EU-Generaldirektion für Justiz kritisiert Anti-Netzneutralitäts-Verordnung

Vor zwei Monaten haben wir den ersten Leak einer geplanten Verordnung zur Neuregelung des Telekommunikationsmarktes veröffentlicht, wo neben Romaing auch Netzneutralität EU-weitgeregelt werden soll. Damals titelten wir, dass die EU-Kommissarin Neelie Kroes damit die Netzneutralität abschaffen wolle. Deren Sprecher erklärte uns, dass das noch nicht der letzte Stand und Besserung zu erwarten sei. Wir waren skeptisch, aber offen für Verbesserungen. Schlimmer gings ja kaum noch.

Vor zehn Tagen veröffentlichte La Quadrature du Net einen neuen Diskussionsstand der Verordnung. Es war keine Besserung zu sehen. Morgen Nachmittag sollte die Verordnung offiziell in Brüssel vorgestellt werden. Das ist heute kurzfristig um einen Tag auf Donnerstag verschoben worden. Ein Grund könnte ein Schreiben der EU-Generaldirektion für Justiz an Neelie Kroes sein, wo diese vor der Anti-Netzneutralitätsverordnung warnt und diese scharf kritisiert. Das Schreiben hat heute European Digital Rights (EDRi) veröffentlicht.

Die Generaldirektion für Justiz findet deutliche Worte und schließt sich unserer Kritik an der geplanten Schaffung eines Zweiklassen-Netzes und den Drossel-Plänen von Deutsche Telekom & Co an, die mit der Kroes-Verordnung Realität werden:

We are very concerned that such provisions risk having a negative impact on consumers‘ freedom of expression and information, as guaranteed by Article 11 of the Charter, which is also binding on this Regulation. It May also run counter to the fundamental right to the freedom to conduct a business (Article 16 of the Charter), if businesses find that their access to content or to the internet as such has been restricted as a direct or indirect result of the Regulation. Furthermore, we consider that such limited possibilities of accessing Internet content and services of their choice would run counter to the stated objectives of Article 38 of the EU Charter of Fundamental Rights, whereby EU policies must ensure a high level of consumer protection“.

Kurzfassung: Das ist eine Mogelpackung und keine Netzneutralität. Die geplanten Regelungen zu Netzneutralität gefährden das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht auf Informationsfreiheit, das Recht auf Unternehmerische Freiheit und generell Verbraucherrechte. Das ist so nicht kompatibel mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Man könnte es auch Ohrfeige nennen.

Wir sind gespannt, was die EU-Kommission am Donnerstag vor allem nach dieser deutlichen Kritik an der ursprünglichen Kroes-Fassung präsentieren wird.

5 Ergänzungen

  1. Hoppala, was ist da denn los? Haben die mitbekommen, dass hier bald gewählt wird und wollen der AfD noch schnell ein paar Wähler verjagen? Solche Töne kommen doch sonst nie aus Brüssel. Das liest sich ja fast, als hätten die bei Netzpolitik.org abgeschrieben. :)

  2. Danke für das Informieren auf den neusten Stand.
    Es wäre aber nett wenn Ihr „Bürgerrechte“ nicht auf „generelle Verbraucherrechte“ reduzieren würdet.
    Es sind politische Freiheitsrechte die wirtschaftliche Freiheiten bedingen, nicht umgekehrt. Die Netzneutralität ist keine wirtschaftliche Frage sondern eine politische. Nämlich die des offenen und freien, prinzipiell gleichen, wirtschaftlich unabhängigen Zugang zum Internet für jeden.

    Niemand wird oder bleibt Bürger durch Verbraucherrechte.
    Aber jeder Bürger mit Bürgerrechten ist ein emanzipierter Verbraucher.

      1. Hallo Markus. Worauf meine Kritik zielt: Ich würde es euch nicht empfehlen Netzpolitik, auch nur im Ansatz auf Wirtschaftspolitik argumentativ plakativ zu verwenden (oder den Anschein der Reduktion zu machen). Wie das z.B. auch echtesnetz.de macht (zumindest nach dem Bild). Die Thematik Netzpolitik ist viel tiefgreifender. Netzpolitik entspricht letztendlich einer Bürgerrechtsbewegung wie gegen die Rassentrennung in den USA. (bzw. so etwas zu verhindern)
        Wirtschaftspolitisches ist immer verhandelbar oder Teil einer Verhandlungsmasse, Bürgerrechte nicht. Bürgerrechte und Bürgerrechtsbewegungen entsprechen einer positivistischen Weiterentwicklung bestehender Grundrechtsauffassung. Und dies steht zwangsläufig in Konflikt zu Wirtschaftsinteressen.

        Ein Beispiel hierfür ist Google, das sich an die Spitze der Bewegung für Netzneutralität gesetzt hat (z.B. auch für die Anonymität im Internet) das aber aufgrund von Wirtschaftsinteressen aufgegeben hat.

        Wenn Ihr, als Interessengruppe die klare Bürgerrechtsbestrebungen hat, wirtschaftspolitisch argumentiert, zwingt ihr euch eine Argumentation auf, die an den Grundrechtsbestrebungen vorbei geht, oder die sich zumindest argumentativ verdrängen oder ignorieren lässt.
        Vermutlich ist es, zumindest kurzfristig, wirtschaftlich tatsächlich sinnvoll die Netzneutralität aufzugeben. Das steht aber gar nicht zur Debatte. Es ist der Zugang zu Information und Kultur, für jeden – durch jeden, der im Vordergrund stehen MUSS; als politisches Freiheitsrecht oder Grundrecht das wirtschaftlich nicht eingeschränkt sein kann.
        Der springende Punkt ist: Es gibt kein Bürgerrecht auf Informationsfreiheit (noch nicht). Es wird Zensur über das Urheberrecht geübt, wirtschaftspolitisch gerechtfertigt. Die bestehenden Bürger- oder Grundrechte, die du vorher angesprochen hast, sind für die Zukunft und die Möglichkeiten durch das Internet schlichtweg ungenügend. (Als explizite Abwehrrechte gegenüber Staatsgewalt oder eben wirtschaftspolitisch ein zwei Klassen Netz zu etablieren, um dann fest zu stellen (positivistisch) dass es die Innovation hemmt)

        Wenn Ihr ausschließlich bürgerrechtlich argumentiert, ist jede wirtschaftspolitische Argumentation, wie sie z.B. von der EU Kommission vorgebracht wird, von vorneherein entkräftet.

        Niemand wird es wagen wirtschaftliche Interessen tatsächlich vor Bürgerrechte zu stellen (Nicht mal die CDU und nicht mal die FDP).Zumindest dann nicht wenn man explizit darauf hinweist dass das geschieht. Selbst dann nicht wenn diese Bürgerrecht noch nicht ausformuliert und Gesetzestext sind.

        Wenn Ihr (radikal?) nur bürgerrechtlich argumentiert, wird das positivistische Etablieren weiterer Bürgerrechte und politischer Freiheitsrechte und damit auch wirtschaftlicher, aufgrund der bestehenden, für das Internet zum Selbstläufer.
        Ignoriert den wirtschafts-polit-Spam. Der dient nur dazu argumentativ ein Rauschen zu erzeugen um zukünftige Bürger- und politische Freiheitsrechte abspenstig zu machen.

  3. Das Schreiben der DG Justiz ist vom Juli, wie man auf der ersten Seite sieht – das war die formale Reaktion auf die Interservice-Consultation. Es war also sicher nicht der Grund für die erneute Vertagung am 10. September. Was aktuell in der Kommission läuft, scheint nach meinen Informationen eine breitere Diskussion über die Netzneutralitäts-Klauseln in Artikel 23 (bis vor kurzem noch 20) zu sein. Da schieben einige Leute Panik, dass das in der Öffentlichkeit nach hinten los geht und ein neues ACTA droht. Laut WSJ sind immer noch mindestens 3 Kommissare/innen gegen die Beibehaltung dieses Artikels.

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