Würden sich Kunstschaffende, Plattformbetreiber und User im Internet an die Buchstaben des (Urheberrechts-)Gesetzes halten, vieles von dem, was das Internet aus- und attraktiv macht, würde nicht passieren. Die Formalverfassung des digitalen Urheberrechts erfordert fast immer eine Rechteklärung im Einzelfall, die gerade im nicht-kommerziellen Bereich schwer zu realisieren ist. Die Realverfassung des digitalen Urheberrechts sieht zwar anders aus, stärkt jedoch die Dominanz einzelner großer Plattformbetreiber wie Google.
Dieser Beitrag ist anlässlich eines Vortrags mit gleichlautendem Titel im Rahmen der Tagung #DigiKon15 der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden und wird hier mit deren freundlicher Genehmigung veröffentlicht. Der Vortrag wurde am 25. November ab 13.50 Uhr live gestreamt, die Folien finden sich bei Slideshare. [Update, 4. Dezember 2015] Mittlerweile ist auch die Aufzeichnung der Session bei YouTube verfügbar. [/Update]
Wie schlecht es um die Alltagstauglichkeit des Urheberrechts im digitalen Zeitalter bestellt ist, lässt sich durch ein einfaches Gedankenexperiment veranschaulichen. Wer sich gedanklich zurückversetzt ins Jahr 1980, wird Schwierigkeiten haben sich vorzustellen, wie er oder sie mit einem Buch, einer LP oder einer Filmrolle in der Hand eine Urheberrechtsverletzung begehen könnte. Das Buch an Freunde zu verleihen, Teile oder auch das ganze Werk auf einem Kopiergerät zu vervielfältigen, daraus vorzulesen, all das wäre ohne Rechteklärung möglich. Das Urheberrecht war zwar schon damals eine komplizierte Materie, spielte aber vor dem Internet im Alltag der meisten Menschen keine Rolle.
Heute ist das anders. Wer sein Smartphone benutzt, um Alltagserlebnisse auf Video zu bannen und diese dann im persönlichen Blog mit Freunden zu teilen, kommt kaum umhin, das Urheberrecht zu verletzen. Es reichen ein paar Sekunden Musik oder ein Plakat im Hintergrund, schon werden bei „öffentlicher Zugänglichmachung“ im Netz Urheberrechte verletzt. Digitale Kunst und Kultur geraten mit dem herrschenden Urheberrecht in Konflikt. Viele der kreativsten digitalen Kunstformen wie Remix und Mashup können auf legalem Weg kaum verbreitet oder gar kommerziell genutzt werden. Selbst die Verwendung kleinster Musik- oder Filmschnipsel muss rechtlich geklärt werden, was in den meisten Fällen viel zu umständlich und teuer ist. Mit ähnlichen Problemen kämpfen auch Bibliotheken, Museen und Archive, die ihre Bestände deshalb nicht digital zugänglich machen können.
Im Widerspruch zu internationalen Verträgen?
Neben einer Verkürzung von urheberrechtlichen Schutzfristen gäbe es noch zwei weitere sinnvolle Lösungsansätze. Einerseits bräuchte es eine europäische Harmonisierung und Öffnung des Katalogs urheberrechtlicher Ausnahme- und Schrankenbestimmungen. Die Einführung einer Bagatell- oder Remixschranke nach Vorbild der Fair-Use-Klausel des US-Copyrights, kombiniert mit in Europa etablierten Formen pauschaler Vergütung würde neue Formen von Alltags- und Remixkreativität ermöglichen. Anstatt komplizierter und teurer Rechteklärung wäre auch für eine kommerzielle Veröffentlichung von Remixes und Mashups nur eine Meldung bei einer Verwertungsgesellschaft erforderlich – so wie es heute schon bei Cover-Versionen der Fall ist. Andererseits bräuchte es die Einführung eines europäischen Werksregisters, das Rechteklärung vereinfachen und urheberrechtlichen Schutz nach Ablauf einer ersten Schutzfrist nur noch in solchen Fällen gewährt, in denen Werke auch tatsächlich noch kommerziell genutzt werden.
Doch ein Werksregister steht genauso wie eine Verkürzung von Schutzfristen im Widerspruch zu internationalen Vertragswerken wie der Berner Übereinkunft und gilt deshalb oft als unrealistische Option. Ähnliches gilt für die Einführung einer offenen, Fair-Use-ähnlichen Schranke auf europäischer Ebene: Die dafür erforderliche europaweite Harmonisierung von Ausnahmebestimmungen gilt angesichts verhärteter Fronten als zumindest kurzfristig unrealistisch.
Realverfassung des Urheberrechts: „Law in Action“
Ein Blick auf die urheberrechtliche Realverfassung, also das „law in action“, liefert jedoch noch einmal ein anderes Bild. Denn in manchen Bereichen wie Musik, Film und auch Büchern ist der praktische Zugang zu Inhalten in den letzten zehn Jahren um ein vielfaches einfacher geworden. Auf YouTube finden sich nicht nur aktuelle Charthits, sondern auch Unmengen an alten, längst nicht mehr erhältlichen Songs und Videoclips. Google Books wiederum erlaubt seit Jahren, einen ständig wachsenden Corpus an digitalisierten Büchern im Volltext zu durchsuchen, und macht auf diese Weise kulturelles Erbe (wieder und breiter) zugänglich.
Problematisch ist jedoch weiterhin die Veröffentlichung von Werken, die unter Verwendung anderer Werke (z. B. Musikstücke) entstanden sind, vor allem wenn mehrere verschiedene Werke vermengt werden. Aber zumindest für Anwendungsfälle wie mit Musik hinterlegte Handyvideos gibt es mittlerweile eine Lösung. In einer digitalen Audio Library ermöglicht es YouTube, noch vor dem Hochladen zu überprüfen, ob und wenn ja auf welche Weise bzw. in welchen Regionen ein Song für Videos verwendet werden darf.
Voraussetzung für das Funktionieren von Rechteklärung via YouTube ist ironischerweise genau das, was auf gesetzlicher Ebene als unrealistisch gilt: ein digitales Werksregister und ein One-Stop-Shop für Rechteklärung. Rechteinhaber, die bei YouTube ihre Inhalte monetarisieren, d. h. mit Werbung versehen, oder einfach nur sperren lassen möchten, müssen diese dafür im Rahmen von YouTubes „Content-ID-Datenbank“ hinterlegen. Ein Algorithmus prüft dann, ob Inhalte hochgeladen werden, die in der Datenbank verzeichnet sind, und ermöglicht so den Rechteinhabern zu entscheiden, wie weiter verfahren werden soll. So demonstriert YouTube, dass eine Kombination aus Registrierung mit zentraler und bis zu einem gewissen Grad pauschaler Rechteklärung nicht nur praktikabel ist, sondern neue Verdienstmöglichkeiten eröffnen kann, insbesondere mit Werken, deren herkömmlicher Verwertungszyklus abgelaufen war.
Fazit
Ist also eine Reform des Urheberrechts überflüssig? Keineswegs. Denn abgesehen davon, dass Content ID keine Lösung für Remix und Mashups bietet, sind mit Googles Ansatz viele Einschränkungen verbunden: Die Rechte werden nicht allgemein, sondern nur für die Nutzung auf YouTube geklärt, und es gibt keine Rechtssicherheit, da Rechteinhaber ihr Einverständnis jederzeit widerrufen können. Auch für die Kunstschaffenden ist das System intransparent, und kleinere Labels haben gegenüber Google keine Verhandlungsmacht. Eine gesetzliche Lösung mit pauschaler, von Verwertungsgesellschaften verhandelter Vergütung wäre hier transparenter und auf andere Plattformen übertragbar.
Paradoxerweise kann gerade Google – der von Politikern, Kunstschaffenden und Rechteverwertern gleichermaßen kritisierte Internet-Gigant – mit dem starren und unzeitgemäßen Urheberrecht am besten leben, ja sogar noch Geschäfte damit machen. Die meisten anderen aber, die nicht über Googles Ressourcen und Marktstellung verfügen, sind die Verlierer der aktuellen urheberrechtlichen Realverfassung. Es ist deshalb an der Zeit, das gesetzte Recht stärker an die gelebte Praxis im Netz anzunähen – zum Wohle von NutzerInnen und Kunstschaffenden gleichermaßen.
Guter Artikel, aber:
Jedesmal wenn ich einen Remix eines mir bekannten Songs höre, frage ich mich, was das für eine eine Verunstaltung sein soll.
Ich persönlich würde auch nicht wollen, dass meine Werke nach Belieben und ohne mein Einverständnis verschandelt werden dürfen. Da halte ich die jetztige Reglung, die eine kommerzielle Nutzung erschwert, für sinnvoll.
Insofern mag der Artikel zwar im Grundsatz berechtigt sein, aber den Fokus so stark auf Remix/Mashups zu legen halte ich für den falschen Weg. Da gibt es viele andere, auch im Artikel genannte, Baustellen.
Aber was viele da draußen, insbesondere die Piraten, nicht verstehen, dass Wissen und Kunst zwei verschiedene Dinge sind.
@MR, in Reply from 24. Nov 2015 @ 16:57
Nur mal zur Gedanken anregung:
»Jedesmal wenn ich einen Remix eines mir bekannten Songs höre, frage ich mich, was das für eine eine Verunstaltung sein soll.«
Es ist seit Jahrzehnten üblich, dass Rechteverwerter populäre DJs / Remix Künstler um ein Remix einer Single bitten. Ob das wegen der GEMA gemacht wird, weiß ich nicht, aber es ist sicherlich eine Werbemaßnahme.
Die meisten Musiktitel sind quasi ein Remix bekannter Phrasen, Melodien, Rhythmen und Strukturen. In einem Meta-kontext betrachtet könnte man sagen: Es gibt nichts neues. Nur Detailänderungen.
»Ich persönlich würde auch nicht wollen, dass meine Werke nach Belieben und ohne mein Einverständnis verschandelt werden dürfen.«
Das soll keine persönlich Kritik sein, ich selbst dachte mal selbst so und hadere auch heute, hin und wieder mit solchen Gedanken. Doch im Grunde denke ich, dieses Verständnis von (Geistigem) Eigentum ist es, dass diese Welt, sehr schadet.
Denn: Mein Werk ist nicht mehr mein Werk, wenn es jemand „verschandelt“.
Ich denke wenn ein Künstler „sein Werk“ behalten will, dann soll er es in eine Schublade stecken. Wenn ein „Werk“ verkauft wird und der Käufer will es nicht verschandelt sehen, dann soll er es in eine Schublade stecken.
Wenn ein Künstler aber akustische oder visuelle Kunst, in aller Öffentlichkeit ausstellt, verändert er die Entropie in den Köpfen aller Menschen die damit in Kontakt kommen. Ob die Menschen das wollen oder nicht. Und da liegt schon ein Knackpunkt. Ich will „das Werk“ vielleicht gar nicht sehen oder hören, … denn ich bin ja selber „Künstler“. Jetzt hab ich Dieter Bohlen aber gehört und muss damit leben, dass ein „Priming“ in meinem Kopf statt fand. Ich wurde verändert.
Mein Schaffen wurde verändert. Meine Kunst wurde beeinflusst. Davon kann sich kein Künstler freisprechen.
Wie ich sagte, dein Werk, ist nur solange dein Werk, bis es jemand verschandelt. Danach ist es nicht mehr dein Schaffen, sondern dass eines anderen. Das Recht dazu gibt ihm meiner Meinung das Grundgesetz – Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Ich hoffe meine „Gedankenkonstrukt“ das ich angerissen habe, ist halbwegs nachvollziehbar.
Ist nicht unbedingt ein Thema, dass man mal eben so in eine Kommentarzeile quetscht. Doch ich halte es für das wichtigste Thema, das zentrale Thema der Menschheit derzeit. Ich glaube,
erst wenn Urheberrecht, Patentrecht und Markenrecht, in der jetzigen Form, überwunden werden – wird es Frieden geben und der Fortschritt wird explosionsartig zunehmen.
yours truly
Der Knackpunkt ist doch eigentlich, das der Endnutzer keine Ahnung vom Urheberrecht hat und so auch unwissentlich ständig Verletzungen desselben begeht.
Weiter sieht er im Regelfall die Weitergabe einer digitalen Kopie nicht anders, als vor 25 Jahren die Weitergabe eines Buches oder einer Schallplatte.
Technisch ist eine verlustfreie Kopie jederzeit möglich und dies wird fleißig genutzt.
Die Rechteinhaber schreien nach immer größeren Keulen welche aber kaum jemanden treffen.
Ich denke das mit dem aktuellen Rechtsverständniss auf beiden Seiten keine Lösung des Problems möglich ist.