Auf dem Netzpolitischen Abend des Digitalen Gesellschaft e.V. trug Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen vorgestern zum Export von Überwachungssoftware deutscher Provenienz vor. „Made in Germany“ steht für die zweifelhafte Errungenschaft, dass in Diktaturen Überwachungssoftware aus Deutschland eingesetzt wird, um politische Gegner zu verfolgen und Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Dabei gibt es Hinweise, dass die deutsche Regierung den Export solcher Software nicht nur billigt, sondern sogar aktiv durch Hermes-Bürgschaften unterstützt.
Die Rechtmässigkeit des Exports dieser Güter wird regelmässig mit dem Dual-Use-Argument begründet, also damit, dass die Überwachungssoftware durchaus für zivile Zwecke eingesetzt werden könnte und deshalb exportiert werden darf. Die zivile Nutzung wird in der Öffentlichkeit in den Vordergrund gestellt. Praktisch wird die Software aber nahezu ausschliesslich zur Überwachung politisch unliebsamer Meinungen durch Ausspähen von Userdaten und Mithören von Kommunikation verwendet. Zivile Anwendungen sind zwar theoretisch möglich, aber auch mit Phantasie kaum vorstellbar.
Reporter ohne Grenzen fordert deshalb in einem Positionspapier zum Internet Governance Forum in Baku die Ausweitung des Geltungsbereichs von Rüstungsexportkontrollen auf Software, die zur Überwachung eingesetzt werden kann. Dies ist zu begrüssen, denn Überwachung ist ein Angriff auf Netzneutralität und eine freiheitliche Willensbildung. Aber es zeigt auch ein Dilemma auf: Während der Zensursula-Debatte und den Anti-ACTA-Protesten wurde deutlich herausgestellt, dass es dem Staat nicht zuzutrauen ist, zwischen guter und schlechter Internetnutzung zu unterscheiden. Insbesondere nicht, ohne diese Mittel zur politischen Einflussnahme zu missbrauchen. Ebenso sind Vertraulichkeit der Kommunikation und freier Zugang zu Verschlüsselungstechnologie stehende Forderungen der Netzgemeinde. Jetzt aber wird genau diese Unterscheidung in gute und schlechte Software vom Staat erwartet. Das Problem der Grenzziehung bleibt dabei bestehen- was, wenn der Staat die Kontrolle digitaler Rüstungsgüter zum Vorwand nimmt, die Verbreitung von Verschlüsselungstechnik zu beschränken und damit Überwachung zu ermöglichen?
Im netzpolitischen Diskurs ist dieser Konflikt noch nicht zufriedenstellend aufgelöst. Es ist eine berechtigte Forderung, die Verbreitung jeglicher Art von Mitteln, die zur Einschränkung von Menschenrechten eingesetzt werden zu kontrollieren und möglichst zu verhindern. Es ist besonders eklig und mit dem Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland nicht vereinbar, die Verbreitung digitaler Rüstungsgüter darüber hinaus noch mit Steuergeldern zu fördern. Die Bundesregierung ist aufgefordert, derartige Praxis zu unterbinden – wirtschaftliche Interessen dürfen nicht über die Einhaltung der Menschenrechte gestellt werden.
Andererseits wird hier auch in der Netzpolitik deutlich, dass jede Freiheit ihre Grenzen an der Freiheit der anderen findet, und es deswegen hundertprozentige Freiheit nicht geben kann. Wenn die Durchsetzung von Freiheiten zur „Freiheit“ von Schutz und Sicherheit führt, geht sie zu weit. Das an sich gesunde Misstrauen gegenüber der Kontrolle durch den Staat darf nicht dazu führen, dass dieser keine Massnahmen zur Gewährleistung der Grundrechte mehr implementieren kann.
Vielleicht können zwei weitere Mittel bei der Lösung des Problems helfen: Freie Software, und Freie Netze. Die Kontrolle der Verbreitung von Software steht ohnehin auf tönernen Füssen, da sie auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt ist. Den Unterdrückten ist mehr geholfen, wenn ihnen wirksame Mittel zur Gegenwehr zur Verfügung stehen. Durch Freie Software wird es ihnen ermöglicht, vertrauenswürdigere Systeme aufzubauen, bei denen es schwerer ist, Überwachungssysteme zum Beispiel bereits durch den Hersteller zu installieren. Freie Peer-to-Peer-Netztechnologie erlaubt den Aufbau von „Samisdat“-Netzen, welche die Great Firewall aushebeln. Auf diese Art erlangen Initiativen wie Freifunk eine politische Bedeutung als Mittel gegen Unterdrückung und Überwachung.
Das Bedürfnis des Schutzes der Schwachen wird zum Prüfstein der Freiheitsforderungen in der Netzpolitik und zeigt auf, wie kleinlich die Diskussion um den „Klau“ von Musikstücken durch Kinder ist.
@Mirko: Finde ich gut, dass du unser Gespräch so zusammenfassen konntest!
Ich denke auch, dass es an der öffentlichen Ächtung von Software, die zur Überwachung und Ausspähung von Bürgerinnen und Bürgern eingesetzt werden kann nichts auszusetzen gibt. Dem Staat allerdings eine Entscheidungshoheit über “gute” und “böse” Software zuzuschreiben, halte ich allerdings für gefährlich:
Was heute die Überwachungssoftware ist, kann morgen schon ein politisch unerwünschter Anonymisierungsdienst oder ein Verschlüsselungstool sein. -> siehe Russland!
„Die Rechtmässigkeit des Exports dieser Güter wird regelmässig mit dem Dual-Use-Argument begründet, also damit, dass die Überwachungssoftware durchaus für zivile Zwecke eingesetzt werden könnte und deshalb exportiert werden darf.“
Und mit ’nem Leopard kann ich auch Brötchen holen … auch die, welche bereits an Dritte verkauft wurden ;-)
Also meineserachtens wird diese Software so oder so entwickelt werden. Anders als Panzer und Raketen sind ein paar fähige Entwickler deutlich mobiler und leichter zu kaufen.
Ich finde es besser, wenn wir in Deutschland wissen und uU ein gewisses Maß an Kontrolle darüber haben, was die anderen Staaten für Sachen verwenden, als wenn das dort in Eigenregie entwickelt wird.