Am 1. und 2. November fand die International Commons Conference (Creating a Commons-based Policy Platform) in der Heinrich Böll Stiftung in Berlin statt. Die rund 200 geladenen Teilnehmer kamen aus 34 Ländern weltweit und bildeten auch hinsichtlich ihres jeweiligen thematischen Fokus ein breites und diverses Spektrum der Commons ab (von natürlichen Commons wie Klima, Wald und Genen, über soziale Commons wie Währung und Stadtraum, bis zu digitalen Commons wie Software, Wissensressourcen und kulturelle Inhalte). Was die verschiedenen Projekte und Ansätze eint ist das Ziel gemeinschaftlich Ressourcen/Commons zu erhalten, zu entwickeln und zu nutzen, jenseits und unabhängig von (wenn auch teilweise verflochten mit) Staat und kapitalistischem Markt. Die Commons (= Gemeingüter) gehören allen der jeweiligen Gemeinschaft und befinden sich weder in Privat- noch staatlichem Eigentum. Es ging um verschiedene Punkte, an denen weiter gedacht und -gearbeitet werden muss darunter:
* Fragen der Organisation von Gemeinschaften und ihrer Interaktion mit den Commons – Social Chartas, Vereinbarungen, Lizenzen, etc.
* das Verhältnis der Commons zu Markt und Staat
* verschiedene Größenordnungen – wie organisiert man größere bis globale Commons und Communities.
Hier ein paar aus meiner Perspektive interessante Punkte, Links und Interviews der Konferenz:
* Michel Bauwens, auch Mit-Kurator der Veranstaltung, stellte drei zentrale Fragen:
1. Wie überleben wir (finanziell) in der aktuellen Welt (wenn wir uns um Commons kümmern, z.B. freie Software entwickeln, kulturelle Inhalte schaffen etc.)?
2. Wie können wir uns mit anderen, die dieselben Werte teilen, besser vernetzen und neue Praktiken entwickeln jenseits der alten Wertesysteme?
3. Wie entkommen wir ganz – d.h. wie können wir letztendlich das vorherrschende Wirtschaftssystem überwinden?
In seinem Vortrag plädierte er dafür, etwas Neues, auf Basis eines neuen Wertesystems zu schaffen, nicht etwas Altes nur abzuändern. Anstatt auf der Logik des vorherrschenden ökonomischen Denkens aufzubauen, (wo es sinnvoll ist dass ein TV so gebaut wird dass er in 10 Jahren kaputt geht, damit man mehr Geld verdient) sollte man sich ein Beispiel nehmen an z.B. Barcamps – mit einer eigenen Organisations- und Wertestruktur, die sich grundlegend von früheren Konferenzstrukturen unterscheiden, oder die GPL – die eine eigene soziale Charta darstellt. Ein wichtiges Handlungsfeld sind hier z.B. die Infrastrukturen auf deren Basis Peer Produktion bereits in großem Maße stattfindet, die aber in privater Hand von unseren Beiträgen profitieren (Google, Facebook etc.).
Wir haben mit Michel Bauwens ein Audio Interview gemacht, in dem er seine Gedanken zu Peer Produktion und neuen Werten gut darlegt. Dies wird ganz bald hier verlinkt.
* Philippe Aigrain ging Michel Bauwen’s erste Frage an und gab einen Überblick über 10 verschiedene Möglichkeiten Commons zu finanzieren; seine Folien und Notizen sind gut selbsterklärend.
* Pat Mooney stellte das Thema Openness und DIY zur Diskussion – Gibt es auch Fälle in denen Open Access Gefahren birgt? Als Beispiel führte er das BioBricks Projekt an. BioBricks ist eine von Wissenschaftlern des MIT, Harvard und UCSF gegründete Stiftung, die Information über DNA Sequenzen so online und open access verfügbar macht, dass sie direkt nachbaubar sind. Die DNA kann zu neuen Kombinationen zusammengesetzt, sowie eingebaut als Vektoren in Bakterien direkt zur Proteinsynthese genutzt werden. Mooney deutete auf die Gefahren hin, jedem Menschen (dem Amateur als auch der Industrie) genetische Bausteine an die Hand zu geben. In der Diskussion war das Gegenargument dass nur durch Offenheit solchen Gefahren auch entgegengewirkt werden kann – je mehr Leute sich auskennen, umso bessere Gegenmittel gegen synthetisierte Viren z.B. können gefunden werden.
Mooney sprach über weitere Gefahren für die biologischen Commons durch den Markt, wie die Patentierung von Genen und die kommerzielle Ausbeutung von Biodiversität mit ungleicher Verteilung der Erträge. Er wies auf die Gefahren der Green Economy und der damit verbundenen zunehmenden Kommerzialisierung von Biomasse hin.
Wichtige Handlungsfelder sind in allen Beispielen die Organisationsform, Vereinbarungen und Lizenzen, auf die man sich im Umgang mit dem jeweiligen Commons einigt, sowie rechtliche Vereinbarung, dass z.B. Gen Patente generell nicht legal sind. Er wies ebenfalls auf die Gefahr zunehmender staatlicher Überwachung hin, je mehr potenziell gefährliche technologische Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Pat Mooney fasst seine Thesen in einem Interview zusammen, das ich auf der Konferenz mit ihm gemacht habe.
* James Bernard Quilligan gab einen interessanten Abriss über die Entwicklung von Wirtschaftssystemen in den letzten 100 Jahren, inklusive der Theorien und Annahmen auf denen diese beruhen (hier ein aktueller Artikel von Quilligan). Während das Erbringen von Werten dem Markt und das Management von Ressourcen eher dem Staat überlassen werde, hätten die Commons hier aktuell keinen Platz, obwohl sie auch beide Funktionen erbringen. Auch die klassische Zivilgesellschaft in ihrer heutigen Form berufe sich auf die liberale Idee der Trennung von Produzenten und Konsumenten, sowie finanziere sich entweder durch Markt oder Staat, d.h. versuche keine neuen, community-/commons-basierten Ansätze.
* Thomas Greco sprach über Credit Commons, über community-basierte Währungen, die Unabhängigkeit von globalen Währungssystem schaffen. Das moderne Geld, mit Kredit gleichzusetzen, basiere auf dem System des Wachstums mit immer stärker steigenden Schulden, und sei monopolisiert von den Banken verwaltet obwohl wir eigentlich alle Teilhaber seien. Er setzt sich für die Schaffung unabhängiger community-basierter Währungen ein und gab verschiedene Beispiele, wie z.B. die schweizerische WIR Bank, die schon seit 1934 mit heute 60.000 Teilnehmern mit einem eigenen Währungssystem arbeitet.
Es waren nicht nur westliche Herren über 50 bei der Konferenz wie die Auswahl der Beispiele vermuten lässt, sondern auch viele Frauen und jüngere Menschen mit interessanten Projekten, z.B. das Shareable Magazin* oder die Projektgruppe Karlshof aus Berlin.
* Aus Ecuador kamen einige Teilnehmer, bis zur Ministerin, die das Projekt Yasuni-ITT vorstellten. Eine große Region Amazonas Regenwald im Osten des Landes soll von der Ölförderung ausgenommen werden, um die Biodiversität zu schützen und Wald auch zum Klimaschutz zu erhalten. Zur Realisierung möchte Ecuador von der internationalen Staatengemeinschaft die Hälfte des ansonsten aus Ölerträgen zu erwirtschaftenden Ertrages in einem von der UN organisierten Fonds sammeln. Das Modell zum Erhalt eines global relevanten Commons wäre in diesem Fall das Modell #7 aus dem Schema von Philippe Agrain, ein Public Trust. Das deutsche Entwicklungsministerium hat sich übrigens von diesem Projekt erst vor wenigen Wochen zurückgezogen.
Eine gesamte Liste aller Teilnehmer und ihrer Projekte findet sich im Konferenzwiki, ebenso die Mitschriften einiger Sessions und der Abschlussdiskussion.
Weiter geht’s dann auf Veranstaltung wie z.B. dieser Commons Konferenz in Indien im Januar 2011.
Aufgrund des sehr breiten Spektrums an Themen und Projekten hat sicher jeder etwas Neues gelernt und Gedankenanstöße aus einer ganz anderen Richtung bekommen. Als zentrale Punkte haben sich für mich die von Michel Bauwens eingangs erwähnten 3 Fragen, ergänzt durch die Frage der Organisation von Commons Modellen (Prozesse, Social Chartas, Lizenzen ..) herausgestellt. Insgesamt sprachen sich die Teilnehmer dafür aus, commons- und community- basierte Modelle zu realisieren, fortzuführen und erfolgreich zu machen, die Commons als dritte Kraft neben Staat und Markt zu stärken, und diese damit weniger wichtig zu machen.
* In einer weiteren Veranstaltung in Open Design City gestern am 4. November ging das Gespräch mit Neil Gorenflo von Shareable in ähnliche Richtung weiter. Weitere Beispiele wie Car-Sharing, Couch Surfing etc. zeigen wie man mit Commons Organisationsformen mit weniger Geld aus dem klassischen Wirtschaftssystem auskommt und auf Basis anderer Werte agiert. Diskutiert wurde hier weiterhin inwiefern die Breite der Gesellschaft von solchen Konzepten erreicht werden kann. Auch hier kam man am Ende überein, sich prioritär auf die neuen Organisationsformen und Stärkung der Commons zu konzentrieren, vielleicht werden die anderen davon überzeugt oder eben Staat und kapitalistischer Markt werden irgendwann weniger wichtig.
Ergänzung: Einige schöne Zitate von der Konferenz hat Christian Siefkes im Keimform Blog zusammengestellt.
Das war – zur Abwechslung – mal ein Thema, das ich gerne gelesen habe und das zu ganz unmittelbarem Frohsinn geführt hat :)
Nach Durchsicht von sonst zugänglichen Dingen bezüglich der ICC die hier nicht stehen, halte ich auch die Auswahl für ziemlich gelungen!
Ich schlage vor besser von ‚Niemands‘ zu sprechen.
@Andrea Goetzke:
Vielen Dank für die Berichterstattung und die Teilnahme!
@ mayleen:
Auf der Website der p2p-Foundation entsteht derzeit eine umfangreiche Dokumentation der Konferenz, z.B. mit Berichten über einzelne Workshops. Allerdings funktionieren heute eine ganze Reihe von Links noch nicht. Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. (Siehe Link hinter meinem Namen)