Fast auf den Tag genau 11 Jahre nachdem P2P-Pionier-Napster nach mehreren Niederlagen vor Gericht seinen Dienst einstellen musste, ist jetzt eine Studie zu den Folgen dieser Entscheidung für Innovation (nicht nur) in der Musikindustrie mit dem Titel „Copyright and Innovation: The Untold Story“ erschienen. Der zur Veröffentlichung im Wisconsin Law Review akzeptierte Artikel des US-Rechtsprofessors Michael A. Carrier basiert im Wesentlichen auf 31 qualitativen Interviews mit Gründern, Investoren und Vertretern von Plattenfirmen, die zu den Folgen von Napster sowie dessen gerichtlichem Verbot befragt wurden. Zu den Interviewten (vgl. S. 61) zählen u.a. der ehemalige Napster-Chef Hank Bank, Real Networks Gründer Rob Glaser und die ehemalige RIAA-Vorsitzende Hilary Rosen.
Die Interviewauszüge in dem Aufsatz sind auch für juristische Laien interessant zu lesen. Denn während die einen das Napster-Verbot positiv bewerteten, da es „einen unfairen Wettbewerber aus dem Markt nahm“, kritisierten andere vor allem die Breite des Urteils, das auch private Haftung vorsah. Einem Risikokapitalgeber zu Folge wurden danach „keine Musik-Deals mehr gemacht“, der Bereich zu einer „Einöde“. Andere sprechen von einem verlorenen Jahrzehnt.
Verstärkt wurde die Signalwirkung des Napster-Verbots durch einen davon inspirierten und sich für einen gewissen Zeitraum über Schadenersatzzahlungen selbsttragenden Boom von Copyright-Klagen als Geschäftsmodell. Dieser juristische Kampf war dabei äußerst ungleich (S. 41):
Einer der Interviewten erklärte, dass es kein „fairer Kampf“ war, da die Labels „Milliarden von Dollar und hunderte Rechtsanwälte“ haben, „für Jahre kämpfen können“ und „dich durch Geld ausgeben unterwerfen“. Im Gegensatz dazu sind „Technologie-Innovatoren kleine Startups, die nicht viel Geld und keine Rechtsanwälte haben.“ Verstärkt wird diese Asymmetrie dadurch, dass die Labels sich häufig zusammentun. Aber wie einer der Gründer erläutert: „Wenn sie sich auf dich stürzen, bist du tot.“
Im Artikel finden sich eine Reihe von konkreten und bisweilen verstörenden Anekdoten über die in diesen juristischen Auseinandersetzungen verwandten Taktiken, wie zum Beispiel die bewusste Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten in den Bereich persönlicher Haftung und diesbezüglicher Drohungen. Carriers Fazit:
Überaggresives Copyright und dessen Durchsetzung hat substantielle und negative Folgen für Innovation. Diese Geschichte wurde so noch nicht erzählt. Auch, weil es eine schwer zu erzählende Geschichte ist. Sie basiert auf einer Vorhersage was passiert wäre, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre. Wir können diese Verluste nicht genau bestimmen. Und diese Leerstelle ist kein Vergleich zu den Schäden durch Piraterie, die mit den lautesten Megaphonen verkündet werden.
Diese empirischen Schwierigkeiten, verhinderte Innovation zu messen, sind wohl auch der Grund, warum es Untersuchungen wie jene von Carrier schwerer haben auch bei der Politik Gehör zu finden, als Pirateriestudien, die mit vermeintlich exakten Zahlen über Verluste durch Piraterie aufwarten können (vgl. z.B. „Pirateriestudie des Medienboards Berlin-Brandenburg: suggestiv, verkürzt, oberflächlich“).
Alle Übersetzungen von mir. Danke an softhal für den Hinweis auf das Papier via Twitter.
WIe wahr, wie wahr…
Welche Verluste man durch die Aussachaltung von „blödem, unmenschlichem Wettbewerb“ erfährt, wird häufig übersehen.
*Ironie*
Ein Glück das nun niemand fordert Wettbewerb zwischen Internetprovidern einzuschränken und sie alle zu gleichartigen Angeboten zu verpflichten.*/Ironie*
Hiho,
das ist kein „Papier“, sondern ein Artikel. Falscher Freund, ahoi!
Ein spannender Ansatz, der endlich mal versucht aus dem jahrelangen Hin und Her vermeintlicher quantitativer Studien auszubrechen. Allerdings sind die typischen Reaktionen natürlich wieder absehbar, wenn von „überaggressivem Copyright“ die Rede ist. Habe dazu folgenden Artikel verfasst. http://freiekulturundmusik.wordpress.com/2012/07/13/verlorene-innovationen/ – Danke für den Hinweis.
Es war eine wunderbare Zeit damals. Globale Vernetzung und gemeinsame Interessen standen dort erstmals im Vordergrund. In jener Zeit lernte man viel mehr Leute kennen überall auf der Welt ohne sich verloren zu fühlen in einer allgegewärtigen Informationslawine. Trotz der Anonymität fühlte man sich nicht als Schatten der Masse, sondern als Individuum. Es stimmt irgendwie, dass die Jahre danach in keiner Relation standen zum damaligen Stand. Ich denke mittlerweile sind wir wieder dort wo wir aufgehört haben, aber nur durch hartes Lernen und Tränen in Themen wie Datenschutz, Meinungsfreiheit und Informationsgesellschaft. Aber so ist es anscheinend immer: zwei Schritte nach vorn und dann einen zurück. Im Guten wie im Schlechten. :)
Ach ja, Napster.
Das war schon geil!
Vor allem, das man in die Musiksammlungen der anderen Leute reinschauen konnte, mit ihnen chatten konnte, wenn sich die Musikgeschmäcker überschnitten usw. .
So cool konnte man sich nie wieder über Musik informieren und austauschen. Und man hat leute aus aller Welt kennengelernt und sich gegenseitig für den erlesenen Musikgeschmack des anderen gleich annerkennung geleistet /bekommen.
Dann hat man sich in die buddylist eingetragen und konnte immer wieder anklopfen, wenn der andere zufällig auch online war, und man konnte weiter nach musik suchen sich austauschen und übers weltgeschehen plauschen.
oder diese komischen chatrooms von alternative über german . samba bis hin zu weis nicht mehr was . wobei der alternative channel als einziger immer voll war, und nur getrollt wurde. und die leute ganz stolz ihre mit Symbolen gemalten mittelfinger oder hasen copy pasteten.
letztendlich hab ich für modemgebühren wohl mehr ausgegeben als ich heute für die einzelnen songs gezahlt hätte.
heute kann man zwar alles mit 10000 facher geschwindigkeit runterladen und finden tut man auch noch immer alles – auch illegal- aber meist nur wieder in Albenform. und anhören tu ich ’s mir dann oft doch nicht oder nur einmal durchhören. aber damals steckte noch herzblut und persönlichkeit in der mp3 sammlung.
Was ich an der heutigen Musikverkaufslandschaft nicht checke( itunes spotify etc.) , ist das sie plattformgebunden ist. Die Labels sollten eine universelle Metaplattform als schnittstelle mit allen Lizenzen versorgen, so dass die Anbieter ihr Angebot als programm oder website einfach nur noch überstülpen brauchten. alles andere ist wettbewerbsverzerrung.
Vieleicht kommt dann auch mal so ein cooler Napster retro programm, wo das kommunikative tauschen emuliert wird.
Wenn sich dann noch der Preis pro song an die virtuelle substanzlose realität anpasst. und ich für den schrott, den ich nur versehntlich/informell lade nichts bezahlen muss, hätte mich legaler musikkauf wieder.
und warum zum Teufel. sollte itunes zehn prozent für ihre bescheuerte software und die paar kB serverkapazität einstreichen???