitalisiert werden können. Digitalisierung als Schlachtruf funktioniert nicht.
Ja. Genau. Vor jede Digitalierung gehört eine Prozessanalyse. Meist ist es dann so, dass die Standard-Software die neuen Soll-Prozesse nicht genau so abbilden kann. Dann ist eine Anpassung zu teuer, so dass die letzten wichtigen Schritte nicht gemacht werden.
Und nochmal ja: klar brauchen wir Inhouse-Kompentenz – damit es nicht so wird wie in den Schulen, wo viele Lehrer/innen die Smartboards nicht bedienen können.
Ich bin dafür mit Projekten zu beginnen, die Prozessanalysen, Infrastruktur-Investitionen und Kompentenzaufbau ermöglichen. So – wie in jedem anderen Bereich, wo Entwicklung und Fortschritt erwartet wird. Warum sollte das für die Wissenschaftsadministration nicht gelten?
(M)eine These: Es ist richtig, dass eine Verwaltung handlungsfähig sein muss. Übersicht behalten, analysieren, Anpassungen erdenken, die Pläne umsetzen können (sowohl organisatorisch, wie auch weisungsberechtigt, mit Konsequenz bei Nichteinhaltung). Das verlangt auf Kompetenz basierende Hirarchie mit großer Verantwortung, akzeptiert und unterstützt vom wissenschaftlichen Berufsstand mit abgestuft weniger Verantwortung.
Ich sehe aber in den letzten Jahren verstärkt eine Ablehnung gegenüber Hirarchien, oft begründet in der Unterstellung, dass alle Hirarchien aufgrund von Macht existieren. Diesem müsste mMn. mit etwas Aufklärung begegnet werden: Die Aussage, jede Hirarchie beinhalte Macht, daher müsse Macht die Grundlage der Hirarchie sein, ist ein unlogischer, gefährlicher Trugschluss. Kompetenz.
(M)eine weitere These: Das Peer Review und Veröffentlichungssystem müsste modernisiert werden. Review ist extrem wichtig. Es müsste aber darauf geachtet werden, dass mehr Fachexterne einen Beitrag leisten. Ein Beispiel sind Pseudowissenschaft wie Religion (außerhalb von Soziologie oder Geschichte), die ohne (Gottes)Beweise auskommen, oder Genderstudies, die viel zu oft voreingenommene Studien verfassen, und viel schlimmer, keiner strengen allgemein anerkannten Methodik folgen. Mehr Physiker, Statistiker und Psychologen sollten hier z.B. dem Review Beiwohnen. Auf der anderen Seite sollte das H-Faktor-Hibterhergerenne im Bereich Physik oder Maschinenbau auch nicht das Ziel sein. Sondern in allen drei Fällen sollte ehrliche Wissenschaft, Unvoreingenommenheit und Beweise, nicht aber Ideologien herrschen. Ideologiefrei.
(m)eine dritte These:
Komplexe Systeme müssen wachsen, brauchen Evolution. Es wird uns kaum gelingen das absolut optimale System zu konstruieren (!). In Uni-A ist es überverwaltet, sodass auch eine 10€ Bestellung mal ne Woche dauert. In Uni-B ist es zu frei, und es wird Geld rausgeschmissen (damit meine ich nicht die 50€ Stickstoff für Eiscreme-Herstellung im Sommer ;). Will sagen, man kann sich ein Beispiel an anderen Unis oder Ländern nehmen, aber man kann nicht einfach Frosch-DNA in die Lücken einer Echsen-DNA setzen. Das ist zu komplex für uns zu überschauen. Evolution.
Aber andererseits anfangen müssen wir ja irgendwo. Wo? Weiß ich noch nicht. Das sollten wir ideologiefrei erörtern.