Am 30. Mai demonstrierten die „Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung“. Wir dokumentieren die Transkripte der Reden von Dr. Burkhard Hirsch, Peter Schaar sowie das Grußwort von Edward Snowden. Die Videos (nur Flash) zu den Transkriptionen findet ihr hier, wie auch weitere Videos zu anderen Redebeiträgen der Demonstration.
Grußwort von Edward Snowden an die „Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung“
Lawyers have a special understanding of the importance of confidential communications. Discussions between lawyers and their clients are privileged. This is a cornerstone of the profession and of any modern legal system.
The reason for this is that an individual could not seek or receive honest and effective legal advice without a binding assurance that the communication would be seen only by lawyer and client. Clients trust lawyers with sensitive information that they rightfully expect will be shared with no one — in some cases‚ they may trust lawyers with their lives.
In the past, securing this communication may have meant locking file cabinets and not discussing legal matters outside of the office. Today, lawyers are on notice that they must do more to protect their communications.
In this new and challenging environment of governments collecting our personal information en masse, communications between attorneys and clients are vulnerable.
Lawyers have an ethical and professional responsibility to push back. Lawyers must encrypt.
We need new professional training and new professional standards to make sure that we have mechanisms to ensure that the average member of our society can have a reasonable measure of faith in the skills of all lawyers.
Beyond protecting themselves and their clients, lawyers must join the broader political discussion and become advocates against mass surveillance. Lawyers have a unique ability — and responsibility — to explain why communication without fear of government collection is critical to their work, their clients, and our society.
Rede von Dr. Burkhard Hirsch
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Demonstration ist notwendig und richtig. Sie findet zum richtigen Zeitpunkt statt. Es wird Zeit, klar und deutlich zu sagen, dass die Politik dabei ist, das Vertrauen der Bürger zu riskieren, ob sie bereit ist, das Notwendige zu tun.
Um es vorab zu sagen:
Wir sind nicht g e g e n etwas, sondern dafür, dass unsere Grundrechte gewahrt werden, dass unser Privatleben privat bleibt, dass unsere Berufsgeheimnisse geschützt bleiben, dass sich unsere Nachrichtendienste nicht zu trojanischen Eseln fremder Interessen machen lassen und parlamentarisch kontrolliert werden.
Und noch eine Bemerkung vorab: Man muss und kann – wie in jedem Beruf, so auch – in der Politik nicht immer alles sagen, was man weiß. Aber ein Mitglied der Regierung, dem nachgewiesen wird, dass er vor dem Parlament gelogen hat, muss gehen. Ohne jede Ausnahme.
Als Anwälte sind wir besonders von der Unsicherheit belastet, ob wir auf die „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen“ und auf den verfassungsgemäßen Schutz unserer Telekommunikationsbeziehungen vertrauen können, als Bürger und bei der Ausübung unseres Berufes. Wir sehen, dass die Bundesregierung zögert, gegenüber dem Bundestag Klartext zu reden, wer in welchem Maße — von wem auch immer — ohne eindeutige Rechtsgrundlage überwacht wurde.
Wir freuen uns, dass das Handy der Kanzlerin nicht mehr überwacht wird. Aber jeder von uns hat auch ein Handy. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden können wir uns nicht einmal mehr darauf verlassen, dass unsere rechtliche Verpflichtung zur beruflichen Verschwiegenheit gewahrt bleibt, wenn wir gesetzlich zum elektronischen Rechtsverkehr — demnächst auch in Strafsachen – gezwungen werden.
Die 28 Regionalpräsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer haben in einer Resolution genau heute vor einem Jahr die Bundesregierung dringend aufgefordert, verlässliche Zusagen zu geben und alles zu tun, dass der elektronische Rechtsverkehr abhörsicher und hackerfest sein wird. Aber ich stelle fest, dass bisher nicht einmal die Kontrollrechte des Parlamentes ausreichen, uns diese Sicherheit zu geben.
Der Deutsche Bundestag muss dafür sorgen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium endlich wenigstens unsere eigenen Nachrichtendienste wirklich kontrollieren kann und ihnen nicht nur glauben muss.Der Deutsche Bundestag muss dafür sorgen, dass die sog. G10—Kommission alle Telekommunikationsüberwachungen kontrollieren kann, an denen deutsche Behörden mitwirken. Eine Bemerkung zur sog. Vorratsdatenspeicherung, die nicht dadurch schöner wird, dass sie als „Höchstspeicherfrist“ sprachlich vermummt werden soll.
Nach den vernichtenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH möchten wir, dass der Bundestag endlich begreift, dass wir es satt haben, wenn er ständig, wiederholt und nun erneut die Belastbarkeit der Verfassung und der Europäischen Grundrechts Charta erproben will.
Es geht uns natürlich nicht darum, die Bahn für Terroristen oder andere Straftäter frei zu machen. Es geht darum, ob der Staat seine Bürger wie potentielle Straftäter ohne jeden Anlass kontrollieren darf, ohne jeden Anlass, das heißt also, obwohl sie sich völlig rechtmäßig verhalten; ob es ein Teil unseres privaten Lebens bleibt, mit wem, wann und wie lange wir reden, sprechen, kommunizieren, Kontakt haben — mit anderen Worten, ob die Überwachung der Bürger eine Grenze haben muss, auch wenn sie noch so gut gemeint sein mag.
Wenn man die Vorratsdatenspeicherung akzeptiert, dann könnte man mit derselben Begründung die Fingerabdrücke und die DNA—Analyse von jedermann, die Briefe und Pakete, die man versendet oder bekommt, die Fahrkarten, die man kauft, die Abonnements, die man unterhält, demnächst auch die Maut-Daten erfassen und das alles unter einem einheitlichen Personenkennzeichen speichern, das auch schon mal gefordert worden ist.
Ich möchte den Deutschen Bundestag dringend auffordern, vor einer Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sich im Einzelnen und durch Anhörungen genau darüber zu informieren, wie tief die Einblicke in die Privatheit und das persönliche Zusa1nmenleben der Bürger gehen, die man mit maschineller Auswertung der Vorratsdaten ermöglichen kann.
Der Bundestag muss sich auch darüber informieren, warum die Europäische Kommission irgendwelche wesentlichen Erfolge der Vorratsdatenspeicherung bei der Verbrechensbekämpfung nicht belegen kann und warum alle praktischen Untersuchungen in den Ländern, die sie praktizieren, zu demselben Ergebnis geführt haben, in Europa ebenso wie in den USA.
Der Deutsche Bundestag sollte verstehen, dass es uns nicht um den Wettbewerb von Parteien geht.
Wir wollen sicher sein, dass die Bundesrepublik sich nicht schleichend in einen Überwachungsstaat verwandelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass bei jeder anlasslosen Speicherung äußerste Zurückhaltung geboten ist: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss.“ Dabei fordert das BVerfG eine Gesamtbilanz der anlasslosen Datenüberwachung. Sie liegt bis heute nicht vor.
Der Bundestag sollte endlich akzeptieren, dass es eine totale Sicherheit nur dann geben kann, wenn man in einer totalen Überwachung leben will. Wir wollen das nicht. Darum sollte es endlich aufhören, das Recht auf Privatheit als Beihilfe fü r Straftaten zu diskriminieren.
Wir wollen, dass unsere Grundrechte hier in Berlin vom Bundestag in derselben Weise geachtet, geschützt und verteidigt werden, wie wir das sonst durch die Richter in Karlsruhe bewirken müssen, mit demselben Mut und derselben Gelassenheit. Deswegen sind wir hier und deswegen werden wir nicht aufhören, alles zu tun, um unsere Verfassungsrechte zu schützen und zu wahren.
Peter Schaars Rede
Er ist der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und heute Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID)
Hannah Arendt bezeichnete es in ihrem 1951 erschienenen Werk über die Ursprünge und Elemente des Totalitarismus als den schrecklichen Traum einer modernen totalitären Polizei, jederzeit nachvollziehen zu können, wer mit wem in Beziehung steht und wie intensiv und intim diese Beziehung jeweils ist.
Heute sind wir dieser Schreckensvision bereits sehr nahe. Alle möglichen Geräte erzeugen jede Menge so genannter Metadaten. Die ungeheure Masse dieser Metadaten offenbart nicht bloß, wer mit wem vernetzt ist. Festgehalten wird auch, wo man sich zu jedem Zeitpunkt aufhält. So lässt sich mittels Funkzellenabfrage herausfinden, wer an der heutigen Kundgebung teilnimmt. Nur die wenigen von Ihnen, die weder ein Handy noch ein Smartphone in der Tasche haben, können vermutlich nicht geortet werden. Ganz sicher können allerdings auch sie nicht sein, denn sogar Kleidungsstücke sind heute mit Funkchips ausgestattet. Dass diese Vorstellung keine Übertreibung ist, belegen Praktiken im Freistaat Sachsen, wo wiederholt im Vorfeld von Anti-Nazi- Demonstrationen umfassende Funkzellenabfragen angeordnet und durchgeführt wurden. Dies Beispiel zeigt: Wer den Datenschutz aushöhlt, gefährdet damit auch andere Grundrechte. Die Versammlungsfreiheit genauso wie die Meinungsfreiheit!
Deshalb ist es ein Ärgernis, dass die Bundesregierung die Anbieter von Telekommunikationsdiensten erneut zur Vorratsdatenspeicherung zwingen will. Skandalös ist auch das Verfahren, mit dem das Gesetz durch den Bundestag gebracht werden soll: Innerhalb weniger Wochen, ohne Möglichkeit zur intensiven öffentlichen und parlamentarischen Prüfung und Diskussion. Den Verbänden hat das Bundesjustizministerium seinen Referentenentwurf eine Woche vor der Verabschiedung durch das Bundeskabinett zur Kenntnis gegeben. Ein Feedback wurde offenbar nicht erwartet. Trotzdem wurden unter großem Zeitdruck viele kritischen Stellungnahmen formuliert. Sie kamen nicht nur von von den üblichen Verdächtigen – Datenschützern, Bürgerrechtlern und Rechtsanwälten -, sondern auch aus der Wirtschaft. Nichts davon hat die Bundesregierung berücksichtigt. Dabei ist diese Eile nicht geboten. Mehr als fünf Jahre hat es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung gegeben, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hatte.
Übrigens war auch die verfassungswidrige erste Vorratsdatenspeicherung 2007 von einer Großen Koalition eingeführt worden. Auch eine europarechtliche Verpflichtung zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung besteht nicht mehr, seit der Europäische Gerichtshof im letzten Jahr die EU-Richtlinie zur VDS für null und nichtig erklärt hat, weil sie gegen Art. 7 und Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt.
Im Vorblatt des Gesetzentwurfs hat das Bundesjustizministerium in die Rubrik „Alternativen“ das Wort „Keine“ eingetragen. Dabei ist die Vorratsdatenspeicherung alles andere als alternativlos. Wer die Vorratsdatenspeicherung – wie Justizminister Heiko Maas – wider besseres Wissen als alternativlos bezeichnet, versucht von seiner eigenen politischen Verantwortung abzulenken.
Es ist bemerkenswert, dass derselbe Gesetzentwurf auch ein Torpedo gegen die Meinungs- und Pressefreiheit enthält: die neue Strafvorschrift zur „Datenhehlerei“. Danach würde sich auch strafbar machen, wer sich Informationen über illegale Aktivitäten von Firmen oder Behörden verschafft, die von Insidern stammen, oder wer solche Informationen öffentlich macht. Sowohl die Betreiber von Whistleblower-Plattformen als auch Blogger müssten damit rechnen, bis zu drei Jahren im Gefängnis zu verbringen oder hohe Geldstrafen zu zahlen. Hätte es diesen Straftatbestand schon gegeben, wäre eine Vielzahl der Berichte über illegale Aktivitäten von Geheimdiensten strafbar gewesen, die auf Erkenntnissen von Whistleblowern wie Edward Snowden und Chelsea Manning basierten, „die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt” hat. Auch Journalisten müssten grundsätzlich mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wenn sie sich aus derartigen Quellen stammende Informationen weit im Vorfeld einer Veröffentlichung verschaffen oder solche Informationen weitergeben. Zudem würden sich journalistisch tätige Amateure und Blogger, die entsprechende Informationen sammeln oder veröffentlichen, auf jeden Fall strafbar machen, denn bei ihnen würde die vorgesehene Ausnahmeregelung auf keinen Fall greifen, da sie ja nicht in „Wahrnehmung dienstlicher oder beruflicher Pflichten“ handeln.Leider wird der parlamentarische Gegenwind die Große Koalition wohl allein nicht davon abhalten, die Vorratsdatenspeicherung und andere Einschränkungen von Bürgerrechten zu beschließen. Umso wichtiger ist es, dass wir als Bürgerinnen und Bürger auch außerparlamentarisch deutlich machen, dass wir nicht damit einverstanden sind und dass wir es für fatal halten, wenn Grundrechte auf den Altar vermeintlicher Sicherheit geopfert werden!
Die totalitären Überwachungsalbträume, die Hannah Arendt schon vor einem guten halben Jahrhundert plagten, dürfen nicht zur Realität des 21. Jahrhunderts werden!
@Daniel Hawiger
Und, wieviele Menschen waren auf dieser Demo? Gibts keine Zahlen? Wären die Zahlen peinlich, weil so wenige dabei waren?
Ca. 300 http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2015/05/anwaelte-demonstrieren-gegen-vorratsdatenspeicherung.html
Wieso die Häme? Das die Zahl bei einer spezifischen Berufsgruppe kleiner als bei einer allgemeinen Kundgebung ist, leuchtet ja wohl ein.
Ich muss wohl grade in Afrika unterwegs gewesen sein¿ Ist darüber außer hier, darüber berichtet worden?
Es wurde wenig berichtet, in der Bevölkerung ist das Thema zwar angekommen aber wird oft in den Hintergrund gestellt. Diejenigen die den Staat sowieso aufgegeben haben und nicht mehr wählen gehen versuchen das Them so gut wie möglich zu ignorieren. Es fehlt das Gefühl der persönlichen Betroffenheit und es gibt sicherlich bei einigen auch die Angst in den Fokus zu geraten und dadurch Nachteile zu erleiden.