In ihrem offenen Brief and „die Netzgemeinde“ haben die 51 Tatort-Autoren ja die Kritik an der Länge der urheberrechtlichen Schutzfristen als „Lebenslüge“ und „Symbolpolitik“ abgetan. Da trifft es sich besonders, dass gestern im Atlantic ein Bericht über die jüngste Forschung zur Verfügbarkeit von Büchern von Copyright-Forscher Paul Heald von der University of Illinois erschienen ist. Das dort präsentierte Diagramm sagt eigentlich schon alles:
Es zeigt sich, wie die Länge der urheberrechtlichen Schutzfristen Digitalisierung und Zugang zu Büchern und damit dem kulturellen Erbe behindern, weil große Mehrzahl der Werke zwar auch noch Jahrzehnten noch urheberrechtlich geschützt sind, eine Verwertung sich aber bereits nach wenigen Jahren nicht mehr lohnt. Das Diagramm veranschaulicht also sehr schön, was in der Debatte um „verwaiste Werke“ als die „Lücke des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird.
Die Zahlen wären noch beeindruckender bzw. die Lücke noch größer, wenn sie zur Gesamtzahl der jeweils in einer Dekade erschienen Bücher ins Verhältnis gesetzt würden. Aber schon in absoluten Zahlen ist es so, dass Amazon gleich viele neue Bücher aus den Jahren 1900 bis 1910 wie aus den Jahren 2000 bis 2010 im Angebot hat.
Eine englische Vorlesung von Paul Heald zu diesem Thema findet sich auf YouTube, die Tonqualität ist allerdings nicht berauschend:
FYI: Im Video wird ab 12:40min über das Amazon-Diagramm gesprochen.
Danke für den Hinweis!
Ich habe es noch nicht begriffen: Was besagen die beiden Spitzen über Probleme mit Urheberrechtslaufzeiten? Warum gibt es zw. 1900 und 1910 eine Häufung?
Der Zusammenhang mit den Schutzfristen ist jener, dass das Urheberrecht derzeit bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Autors gültig ist. Die Spitzen resultieren daraus, dass Bücher, die ab 1920 erschienen sind, möglicherweise noch urheberrechtlich geschützt sind, die Abklärung der Rechte aber zu teuer bzw. unmöglich ist. Deshalb macht sich niemand die Mühe, diese Bücher neu herauszugeben. Bei noch älteren Werken ist es hingegen so, dass dort die Fristen größtenteils abgelaufen sind und diese Werke deshalb viel eher auch neu aufgelegt werden,
Es gibt deshalb auch nicht unbedingt eine Häufung zw. 1900 und 1910 – in 10 Jahren dürften wahrscheinlich viel mehr Werke auch zwischen 1910 und 1920 verfügbar sein, etc.
dem Copyright unterliegen Bücher ab 1923.
Man sieht also extrem deutlich, dass das Copyright nicht seinem Auftrag gerecht wird, wie er im ersten Urheberrechtsgesetz der Welt schon festgelegt wurde, der sogenannten Statute of Anne von 1710. Die beginnt „An Act for the Encouragement of Learning…“
@frank
Die Frage müsste eigentlich lauten, warum um das Jahr 1920 die Lücke beginnt, was wohl daran liegt, dass in dieser Zeit mehrere internationale Copyright-Abkommen abgeschlossen wurden.
siehe z.B.
https://en.wikipedia.org/wiki/Buenos_Aires_Convention
https://en.wikipedia.org/wiki/Copyright_Act_1911
1923 deshalb, weil dieses Jahr in einem US-Gesetz von 1998 wurde als Übergang zur Public Domain festgelegt wurde. Die Regelung gilt bis 2018, dann sind es 95 Jahre vom aktuellen Jahr abgezogen.
http://www.nlm.nih.gov/hmd/copyright/copylawguidance.html
Nur weil es damals eine falsche Idee war, die Schutzfristen zu verlängern, heißt das ja nicht automatisch, dass man in der Zukunft den Rechteinhaber für heutige Werke genauso schlecht bestimmen kann.
Es kann aber durchaus andere kulturelle Auswirkungen haben wie z.B. hier beschrieben: http://www.spiegel.de/international/zeitgeist/0,1518,710976,00.html
http://www.heise.de/tp/artikel/33/33092/1.html , während China z.B. relativ unbekümmert durch lächerliche Copyrightgesetze vorankommt und wichtiger wird setzt man sich im Westen immer mehr rechtliche Grenzen die einen kulturellen und technologischen Fortschritt eher behindern.
Es geht zwar nicht um die Schutzfristen, aber wenn es um Urheberrecht und Bücher geht sollte das hier Pflicht-Lektüre sein: http://www.youtube.com/watch?v=0Qkyt1wXNlI
„Es zeigt sich, wie die Länge der urheberrechtlichen Schutzfristen Digitalisierung und Zugang zu Büchern und damit dem kulturellen Erbe behindern, weil große Mehrzahl der Werke zwar auch noch Jahrzehnten noch urheberrechtlich geschützt sind, eine Verwertung sich aber bereits nach wenigen Jahren nicht mehr lohnt.“
Ich bin damit nicht ganz konform. Das Diagramm zeigt für die USA, woraus Verlage glauben Geld machen zu können. Gibt es dort möglicherweise eine eigene Verlagsnische, die sich auf die Neuauflage alter Bücher spezialisert hat? Inwieweit sie damit Erfolg haben, steht auf einem anderen Blatt. Das einzige Buch aus den Zehner-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das mir als lesenswert einfällt, ist „Winesburg, Ohio“. Mit dem Zugang zu den Büchern hat das auch erst mal nichts zu tun. Wenn ich in meine Stadtbücherei gehe, dürfte die Statistik wesentlich anders aussehen. Hier dominieren mit Sicherheit die Bücher der letzten Jahrzehnte.
Trotzdem bin ich auch der Meinung, dass der Urheberrechtschutz eine bedenkliche Lücke reißt, was die Verfügbarkeit im Internet betrifft. Hier einen Ausgleich zu finden zwischen den Urhebern und ihrem Interesse an einer möglichst lang anhaltenden Verwertung zu ihren eigenen Gunsten und dem Interesse von Nutzern, Werke kostengünstig bis kostenlos zur Verfügung zu haben, ist nicht einfach. Nur die Schutzfrist drastisch zu reduzieren ist ja eher eine Förderungsmaßnahme zugunsten von „Verwertern“, also Marketing- und Verpackungskünstlern.
„Gibt es dort möglicherweise eine eigene Verlagsnische, die sich auf die Neuauflage alter Bücher spezialisert hat?“
Ja, gibt es. Da grundsätzlich alle vor 1923 erschienenen Werke dort nicht mehr urheberr. geschützt sind, gibt es eine ganze Reihe von Verlagen, die fast nur solche alten Werke einscannen und nachdrucken. In den letzten Jahren zunehmend auch rein als Print-on-Demand über Anbieter wie Amazon & co., wodurch ihnen auch bei wenig nachgefragten Nachdrucken kaum Kosten entstehen.
…was übrigens interessante Blüten treibt. Gerade diskutiert ein Teil der Wissenschaftsgemeinde „Veröffentlichungen“ von „Nabu Press“ (nicht zu verwechseln mit dem Naturschutzverein). Die haben bei amazon.com haufenweise urheberrechtlich geschützte wissenschafttliche Publikationen als „pre-1923“ republiziert. On demand. Dazu noch offensichtlich schlechter Druckqualität. Der Witz ist: das Zeug ist über die Biodiversity Heritage Library verfügbar geworden. Möglicherweise haben DIE das falsch getagged als pre-1923.
Die Diskussion, die sich anschließt, läuft noch. Und ist spannend, weil im Gegensatz zu manch anderer Debatte wirkliche Urheber diskutieren.
„Gibt es dort möglicherweise eine eigene Verlagsnische, die sich auf die Neuauflage alter Bücher spezialisert hat?“
Hierzulande fallen doch die Reclam-Bücher darunter, oder?
Ich habe noch nie verstanden, wieso ein Werk nach dem Tod des Urhebers überhaupt noch irgendeinen urheberrechtlichen Schutz genießen sollte.
Über den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Kern (Urhebernennung, Entstellungsverbot etc.) können wir natürlich reden.
Für Bücher ist das relativ leicht erklärt: Nehme an, du arbeitest ein Jahr für gutes Gehalt, legst davon 5000 Euro zurück, dann kannst du es als selbstverständlich voraussetzen, dass deine Kinder von den Zinsen profitieren dürfen. Nehme nun an, du lässt dich für ein Jahr ohne Gehalt beurlauben, schreibst in der Zeit ein Buch. Das Risiko dieser Anlage ist wesentlich höher als bei einem 5000 Euro-Sparguthaben. Doch auch dann sollte es selbstverständlich sein, dass deine Kinder von den Zinsen dieser Anlage profitieren dürfen. Und wer keine Kinder hat, der spendet den Ertrag halt.
Was ich auch noch nie verstanden habe, ist, warum manche Menschen glauben, es sei ihr gottgegebenes Recht, von den Erträgen zu leben, die ihre Eltern erwirtschaftet haben. Selbstverständlich ist das überhaupt nicht.
Im Übrigen verwechselt Du Ursache und Wirkung: Der von Dir geschildere Sachverhalt ist nicht Grund, sondern Folge der absurden Schutzfristen.
@Hans Retep: Wer sich hinsetzt und ein Buch schreibt (wir reden jetzt nicht von einem Fachbuch), der tut das zunächst nicht des Geldes willen, sondern aus einem der ältesten Antriebe der Menschheit – um eine Geschichte zu erzählen. Es gibt viel mehr aufwändig geschriebene Geschichten in Schubladen oder Minimalauflagen, als je in Bestsellerlisten auftauchen. Wenn ich ein Gedicht schreibe, ein Bild male oder eine Skulptur schnitze, dann erfolgt das aus einem inneren Antrieb hieraus der in einer starken Befriedigung nach Fertigstellung mündet. Und es hat nichts damit zu tun, dass die Kinder zu Essen haben – dafür gehen fast alle Künstler – wie auch ich, ganz normal arbeiten.
@ninjaturkey: Ds mag ja sein, dass die innere Befriedigung oftmals größer ist als der materielle Nutzen. Aus ökonomischer Sicht ist es mit Sicherheit ein Glücksspiel, für den Aufwand beim Schreiben eines Buches einen entsprechenden Ertrag zu erhalten. Aber das Gesetz schützt nun mal beides: Das Recht des Urhebers, mit seinem Werk zu tun, was ihm beliebt und das Recht, daraus Erträge zu erzielen und sie zu vererben. Dass 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers ein bisserl lang sind, sehe ich auch, wenn auch nicht aus der oben gezeigten Statistik. Ich denke eine Generation (=25 Jahre) sollte man versorgen dürfen, und für verwaiste Werke müsste es bei der allgegenwärtigen Computerei und Vernetzung doch eine Möglichkeit zur zentralen Erfassung geben.
@Code Es ist kein gottgegebenes Recht, sondern eines, das man erwirbt, weil man vom Erblasser als Erbe eingesetzt wird, egal ob das jetzt die eigenen Eltern sind oder nicht. Ich schenke das, was mir gehört, wem ich will und wann ich will. Beim Erbe sind das dann meine Kinder und der Zeitpunkt ist mein Tod. Sozialneid, weil meine Kinder von mir eine Chance erhalten, die andere nicht haben, ist da völlig fehl am Platz.
@ninjaturkey
Sollte es tatsächlich den Künstler geben, der allein um der Menschheit willen seine Kunst ausübt, dann steht es diesem auch nach bisherigem Recht völlig frei, auf jede Form der kommerziellen Verwertung zu verzichten. Wenn sie oder er unbedingt will, dass andere mit dem Werk Geld verdienen können, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen, dann lässt sich das auch ohne Probleme realisieren.
Dass eine Überarbeitung des ganzen Urheberrechts nötig ist, keine Frage! Dass das Urheberrecht der Vergangenheit zur heutigen Entwicklung überhaupt nicht mehr passt, selbstverständlich! Auch über die Aufteilung der Einnahmen zwischen dem Urheber und dem Verwerter muss man sicherlich reden. Vielleicht wäre es schon eine Lösung, wenn es nicht mehr möglich wäre, als Urheber sämtliche Rechte endgültig an einen anderen abzutreten. Wenn klar wäre, dass die Rechte nach einigen Jahren wieder an den ursprünglichen Urheber zurückfallen (oder an dessen Erben), dann hätte die „Verpackungsindustrie“ auch nicht mehr die Macht, ein Werk für Jahrzehnte quasi unter Verschluss zu halten. Dann würde für diese Rechte vielleicht auch nicht mehr so viel gezahlt, aber wenn das Werk ein Riesenerfolg ist, kann der Urheber nach dieser Frist ja entsprechend „nachverhandeln“. Urheberschutz soll ja schließlich nicht den Urheber vor seinen Lesern (Hörern, …) schützen, sondern davor, dass jemand anderes Geld mit fremder Leute Leistung verdient.
Ich dagegen sehe Gründe, dass das Urheberrecht gar nicht durch Zeitablauf (Länge egal) entfallen soll.
Urheberrecht ist ein Eigentumsrecht, nur für nicht anfassbares wie z.B. Texte.
Ein 200 Jahre altes Buch gehört jemandem – das meint, das Papier des Buches gehört zweifelsfrei dem Eigentümer.
Warum sollen die Gedanken nach einer gewissen Zeit niemandes Eigentum werden, besonders wenn die im Buch formulierten Gedanken zeitlose Weisheiten darstellen, oder Generationen unterhalten, oder uns Zugang zu geschichtlichen Fakten verschaffen, usw.
Ein Haus, das meine Vorfahren vor 200 Jahren gebaut haben, kann mir ohne Probleme weitere Jahrzehnte Unterkunft bieten. Niemand wird dies bestreiten wollen. Warum aber soll ich nach gleicher Zeit nicht von geistiger Leistung eines Vorfahren Nutzen ziehen dürfen, wenn die Menschen heute seine Worte lesen oder seine Musik hören wollen?
Die Forderung nach möglichst schnellem Ende des Urheberrechtes ist analog zu sehen mit der Besetzung eines Hauses ohne Mietzahlung, obwohl der ursprüngliche Bewohner noch nicht einmal ausgezogen ist: Nutzen ziehen wollen, ohne dafür zu löhnen.
Oder nochmal anders ausgedrückt: FREIBEUTEREI
Dein Vergleich ist leider zu einfach. Wie willst du es z.B. ermöglichen, dass das geschützte Wissen in der (Hoch-)Schule gelehrt werden kann? Nach deiner Auffassung müssten ja vorher alle Urheber (bzw. deren Erben) entlohnt werden. Das dürfte erstens reichlich schwierig werden und zweitens vermutlich auch teuer. Außerdem würde die Gefahr bestehen, dass der Erbe die Nutzung des Wissens verhindern könnte. Wissen ist aber Grundlage um neues Wissen zu erlangen. D.h. es muss ein Weg gefunden werden, die unterschiedlichen Interessen der Allgemeinheit und des Urhebers (bzw. dessen Erben) gerecht unter einen Hut zu bekommen. Außerdem sollte ersichtlich sein, dass die Allgemeinheit eher ein Interesse an dem Wissen als an dem Haus hat und dieses daher auch anders behandelt werden muss.
Das Problem ist doch ein ganz anderes:
1) Es gibt keine Zentrale Weltweite Urheberrechtsüberwachung, bei der man Erfahren kann wer Urheber ist.
2) Da es überhaupt Fristen gibt nach dennen das Urheberecht abläuft warten alle so lange, bis Sie nix mehr Zahlen müssen. Ein Ewigkeits-Urheberecht würde da sicher besser helfen können.
mfg
Ralf
Ich schreibe ein Buch. Du würdest es gern lesen.
Aber nein, du wartest noch geschätzte 150 Jahre, weil du dann Geld sparst?
Ach geh weg, das glaubt dir doch kein Mensch!
Von den Gründen, warum ein Urheberrecht mal eingeführt wurde, ganz zu schweigen.
@ninjaturkey
Weil also ein Schriftsteller möglicherweise dreist genug ist, auch noch Freude bei dem zu empfinden, was er tut, hat er kein Recht auf anständige Entlohnung, sondern soll gefälligst „im Schweiße seines Angesichts“ sein Brot verdienen, wie es sich gehört. Wer Befindlichkeitslyrik für die Schublade schreibt, sollte sich nicht mit Romanschriftstellern vergleichen und vor allem nicht verallgemeinern.
@code
Ich weiß nicht, ob Du’s wusstest, aber kleine Kinder sind darauf angewiesen, davon zu leben, was die Eltern erwirtschaften. Es wird nun mal nicht jeder 80 Jahre alt.
Ja, Sarina. Und jetzt lernen wir bitte noch den Unterschied zwischen „kleinen Kindern“ und „Erben“.
@rppkn
Den letzten Absatz unterschreibe ich komplett.