Auf der Digital Life Design (DLD)-Konferenz in München warf sich Uber-Chef Travis Kalanick trotz frühlingshafter Temperaturen in den Schafspelz: Während das US-Unternehmen bisher eher die leicht angestaubte PR-Masche „viel Feind, viel Ehr’“ zu verfolgen schien und bisweilen wie eine Job-Maschine für Rechtsanwälte daher kam, hat der vor einigen Monaten angeheuerte neue PR-Chef dem Unternehmen offenbar auch ein neues Buzzword verordnet: „partnership“.
In seinem Vortrag auf der DLD-Konferenz und dem anschließenden Interview legte Kalanick denn auch einen Schwerpunkt auf die Vorteile, die eine Partnerschaft mit Uber für Kommunen mit sich bringen könne: neue Arbeitsplätze; weniger Autos, die ungenutzt herumstehen; mehr Mobilität und dadurch Standortvorteile. Eine spannende Initiative allerdings verschwieg er dem Münchner Publikum, möglicherweise weil die Deutschen im Silicon Valley meist als „crazy about privacy“ gelten: Uber hat vor wenigen Tagen ein Partnerprogramm aufgelegt, bei dem die US-Company Kommunen die Metadaten von Uber-Fahrten zur Verfügung stellt, um die kommunale Verkehrs-Infrastruktur zu optimieren. Die erste Partnerstadt ist Boston im Nordosten der USA, Heimat des M.I.T. und der Harvard University und damit einer der Hotspots der „Computer Science“ in den USA. Bürgermeister Martin J. Walsh freut sich:
Wir verwenden die Daten, um die Art und Weise zu verändern, wie wir Dienstleistungen anbieten … Dies wird uns dabei helfen, unsere Mobilitäts-Ziele zu erreichen, die Lebensqualität in den Stadtvierteln zu verbessern und schlauer zu werden, um innovativere und kreativere Lösungen für unsere drängendsten Probleme zu finden.
Uber übermittelt an die Stadt Boston im Rahmen der Partnerschaft „detaillierte Daten über einzelne Fahrten“, und zwar folgende Datensätze:
- Timestamp für Beginn und Ende der Fahrt
- Postleitzahl für „pick-up“ und „drop-off“ Punkte
- gefahrene Entfernung
- Dauer der Fahrt
Daneben verspricht Uber der Stadt Boston noch „technischen Support“, um die Daten zu interpretieren und zu nutzen.
Dass sich die Uber-Daten für spannende Auswertungen nutzen lassen liegt auf der Hand. Vor einiger Zeit machte ein Experiment von Uber-Admins (Selbstbeschreibung: #UberData nerds) Schlagzeilen, die mit ein paar ausgefuchsten SQL-Queries die „Hotspots“ für One Night Stands in einer Reihe von US-Großstädten identifizierten: Das sind danach Viertel mit einem hohen Anteil von Fahrten, die in Wochenend-Nächten zwischen 22 Uhr und 4 Uhr enden und denen eine Fahrt korrespondiert, die ca. sechs Stunden später innerhalb von 160 Metern um den Ort des „drop-off“ beginnt … kurz: „Rides of Glory“. Auch die Visualisierung der Daten ist sehenswert.
Uber nahm den Blogpost allerdings bald aus dem Netz, sodass er heute nur noch über archive.org abzurufen ist. Klar, die Analyse wirkt distanzlos und zeigt wieder einmal die Möglichkeiten von „big data“. Datenschutz-Bedenken sind aber unbegründet: Wenn die Daten tatsächlich zuverlässig anonymisiert werden, sodass kein „Rider of Glory“ identifiziert werden kann, besteht aus der Perspektive der informationellen Selbstbestimmung eigentlich kein Anlass zum Hyperventilieren. Die Episode wirft so eher ein Schlaglicht auf die mangelnde Trennschärfe des US-amerikanischen „privacy“-Konzepts als auf Ubers Sorglosigkeit in Sachen Datenschutz. Ganz anders lag da der Fall der Taxi-Aufsichtsbehörde von New York City, die Millionen Datensätze so dilettantisch anonymisierte, dass die Fahrer identifiziert werden konnten.
Angesichts der vielen Anwendungen, die die Uber-Daten ermöglichen, bliebe zu wünschen, dass das Unternehmen seine Initiative ausbauen wird: Bisher gibt es die Daten nur für einen handverlesenen Partner, die Stadt Boston. Wirklich spannend würde es, wenn sie als Open Data veröffentlicht würden, um Anwendungen aus der Community zu ermöglichen – idealerweise mit schönem API. Andererseits: Uber wird inzwischen an der Börse mit 18,2 Milliarden Dollar bewertet. Diese enorme Fantasie wird auch zu einem guten Teil auf der Spekulation beruhen, dass sich die Uber-Datenberge sehr lukrativ für Marketing-Zwecke auswerten lassen werden. Vor diesem Hintergrund dürfte es so schnell keine „free rides“ für Uber-Daten geben.
Naja, nicht umsonnst nennt Andrew Keen Mr. „Uber“ als einen, „der die schlimmsten Züge des Kapitalisten verkörpert“ ….
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/andrew-keen-interview-ueber-das-digitale-debakel-a-1013436.html
Es ist wahrscheinlich möglich diese aggregierten Daten auf Basis von anonymisierten Einzelfahrten zu berechnen. Aber es würde mich sehr wundern, wenn Uber nicht bestenfalls pseudonymisierte Nutzungsprofile je Fahrgast vorhält, also eine Liste aller Fahrten eines Nutzers, dazu offenbar auch das Geschlecht und wer weiß welche anderen Attribute noch. Solange die nicht gelöscht werden (irgendwelche Löschfristen bekannt?) können sie gestohlen, verkauft oder beschlagnahmt werden. Und eine Pseudonymisierung ließe sich mit so einem individuellen Bewegungsprofil sicherlich leicht wieder aufheben.
Mit dieser Aussage scheinst du mir außerdem ein wenig in die „Daten sind Wahrheit“-Falle zu tappen. Gemessen werden nicht „Rides of Glory“, sondern ein Muster, von dem die Analysten glauben, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit solchen entsprechen. Jede individuelle Fahrt, ob anonymisiert oder nicht, könnte auch etwas anderes sein und ist es mit einer unbekannten Wahrscheinlichkeit vermutlich auch.
Der Punkt der Krtik ist doch, dass sich Uber über die geltenden Gesetze in Europa hinweg setzt und auf ein paar Milliarden sitzt. Das darf der Rechtstaat nicht dulden.