Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) berät die deutsche Bundesregierung in den Themenbereichen Bildung, Forschung und Innovation. In ihrem heute präsentierten Jahresgutachten (PDF) setzte sich die EFI mit einer Reihe von netzpolitischen Fragestellungen auseinander. An prominenter Stelle widmet sich das Gutachten dabei dem Urheberrecht. In einer eigenen Pressemitteilung nur zu diesem Thema heißt es dazu unter der Überschrift „Urheberrecht muss innovationsfreundlicher werden“:
Aus volkswirtschaftlicher Sicht können weitreichende Schutzrechte nachteilig sein, wenn sie kreative Nutzer einschränken und somit die Schaffung neuer Werke durch Nutzer verhindern. Die Expertenkommission empfiehlt daher, kreativen Nutzern größere Freiräume zu geben.
Im Gutachten selbst werden die Autoren noch konkreter, fordern „eine entsprechende Schrankenregelung“ (S. 63) um Nutzern größere Freiräume einzuräumen und scheuen auch nicht vor Schlussfolgerungen zum heftig umstrittenen Thema urheberrechtliche Schutzfristen zurück:
Verschiedene historische Studien legen nahe, dass der Urheberrechtsschutz über ein erhöhtes Einkommen und einen verstärkten Eintritt von Kreativen in den Markt positive ökonomische Effekte generiert. Allerdings werden positive gesamtwirtschaftliche Effekte nur für geringe Schutzdauern von unter etwa 30 Jahren nachgewiesen. Die empirischen Befunde stützen Bedenken, die in den letzten Jahren gegen eine Ausdehnung oder Stärkung des heute schon bestehenden Urheberschutzes geltend gemacht worden sind. Insbesondere könnte kumulative Innovation, die auf der Nutzung dieser Werke aufbaut, behindert werden, ohne dass dieser Effekt durch stärkere Anreize für die Kreativen aufgewogen wird. (S. 61, Herv. L.D.)
Mit anderen Worten: es gibt keine empirisch fundierte Begründung für Schutzfristen von mehr als 30 Jahren, eher im Gegenteil. Nur zur Erinnerung: die aktuelle urheberrechtliche Schutzfrist beträgt 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, also in vielen Fällen weit über 100 Jahre.
Als ein wesentlicher Grund für die Kritik am herrschenden Urheberrecht werden im Gutachten nutzergenerierte Inhalte angeführt (vgl. auch Abbildung über den Anteil an nutzergenierten Inhalten auf YouTube). Die Daten basieren auf einer von der Expertenkommission in Auftrag gegebenen Studie auf Basis einer Zufallsauswahl von 500 YouTube-Videos. Interessant auch die Diskrepanz zwischen Aufrufen und Bewertungen: Während professionelle Inhalte mehr als fünfmal so oft angesehen wurden, weisen die Nutzerbewertungen kaum Unterschiede auf. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch, dass „zahlreiche Formen der nutzergenerierten Kreativität wie FanFiction oder Mashups derzeit in einer rechtlichen Grauzone“ stattfinden. Als Ausweg wird dafür quasi ein Recht auf Remix vorgeschlagen:
Die kreative Umgestaltung von Werken sollte zulässig sein, um Anreize für Nutzerinnovationen zu setzen. So sollten Umgestaltungen durch eine Schrankenregelung erlaubt sein, sofern sie […] einen ausreichenden inneren Abstand zum Original wahren und nicht kommerziell sind. (S. 68)
Als Vorbild verweist das Gutachten auf Kanada, wo das Copyright „kreative Umgestaltungen zu nichtkommerziellen Zwecken [erlaubt], sofern sie das ursprüngliche Werk nicht substituieren.“
Im Bereich Rechtsdurchsetzung zeigt sich das Jahresgutachten skeptisch gegenüber mehrstufig-eskalierenden Verfahren („Three Strikes“), kritisiert aber ganz besonders die deutsche Abmahnungsregelung, „weil sie eine Missbrauchsgefahr birgt und die Beurteilungslast bei unklarer Rechtslage auf den Adressaten verschiebt“ (S. 63). Gleichzeitig verweist das Gutachten darauf, dass die sich die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen in der Musikindustrie (+30%) und in der Filmindustrie (+50%) gegenüber dem Ausgangsjahr 2001 bei vergleichbarer Qualität (gemessen auf Basis von Nutzerbewertungen) stark erhöht hat.
Weitere konkrete Handlungsempfehlungen im Urheberrechtskapitel (S. 68):
- Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke, „die einen möglichst umfassenden Zugang zum Wissensbestand praxistauglich regelt.“
- Vereinfachung des Urheberrechts: „Die bestehenden Regelungen im Urheberrecht sind sehr komplex gehalten und stehen so einer verstärkten Rechtsakzeptanz entgegen.“
- Warnhinweise statt kostenpflichtiger Abmahnungen: „Eine Versendung von Warnhinweisen durch Internetdienste-Anbieter stellt als Alternative zur gängigen Abmahnpraxis eine sinnvolle Maßnahme dar, um über Rechtsverletzungen zu informieren und Transparenz zu schaffen. Ein rechtlicher Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Abmahnung sollte an das Erfordernis geknüpft werden, dass im Vorfeld ein Warnhinweis über den Zugangsvermittler an Personen versendet wird, die das Urheberrecht verletzt haben.“
- Mehr empirische Forschung zum Urheberrecht: „Die empirische Forschung zu den Auswirkungen des Urheberrechts auf Geschäftsmodelle und Innovationen in der digitalen Wirtschaft steckt gerade in Deutschland noch in einem Frühstadium.“ (S. 69)
Der letzte Punkt wird auch dadurch deutlich, dass sich das Gutachten sehr oft auf ausländische Untersuchungen wie beispielsweise die britischen Ofcom-Studien stützt; für Deutschland fehlt es schlicht an entsprechenden Daten.
Fazit
Niemand kann auf die Idee kommen, die Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation wären radikale Netzaktivisten. Ihre Analysen und Forderungen sind teilweise jedoch sogar weitreichender, als beispielsweise jene der Piraten-EU-Abgeordneten Julia Reda in ihrem jüngsten Berichtsentwurf zur EU-Urheberrechtsrichtlinie.
>>Als Vorbild verweist das Gutachten auf Kanada, wo das Copyright “kreative Umgestaltungen zu nichtkommerziellen Zwecken [erlaubt], sofern sie das ursprüngliche Werk nicht substituieren.”<>Allerdings werden positive gesamtwirtschaftliche Effekte nur für geringe Schutzdauern von unter etwa 30 Jahren nachgewiesen. << Mal abgesehen, wie das so mit Nachweisen ist, zumal die Nachweise für die aktuelle Produktion ja in der Zukunft liegt, die sich, wie man sieht, ziemlich schnell wandelt, ist es doch auch merkwürdig, hier auf gesamtwirtschaftliche Effekte abzuzielen ohne die Frage zu beantworten, wer das denn sein mag. Der Urheber/Nachfolger wird damit ja nicht gemeint sein. Der wird dann eben "Volkes eigen" irgendwie.
Ich glaube, so kommt man keinen Schritt weiter.